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Datum der letzten Aktualisierung: 04.01.07
Hier eine Einführung in die Thematik
Hier zur Kurzfassung für Jugendliche

Arbeitsplätze und Soziale Gerechtigkeit - Aber wie?

Nicht der technische Fortschritt, sondern das Steuer- und Abgabensystem sind Ursache der Massenarbeitslosigkeit -
Ein Vorschlag zu ihrer Beseitigung

von Wolf von Fabeck
Geschäftsführer im Solarenergie-Förderverein Deutschland

Vorbemerkung

Dieser Beitrag entstand im Zusammenhang mit Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen, die der Autor zum Thema "Arbeitsplätze und Soziale Gerechtigkeit" gehalten hat. Der Öffentlichkeit soll ein Lösungsansatz vermittelt werden, der in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Volkswirten, Physikern, Mathematikern und Ingenieuren erstellt wurde und ständig weiter konkretisiert wird. Im Solarenergie-Förderverein Deutschland wurde zu diesem Zweck eigens ein "Informationskreis zukunftsfähiges Steuersystem" gebildet.

Welche Überlegungen bestimmen den Vorschlag des Informationskreises zukunftsfähiges Steuersystem?

Die Fortschritte in der Landtechnik, in der Automatisierungs- und Verfahrenstechnik sowie im Computerwesen führen dazu, dass immer weniger Personal für die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Verbrauchsgütern und Informationen erforderlich ist. Immer mehr arbeitsfähige und arbeitswillige Menschen, die für die Güterproduktion nicht mehr gebraucht werden, könnten somit für andere Wirtschaftsbereiche, in denen Personalmangel herrscht, ausgebildet und dort eingesetzt werden, z.B. im sozialen Bereich, in der Krankenversorgung, in der Instandsetzung, in Erziehung, Forschung und Lehre, im Rechtswesen, bei der Strafverfolgung, im künstlerischen Bereich - kurz gesagt in den personalintensiven Wirtschaftszweigen - überall dort, wo eine Automatisierung der Tätigkeit kaum in Frage kommt. Obwohl dort ein dramatischer Mangel an Personal herrscht und obwohl es Millionen von Arbeitslosen gibt, werden dort aber keine neuen Stellen oder Arbeitsplätze geschaffen. Es wird immer offensichtlicher: Dem Staat fehlt zur notwendigen Vermehrung der Stellen in den staatlichen Dienstleistungsunternehmen (z.B. Schule oder Polizei) das Geld, und Kapitalgeber und Unternehmer in der freien Wirtschaft interessieren sich nicht für personalintensive Betriebe.

Der böse Spruch: "Mitarbeiter sind Kosten auf zwei Beinen" charakterisiert in dieser Hinsicht die Stimmung im Unternehmerlager. Personal ist in Deutschland zu teuer. Personal wird deshalb nicht gerne eingestellt. Ursache ist weniger die Höhe der Nettolöhne, deren Berechtigung kaum angezweifelt wird. Ursache sind vielmehr die gesetzlich vorgeschriebenen hohen Sozialabgaben und die hohe Besteuerung der Löhne und Gehälter. Die Unternehmer müssen ja indirekt letztlich auch die Steuern und Sozialabgaben ihrer Mitarbeiter zusätzlich zum Nettolohn aus ihrem Personaletat bezahlen, womit sich die Personalkosten etwa verdoppeln.

Personalbesteuerung und Sozialabgaben verringern also den Gewinn gerade der personalintensiven Unternehmen. Kapitalgeber bevorzugen deshalb solche Unternehmen, die mit wenig Personal auskommen, in denen die Produktion hauptsächlich durch Maschinen oder technische Anlagen erfolgt, die wir im folgenden unter dem Begriff "Automaten" zusammenfassen. Automaten werden im Gegensatz zum Personal nicht besteuert oder mit Abgaben belegt. Und die Energie zum Antrieb der Automaten wird vergleichsweise sehr gering besteuert: Die Belastung der deutschen Unternehmen mit Energiesteuern ist 16 mal geringer als die Belastung mit Steuern und Abgaben für Personal.

Belastung der Arbeit    Belastung der Energie
389 Mrd. Sozialbeiträge 6,6 Mrd. Stromsteuer
124 Mrd. Lohnsteuer41,8 Mrd. Mineralölsteuer
513 Mrd.48 Mrd. (Unternehmen und Privat)
 
513 Mrd.
ca. 2/3 des Energieverbrauchs entfällt auf die Unternehmen
32 Mrd.

In dieser Abschätzung sind die zusätzlichen Entlastungen bei der Energiesteuer für energieintensive Unternehmen noch nicht einmal berücksichtigt.

Unser Lösungsansatz - Verlagerung der Steuer- und Abgabenlast vom Personal auf die Energie

Automatisierung macht die Produktion schneller und zuverlässiger ("Rationalisierung") - dies ist technischer Fortschritt im guten Sinne. Dass die Güterproduktion damit gleichzeitig auch billiger und damit gewinnträchtiger wird, ist allerdings nur scheinbar eine Folge der Automatisierung. In Wirklichkeit ist es eine Folge des historisch gewachsenen Steuer- und Abgabensystems.

Wir kommen hier zum Kern des Problems! Wenn wir uns den nicht- oder nur wenig automatisierbaren - also den personalintensiven - Wirtschaftszweigen zuwenden, erkennen wir die Kehrseite der Medaille. Wir bemerken, wie nachteilig sich bei den personalintensiven Unernehmen das Steuer- und Abgabensystem auswirkt. Im Vergleich zu den automatisierbaren Unternehmen werfen die personalintensiven Unternehmen wegen der höheren finanziellen Belastung weniger oder überhaupt keine Gewinne ab. Die Kapitalgeber vernachlässigen deshalb die personalintensiven Unternehmen bis hin zur ersatzlosen Schließung. Da diese Vorgänge seit Jahrzehnten laufend stattfinden, hat man sich in der Öffentlichkeit weitgehend an sie gewöhnt. Am ehesten fällt im privaten Umfeld noch das Verschwinden der Instandsetzungbetriebe vom Scherenschleifer über den Schumacher bis zum Fernsehreparaturbetrieb auf. Auch der Personalmangel in den staatlichen Dienstleistungsunternehmen - Schule, Gerichte, Polizei usw. - wird bisweilen schmerzlich wahrgenommen. Diese werden zwar nicht völlig geschlossen, der Staat verweigert ihnen allerdings die dringend erforderliche Aufstockung des Personals, da die Haushaltsmittel nicht ausreichen. Dagegen erhalten in der "freien Wirtschaft" die Wirtschaftszweige, in denen Automatisierung leicht möglich ist, ein - von den Bedürfnissen der Gesellschaft her nicht begründbares - besonderes Gewicht. Es handelt sich insbesondere um Unternehmen zur Herstellung von Gütern für den Massenkonsum und den automatisierbaren Teil des Dienstleistungsbereichs (Banken, Versicherungen, Kommunikation).

Die fortwährende Verkleinerung und Schließung (auch Abwanderung) von personalintensiven Unternehmen führt zur Massenarbeitslosigkeit. Aus den vorangehenden Überlegungen ergibt sich, dass aber nicht der technische Fortschritt für die Massenarbeitslosigkeit verantwortlich ist, sondern die einseitige Belastung der personalintensiven Unternehmen mit Steuern und Abgaben. Sie ist es, die das Interesse der Kapitalgeber und Unternehmer - stärker als es den wohlverstandenen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht - auf die automatisierbare Herstellung von Massenprodukten und den automatisierbaren Teil der Dienstleistungsunternehmen lenkt.

Um diese Erkenntnis noch weiter zu vertiefen, lassen Sie uns - zunächst nur in einem Gedankenexperiment - über eine Umkehr der geschilderten Entwicklung nachdenken: Was würde geschehen, wenn der Gesetzgeber nicht das Personal mit Steuern und Abgaben belasten würde, sondern wenn er die für den Antrieb der Automaten unerlässliche Energie mit einer deutlich erhöhten Energiesteuer belegen würde, wenn er also die Steuer- und Abgabenlast vom Personal auf die Energie verlagern würde?

Das Ergebnis wäre überraschend - positiv überraschend:

Wirtschaftszweige, die jetzt im Schatten stehen, weil ihre Aufgaben nicht automatisiert werden können, würden finanziell erheblich entlastet. Ihre wirtschaftliche Bedeutung würde steigen. Dabei handelt es sich großenteils um gesellschaftlich wichtige Wirtschaftszweige, die sich mit Aufgaben der Zukunftssicherung befassen, nämlich die bereits mehrfach erwähnten Aufgaben Erziehung, Ausbildung, Forschung und Lehre, oder soziale Aufgaben oder Aufgaben der Werterhaltung. Dies alles sind Aufgaben, die - wenn sie mit gutem Erfolg bearbeitet werden sollen - viel Personal benötigen, weil sie sich kaum automatisieren lassen. Dort könnte dann qualifiziertes Personal in großem Umfang eingestellt werden. Unternehmen hingegen, die aufgrund ihres hohen Automatisationsgrades derzeit hohe Gewinne erzielen aber nur wenig Personal beschäftigen, würden erheblich an Rentabilität und wirtschaftlicher Bedeutung verlieren.
Während handwerklich hergestellte Produkte billiger würden, würden die Preise für die industriell hergestellten Billigprodukte des Massenkonsums steigen. Das würde nicht unbedingt von Nachteil sein, wenn sie haltbarer und reparaturfreundlicher hergestellt würden. Im Gegenteil, es würde sich dann finanziell wieder lohnen, sie instand setzen zu lassen, anstatt sie bei kleinen Defekten gleich wegzuwerfen. Haltbarkeit und Reparaturfreundlichkeit würden wieder zum Verkaufsargument.

Das Interesse der Kapitalgeber und der Unternehmer würde sich dann auf die Vergrößerung und die Neugründung personalintensiver Betriebe - z.B. Instandsetzungsbetriebe, Unternehmen im Sozialbereich, im Ausbildungs und Erziehungsbereich sowie die übrigen oben erwähnten personalintensiven Unternehmen richten. In den staatlichen Dienstleistungsunternehmen könnten wegen geringerer Personalnebenkosten entsprechend mehr Stellen geschaffen werden. Und damit würde im Saldo mehr Personal eingestellt als durch die Automatisierung ("Rationalisierung") bei den automatisierbaren Betrieben verloren geht.

Dieses Ergebnis des Gedankenexperiments zeigt, dass wir mit unserem Vorschlag richtig liegen. Vor seiner endgültigen Konkretisierung zum Ende des Beitrages sollen aber zunächst noch einige Fragen geklärt und Einwände entkräftet werden:

Zwingt uns der technische Fortschritt zum ständigen Wirtschaftswachstum?

In der Öffentlichkeit herrscht die Meinung vor, Arbeitslosigkeit könne nur durch kontinuierliches Wirtschaftswachstum vermieden werden.

Kontinuierliches Wirtschaftswachstum bedeutet, dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) jedes Jahr etwas größer ist als im Vorjahr. Das BIP wird in Euro bemessen. Jedes Jahr müssten also mehr und/oder teurere Produkte und Dienstleistungen mit einem in der Summe höheren Preis erzeugt und verkauft werden als im Vorjahr. Qualität und Nutzen der Produkte oder Dienstleistungen werden dabei nicht bewertet. Es handelt sich - das sei noch einmal betont - um ein ausschließlich finanziell gemessenes Wachstum! Preissteigerungen durch die Inflation werden dabei noch nicht einmal mitgezählt; der Vergleich zwischen den BIPs der verschiedenen Jahre erfolgt vielmehr inflationsbereinigt.

Begründet wird der Zwang zum ständigen Wirtschaftswachstum mit dem technischen Fortschritt. Zitat: "Der technische Fortschritt erweitert die (Produktions-) Kapazitäten. Damit sie weiterhin ausgeschöpft werden, muss mehr produziert werden - die Wirtschaft muss wachsen" (Prof. Dr. Holger Bonus, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Münster, Sommer 2005).

Wir sehen das anders. Die hier zitierte Zielvorstellung - immer mehr zu produzieren, zu kaufen und zu verbrauchen - kann unseres Erachtens nur aufkommen, wenn der Blick auf den automatisierbaren Teil der Wirtschaft verengt ist und wenn die mehrfach erwähnten nicht automatisierbaren sozial wichtigen Aufgaben sowie Aufgaben der Zukunftssicherung ausgeblendet werden. Außerdem halten wir es für eine absurde Fehlentwicklung, wenn im Bereich der Güterproduktion nicht der Bedarf der Konsumenten, sondern die Produktionsfähigkeit der Industrie das Tempo des Wachstums vorgeben soll. Wir sehen es nicht per se als Fortschritt an, wenn immer mehr oder teurere Güter produziert werden, sondern wir erwarten vom Technischen Fortschritt, dass haltbarere, reparaturfreundlichere, energiesparendere, (im Bereich der Lebensmittel auch bekömmlichere) Produkte erzeugt werden.

Wichtig ist uns hier insbesondere die Erkenntnis, dass technischer Fortschritt und Wachstum nicht dasselbe sind.

Wir sind keine Gegner des technischen Fortschritts, wir begrüßen ihn und erwarten, dass er die Kräfte, das Geld, das Personal und die Muße freisetzt, mit denen die Lösung der gesellschaftlichen Probleme und der Zukunftssicherung in Angriff genommen werden können. Dazu muss jedoch unser Steuer- und Abgabensystem grundlegend geändert werden, weil es derzeit die falschen Anreize gibt.

Altbundespräsident Richard von Weizsäcker ist wohl der erste Politiker von Rang, der es öffentlich als "törichte Idee" bezeichnet hat, das Problem der Arbeitslosigkeit durch Wachstum lösen zu wollen. (Ansprache auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2005 in Hannover).

Arbeitslosigkeit entsteht auf unterschiedliche Weise

Die Notwendigkeit, wachstumsunabhängige andere Wege aus der Massenarbeitslosigkeit zu finden, zwingt uns, die Ursachen der Massenarbeitslosigkeit differenzierter zu betrachten. Insbesondere müssen wir den Unterschied zwischen personalintensiven und nicht-personalintensiven Wirtschaftszweigen genauer beachten. Und wir scheuen uns nicht - anders als das in der reinen Volkswirtschaftslehre üblich ist - eine Wertung nach gesellschaftlichen Gesichtspunkten mit einzuschließen.

  • 1. Substitution von Menschen durch Maschinen und Automaten
    Arbeitslosigkeit entstand früher fast ausschließlich dadurch, dass Menschen durch Maschinen oder Automaten ersetzt wurden, die ihnen schwere körperliche oder monotone Arbeit abnahmen. Beispiel: Der Bauunternehmer schaffte einen Baukran und eine Betonmischmaschine an und kam deshalb mit weniger Personal aus.
    Kennzeichnend für diese direkte Substitution der Arbeitskräfte durch Maschinen oder Automaten ist die Tatsache, dass mit ihrer Hilfe der Unternehmenszweck noch besser verfolgt werden kann.
  • 2. Schrumpfung personalintensiver Betriebe, Zunahme automatisierter Betriebe
    Heute entsteht Arbeitslosigkeit allerdings häufig auf völlig andere Weise.
    • 2 a   Personalintensive Unternehmen - zumeist im Dienstleistungsbereich - wandern ab, werden geschlossen, oder werden verkleinert. Es ist nicht die Rede davon, dass der Unternehmenszweck noch besser erfüllt wird; im Gegenteil! Die bisher angebotene Dienstleistung fällt ersatzlos weg. Reparaturbetriebe und Instandsetzungswerke verschwinden, die Zahl der Lehrer im Schulwesen und die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Hochschulen wird vermindert, Forschungsabteilungen werden verkleinert. Sogar die Qualitätskontrolle wird vernachlässigt. Der ungeheure Image-Schaden, den Daimler-Chrysler durch seine letzte Rückrufaktion international erlitten hat - Probleme beim Bremssystem(!!!) - hätte durch eine intensivere Qualitätskontrolle vermieden werden können. Sinfonieorchester verschwinden. Bei der Kriminalpolizei werden Stellen eingespart und Suchtberatungsstellen werden geschlossen, obwohl die Zahl der Süchtigen zunimmt. Die Struktur des Wirtschaftslebens und des sozialen Lebens verändert sich zu dessen Nachteil. Kennzeichnend ist die Tatsache, dass mit dem Schrumpfen oder Aussterben der personalintensiven Wirtschaftszweige auch ihre Aufgaben vernachlässigt oder überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden. Dabei werden die bisherigen Mitarbeiter arbeitslos.
    • 2 b   An völlig anderer Stelle des Wirtschaftslebens dagegen - und völlig ohne Zusammenhang mit dem unter 2 a beschriebenen Verschwinden personalintensiver Betriebe - nehmen Produktion und Konsum von weitgehend automatisiert hergestellten Massenverbrauchsgütern zu. Aufgrund der Automatisierung entstehen dort trotz des Wachstums aber kaum neue Stellen.
    Da beim Rückgang der personalintensiven Betriebe mehr Stellen verloren gehen als beim Aufwachsen der automatisierten Betriebe hinzukommen, nimmt insgesamt die Zahl der Stellen ab.

Die unter 1. genannte Erleichterung schwerer körperlicher oder monotoner Arbeit ist als Befreiung von unnötiger Plackerei - als technischer Fortschritt im guten Sinne - zu begrüßen. Auch der Ersatz von Personal durch Computer stellt in vielen Fällen einen Fortschritt dar.
Die unter 2 a und 2 b beschriebene indirekte Substitution personalintensiver ganzer Betriebe durch automatisierte Betriebe hingegen schafft nicht nur die Massenarbeitslosigkeit, sondern gefährdet darüber hinaus auch noch durch den Wegfall gesellschaftlich unverzichtbarer Dienstleistungen (nach 2 a) die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Mit diesem Problem müssen wir uns weiter befassen.

Hohe Personalkosten als Ursache der Massenarbeitslosigkeit

Schon seit Jahrzehnten laufen in unserem Wirtschaftsleben zwei Anpassungsvorgänge in entgegengesetzter Richtung ab.
  • Einerseits schrumpfen und verschwinden ganze Wirtschaftszweige wie Instandsetzung und Handwerk, die Dienstleistungsbetriebe im sozialen und im Bildungsbereich werden reduziert und die staatlichen Dienstleistungsbetriebe - soweit sie als unverzichtbar gelten - werden durch Personaleinsparungen bis zur Funktionsuntüchtigkeit sträflich vernachlässigt.
  • Andererseits nimmt der Massenkonsum von Verbrauchsgütern immer weiter zu.

Die Tatsache, dass gerade die erfolgreichen Unternehmen immer wieder Personal in großem Umfang entlassen, deutet darauf hin, dass es sich um eine bewusste Umstrukturierung zur weiteren Verbesserung der Gewinnsituation handelt. Personalintensive Sparten werden verkleinert oder geschlossen. Andere Sparten werden neu eröffnet, die automatisierbar sind. Offenbar - und darüber sind sich alle einig - sind die Kosten für Personal zu hoch und offenbar gibt es die Möglichkeit, auch mit wenig Personal Gewinne (sogar höhere Gewinne) machen zu können.

Automatisierung führt häufig dazu, dass den Menschen anstrengende und monotone Arbeit abgenommen und besser, zuverlässiger durchgeführt wird. Automatisierung wird deshalb ziemlich undifferenziert als Fortschritt betrachtet. Dabei wird übersehen, dass in manchen Arbeitsgebieten Automatisierung auch einen Rückschritt bedeuten kann, insbesondere bei den am Anfang dieses Abschnitts genannten gesellschaftspolitisch wichtigen Wirtschaftszweigen. Automatisierung erschwert die angemessene Behandlung von Ausnahmefällen. Erzieher oder Ausbilder können nicht mehr differenziert auf die Unterschiede bei ihren Schutzbefohlenen eingehen; das untere Begabungs- oder Leistungsdrittel wird zum Maßstab. In der Forschung würden gerade die Ausnahmen nicht erfasst, die zu wichtigen Erkenntnissen führen können. Im Strafvollzug würde Automatisierung verhindern, dass besserungsfähige von unverbesserlichen Verbrechern unterschieden werden, bei der Krankenpflege vermindert Automatisierung die Zeit, in der sich das Pflegepersonal um die Patienten kümmert. Überall dort, wo Automatisierung ausschließlich dazu eingesetzt wird, Personal (-Kosten) einzusparen, bedeutet Automatisierung keinen Fortschritt, sondern Rückschritt. Dennoch wird Automatisierung zur Personaleinsparung heute auch dort eingesetzt, wo sie die Qualität der Dienstleistung vermindert.

Um zu erkennen, wo sich der günstigste Ansatz zur Verminderung der hohen Personalkosten ergibt, werfen wir einen Blick auf ihre Struktur.

Kontraproduktiv - Umlage der Sozialversicherung auf die Arbeitgeber

Bereits eingangs haben wir angedeutet, dass die hohen Personalkosten sich nicht aus dem Nettogehalt ergeben. Es gibt vielmehr weitere Kosten, die dem Unternehmer entstehen, wenn er Personal beschäftigt; auch die Lohn- und Einkommensteuer der Beschäftigten sowie sämtliche Sozialabgaben stammen ja indirekt aus dem Personalbudget des Unternehmens.

Noch über den tariflich vereinbarten Bruttolohn hinaus müssen die Arbeitgeber knapp 50% der Versicherungsbeiträge gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit und altersbedingte Erwerbslosigkeit bezahlen - den "Arbeitgeberanteil". Durch diesen Anteil wird die "Stellenbelastung" um weitere 21% gegenüber dem Bruttolohn erhöht.


Arbeitgeberanteil
Arbeitnehmeranteil
Steuern
Nettolohn
 


        Stellenbelastung



        Brutto




        Netto






Stand Jan.2007: Rentenversicherung 19,9 Prozent des Brutto-Gehaltes - Arbeitslosenversicherung 4,2 Prozent des Brutto-Gehaltes - Krankenkasse (durchschnittlich) 14,3 Prozent des Brutto-Gehaltes - Pflegeversicherung 1,7 Prozent des Brutto-Gehaltes (wer bereits 23 Jahre alt ist und kein Kind hat, muss zusätzlich 0,25 Prozent zahlen, also 1,95 Prozent)

Die Versicherungsbeiträge sind notwendig und es ist auch richtig, dass sie bei den Unternehmen - sozusagen an der Quelle der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung - erhoben werden. Aber der Schlüssel, nach dem diese Beiträge auf die Unternehmen umgelegt werden, ist schon seit einigen Jahrzehnten nicht mehr zeitgemäß. Er hat eine  NEGATIVE   LENKUNGSWIRKUNG,  denn je mehr Mitarbeiter sie beschäftigen, umso höher ist der Beitrag, den die Unternehmen entrichten müssen. Für jeden Mitarbeiter, den sie beschäftigen, müssen Unternehmer den sogenannten "Arbeitgeberanteil" zahlen. Durch Schließung personalintensiver Betriebe und Eröffnung völlig andersartiger automatisierter Betriebe können sie sich von dieser Verpflichtung befreien! Gesellschaftlich erwünschtes Verhalten wird also bestraft, unerwünschtes Verhalten wird belohnt.

Bundesweit beträgt der Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung fast 200 Mrd. Euro und ist damit schwergewichtiger als alle Einnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer oder der Mehrwertsteuer. Mit dieser geballten finanziellen Wucht werden Arbeitgeber zur Entlassung von Personal geradezu gedrängt.

Eigentlich müsste es umgekehrt geregelt sein. Eigentlich müssten Unternehmer, die nur wenig Personal beschäftigen, zum Ausgleich einen umso höheren „Sozialbeitrag“ leisten, um ihrer sozialen Verpflichtung gerecht zu werden. In diese Richtung zielt dann ja auch unser Vorschlag.

In diesem Zusammenhang eine Anmerkung an die Adresse der überzeugten Marktwirtschaftler, die jeden staatlichen Eingriff in das System der Marktwirtschaft als Abweichung von der reinen Lehre betrachten: Auch die bisherige Regelung, dass die Arbeitgeber einen Beitrag zur Sozialversicherung leisten müssen, stellt einen massiven Eingriff in die freie Marktwirtschaft dar. Da diese Regelung jedoch schon über 120 Jahre alt ist (sie stammt aus Bismarcks Zeiten - 1881), hat man sich zumeist an sie gewöhnt. Zu damaligen Zeiten stellte sie einen ungeheuren Fortschritt auf dem Weg von der freien zur sozialen Marktwirtschaft dar. Inzwischen aber erkennen wir auch ihre Nachteile.

Doch nach welchem Bemessungsschlüssel sollen Unternehmen, die nur wenig Personal beschäftigen, ihren Beitrag leisten? Was soll bei ihnen besteuert werden? Der Automatisierungsgrad vielleicht? Doch wie kann man den Automatisierungsgrad messen? Ist unser Vorschlag, anstatt des Personals den Energieverbrauch zu besteuern, wissenschaftlich überhaupt haltbar?

Warum eine Ressourcensteuer nicht in Frage kommt

An dieser Stelle möchten wir kurz auf den Vorschlag eingehen, eine "Ressourcensteuer" einzuführen. Dieser Vorschlag ähnelt ein wenig unserem Vorschlag, ist jedoch aus zwei Gründen nicht zweckmäßig.
  1. Gerade die Unternehmen der Telekommunikation, des Versicherungswesens und des Bankwesens, die mit Hilfe der Automatisierung ihre exorbitanten Gewinne erzielen, würden völlig unbesteuert bleiben, denn sie verbrauchen kaum materiellen Ressourcen sondern im wesentlichen nur Energie zum Antrieb ihrer Computer sowie Datenübertragungsgeräte.
  2. Außerdem ist der Ressourcenverbrauch nur schwer mit einer einheitlichen Größe messbar. Ihn nur in Kilogramm zu messen, erscheint ungerecht - der Verbrauch von 1 kg Wasser ist kaum zu vergleichen mit dem Verbrauch von 1 kg Uran oder 1 kg Silizium. Und was heißt schon "Verbrauch"? Ist Wasser, mit dem ein Acker beregnet wird, verbraucht? Eine einheitliche Messgröße und eine einheitliche Definition des "Verbrauchs" sind aber erforderlich, um die ins Auge gefasste Steuer konkret festsetzen zu können und um nicht in zehntausend verschiedene Einzelfallregelungen ausweichen zu müssen.

Kurz gesagt, wir brauchen eine messbare Größe, die an der Stelle des Personals die Steuer- und Abgabenlast übernehmen kann und soll. Es muss DIE Größe sein, aus der die Gewinne der Unternehmen herrühren, die nur wenig Personal beschäftigen.

In der Begrifflichkeit der Volkswirtschaftslehre ausgedrückt, suchen wir den „Produktionsfaktor X“, der den Produktionsfaktor "Arbeit" substituiert, d. h. ersetzt.
(Anm.: Hier und im Folgenden ist der Begriff „Arbeit“ nicht im physikalischen Sinne zu verstehen, sondern - wie es in der Volkswirtschaft üblich ist - als Zusammenfassung der Arbeitnehmer.)

Damit diese laufende Substitution ein Ende findet, müssen die Anreize zur Substitution abgeschafft werden. Der unbekannte Produktionsfaktor muss - so wie bisher die Arbeit - entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben herangezogen werden.

Energie als starker Produktionsfaktor

Die konventionelle Volkswirtschaftslehre kennt die drei Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit und Boden.
  • Zum Kapital gehören die Fabrikhallen und Maschinen.
  • Zur Arbeit gehören die Beschäftigten.
  • Der Boden spielt im Wesentlichen seine Rolle in der Land- und Forstwirtschaft.

Nur mit einer aufeinander abgestimmten Kombination von Produktionsfaktoren kann Wertschöpfung erzielt werden.

Die Tatsache, dass Energie als Produktionsfaktors überhaupt erst in den letzten Jahren und nur sehr zögerlich unter Volkswirtschaftlern diskutiert wurde, zeigt die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Aus Sicht der Physik ist es nämlich völlig evident, dass die Energie ein „Produktionsfaktor“ sein muss; die Energie sogar an erster Stelle! Ohne Energie kommt nichts in Bewegung, geschieht buchstäblich nichts! Physiker verweisen dazu auf den ersten und zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, die sich als fundamentale Naturgesetze erwiesen haben.
Der Einsatz von Energie in einem Unternehmen ist ein guter Maßstab nicht nur für dessen Automatisationsgrad, sondern auch für die Häufigkeit ihrer Anwendung. Der Energieverbrauch ist eine messbare Größe und erfüllt damit auch in dieser Hinsicht die Voraussetzung für die Erhebung einer Steuer.

In der konventionellen Volkswirtschaftslehre hat die Energie bisher allerdings kaum Beachtung gefunden - verrückterweise deshalb, weil sie so billig ist (etwa nach dem Motto: Was billig ist, kann nicht viel wert sein"). Wenn man davon ausgeht, dass die Wertschöpfungskraft eines Produktionsfaktors seinem Preis entspricht, könnte man der Energie deshalb auch nur eine entsprechend geringe Wertschöpfungskraft zutrauen. Ihr Faktorkostenanteil beträgt ja nur kleine 5 Prozent! So gesehen, scheint die Energie fast vernachlässigbar im Vergleich zur Arbeit, die mit einem Faktorkostenanteil von etwa 65 Prozent aufwarten kann.
Ausführliche ökonometrische Untersuchungen haben jedoch die überlegene Wertschöpfungskraft der Energie gegenüber dem Produktionsfaktor Arbeit nachgewiesen (Quelle: Kümmel/Eichhorn et al.; Ayres/Warr, Lindenberger).
Dieses zunächst unerwartete Ergebnis leuchtet ein, wenn man an die vergangenen Ölkrisen denkt. Der Mangel an Erdöl - also am Produktionsfaktor Energie - in diesen Jahren führte in allen Industriestaaten zu einem außerordentlich starken Einbruch des Bruttoinlandsprodukts, der sich nur erklären lässt, wenn man für die Energie eine hohe Produktionsmächtigkeit annimmt.

Volkswirtschaftler sprechen von Produktionselastizität statt von Produktionsmächtigkeit. Wir bleiben wegen der besseren Anschaulichkeit aber bei „Produktionsmächtigkeit“.

  • Die Produktionsmächtigkeit ist eine Zahl zwischen Null und 100 Prozent, welche das Gewicht angibt, mit dem prozentuale Änderungen im Einsatz des Kapitals, der Arbeit, des Bodens oder der Energie auf die gesamte Wertschöpfung einer Volkswirtschaft durchschlagen ( Jürgen Grahl, "Mathematische Erläuterungen zu Produktionsfunktionen und Produktionselastizitäten" ) Die Energie hat z.B. - je nachdem, welche Volkswirtschaft man untersucht - eine Produktionsmächtigkeit zwischen 31 und 65 Prozent, die Arbeit nur eine zwischen 9 und 14 Prozent.

Der große Unterschied zwischen den Produktionsmächtigkeiten von Energie und Arbeit wäre nicht weiter schlimm, wenn die Produktionsmächtigkeiten den Faktorkostenanteilen entsprechen würden. Der Unternehmer könnte dann immer noch frei wählen, ob er sich schwerpunktmäßig auf den leistungsfähigeren, aber teuren Produktionsfaktor stützt, oder ob er sich für den billigen, aber leistungsschwächeren Produktionsfaktor entscheidet. Doch leider verhalten sich bei Energie und Arbeit die Produktionsmächtigkeiten nahezu umgekehrt wie die Faktorkostenanteile: Sie befinden sich im extremen Ungleichgewicht. Diese Erkenntnis wird von der konventionellen Volkswirtschaft weiterhin ignoriert, doch die oben erwähnten sorgfältigen Studien lassen keinen Zweifel mehr: Nicht die teure Arbeit, sondern die billige Energie hat die größere Produktionsmächtigkeit! Der Produktionsfaktor Energie kostet weniger als ein Zehntel so viel wie der Produktionsfaktor menschliche Arbeit, ist aber drei- bis viermal mal so leistungsfähig.

Natürlich besteht für die Unternehmer ein hoher Anreiz, den Produktionsfaktor Energie zu bevorzugen, der erstens viel produktionsmächtiger und zweitens viel billiger ist. Unternehmenszweige, die vergleichsweise viel Personal benötigen, werfen weniger Gewinn ab. Sie werden aus Kostengründen verkleinert oder ersatzlos geschlossen. Das Kapital bevorzugt derzeit Unternehmen mit einem geringen Personal- und einem hohen Energieanteil. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen hilft es auch nichts, die steuerliche Belastung aller Unternehmen gleichmäßig zu verkleinern. Im Gegenteil: Die verringerung der Steuerlast verbessert die Finanzlage und gerade Unternehmen mit einer guten Finanzlage können die Umstellung auf Automatisierung und Stellenabbau eher bewerkstelligen als Unternehmen mit einer schlechten Finanzlage.

Der schwächste Produktionsfaktor wird auch noch besteuert

Das Ungleichgewicht zwischen Produktionsmächtigkeiten und Faktorkostenanteilen bei Energie und Arbeit ist die Hauptursache für den ständigen Anstieg der Arbeitslosigkeit! Dieses Ungleichgewicht wird durch die Steuerpolitik und die Sozialgesetzgebung noch aktiv verstärkt, möglicherweise sogar überhaupt erst hervorgerufen. Der Staat verletzt kontinuierlich den Grundsatz, dass er seine Steuern und Abgaben an der Leistungsfähigkeit der Besteuerten, bzw. des besteuerten Produktionsfaktors ausrichten soll und erzielt seine Haupteinnahmen ausgerechnet über die Besteuerung des schwachen Produktionsfaktors Arbeit. In der Sozialgesetzgebung bürdet er zudem den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung (Versicherung gegen Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitslosigkeit und Sicherung der Rente) ausgerechnet denjenigen Arbeitgebern auf, die viel Personal beschäftigen.
  • So wird die Herstellung billiger Konsumware subventioniert durch die Einsparungen im Schulbereich, im Sozialbereich, im Rechtswesen und in der Forschung.

Die Therapie ergibt sich zwingend aus der Diagnose: Der Staat darf nicht länger den unverhältnismäßig teuren Produktionsfaktor Arbeit mit zusätzlichen Abgaben weiter verteuern, sondern er muss zukünftig bei der Festlegung der Steuer- und Abgabenlast nach dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit der Produktionsfaktoren vorgehen.

Ein erster Schritt: Energiesteuer und Energiegeld

Wir schlagen vor, den bisherigen Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung nicht mehr den Arbeitgebern aufzuerlegen, sondern ihn mit Hilfe einer höheren "Energiesteuer" durch den Staat zu finanzieren (bei Selbständigen bezahlt der Staat einen entsprechenden Anteil in die Sozialversicherung ein, bei Beamten muss der Staat die Sozialleistungen direkt gegenüber den Beamten bezahlen und aus der Energiesteuer gegenfinanzieren). So werden vornehmlich die personalintensiven Unternehmen entlastet und vornehmlich die energieintensiven Unternehmen an der Finanzierung der Sozialversicherung beteiligt.



Flankierend ist zur Entlastung der privaten Energieverbraucher ein "Energiegeld" auszuzahlen, welches weiter unten erläutert wird.
Die Bezeichnungen "Energiesteuer" und "Energiegeld" sind kurz und prägnant. Sie vermeiden Missverständnisse und weisen auf den untrennbaren Zusammenhang zwischen beiden Maßnahmen hin.

An dieser Stelle sei ausdrücklich betont, dass die Finanzierung des Arbeitgeberanteils durch eine Energiesteuer und die Gewährung eines Energiegeldes nur eine von vielen Möglichkeiten ist. Wir haben sie deshalb gewählt, weil sie u. E. am einfachsten zu vermitteln ist. Wir haben den Arbeitgeberanteil herausgegriffen, weil bei seiner Abschaffung die Entlastung zu 100 % den Arbeitgebern zugute kommt, mithin also den Anreiz zur Entlassung von Personal besonders wirkungsvoll vermindert. Auch brauchen die Bruttolöhne nicht neu verhandelt zu werden.
Das Energiegeld haben wir als Ausgleichsmaßnahme für den privaten Energieverbrauch gewählt, weil damit auch diejenigen Bewohner des Landes, die nicht im Erwerbsleben stehen, einen Ausgleich erhalten.

Grundsätzlich gibt es natürlich auch andere Möglichkeiten, den Produktionsfaktor Arbeit zu entlasten und die Lasten dem Produktionsfaktor Energie aufzuerlegen. Um die Diskussion aber nicht ausufern zu lassen, beschreiben wir nachfolgend nur die von uns gewählte Variante.

Die Energiesteuer

Zweck der Energiesteuer ist die Finanzierung des bisherigen Arbeitgeberanteils der Sozialversicherung. Die Ansprüche der Arbeitnehmer an die Sozialversicherung bleiben dabei im vollen Umfang erhalten, aber der Staat übernimmt selbst die Einzahlungen in Höhe des bisherigen Arbeitgeberanteils. Die notwendigen Beiträge holt er sich mit Hilfe der Energiesteuer. Er belastet somit die Unternehmen nicht mehr nach der Zahl ihrer Mitarbeiter, sondern entsprechend ihrem Energieverbrauch.

Um die Wirkung dieser Maßnahme verständlich zu machen, teilen wir die Betriebe einer Volkswirtschaft gedanklich in zwei Gruppen ein. In der ersten Gruppe überwiegt der Produktionsfaktor Arbeit, in der zweiten Gruppe überwiegt der Produktionsfaktor Energie.

  • Gruppe 1: Personalintensive Betriebe (vergleichsweise mehr Personal- als Energieeinsatz)
  • Gruppe 2: Energieintensive Betriebe (vergleichsweise mehr Energie- als Personaleinsatz)
Entscheidend bei unserem Vorschlag ist, dass im Gegenzug zur Erhöhung der Energiesteuer die Kosten der Arbeit verbilligt werden. Damit gehören alle personalintensiven Unternehmen zu den Gewinnern. Sie werden vergrößert und es gibt Neugründungen. Die Gewinnsituation der energieintensiven Unternehmen hingegen verschlechtert sich. Sie müssen sich entweder auf energiesparende Verfahren umstellen oder werden verkleinert, geschlossen oder wandern ins Ausland ab. Es wird also unter den Unternehmen Gewinner und Verlierer geben (Beispiele finden Sie hier). Da die Eröffnung oder Erweiterung personalintensiver Unternehmen mehr neue Stellen schafft, als bei den schließenden oder abwandernden energieintensiven Betrieben verloren gehen, wird im Saldo die Zahl der Arbeitsplätze zunehmen.

Unter den Gewinnern werden viele Unternehmen sein, die sich mit Aufgaben der Zukunftsvorsorge befassen: Schulbildung, Forschung und Wissenschaft, soziale Betreuung, Kultur. Auch staatliche und kommunale Einrichtungen gehören in dieser Hinsicht zu den Unternehmen. Sie wurden bereits weiter oben erwähnt. Hier noch eine Ergänzung: Der Staat als Arbeitgeber könnte endlich seinen Personalbestand aufstocken, z.B. an Schulen und Universitäten. Lohnnebenkosten in Höhe von 21 Prozent des Bruttolohnes fallen dort weg, andererseits kommen zusätzliche Energiesteuern in Höhe von 40 % des wegfallenden Arbeitgeberanteils hinzu. Das heißt, 60 Prozent von 21 Prozent = 12 Prozent fallen weg und es können bei unverändertem Etat bundesweit 12 Prozent mehr Lehrkräfte eingestellt werden. Die Zahl 40% ist ebenfalls dem Beitrag www.sfv.de/lokal/mails/wvf/siegerun.htm#tabelle entnommen. Wie wichtig eine Erhöhung der Lehrerzahlen für die Qualität der Schulausbildung ist, demonstriert der PISA-Spitzenreiter Finnland. Dieses Land setzt - gemessen an den Schülerzahlen - etwa dreimal so viel Lehrer ein wie Deutschland!

Alle Unternehmer können dann ihre Gewinnsituation nicht durch Schließung, sondern durch Eröffnung oder Vergrößerung personalintensiver Unternehmenszweige verbessern. Sie können dann wieder ohne Sorge um ihre Gewinne der „Sozialen Verpflichtung des Eigentums" nachkommen.

  • Grundgesetz, Artikel 14 (2)
    „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Nicht zu unterschätzen sind auch zwei weitere positive Folgen:

  • Den Arbeitnehmern wird die bedrückende Angst vor plötzlicher Entlassung genommen.
  • Die Politik wird befreit von dem vermeintlichen Zwang, jede Neuerung, die möglicherweise einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum liefern könnte, möglichst rasch zu genehmigen, ohne die Möglichkeit einer gründlichen Risikoanalyse. Das betrifft z.B. Genehmigungsverfahren bei der Gentechnik, bei der Embryonenforschung, bei der Entwicklung von Schädlingsbekämpfungsmitteln, bei der Kernfusion und anderen riskanten Techniken.

Energiegeld als Ausgleich für den Anstieg der Energiesteuer

Knapp ein Drittel des derzeitigen Energieverbrauchs in Deutschland entfällt auf die privaten Haushalte. Bei einer Erhöhung der Energiesteuern würden somit auch die persönlichen Energiekosten erhöht. Dafür ist ein finanzieller Ausgleich notwendig. Dies ist nicht nur eine Frage der Akzeptanz, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit. Unser Vorschlag beinhaltet deshalb ein „Energiegeld“, welches aus der Energiesteuer abgezweigt wird. Dieses Energiegeld erhält jeder, vom Säugling bis zum Greis, von der Bettlerin bis zur Millionärsgattin, der mit erstem Wohnsitz in Deutschland gemeldet ist. Die Höhe des Energiegelds ist für alle gleich und entspricht den Durchschnitts-Mehrkosten. Wer sparsamer mit Energie umgeht als der Durchschnitt, hat somit einen finanziellen Vorteil, wer mehr Energie verbraucht, hat den Nachteil. Hier entsteht eine Lenkungswirkung zum Energiesparen im persönlichen Bereich.

In diesem Zusammenhang können wir gleich den Vorwurf entkräften, das Energiegeld würde für die Armen nicht ausreichen, denn deren Energieverbrauch sei durchschnittlich höher als der der Reichen. Es ist zwar richtig, dass der Energieverbrauch, relativ gesehen, für den Armen einen höheren Anteil am Einkommen beansprucht; das gilt aber nicht in absoluten Zahlen. Die Wohnungen der Armen sind deutlich kleiner, und energieverbrauchende Luxusgüter wie Terassen- oder Schwimmbadbeheizung, Zweit- und Drittwagen, Motorboote, häufige Urlaubsflüge und dgl. können sie sich nicht leisten. Insgesamt kommen die Armen deshalb günstiger davon, zumal auch Kinder das volle Energiegeld erhalten.

Konkrete Zahlen

Zur Erläuterung unseres Finanzierungsvorschlages für den bisherigen Arbeitgeberanteil einige konkrete Zahlen zu Steuern, Sozialabgaben und Energieverbrauch:

  • 150 Mrd. Lohn- u. Einkommensteuer
  • 140 Mrd. Umsatz- u. Einfuhrumsatzsteuer
  • 167 Mrd. sonstige Steuern und Zölle
         davon 6,6 Mrd.Stromsteuer
                  41,8 Mrd. Mineralölsteuer

  • 389 Mrd. Sozialbeiträge
        davon 195 Mrd. Arbeitgeberanteil

  • 2500 Mrd. kWh Endenergie in Deutschland
         ca. 1660 Mrd. kWh gewerblich
         ca.   840 Mrd. kWh privat

Diese Zahlen aus dem Jahr 2002 haben sich seitdem nur geringfügig geändert.
Die Aufteilung der Endenergie in gewerblich und privat ist grob geschätzt.

In dem von uns vorgeschlagenen ersten Schritt wird der Arbeitgeberanteil der Sozialbeiträge - 195 Mrd. Euro - durch eine zusätzliche Besteuerung der Energie finanziert. Jede Kilowattstunde gewerblich genutzte Endenergie muss dazu mit einer zusätzlichen Energiesteuer von knapp 12 Cent belegt werden.

        195 Mrd. Euro Sozialbeiträge/1660 Mrd. kWh Endenergie = 11,7 Cent/kWh

Diese knapp 12 Cent ergeben sich aus dem gegenwärtigen gewerblichen Energieverbrauch. Wenn aufgrund der Steuererhöhung der Energieverbrauch zurückgeht - z.B. duch Steigerung der Energieeffizienz oder durch Abwanderung energieintensiver Betriebe - muss der Steuersatz erhöht werden. Entsprechend der sogenannten "Preiselastizität" der Energie wird sich der Energieverbrauch dann schließlich auf einem niedrigeren Niveau einpendeln. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass auch in den personalintensiven Wirtschaftszweigen auf Energieeinsatz nicht völlig verzichtet werden kann. Der Energieverbrauch geht deshalb nicht gegen Null.

Da der private Energieverbrauch etwa nur die Hälfte des gewerblichen Verbrauchs beträgt, betragen die Steuereinnahmen aus der von Privatpersonen gezahlten Energiesteuer etwa die Hälfte der Steuereinnahmen aus gewerblich genutzter Energie, also etwa 97 Mrd. Euro. Aufgeteilt auf knapp 80 Mio. Einwohner sind dies über 1200 Euro jährlich.

  • So ergibt sich in der Anfangsphase ein Energiegeld von gut 100 Euro pro Monat und Person.

Woher nimmt der Staat das Geld, wenn die energieintensiven Unternehmen ihren Energieverbrauch einschränken oder abwandern?

Wenn aufgrund der höheren Energiesteuer der gewerbliche Energieverbrauch zurückgehen wird, muss der Steuersatz entsprechend erhöht werden, damit die 195 Mrd. Euro für die Sozialversicherung weiterhin bezahlt werden können. Die Energiesteuer steigt dabei aber nicht, denn sie ergibt sich als Produkt des Steuersatzes mit dem sinkenden Energieverbrauch. Sie bleibt bei den genannten 195 Mrd. Auch wenn einige der energieintensiven Betriebe abwandern würden, müssten die verbleibenden Betriebe weiterhin die 195 Mrd. bezahlen. Die Hauptlast müssen jeweils die Unternehmen zahlen, bei denen der Energieverbrauch vergleichsweise zum Personaleinsatz hoch ist. Einem Betrieb, der seinen Energieeinsatz nicht reduziert, kann es dann passieren, dass er plötzlich zu den energieintensiven Betrieben - und damit zu den Nettozahlern - zählt.

Für privat genutzte Energie sollte der selbe Steuersatz eingesetzt werden, wie für gewerblich genutzte Energie, damit es nicht zu massenhaften Betrug durch Fehldeklarationen kommt. Auch der private Energieverbrauch wird zurückgehen, so dass die Gesamtbelastung für die Privaten etwa konstant bleibt. Wenn sich die Erhöhung des Steuersatzes und der Rückgang des privaten Energieverbrauchs nicht völlig ausgleichen, muss das Energiegeld entsprechend erhöht werden. Dabei gilt das Prinzip, dass die Steuereinnahmen aus dem privaten Energieverbrauch vollständig als Energiegeld an die Privathaushalte zurückfließen.

Ergibt unser Vorschlag im privaten Bereich überhaupt einen Anreiz zur Erhöhung der Energieeffizienz?

Obwohl der Energieverbrauch zurückgeht, bleibt die finanzielle Belastung aller Haushalte durch die Energiesteuer in der Summe gleich. So scheint es also - pauschal gesehen - keine "finanzielle Belohnung" für Energieeinsparungen zu geben.
Auf der individuellen Ebene, also im Vergleich zwischen den einzelnen Betrieben oder zwischen den einzelnen Privathaushalten gibt es allerdings sehr wohl einen Anreiz zur effektiveren Nutzung der Energie. Wer seinen Energieverbrauch schneller absenkt als der Durchschnitt, der hat einen finanziellen Vorteil. Im Prinzip hat sich damit gegenüber dem heutigen Zustand nichts geändert, auch heute gibt es einen Anreiz zum Energiesparen, aber der wird bei einer Erhöhung der Energiesteuer erheblich drängender werden. Je höher der Steuersatz steigt, desto mehr lohnt sich das Energiesparen.

Die Rolle der Grundstoffe

Ein Einwand gegen erhöhte Energiesteuern soll hier sogleich ausgeräumt werden: Die in der produzierenden Wirtschaft verwendeten Grundstoffe wie Stahl, Kupfer, Aluminium, Zement, Kunststoffgranulat und viele Grundstoffe aus der Großchemie wie z.B. Stickstoffdünger, werden unter hohem Energieeinsatz hergestellt. Zwei Drittel der in der Produktion verwendeten Energie fließt in die Grundstofferzeugung. Eisenerz wird im Hochofen zu Stahl umgewandelt, Kalksteine im Zementwerk zu Zement. Aus Bauxit wird unter ungeheurem Energieeinsatz Aluminium erzeugt. Personal wird in der Grundstoffindustrie nur in geringem Umfang eingesetzt. Die Preise der Grundstoffe sind deshalb eng an die Energiepreise gekoppelt. Eine Erhöhung der Energiesteuer würde voll auf die Grundstoffe durchschlagen. Da billige Grundstoffe die Voraussetzung für die Massenproduktion darstellen, wird vielfach befürchtet, dass eine Verteuerung der Grundstoffe zu Konjunktureinbrüchen führen würde.

Unsere Antwort: Billige Grundstoffe steigern zwar den Konsum, die Konjunktur und damit das „Wachstum“ der Wirtschaft, aber sie führen NICHT zur Einstellung von Personal. Billige Grundstoffe und billige Energie sind im Gegenteil die Voraussetzung für eine AUTOMATISIERTE Fertigung mit WENIG Personal. Die billigen Artikel des Massenkonsums werden schon bei kleinen Defekten verschrottet und durch neue Produkte ersetzt, denn Reparaturen „lohnen sich nicht mehr“. So führten die billigen Grundstoffe in der Vergangenheit zum bedauerlichen Aussterben der Instandsetzungsbetriebe und zur Arbeitslosigkeit der dort beschäftigten Handwerker und Facharbeiter. Grundstoffe MÜSSEN deshalb sogar deutlich teurer werden!

Die Behauptung, dass eine Verteuerung der Grundstoffe zur Verteuerung der Lebenshaltungskosten führen werde, berücksichtigt nicht, dass nach unserem Vorschlag im Gegenzug alle personalintensiven Betriebe entlastet würden. Die Preise für ihre Produkte und Dienstleistungen werden sinken. Ärztliche Behandlungen und Medikamente werden billiger, alle Arten von Reparaturen, Haarpflege, Gärtnereiprodukte, Produkte aus ökologischem Anbau, Holzbauten, kulturelle Angebote, Bildungsangebote, Beratungen, Gerichtskosten, TÜV-Untersuchungen ...

Auswirkung der Steuererhöhung auf verschiedene Energieträger

8 Cent/kWh Energiesteuer zum Ersatz des Arbeitgeberanteils der Sozialversicherung plus 4 Cent zur Finanzierung des Energiegeldes ergeben einen steuerbedingten Anstieg der Energiepreise von 12 Cent/kWh. Umgerechnet auf die Hauptenergieträger bedeutet das einen Anstieg von etwa
  • 12 Cent/kWh bei Elektrizität
    (fast eine Verdoppelung des Preises für Haushaltskunden)
  • 100 Cent/Liter bei Diesel, Benzin und Heizöl
    (fast eine Verdoppelung des bisherigen Preises an den Zapfsäulen)
  • 120 Cent/Kubikmeter bei Erdgas.
    (etwa eine Verdreifachung des gegenwärtigen Endverbraucherpreises)
Dem steht - wie gesagt - als finanzieller Ausgleich ein zusätzliches Energiegeld von 100 Euro pro Person und Monat gegenüber! Der Einzelne hat es zum großen Teil selbst in der Hand, ob er durch energiebewusstes Verhalten unter dem Strich profitiert oder ob er verliert.

Langsame oder rasche Umstellung?

Bei der Frage, ob die von uns vorgeschlagene Umstellung in kleinen Schritten oder möglichst zügig durchgeführt werden soll, sind zwei gegenläufige Gesichtspunkte zu beachten.
  • Bei einer raschen Umstellung lässt es sich nicht vermeiden, dass unternehmerische Entscheidungen der letzten Jahre sich nachträglich als Fehlentscheidungen herausstellen, z.B. die Eröffnung oder Vergrößerung energieintensiver Betriebe oder die Auflösung personalintensiver Betriebe. Aus der Sicht solcher Unternehmen spricht das für eine „behutsame“ Umstellung, die den betroffenen Unternehmen Zeit zur Anpassung gibt. Auch im privaten Bereich würden sich manche Anschaffungen nachträglich als Fehlentscheidungen erweisen, z.B. der Kauf eines spritfressenden Autos.
  • Aus der Sicht personalintensiver Unternehmen, die dem gegenwärtigen Trend zum Arbeitsplatzabbau erfolgreich widerstanden haben, wäre hingegen eine rasche Umstellung wünschenswert, und Privatleute, die schon jetzt auf energiesparende Geräte setzen, sich für ein Passivhaus oder ein Drei-Liter-Auto entscheiden, hätten einen finanziellen Vorteil.
Entscheidend für eine möglichst rasche Durchsetzung der von uns vorgeschlagenen Umstellung dürften schließlich die dramatischen finanziellen, sozialen und psychologischen Folgen des gegenwärtigen Zustandes sein: Annähernd 5 Mio. Arbeitslose belasten Monat für Monat die Sozialsysteme! Dieser volkswirtschaftliche Aderlass muss RASCH unterbunden werden. In den Betrieben geht die Angst vor Entlassung um. Das soziale Klima wird kälter. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Führungsfähigkeit von Regierung und Parlament schwindet von Monat zu Monat. Wichtig ist deshalb, dass bald konkrete Ergebnisse sichtbar werden.

Ist die Energiesteuer nicht schon jetzt zu hoch?

Die Besteuerung von Energie, z.B. von Diesel und Benzin, wird von Vielen subjektiv als zu hoch empfunden. Doch wir kennen jetzt einen objektiven Maßstab: Produktionsfaktoren müssen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden, damit die Substitution des Produktionsfaktors Arbeit durch Energie aufhört. Die Leistungsfähigkeit ergibt sich aus den oben erwähnten ökonometrischen Untersuchungen. Sie sind deshalb für die Versachlichung der Diskussion von unschätzbaren Wert. Aber auch ohne wissenschaftliche Herleitung lässt sich zeigen, dass die Besteuerung von Energie zu gering ist - im Vergleich zur Besteuerung von körperlicher Arbeit. Hierzu ein Beispiel, welches zwar völlig surreal anmutet, das aber deshalb gewählt wurde, weil es jeder von uns ohne physikalische Kenntnis, allein aufgrund seines eigenen Erfahrungshorizonts auf Plausibilität und zutreffende Größenordnungen überprüfen kann:

Ein Autohändler will einem Kunden in 100 Kilometer Entfernung einen Mittelklassewagen ausliefern. Zur Wahl stehen zwei Möglichkeiten:

  1. Das Auto wird mit Motorkraft gefahren.
    Man benötigt eine Fahrstunde, braucht 10 Liter Diesel und zahlt dafür eine Mineralölsteuer von 5 Euro.
  2. Das Auto wird durch Hilfsarbeiter geschoben.
    Wenn drei Personen schieben und eine Person lenkt, benötigt man 5 Tage und die Bezahlung für vier Personen. Lohnsteuer und Sozialabgaben (4 Personen x 5 Tage = 20 Arbeitstage) betragen ca. 500 Euro.

5 Euro oder 500 Euro! Fazit: Das Auto-Schieben durch Arbeitskräfte ist 100 mal höher mit Steuern und Abgaben belastet als das Auto-Fahren mit Dieselkraftstoff. Dieser Vergleich zeigt deutlich das Missverhältnis zwischen der überhöhten Steuer- und Abgabenbelastung von Personal und der völlig unzureichenden Besteuerung von Energie.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass die Erhöhung der Energiesteuer (wie wir sie vorschlagen) nicht dazu führen kann, dass Unternehmer die Autos schieben lassen würden. Die 10 Liter Diesel würden nach unserem Vorschlag mit 10 * 1 Euro = 10 zusätzlichen Euro belastet. Die Steuerlast für 100 km Auto-Fahren würde sich somit um 10 Euro auf 15 Euro erhöhen. Die Abgabenlast für das Auto-Schieben würde sich hingegen wegen Wegfalls des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung von 500 Euro auf etwa 330 Euro verringern. Auch unter diesen von uns vorgeschlagenen Bedingungen würde deshalb kein Autohändler das Auto zum Kunden schieben lassen. Wir haben also eine „Dosierung ohne schädliche Nebenwirkung“ gefunden. Der Einsatz arbeitserleichternder Maschinen, d. h. die konventionelle Rationalisierung, wird nicht behindert.

Unterschied zwischen Energiesteuer und Maschinensteuer

Zwischen der Energiesteuer und der alten Idee einer Maschinensteuer bestehen Ähnlichkeiten, aber auch entscheidende Unterschiede:
  • Unterschiedliche Bemessung
    Eine Maschinensteuer besteuert die Anschaffung von Maschinen und belastet somit den Produktionsfaktor Kapital.
    Die Energiesteuer verteuert den laufenden Betrieb von Maschinen.
  • Energieverschwendung oder -einsparung
    Eine Maschinensteuer würde sich am Anschaffungspreis der Maschinen orientieren. Es würden somit besonders billige, primitive Maschinen angeschafft. Je primitiver eine Maschine ist, desto höher ist im Allgemeinen ihr Energieverbrauch.
    Die Energiesteuer hingegen würde energiesparenden Maschinen einen Vorteil verschaffen.
  • Eine Maschinensteuer würde die energieintensive Umformung von Bodenschätzen zu Grundstoffen - z.B.Eisenerz zu Stahl oder Kalkstein zu Zement - nicht oder nur unangemessen verteuern. Grundstoffe blieben billig. Der verhängnisvolle Anreiz zur automatisierten Produktion kurzlebiger Massenverbrauchsgüter bliebe erhalten.
    Durch eine Energiesteuer würden hingegen die Grundstoffe entsprechend dem Energieaufwand zu ihrer Herstellung verteuert und damit indirekt auch der "Ressourcenverbrauch" oder "Naturverbrauch" besteuert.

Argumente für eine nationale Vorreiterrolle

Wer sich mit dem SFV-Vorschlag "Energiesteuer / Energiegeld" beschäftigt, räumt zumeist ein, dass eine weltweite Umsetzung des Vorschlages sicherlich die gewünschten Effekte hätte, das heißt, dass er unseren Vorschlag prinzipiell für richtig, nur die praktische Umsetzung für unrealistisch hält. Auf eine weltweite Umsetzung des Vorschlages hoffen und warten wir allerdings nicht. Wir setzen auf eine nationale Vorreiterrolle und gehen davon aus, dass andere Staaten aufgrund unserer Erfolge dann mit Verspätung folgen werden. Wir halten einen nationalen Alleingang durchaus für möglich, für aussichtsreich und sogar für vorteilhaft. Dies wollen wir hier näher begründen.
  • Energieintensive Betriebe würden ins Ausland abwandern, wird befürchtet.
    Diese Vorhersage ist sicher richtig; allerdings wird dabei der Gegenpol vergessen: Bisher wanderten personalintensive Betriebe ab und es gingen Arbeitsplätze in großer Zahl verloren. Wenn zukünftig personalintensive Betriebe zuwandern, entstehen mehr neue Arbeitsplätze als bei der zu erwartenden Abwanderung energieintensiver Unternehmen verloren gehen!
  • Die deutsche Industrie würde vermehrt billige Grundstoffe aus dem Ausland importieren
    Auch diese Vorhersage ist sicher richtig und sie gereicht uns sogar noch zum Vorteil. Die personalintensiven Unternehmen, zu denen z.B. die traditionsreichen Betriebe des Maschinenbaus oder die Herstellung von Kraftfahrzeugen zählt (siehe Tabelle) erfahren eine Entlastung bei den Personalkosten, und erhalten darüber hinaus noch die für ihre Arbeit notwendigen Grundstoffe genauso billig wie bisher. Hier erleichtert erstaunlicherweise die Globalisierung sogar eine nationale Vorreiterrolle!
  • Geringere Personalnebenkosten erlauben die Einstellung von mehr qualifizierten Ingenieuren für eine bessere Qualitätskontrolle und für firmeninterne Forschung. Dadurch wird die Zuverlässigkeit der Produkte erhöht und damit die Exportchancen im internationalen Wettbewerb.
  • In wenigen Jahren ist eine Explosion der Energiepreise aus Knappheitsgründen zu erwarten. Eine Volkswirtschaft, die sich in der Reaktion auf hohe Energiesteuern schon vorher auf teure Energie umgestellt hat - beispielsweise durch Wärmedämmung von Häusern, kraftstoffsparende Autos, Sonnenkollektoren auf den Dächern usw. - ist für den Anstieg der Energiepreise besser gerüstet. Eine Erhöhung der Energiesteuer wirkt also wie eine „Schutzimpfung“, die rechtzeitig die körpereigenen Abwehrkräfte mobilisiert.
  • Höhere Energiepreise führen zu höheren Grundstoffpreisen. Bei einem nationalen Alleingang werden energieintensiv hergestellte Grundstoffe vermehrt importiert. Ein Land mit höheren Energiepreisen schont somit seine natürliche Ressourcen (Bodenschätze). Für andere Länder sollte diese Erkenntnis ein Anreiz zur Nachahmung sein.
  • Deutschland kann sich im internationalen Wettbewerb nicht durch niedrigere Preise durchsetzen - dazu ist unser Lohnniveau zu hoch - sondern nur durch höhere Qualität und durch Innovationen. Neuentwicklungen müssen allerdings bedarfsgerecht sein. Früher bestand Bedarf an Maschinen, die die menschliche Arbeitskraft ersetzten. Inzwischen aber haben die industrialisierten Länder Arbeitskräfte mehr als genug, stattdessen kündigt sich ein Mangel an Energie an. Deshalb werden zunehmend energiesparende Techniken gefragt werden. Ein Land, dessen Energiepreise höher sind als die der Nachbarn, bringt energiesparende Techniken zur Serienreife, die ihm bei einem weiteren Anstieg der Energiepreise einen Exportvorteil verschaffen.

Verantwortung der Volkswirtschaftslehre

Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schlagen die Vertreter der Volkswirtschaftslehre seit Jahrzehnten in großer Einmütigkeit vor, das Wirtschaftswachstum noch stärker zu steigern. Dieser Vorschlag ist allerdings wenig hilfreich, denn er ist gleichbedeutend mit der Forderung nach exponentiellem Wachstum, das nach den Gesetzen der mathematischen Logik alle Grenzen überschreitet und in einer realen begrenzten Welt nicht möglich ist.
Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften und der Philosophie, wo es seit langem zum guten Ton gehört, neue Thesen und sogar seit langem anerkannte Naturgesetze immer neuen kritischen Prüfungen zu unterziehen, um sie gegebenenfalls zu falsifizieren, zeigen die etablierten Vertreter der Volkswirtschaftslehre nur wenig Bereitschaft, nach dem Fehler in ihrem Denkansatz zu suchen, der zu einem so unbrauchbaren Ergebnis führt.
Es ist verwunderlich, dass schon bei der Ermittlung der Ursachen der Arbeitslosigkeit eine ganzer Ursachenkomplex außerhalb der Betrachtung bleibt. Das beschriebene offensichtliche Ungleichgewicht zwischen Faktorkostenanteilen und Produktionsmächtigkeiten (Produktionselastizitäten) als Antriebsmotor für die ständige Substitution von Arbeit durch Energie ist für die Volkswirtschaftslehre bisher jedenfalls kein Thema gewesen. Sie geht vielmehr von der Annahme eines Gleichgewichts aus. Dahinter steckt die idealisierende Überlegung, dass ein Produktionsfaktor mit hoher Produktionsmächtigkeit - seiner Leistungsfähigkeit entsprechend - auf dem Markt auch teuer gehandelt werden müsse, während für einen Produktionsfaktor mit geringer Produktionsmächtigkeit auch nur entsprechend geringe Faktorkostenanteile aufgebracht würden. Hier übersieht die Volkswirtschaftslehre, dass bezüglich der Kosten für Arbeit (glücklicherweise) kein wirklich freies Marktgeschehen herrscht. Aus sozialethischen und historischen Gründen - hier ist besonders die Rolle der Gewerkschaften zu erwähnen - können die Unternehmer den Arbeitslohn nicht so lange absenken, bis der Faktorkostenanteil der Arbeit ihrer geringen Produktionsmächtigkeit entspricht. Die Volkswirtschaftslehre übersieht auf der anderen Seite auch, dass die Preise für Energie durch die Politik künstlich niedrig gehalten werden, wie der internationale politische Druck auf die OPEC zeigt.
Wie problematisch die schematische Anwendung von mathematisch idealisierten Gleichgewichtssätzen auf eine sich dynamisch und unter politischen Zwängen entwickelnde Volkswirtschaft ist, hat Professor Claus Peter Ortlieb in einem Vortrag auf der Herbsttagung der Mathematischen Gesellschaft in Hamburg am 7.11.03 in einer vernichtenden Kritik dargelegt.

Mit der Fiktion eines Gleichgewichts zwischen Produktionsmächtigkeiten und Faktorkostenanteilen, mit dieser wirklichkeitsfremden Grundannahme lässt sich natürlich nicht erklären, wie es zur laufenden Substitution von Arbeit durch Energie und damit zum Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt. Solange die Volkswirtschaftslehre nicht anerkennt, dass Energie den Produktionsfaktor Arbeit in seiner Leistungsfähigkeit weit übertrifft, obwohl Energie vergleichsweise nur wenig kostet, solange fehlen auch einer sozial engagierten Politik alle Sach-Argumente für eine höhere Besteuerung der Energie. Der populistischen Behauptung, dass Energie schon jetzt viel zu hoch besteuert werde, kann sie nichts entgegensetzen. Dies zeigt sich in tragischer Weise beim Versanden der ökologischen Steuer- und Finanzreform, deren Befürwortern auf politischer Ebene anscheinend mit den Argumenten auch der Mut ausgegangen ist, obwohl das Projekt vom Ansatz her richtig ist.

Zusammenfassung

Energie ist ein Produktionsfaktor.
Der Produktionsfaktor Energie ist leistungfähiger und billiger als menschliche Arbeit. "Arbeit" wird deshalb durch "Energie" substituiert. Dies geschieht
1. durch klassische Rationalisierung (Arbeitserleichterung)
2. durch Eröffnung energieintensiver Unternehmen (mit weniger Arbeitsplätzen) im Produktionsbereich. Im Gegenzug Schließung oder Verkleinerung personalintensiver Unternehmen im Instandsetzungs- und Dienstleistungsbereich (auch Ausbildung, Forschung, Wissenschaft, etc.), deren Aufgaben (häufig der Zukunftssicherung) dann unerledigt bleiben.

Unser Vorschlag:
Erhöhung der Energiesteuern zur Finanzierung des Arbeitgeberanteils für die Sozialversicherung unterbindet die Arbeitsplatzvernichtung nach Punkt 2.

Zum Ausgleich der Steuererhöhung im privaten Bereich ist ein Energiegeld für jeden Einwohner vorzusehen, für dessen Refinanzierung ein Drittel der Energiesteuer verwendet werden soll.

Anhang

Erläuterung der Produktionsmächtigkeit

Die Produktionsmächtigkeit (Produktionselastizität) eines Produktionsfaktors ist eine Prozentzahl, die angibt, wie sensibel die Wertschöpfung einer Volkswirtschaft - das Bruttoinlandsprodukt - auf eine kleine Steigerung oder Minderung dieses Produktionsfaktors reagiert, wenn die anderen Produktionsfaktoren weder gesteigert, noch gemindert werden. Hierzu zwei vereinfachende Beispiele, in welchen die eingesetzte Menge nur eines einzigen Produktionsfaktors variiert wird:
  • Beispiel 1
    Das BIP eines Landes ist im Vergleich zum Vorjahr um 0,41 Prozent angestiegen, nachdem der Energieeinsatz um 1 Prozent erhöht wurde, der Einsatz von Kapital und Arbeit aber unverändert geblieben sind. Hieraus ergibt sich eine Produktionsmächtigkeit der Energie von 41 Prozent.
    (0,41 sind 41 Prozent von 1)
  • Beispiel 2
    Das BIP eines Landes ist im Vergleich zum Vorjahr nur um 0,24 Prozent gesunken, obwohl der Personaleinsatz um 2 Prozent vermindert wurde. Hieraus ergibt sich eine Produktionsmächtigkeit der Arbeit von 12 Prozent.
    (0,24 sind 12% von 2).

In realen Situationen verändert sich praktisch niemals nur der Einsatz eines einzelnen Produktionsfaktors gegenüber dem Vorjahr, während die übrigen konstant bleiben, sondern es verändern sich alle Faktoren (genauer: Faktoreinsatzmengen) gemeinsam. Es ist dann a priori nicht klar, welcher Beitrag an der Veränderung des BIP auf die Veränderungen bei den einzelnen Faktoren entfällt. Mithilfe relativ aufwendiger mathematischer Methoden lassen sich diese Einflüsse der einzelnen Faktoren jedoch aus den Zeitreihen der volkswirtschaftlichen Statistiken „herausdestillieren“.

Erläuterung der Faktorkostenanteile
(Energie 5 % - Arbeit 65 %)

Der Faktorkostenanteil eines Produktionsfaktors ist eine dimensionslose Zahl, die den Anteil der Kosten des betreffenden Faktors an den gesamten Produktionskosten angibt.

Auch hierzu zwei vereinfachende Beispiele, in welchen die eingesetzte Menge nur eines einzigen Produktionsfaktors variiert wird:

  • Beispiel 3
    Ein Faktorkostenanteil der Energie von 5 Prozent, wie in den Industriestaaten üblich, bedeutet, dass bei einer Erhöhung des Energieeinsatz um 1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr die Produktionskosten eines Landes um 0,05 Prozent ansteigen.
    (0,05 sind 5 Prozent von 1)
  • Beispiel 4
    Ein Faktorkostenanteil der Arbeit von 65 Prozent, wie in den Industriestaaten üblich, bedeutet, dass bei einer Verminderung des Personaleinsatzes um 2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr die Produktionskosten eines Landes um 1,3 Prozent sinken.
    (1,3 sind 65 Prozent von 2)
Man erkennt aus den beiden Beispielen 3 und 4, dass der Energieeinsatz nur einen geringen Einfluss auf die Produktionskosten hat, während der Einsatz menschlicher Arbeitskraft die Produktionskosten der Volkswirtschaft erheblich belastet.

Tatsächlich ändern sich die Mengen der einzelnen Produktionsfaktoren gleichzeitig. Um bei den gewählten Beispielswerten zu bleiben, die den Gegebenheiten in der Bundesrepublik im Mittel der letzten Jahrzehnte tendenziell entsprechen, gehen wir davon aus, dass die Zahl der Beschäftigten um 2 % abnimmt und gleichzeitig der Einsatz der Energie um 1 % steigt.

Eine Kombination der Ergebnisse zu den Beispielen 1 - 4 zeigt dann,

  • dass das BIP um 0,41 % - 0,24 % = 0, 17 % gestiegen ist,
    Die Wirtschaft wächst!

  • dass die Produktionskosten um 1,30 % - 0,05 % = 1,25 % gesunken sind,
    Die Gewinne der Unternehmer steigen!

  • dass die Zahl der Arbeitsplätze um 2 % abgenommen hat.
    Die Arbeitslosigkeit nimmt also trotzdem zu!


So lässt sich das derzeitige Elend unseres Wirtschaftssystems auch mathematisch wiedergeben.

 


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