Nur Energie aus erneuerbaren Quellen kann der Menschheit für alle Zeiten klimaneutral dienen. Die von Wind, Sonne, Wasser und Wellen geerntete Energie steht allen Sektoren der Energienutzung in hochwertigster Form als elektrischer Strom zur Verfügung. Für den Transport des grünen Primärstroms von der Quelle zum Energieverbraucher gibt es jedoch mehrere Wege mit unterschiedlichen Energiebilanzen. Zur Verwirklichung der Energie- und Klimawende muss deshalb zuerst die Frage beantwortet werden: „Wie kann mit einer Kilowattstunde grünem Primärstrom am meisten Nutzen im Endbereich generiert werden“?

Man muss also Energiebilanzen miteinander vergleichen, denn die Nutzungssektoren werden über unterschiedliche Verteilungsketten mit Energie versorgt. Die spezifischen Energieverluste oder Wirkungsgrade der einzelnen Wandlungsschritte sind hinreichend gut bekannt. Man kann für jede dieser Übertragungsketten die Gesamtenergiebilanz „von der Wiege bis zur Bahre“ erfassen. Leider sind die Energiebilanzen der Wasserstoffnutzung noch nicht Teil der öffentlichen Diskussion. Wasserstoff ist nicht eines von vielen Gasen, sondern das leichteste mit speziellen Eigenschaften. Für alle physikalischen Wandlungsschritte wird wesentlich mehr Energie benötigt als für Erdgas. Wasserstoff ist deshalb ein unbequemer, vielleicht sogar ungeeigneter Energieträger für die Gestaltung der Energiewende.

Die Wasserstoffversorgung beginnt mit der Beschaffung und Destillation des Wassers (9 Liter pro kg H2) für die Elektrolyse. Der erzeugte Wasserstoff muss dann mehrfach komprimiert, verteilt, gespeichert, umgefüllt werden. Im Endbereich wird er in Brennstoffzellen wieder in Strom verwandelt oder in Kesseln verbrannt. Alle Wandlungsschritte zwischen grünem Primärstrom und Wasserstoffnutzung sind mit Energieverlusten oder zusätzlichem Energiebedarf verbunden.

Die englischsprachige Energieanalyse von 2002 ist 2006 im Auftrag des Fraunhofer Instituts für Technikfolgeabschätzung in deutscher Sprache veröffentlicht und 2010 unter (www.leibniz-institut.de/archiv/bossel_16_12_10.pdf) ins Netz gestellt worden. Basierend auf diesen allgemein verfügbaren Ergebnissen wird im Folgenden exemplarisch dargestellt, welchen Nutzen man aus grünem Primärstrom ziehen kann, wenn man ihn direkt über bestehende Leitungen und nicht indirekt über ein noch nicht vorhandenes Wasserstoffnetz verteilt.

Alle Antworten verdeutlichen, dass Wasserstoff ein für die Energiewende ungeeigneter Energieträger ist, denn mit grünem Strom und dem bestehenden Stromnetz lässt sich der Endbereich ebenso umweltneutral, aber wesentlich effizienter und kostengünstiger mit sauberer Energie versorgen.

 

Beispiel 1: Nachhaltige Wärmeerzeugung

 

Eine grüne Kilowattstunde kann über bestehende Leitungsnetze mit vernachlässigbaren Verlusten verteilt und direkt in eine kWh Heizwärme umgewandelt werden. Man kann mit der Kilowattstunde auch eine Wärmepumpe betreiben und erhält dann etwa drei kWh Heizwärme.

Mit dem grünen Primärstrom lässt sich auch Wasser elektrolytisch spalten. Der so erzeugte Wasserstoff wird zusammen mit Erdgas verteilt und in Heizkesseln verbrannt. In diesem Fall müssen mit dem grünen Primärstrom alle zuvor genannten Wandlungsschritte energetisch bedient werden. Lediglich ein Drittel der grünen Primärenergie steht noch als Nutzwärme zur Verfügung.

Der Vergleich mit den zwei anderen Optionen ist vernichtend. Eine grüne Kilowattstunde liefert mit Wärmepumpe drei kWh, mit Widerstandsheizer eine kWh, mit Wasserstoff jedoch nur ein Drittel einer kWh als nutzbare Heizwärme, also 9 zu 3 zu 1.

 

Es macht überhaupt keinen Sinn, aus grünem Primärstrom Wasserstoff zu erzeugen, den man in bestehende Erdgasnetze einspeist, um ihn dann in Heizkesseln zu verbrennen. Die elektrische Wärmepumpe ist der klare Sieger bei der nachhaltigen Wärmeerzeugung mit grünem Strom.

 

Beispiel 2: Nachhaltige Mobilität

 

Auch hier stellt sich die Frage, ob man die grüne Kilowattstunde direkt in Fahrzeugbatterien steckt oder zur Erzeugung von Wasserstoff verwendet, den man mit hohem Druck in die Tanks von Brennstoffzellenfahrzeugen füllt. Die Lieferkette unterscheidet sich geringfügig von der Wasserstoffverteilung als Brenngas. Der bei mittlerem Druck über Rohrleitungen oder Tanklastwagen verteilte Wasserstoff muss an der Tankstelle zum Befüllen der Fahrzeugtanks noch einmal auf 900 bar verdichtet werden. Im Gegensatz zur Batterieladung am Straßenrand wird auch Strom für den Betrieb der bemannten Tankstellen benötigt. Nur 40% der mit dem Wasserstoff getankten Energie steht der Brennstoffzelle als Nutzenergie zur Verfügung. Diese kann jedoch im Mittel höchstens 50% in Strom für die Antriebsmotoren umwandeln. Der Gesamtwirkungsgrad der Wasserstoffkette liegt bei etwa 20%.

Vom grünen Primärstrom sind bei einem Batteriefahrzeug etwa 80% für den Fahrzeugantrieb nutzbar. Auch kann Bremsenergie zurückgewonnen werden. Der Systemwirkungsgrad liegt bei 85%. Mit dem grünen Strom, der für den Betrieb eines Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeugs benötigt wird, können also mindestens vier gleichwertige Fahrzeuge mit Batterie betrieben werden.

Im Verkehrsbereich kann Wasserstoff deshalb keine Zukunft haben. Nicht nur die hohen Energieverluste, sondern auch die enormen Investitionskosten werden Wasserstoff für alle Zeiten gegenüber grünem Strom nicht konkurrenzfähig machen. Eindeutiger Sieger ist auch hier der elektrische Weg.

 

Beispiel 3: Wasserstoff in Gaskraftwerken

 

Auch soll grüner Wasserstoff eine CO2-freie Stromerzeugung in Gaskraftwerken sichern. Hier gelten zuerst einmal die im Beispiel 1 genannten Wirkungsgrade für die Wasserstofflieferung zum Gasbrenner. Dann folgt jedoch noch der Wirkungsgrad der Gasturbine, der hier mit 50% angesetzt wird. Vom grünen Primärstrom, der als Wasserstoff verteilt und in einem Gaskraftwerk wieder in Strom verwandelt wird, sind also nur noch etwa 25% nutzbar. Für eine Energieverteilung mit Wasserstoff müssen viermal mehr Wind- oder Solarkraftanlagen errichtet werden als bei einer direkten Stromversorgung über bestehende Netze. Auch hier ist die direkte Netzeinspeisung des grünen Stroms eindeutiger Sieger.

 

Beispiel 4: Synthetische Kraftstoffe

 

Der mit grünem Strom hergestellte Wasserstoff kann mit Kohlenstoff künstlich zu synthetischen Energieträgern vereint werden, die fossile Brennstoffe verdrängen sollen. Der benötigte Kohlenstoff wird entweder aus fossilen Quellen gewonnen oder als CO2 von Abgasen und Luft getrennt.

In beiden Fällen wird CO2 nicht beseitigt, sondern lediglich unter neuem Label rezykliert. Diese auch als „Power-to-Gas“ oder „Power-to-Liquid“ bekannten Verfahren sind jedoch sehr energieintensiv. Zu den bereits bei der Wasserstofferzeugung entstandenen Energieverlusten kommt der Energiebedarf für die CO2-Abscheidung hinzu.

 

Der Gesamtwirkungsgrad für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe liegt unter 15%. Beim Einsatz dieser grünen Kraftstoffe in Verbrennungsmotoren gehen noch einmal 70% zwischen Vergaser und Antriebsrad verloren. Auf die Straße gebracht werden deutlich weniger als 10% der grünen Primärenergie. Bei elektrischem Antrieb wären es etwa 85%. Mit dem grünen Primärstrom, der für den Betrieb eines Verbrenners mit synthetisch hergestellten „grünen“ Kraftstoffen benötigt wird, könnte man also etwa 9 gleichwertige Batteriefahrzeuge mit Strom versorgen. Auch hier ist der elektrische Weg der klare Sieger.

 

Beispiel 5: Chemische Anwendungen

 

Bei allen chemischen Prozessen, die heute mit fossilen Brennstoffen oder dem daraus  gewonnenem Wasserstoff durchgeführt werden, kann grüner Wasserstoff den CO2-Ausstoss stark vermindern. Energie wird jedoch vor allem für die Beheizung der Reaktoren eingesetzt. Nur ein kleiner Teil des Brennstoffs wird für den chemischen Prozess benötigt.

Fossile Energieträger wie Koks, Erdgas oder Erdöl haben in Hochöfen eine thermische und eine chemische Funktion. Die vollständige Substitution der fossilen Brennstoffe führt zu einem enormen Wasserstoffbedarf.

Als nachhaltige Lösung bietet sich jedoch eine Trennung von Aufheizung und Reaktionschemie an. Mit grünem Strom wird geheizt, mit grünem Wasserstoff wird reduziert. In diesem Fall wird grüner Strom sinnvoll genutzt und Wasserstoff lediglich zur chemischen Reaktion verwendet. Wieder ist die elektrische Beheizung mit grünem Strom besser als die einfache Substitution fossiler Energieträger durch Wasserstoff.

Man könnte weitere Beispiele zitieren. Alle haben eins gemeinsam. Grüner Wasserstoff macht nur Sinn, wenn er in chemischen Prozessen kohlenstoffhaltige Energieträger ersetzt. Grüner Strom kann sowohl Heiz- und Prozesswärme als auch Transportenergie für Strassen- und Bahnfahrzeuge direkt liefern. Für den interkontinentalen Verkehr zu Luft und zu Wasser wird man jedoch fossile oder synthetische Energieträger einsetzen müssen, denn die für Wasserstoff benötigten Tankvolumen lassen sich kaum unterbringen. Umso wichtiger ist die schnelle Umstellung zu Lande auf grünen Strom.

 

Beispiel 6: Energiespeicherung

 

Mit Wasserstoff kann man Sommerstrom für die Wintermonate speichern. Auch in diesem Fall können selbst bei effizienter Rückwandlung mit Brennstoffzellen vom grünen Primärstrom nur etwa 20% dem Endverbrauch zugeführt werden. Wegen der geringen volumetrischen Energiedichte von Wasserstoff werden riesige Speichertanks für Hochdruck- und riesige Kavernen für Niederdruck-Speicherung benötigt. Auch synthetisch hergestellte Flüssigkeiten (LOHC Liquid Organic Hydrogen Carriers) oder Gase (Methan) sind im Gespräch. Bei diesen Stoffen sinkt der Gesamtwirkungsgrad weiter auf unter 10%. Zurzeit wird nachgedacht. Wirtschaftliche Lösungen sind noch keine in Sicht. Zuerst muss der Energiebedarf im Winter durch Gebäudeisolation und einige organisatorische Massnahmen drastisch gesenkt werden, damit eine saisonale Speicherung überhaupt machbar wird.

 

Fazit:

 

Die Energiewende wird in eine „Elektronenwirtschaft“ münden. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft macht aus energetischer und wirtschaftlicher Sicht keinen Sinn. Enorme Investitionen und viele Jahre sind notwendig bis eine flächendeckende neue Infrastruktur entstanden ist, die es eigentlich überhaupt nicht braucht, um das Klima zu retten. Denn die elektrische Grundversorgung existiert bereits und muss nur teilweise ergänzt oder ertüchtigt werden.

Das Klimaproblem lässt sich mit grünem Strom relativ schnell lösen. Mit dem zeitraubenden Umweg über Wasserstoff wird die drohende Klimakatastrophe jedoch kaum zu vermeiden sein. Die Politik muss schnellstens umdenken, bevor die Weichen in Richtung Sackgasse gestellt sind.

 

Dr. Ulf Bossel

 

PhD (UC Berkeley), Dipl. Masch. Ing. (ETH Zürich)

Berater für nachhaltige Energielösungen und Brennstoffzellentechnik. Organisator des "European Sustainable Energy Forum" in Luzern.