Zur “zentralen Zukunftsmission” eines festen Freundes der Fossilen

 

Olaf Scholz hat seine Partei im September zum Wahlsieg geführt in der Rolle eines „Beruhigungsmittels“, das eine „Fortsetzung der entscheidungsarmen Merkel-Jahre und Chance auf die weitere Verschiebung der Probleme“ garantiert.[1] Das mag psychologisch verständlich sein. Nur ist die Situation leider nicht so, dass wir uns das leisten könnten. Greta Thunberg’s „I want you to panic!“ ist dem Stand der Klimakrise wesentlich angemessener und insofern rationaler als der einschläfernde Gestus des neuen Bundeskanzlers. Aber in der Tat: Wer hätte ernsthaft zu hoffen gewagt, dass der deutsche Michel Lust auf die radikalen Veränderungen hat, die aus einer solchen Panik sinnvollerweise erwachsen müssen?

Wie im Lehrbuch ließ sich Mitte November verfolgen, was passiert, wenn diese beiden Sichtweisen aufeinandertreffen. Scholz traf sich mit zwei der jungen Leute, die vor der Bundestagswahl in einen wochenlangen Hungerstreik getreten waren, um auf den Handlungsdruck in der Klimakatastrophe hinzuweisen. Eine der beiden, Lea Bonasera, wies Scholz darauf hin: "[…] wir befinden uns in einer tödlichen Klimakrise und wir haben eine Politik, die die Möglichkeit hat, das Ruder rumzureißen, aber immer wieder wissentlich und willentlich Maßnahmen ergreift, die uns weiter in diese Klimakrise hineinführen." Scholz antwortete nach einer Pause mit einem weichgespülten Statement, das mit den Worten begann: "Ich glaube schon, dass wir Herausforderungen haben ..."[2] Einsicht in die Dringlichkeit der Lage klingt anders.

Immerhin sind „Herausforderungen“ für Scholz eine neue Erkenntnis, wenn auch eine recht späte. Keine vier Wochen vor dem Pariser Klima-Abkommen hatte er im November 2015 als Hamburger Bürgermeister das neue Kohlekraftwerk Moorburg eingeweiht. Es war illegal errichtet worden, wie der Europäische Gerichtshof 2017 feststellte; denn im Genehmigungsverfahren war die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ignoriert worden. Scholz hatte dieses völlig aus der Zeit gefallene „CO2-Monster“[3] „mit aller Macht durchgeboxt“, wie die Grünen-Politikerin Bettina Hoffmann formuliert.[4]

Olaf Scholz hätte es auch seit 2018 in der Hand gehabt, als Bundesfinanzminister die umwelt- und klimaschädlichen Subventionen abzubauen, die sich in Deutschland auf jährlich ca. 65 Mrd. Euro summieren.[5] Er hat keinen Finger dafür gerührt, und die Behandlung dieses Themenfeldes im Ampel-Koalitionsvertrag macht wenig Hoffnung auf Besserung. Bei der Subventionierung von Dieselkraftstoff ist lediglich von „überprüfen“ die Rede.[6] Die seit Jahrzehnten überfällige Besteuerung von Kerosin wird auf die europäische Ebene abgeschoben.[7] Das Dienstwagen-Privileg[8] und die Pendlerpauschale werden nicht angetastet. Das ganze Kapitel der Verkehrspolitik, das im Koalitionsvertrag als Beinahe-Totalausfall zu bewerten ist, lässt die Befürchtung wachsen, dass die Kanzlerschaft von Olaf Scholz von Kontinuität, nicht von Aufbruch geprägt sein dürfte. Leider ist es eine zerstörerische Kontinuität.

Und das bezieht sich nicht nur auf die Verkehrs-, sondern auch auf die Energiepolitik – auch wenn es hier ja deutliche Fortschritte gegenüber der Vorgängerregierung gibt. Scholz bleibt offenbar ein Freund neuer fossiler Infrastrukturen. Wie die Deutsche Umwelthilfe Anfang dieses Jahres (2021) öffentlich machte, hat sich Olaf Scholz im Vorjahr höchstpersönlich für schmutzige Erdgas-Deals stark gemacht. Am 7. August 2020 bot er demnach in einem persönlichen Schreiben dem Finanzminister der damaligen Trump-Regierung, Steven Mnuchin, an, den Import von verflüssigtem Fracking-Erdgas (LNG) aus den USA mit bis zu einer Milliarde Euro zu subventionieren, wenn die US-Regierung im Gegenzug auf Sanktionen gegen die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 verzichte.[9] Um ein klimaschädliches Projekt auf Biegen und Brechen durchzusetzen, sollte also ein zweites, vielleicht noch schädlicheres, obendrauf gesetzt werden. Und beide Planungen sind bis heute nicht aus der Welt! Um die deutschen LNG-Terminals, wie auch um die Inbetriebnahme von Nord Stream 2, wird ja noch immer gerungen. In diesem Licht muss man die auffällige Betonung von Erdgas als Brückentechnologie im Koalitionsvertrag[10] sehen.

Olaf Scholz war Anfang dieses Jahrhunderts als SPD-Generalsekretär der Architekt der „Agenda 2010“ des Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), die einen drastischen Abbau des deutschen Sozialstaats bewirkte. Als prominenter „Schröderianer“[11] fühlt er sich offenbar auch dem Gazprom-Lobbyisten Schröder verbunden. Unter anderem klimapolitisch ist dies ein Anlass zur Sorge.

Aber: Jeder Mensch verdient eine zweite Chance. Wir wollen sie dem neuen Bundeskanzler und seiner Regierung gerne einräumen. Wir haben seinen Tweet vom 4. August 2021 nicht vergessen: „Das[s] Klimaschutz ein zentrales Thema der zukünftigen Regierungsarbeit sein muss, ist für mich klar. Darum werde ich es als eine zentrale Zukunftsmission zur Chefsache machen. Klimaschutz wird im Kanzleramt vorangetrieben.“[12] Wenn dieser proklamierte scholzische Sinneswandel ernst gemeint sein sollte, dann hat er unsere Unterstützung. Die Gelegenheit, das zu beweisen, besteht genau jetzt, am Beginn der Regierungsperiode. Zufällig deckt sich dies terminlich recht gut mit der Dringlichkeit der Klimakrise.

 

 

[1]              https://blogs.taz.de/verantwortliche/die-doppelte-klimaangst-und-der-aufstieg-des-olaf-scholz/

[2]              https://www.sueddeutsche.de/politik/klimapolitik-olaf-scholz-1.5463409

[3]              https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/kohlekraftwerk-moorburg-festakt-fuer-das-co2-monster-a-1063235.html

[4]              https://nh24.de/2021/09/16/6-gruende-warum-olaf-scholz-spd-ein-klimaschutz-bremser-ist/

[5]              https://www.umweltbundesamt.de/daten/umwelt-wirtschaft/umweltschaedliche-subventionen-in-deutschland#umweltschadliche-subventionen

[6]              Mehr  Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. S. 162.

[7]              Ebd. S. 54.

[8]              Ebd. S. 163.

[9]              https://www.zdf.de/nachrichten/politik/nord-stream-2-usa-scholz-umwelthilfe-100.html

[10]            Mehr Fortschritt wagen (Koalitionsvertrag), a.a.O., S. 59.

[11]            Als ein Beleg unter zahllosen: https://www.welt.de/print/wams/vermischtes/article13504428/Allmaechtiger-Das-System-Olaf-Scholz.html

[12]            Zitiert nach: https://www.wemove.eu/de/news/olaf-scholz-ist-kein-%E2%80%98klimakanzler%E2%80%99-er-plant-unsere-zukunft-die-gasindustrie-zu-verkaufen

Titelbild: CC BY-SA 3.0 de Michael Lucan

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