Wird das Klimaurteil vom BMWK gebrochen?
Am 6. Mai haben wir über das Portal fragdenstaat.de folgende Fragen an das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gerichtet:
- Aufgrund welcher Berechnungen ist die Bundesregierung zu der Überzeugung gelangt, dass Deutschland mit den geplanten Maßnahmen, die eine Klimaneutralität im Jahre 2045 anvisieren, auf dem 1,5°C-Pfad bleibt?
- Von welchem CO2-Budget ist die Bundesregierung dabei ausgegangen, und auf welchen Quellen beruht dieses?
- Welche Emissionsmengen werden dabei für jedes einzelne Jahr zugrunde gelegt?
- Nehmen Sie den jüngsten Sachstandsbericht des IPCC zum Anlass, die Zielvorgaben zu überprüfen?“
Das Ministerium hätte die Fragen bis zum 7. Juni beantworten müssen. Am 8. Juni haben wir noch einmal an unser Anliegen erinnert. Kurz vor Drucklegung dieses Solarbriefs, am 16. Juni, kam nun endlich eine Antwort. In der relativ ausführlichen Stellungnahme geht das „Team vom Bürgerdialog“ des Ministeriums nur auf die zweite Frage ein. Es argumentiert u.a.:
„Die Ziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes folgen der international üblichen Reduktionslogik, ausgehend von den Emissionen im Jahr 1990. Dies gilt auch für die Klimaziele der EU. Kein in der internationalen Klimapolitik agierender Staat verfolgt den Ansatz eines Restbudgets, das aus den globalen Restbudgets des IPCC abgeleitet wird. Hierfür gibt es eine Vielzahl von Gründen: Der IPCC ermittelt eine Bandbreite von Restbudgets in Abhängigkeit von Temperaturobergrenzen und Wahrscheinlichkeiten, diese einzuhalten. Bereits die Auswahl eines Budgets stellt eine normative und damit wissenschaftlich nicht ausreichend belastbare Entscheidung dar. Hinzu kommen unterschiedliche Möglichkeiten der Verteilung, die extrem schwierig ist. International konnte durch die beteiligten Staaten kein Konsens erzielt werden, welche Aspekte Eingang finden sollten und nach welchen Kriterien die Verteilung auf nationale Budgets erfolgen sollte. Nicht zuletzt deckt der Ansatz nationaler Restbudgets die internationale Zusammenarbeit im Klimaschutz nicht ab. Diese spielt jedoch für das Übereinkommen von Paris, dessen Kern ein gemeinsames kooperatives Vorgehen ist, eine wichtige Rolle. Deutschland engagiert sich stark im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit und unterstützt andere, v.a. auch wirtschaftlich schwächere Staaten bei einer Entwicklung, die klimafreundlich, gerecht und von sozialer Teilhabe geprägt ist.“
Es mag so sein, dass kein Staat den Ansatz eines „Restbudgets“ verfolgt. Und tatsächlich ist der Budget-Ansatz des IPCC ja durchaus kritikwürdig – allerdings keineswegs mit dem Ergebnis, dass ein Land wesentlich mehr ausstoßen dürfte als ihm nach einer Pro-Kopf-Verteilung des globalen Restbudgets für eine 67%ige Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze zustünde.
Die „Reduktionslogik“, von der die Bundesregierung ausgehen will, steht auch gar nicht im Widerspruch zu einer ‚Budgetlogik‘, denn auch aus Reduktionspfaden der Emission lässt sich eine Gesamtemissionsmenge errechnen. (Genau so sind wir mit der Grafik verfahren, die wir beim "Europe-Calling"-Webinar vorstellten.) Und anders kann man auch nicht zu der Behauptung gelangen, das Land befinde sich auf einem 1,5-Grad-Pfad. Unsere erste, hierauf zielende Frage ist von der Stellungnahme des Ministeriums unbeantwortet geblieben.
Und auch wenn „kein Staat“ von Emissionsbudgets ausgeht, so geht doch der von der Bundesregierung selbst eingesetzte „Sachverständigenrat für Umweltfragen“ (SRU) davon aus.¹ Auf die Berechnungen des SRU bezog sich vor einem Jahr das Bundesverfassungsgericht, als es das damalige „Klimaschutzgesetz“ für unzureichend erklärte (1 BvR 2656/18) und der SFV-Verfassungsklage teilweise stattgab. Das Urteil argumentiert durchgehend mit dem Konzept des „Restbudgets“ und verwirft die Gegenargumentation der damaligen Bundesregierung, die teilweise wortgleich mit der uns nun zugesandten Stellungnahme argumentiert hatte (vgl. u.a. die Rn. 216 bis 221 des Urteils). Die uns nun zugesandte Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums erweckt daher den Eindruck, als solle das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts bewusst ignoriert werden.
Link zur Frage: www.fragdenstaat.de/anfrage/klimaneutralitat/