Ein Besuch im „Futurium“ in Berlin im Sommer 2021
 

Seit September 2019 kann man im Berliner Regierungsviertel das „Futurium“ kostenlos besuchen: ein Ausstellungsprojekt, das gemeinsam von der Bundesregierung, Wissenschafts-Institutionen und Wirtschaftsunternehmen der Chemie- und der Digitalisierungsindustrie initiiert wurde. Das jährliche Budget in Höhe von ca. 18 Mio. Euro wird überwiegend vom Bundesbildungsministerium getragen.[1] Die Corona-Pandemie hat auch diesem Ausstellungshaus böse mitgespielt. Wie populär es eigentlich wäre, zeigte sich noch in den ersten fünf Wochen nach der Eröffnung, in denen über 100.000 Menschen ins Futurium strömten.[2]

Man soll in diesem Haus an der Zukunft bzw. an möglichen Zukünften[3] schnuppern können. Sie werden den Besucher*innen in den drei Abteilungen „Technik“, „Mensch“ und „Natur“ präsentiert. Man kann sich ein interaktives Armband nehmen, das man bei interessierten Stationen an eine Kontaktfläche hält, woraufhin man zuhause zusätzliche Informationen zum jeweiligen Thema abrufen kann. Es gibt – vorab gesagt – sehr spannende Abteilungen in diesem Haus, etwa jene zu Architektur und Städtebau der Zukunft, oder über künftige neue Schnittstellen zwischen Technik und Natur, von neuen bionischen Inspirationen bis zur Verwendung von Pilzmyzel als Baustoff.
 

Energien der Zukunft I: Kernfusion
 

Bei meinem Besuch am 27. Juni steuerte ich – nachdem ich den Roboter „Pepper“, der mich als „Menschlein“ beschimpfte, abgeschüttelt hatte – zielstrebig die Abteilung Technik an, um mich über die Zukunft der Energieversorgung zu informieren. Es gibt einen Gang, der ausschließlich diesem Thema gewidmet ist. Die Überraschung aber war groß!

Die eine Seite des Ganges ist komplett für das Thema Kernfusion reserviert. Ihre Geschichte und ihre geplante Zukunft werden in Texten und Grafiken dargestellt. Immer größer werdende Forschungs- und Versuchsanlagen gipfeln in dem geplanten „DEMO“-Reaktor, dessen Prototyp irgendwann „nach 2050[4] in Betrieb gehen soll und dessen enorme Größe technisch begründet wird: „Um deutlich mehr Energie zu erzeugen, als sie benötigen, müssen Fusionskraftwerke größer werden. Je mehr Volumen sie haben, desto länger bleibt der Zustand in ihrem Innern erhalten, durch den Hitze erzeugt und später in Strom umgewandelt wird.“ Also: eine sehr zentralistische und zunächst mal sehr energieaufwändige Angelegenheit, deren Nutzanwendung wie schon vor 50 Jahren, als ich mit offenem Mund die Kosmos-Hefte durchblätterte, in 30 Jahren zu erwarten ist. Über die 30-Jahre-Konstante hat man schon viele Witze gemacht, aber die Anteile des gesellschaftlichen Reichtums, die in diese unverrückbar futuristische Technologie gesteckt werden, sollten einem das Lachen im Halse steckenbleiben lassen. Allein die in Südfrankreich entstehende ITER-Versuchsanlage hat bisher 20 Mrd. Euro verschlungen, dreimal so viel wie vor 15 Jahren bei Projektbeginn veranschlagt. Sie belastet die Haushalte von 35 daran beteiligten Nationen; mehr als 7 Mrd. werden aus dem EU-Haushalt gezahlt, zu dem deutsche Steuerzahler*innen nicht unerheblich beitragen.[5] Hans-Josef Fell nannte die Anlage früher in diesem Jahr den „größten Forschungsflop, den die Weltgemeinschaft je gesehen hat“.[6]
 

Energien der Zukunft II: Atomkraftwerke
 

Man wendet sich der anderen Seite des Energie-Gangs zu und findet, dass dieser thematisch zweigeteilt ist. Die eine Hälfte widmet sich der Kernspaltung. Der Text verkündet: „Anfangs war die Vision verlockend: Atomkerne spalten und so billigen und schadstoffarmen Strom produzieren. Energieträger wie Kohle oder Gas, die unsere Umwelt belasten, werden unnötig.“ Ja, so war die Atompropaganda in den 50er und 60er Jahren. Dass sie ein überwiegend militärisches Interesse an dieser Technologie bemäntelte, findet im Futurium keine Erwähnung – wie überhaupt in dem ganzen Haus die Einsicht, dass technische oder überhaupt gesellschaftliche Entwicklung etwas mit Macht zu tun haben könnte, vollständig ausgeblendet bleibt. Interessen ökonomischer oder geostrategischer Art, Konflikte gar zwischen solchen Interessen, kommen hier allenfalls in homöopathischen Dosen vor. Bei der Atomkraft etwa in der Fortsetzung des vorigen Zitats: „Aber die Realität sieht anders aus: Unfälle, Proteste, ungelöste Fragen.“ Das sind vier Wörter der Problematisierung. Dann folgt: „Heute arbeiten Wissenschaftler*innen rund um den Globus an neuen Konzepten, um diese Hoffnung noch zu erfüllen. Eine neue Generation Kernkraftwerke soll sicher und günstig sauberen Strom produzieren und dabei kaum radioaktiven Müll hinterlassen. Auch einige Klimaforscher*innen setzen darauf, weil sie glauben, nur so schnell genug unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden.

Futurium AKW-Schrein

Ein spätes nukleares Happy End also? Etwas später lernen wir, der Forschungsverbund „Gen IV International Forum“ wolle bis 2040 einen neuen Typ von Atomkraftwerken entwickeln und setze dabei hauptsächlich auf den Flüssigsalz-Reaktor. Was sind das also für Klimaforscher*innen, die es für „schnell genug“ halten, unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen mit einer Technik zu beenden, die vor 2040 noch gar nicht entwickelt sein, geschweige denn im Einsatz stehen kann?
 

Energien der Zukunft III: Orbitalkraftwerke
 

Nun, es steht ja noch das letzte Viertel der Energie-Abteilung aus. Dieses hat die Überschrift „Die Kraft aus dem Weltraum“. Ja, es geht endlich um Sonnenenergie! Allerdings nicht um terrestrisch geerntete. Im Orbit sollen vielmehr gigantische photovoltaische Raumstationen die Sonnenenergie sammeln und in Gestalt von Mikrowellen oder Laserstrahlen zur Erde schicken. Schon der deutsche Raketenpionier Hermann Oberth hat 1923 solche Phantasien entwickelt, war sich aber bereits bewusst, was es bedeuten würde, wenn ein solcher konzentrierter Strahl sein Ziel einmal verfehlt – oder (heute denkt man z.B. an terroristische Hacker) gerade erreicht.[7]

Mit diesen Raumstationen, deren Zeit- und Kostenperspektive denen der Fusions- oder der neuen Spaltungs-Atomkraftwerke in etwa entsprechen dürfte, ist das Kapitel der Energietechnik im Futurium abgeschlossen. Man könnte sich über die Psyche von Menschen auslassen, die ausschließlich in zentralistischen Anlagen und in Maschinen von enormer Größe denken können; aber hier fällt doch vor allem auf, dass uns ein Haus, das in Möglichkeiten, in unterschiedlichen Zukünften zu denken beansprucht, bei der Energietechnik ausschließlich angestaubte Jungs-Träume der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts zu bieten hat.
 

Geo-Engineering und Selbstvermarktung
 

Übrigens hatte Oberth natürlich nicht an eine photovoltaische Nutzung seiner Orbital-Installationen denken können, sondern er wollte mit riesigen Spiegeln das Sonnenlicht auf Flächen der Erde lenken, die einen Mangel daran haben. So wollte er nordsibirische Häfen eisfrei machen, Ernten verbessern usw. Man nennt dies Geo-Engineering, und auch dieses spielt im Futurium eine angemessene Rolle. Freilich mit dem umgekehrten Vorzeichen, dass heute nicht eine Aufwärmung, sondern eine Abkühlung des Planeten auf der Tagesordnung steht. Die Ausstellung präsentiert einen „Klimabaukasten“, in dem verschiedene Formen der Beeinflussung der solaren Strahlungsbilanz und der CO2-Bindung vorgestellt werden, die freilich alle skeptisch beurteilt werden: „Alufolie in der Wüste“; „Partikel versprühen“; „Ozeane düngen“ usw. Es ist wieder der Think-Big-Maxime geschuldet, dass die Beendigung des Ausstoßes von Treibhausgasen durch Erneuerbare Energien hier keine Rolle spielt.

Aber ich habe die Erneuerbaren dann doch noch gefunden im Futurium. Nicht in der Abteilung Technik, sondern in der Abteilung Mensch. Hier geht es in einem ganzen Raum um die Möglichkeiten dezentraler Energieerzeugung, um die künftig mögliche „entscheidende Rolle“ der Bürger*innen-Energie in einem Energiesystem, dem es unter anderem um „klimafreundliche Energie“ zu tun ist. Diese wird vor allem auf die Chancen der Digitalisierung zurückgeführt. Großes Gewicht liegt auf den Möglichkeiten, mithilfe der Blockchain-Technologie den selbstproduzierten Strom selbstständig zu vermarkten. Ich möchte das hier nicht diskutieren. Es ist nur interessant, dass diese Technologien – vor allem Onshore-Windkraft und Photovoltaik – technisch nicht unter dem Aspekt der Stromproduktion, sondern allenfalls unter dem Aspekt der Vernetzung vorkommen. Und dass ihr Einfluss auf die menschliche Sphäre nicht in Begriffen von Lebensqualität, sauberer Luft etwa, thematisiert wird, sondern in Begriffen eines smarten Marktzugangs.

Zuhause habe ich mein Themenarmband ausgewertet. Auf der Homepage des Futurium[8] fanden sich dann differenziertere Beiträge, ein reichhaltigeres Sortiment von Ideen und Anregungen, auch zur Klima- und Energiepolitik. Aber wer macht sich schon die Mühe? Die meisten Besucher*innen dürften über die Zukunft der Energieversorgung mitnehmen, dass sie aus der Spaltung und der Fusion von Atomkernen sowie neuen gigantischen Raumfahrtprojekten bestehen wird, und dass Geo-Engineering zwar problematisch ist, aber vielleicht doch zur Lösung der Klimakatastrophe bereitsteht; während Erneuerbare doch eher eine Spielwiese für smarte Markt-Player sind. In diesem Punkt glich mein Besuch im Futurium einer rasanten Zeitreise: zurück in die 60er Jahre. Wer hat an so etwas Interesse? Fragte ich mich, während mich bei der Rückreise im Berliner Hauptbahnhof eine riesige Reklamewand der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft[9] empfing.


 

[1]             https://www.pnp.de/nachrichten/kultur/Ein-Museum-fuer-die-Zukunft-Futurium-oeffnet-in-Berlin-3407895.html

[2]             https://www.berliner-woche.de/mitte/c-bildung/schon-ueber-100000-gaeste-waren-bereits-im-neuen-zukunftspalast_a235291

[3]             https://futurium.de/de/presse/wiewollenwirleben-futurium-gewinnt-internationalen-deutschen-pr-preis

[4]             Alle Zitate stammen, soweit nicht anders vermerkt, von den Ausstellungswänden.

[5]           https://www.bundestag.de/resource/blob/710950/9e646e9903ac230c92b90192afde2646/WD-8-144-19-pdf-data.pdf S.5.

[6]             https://www.pv-magazine.de/2021/02/23/das-absurdistan-der-kernfusionsforschung-verschlingt-weitere-milliarden/

[7]             Hermann Oberth: Die Rakete zu den Planetenräumen. 1923.

[8]             https://futurium.de/

[9]             Vgl. https://www.sfv.de/die-insm-laeuft-sich-warm-fuer-die-wahlbeeinflussung

 

Titelbild: CC BY-SA 4.0 Lear 21 (via Wikipedia)