Nachfolgend haben wir uns einzelne Aspekte des Osterpakets angeschaut. Wir argumentieren, was im Einzelnen nötig ist, um schneller voranzukommen. Ein Grundgedanke bei allen Maßnahmen muss sein, dass nur noch Untergrenzen des Ausbaus der Erneuerbaren definiert werden, keine Obergrenzen. Die Vorgaben müssen übertroffen werden können. Ihre Erfüllung muss als Mindeststandard durch ein anspruchsvolles Monitoring kontrolliert und ggf. durch Nachregelung gewährleistet werden.
Am Ende der Seite folgt eine allgemeine politische Einordnung des Osterpakets.
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Habecks Osterpaket
Mangelnden Arbeitseifer kann man dem Klimaschutzminister Habeck nicht vorwerfen. Kaum drei Monate im Amt, hat er den Entwurf zu einem ersten großen Gesetzespaket für den Klimaschutz vorgelegt. Dessen Kernstück ist eine Reformierung des „Erneuerbare-Energien-Gesetzes“ (EEG). Das Paket befindet sich jetzt in dem üblichen Prozess: Auf den vorliegenden Referentenentwurf folgt nach Abstimmung zwischen den Ressorts ein Regierungsentwurf, und der geht dann in den parlamentarischen Beratungsprozess. Noch vor der parlamentarischen Sommerpause sollen die Gesetze dieses „Osterpakets“ beschlossen sein.
Im Laufe des weiteren Verfahrens werden sich Änderungen an den Gesetzen ergeben; sie können zu Verbesserungen oder Verschlechterungen führen. Wir haben uns das Osterpaket einmal angeschaut, um herauszufinden, ob womöglich faule Eier darin sind, die im Gesetzgebungsverfahren noch heraussortiert werden sollten.
Um mit einem rundheraus positiven Punkt zu beginnen: Zu den Grundsätzen des EEG hieß es bisher (EEG 2021, § 2 [1]): „Strom aus erneuerbaren Energien und aus Grubengas soll in das Elektrizitätsversorgungssystem integriert werden.“ Wenn man die Stromversorgung, wie langsam auch immer, auf Erneuerbare umstellen wollte, war das ein geradezu absurder Gedanke: das Stromversorgungssystem nicht um die Zukunfts-Energien herum neu zu konzipieren, sondern diese in die alten fossil-atomaren Strukturen zu „integrieren“. – Jetzt heißt es im § 2 mit aller wünschenswerten Deutlichkeit: „Errichtung und Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit.“ Das heißt, sie müssen künftig bei allen, auch juristischen Entscheidungen entsprechend hoch gewichtet werden.
Wir wollen aber auch den zentralen Kritikpunkt direkt benennen: Das Maßnahmenpaket reicht keineswegs aus, um den Beitrag Deutschlands zur Begrenzung der Erderwärmung zu erfüllen. Es ist unehrlich, wenn es im Referentenentwurf heißt: „Deutschland richtet seine gesamte Klima-, Energie- und Wirtschaftspolitik auf den 1,5-Grad-Klimaschutz-Pfad aus“. Denn am schwachen Ziel, in Deutschland erst 2045 Klimaneutralität zu erlangen, hält das Osterpaket fest. Der „Weltklimarat“ hat jedoch im letzten Sommer im ersten Teil seines aktuellen Sachstandsberichts darauf hingewiesen, dass die 1,5°C-Grenze bereits 2030 überschritten werden könnte. Wenn das so ist, dann kann ein weiterer Netto-Ausstoß von Treibhausgasen bis 2045 nicht am 1,5-Grad-Klimaschutz-Pfad ausgerichtet sein.
Dieses Problem haben wir schon anlässlich des Koalitionsvertrages und anlässlich der „Eröffnungsbilanz“ Robert Habecks Anfang des Jahres benannt. Was wir klimapolitisch dringend brauchen, ist eine Ehrlichkeit in der Diagnose; eine Sachlichkeit in der Einschätzung. Die fehlt uns an manchen Stellen des Referentenentwurfs. Was sollen wir etwa zu dem Satz sagen, es handele sich um „die größte Beschleunigungsnovelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes seit seinem Bestehen“? Nach 2004 haben wir ausschließlich Abbremsungsnovellen des EEG erlebt; da hing die Latte ja nicht besonders hoch!
Wir wissen, dass demokratische Politik ein Geschäft des mühsamen Aushandelns ist, und dass es oft nicht so schnell geht, wie es eigentlich notwendig wäre. Aber wir haben vor zwei Jahren erlebt, welche radikalen Maßnahmen plötzlich ganz schnell ergriffen, welche immensen Finanzmittel plötzlich in die Hand genommen werden konnten, als die erste Welle der Corona-Pandemie über den Globus schwappte. Wir haben 2008 bei der Bankenkrise erlebt, welche unvorstellbaren Geldsummen kurzfristig mobilisiert werden konnten, um „systemrelevante“ Banken vor dem selbstverschuldeten Kollaps zu retten. Und wir haben im März 2022 staunend beobachtet, wie nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine jahrzehntelange Grundsätze einer bedachtsamen Außenpolitik in Windeseile vom Tisch gefegt werden konnten, um einer Militärpolitik der Abschreckung und der Aufrüstung Platz zu machen. Wieso soll diese Fähigkeit, rasch und fundamental zu handeln, nicht greifen können, wenn es um die Bewohnbarkeit des Planeten für unsere Kinder und Enkel geht?
Und wenn wir erwähnt haben, dass unser sonst schwerfälliges parlamentarisches System angesichts von Putins Überfall auf die Ukraine zu erstaunlich schnellen und massiven Reaktionen imstande war, so wollen wir noch auf folgendes hinweisen. Dieser schändliche Krieg wird fast ausschließlich mit Geldern finanziert, die Russland mit dem Export fossiler Brennstoffe einnimmt. Gerade in Deutschland wird russisches Erdgas im Wert von 200 Millionen Euro verbraucht – täglich! Erdöl- und Kohleimporte kommen noch hinzu. Gerade diese Kriegsfinanzierung ist von den ansonsten beeindruckenden Sanktionen gegen den Aggressor ausgenommen. Wir haben energiepolitisch dafür gesorgt, dass wir erpressbar sind. Wir müssen diesen Zustand beenden, nicht irgendwann, sondern so schnell wie möglich. Nicht durch neue fossile Abhängigkeiten, sondern durch Nutzung der überall verfügbaren Energieträger Sonne und Wind. Seit vielen Jahren hat der SFV auf diese friedenspolitische Seite der Energieversorgung hingewiesen. Nun gilt es auch hier, lange Versäumtes im Eiltempo nachzuholen.
Wir wiederholen also, dass das Osterpaket aus dem Hause Habeck wohl ein deutlicher Fortschritt gegenüber den früheren Regierungsplanungen ist; dass es aber nicht reicht! Wir tun das nicht, weil wir unersättlich wären, oder weil wir Gefallen an möglichst utopischen, unerfüllbaren Forderungen hätten. Sondern wir tun es, weil das Haus wirklich brennt! Die 1,5°C-Grenze, die in Paris vereinbart wurde, ist kein „nice-to-have“. Es ist ein schmerzlicher Kompromiss, dessen Überschreitung uns in eine Welt schlimmster Katastrophen führen wird. Selbst heute, bei 1,1 bis 1,2°C globaler Erderwärmung, häufen sich die Extremwetter-Unglücke erschreckend, der Meeresspiegel-Anstieg beschleunigt sich, und unumkehrbare Kipp-Prozesse im Klimasystem haben begonnen. Die subarktischen Permafrostböden tauen und geben große Mengen Methan frei. Das Inlandseis, das bisher große Mengen der Sonnenenergie ins All reflektiert hat, verschwindet allerorten. Der tropische Regenwald am Amazonas, der sich bislang selbst mit Niederschlägen versorgt hat, steht kurz vor dem Kollaps, was wiederum gewaltige Kohlenstoff-Mengen in die Atmosphäre verfrachtet. – Es geht wahrlich um viel – wahrscheinlich ums Ganze.
Wir melden uns in dieser relativ frühen Phase des Gesetzgebungsprozesses zu Wort, um zu verdeutlichen: Es gibt Alternativen. Wenn die Zielmarke 2045 angepeilt wird, dann ist das eine politische Entscheidung. Eine Entscheidung für einen weniger abrupten Umbau unserer Industriegesellschaft. Aber zugleich eine Entscheidung gegen die Zukunft der Menschheit. Ja: Ein so großes Wort ist an dieser Stelle gerechtfertigt.
Die Regierung kann beschließen, stattdessen das Zieljahr 2035 anzustreben, wie es eine Studie der HTW Berlin als mögliches Szenario vorgerechnet hat. Oder das Zieljahr 2030, wie es einem Szenario der Energy Watch Group (EWG) zugrunde liegt, und wie auch der SFV in Sorge um unsere Zukunft fordert. Am Runden Tisch Erneuerbare Energien haben viele Umweltschutzorganisationen diese Zielsetzung seit 2020 mit Arbeitspapieren zur Umsetzbarkeit in allen Sektoren unterfüttert, und sie liegt auch dem aktuellen Projekt „Aus Ahrtal wird SolAHRtal“ zugrunde. Legen Sie diese Zahl Ihren Planungen zugrunde, verehrte Politiker:innen, dann bekommen Sie auch weitere entsprechende Umsetzungs-Szenarien von Ihren Thinktanks geliefert, und Sie haben die Unterstützung der gesamten Klimagerechtigkeitsbewegung. Und: Sie tun etwas für den globalen Frieden. •
Analyse: Rüdiger Haude, 18.03.2022