KLIMA° vor acht ist eine Idee, um der Klimakrise im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mehr Sichtbarkeit und Gewicht zu verschaffen: Eine kurze, tägliche Sendung zu Klimathemen, verständlich und wissenschaftlich fundiert, die zur besten Sendezeit ausgestrahlt wird. Leider sind die öffentlich-rechtlichen Sender von einem solchen Konzept noch sehr weit entfernt.



„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen“, begann Niklas Luhmann sein einschlägiges Buch, „wissen wir durch die Massenmedien. Das gilt nicht nur für unsere Kenntnis der Gesellschaft und der Geschichte, sondern auch für
unsere Kenntnis der Natur.“ Luhmann, einer der bedeutendsten deutschen Soziologen des 20. Jahrhunderts, schrieb diese Worte 1995, drei Jahre vor seinem Tod. Seine Worte haben auch heute noch Gültigkeit: Medien prägen unseren Blick auf die Realität. An-
gesichts der Klimakrise, einer in der Geschichte der Menschheit beispiellosen, globalen Bedrohung unserer Lebensgrundlagen, spielen sie eine entscheidende Rolle. Wie die Medien über diese Krise berichten, beeinflusst unsere Wahrnehmung der Krise – und damit letztendlich auch unser Handeln.

Doch in Deutschland (und vielen anderen Ländern ebenso) wurde die Klimakrise in der Berichterstattung lange Zeit vernachlässigt. Über politische Großereignisse wie die Weltklimakonferenzen oder Extremwetterereignisse wurde berichtet, dazwischen kamen Klimathemen oft genug einfach nicht vor. Hintergrundinfos und Zusammenhänge aufzuzeigen wurde den Dokumentationen überlassen, längere Sendungen, die im Fall der öffentlich-rechtlichen Sender spät abends ausgestrahlt werden und so nur wenige Menschen erreichen können.

Klima vor Acht

Abb1 — Die vierte Folge KLIMA vor acht mit dem Thema: CO₂ macht die Welt grüner: Mythos oder Fakt? 

Klima als festen Bestandteil der Massenmedien etablieren

 

KLIMA° vor acht ist eine Idee, um der Klimakrise im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mehr Sichtbarkeit und Gewicht zu verschaffen: Eine kurze, tägliche Sendung zu Klimathemen, verständlich und wissenschaftlich fundiert, die zur besten Sendezeit ausgestrahlt wird. Zur besten Sendezeit gehört zum Beispiel in der ARD die vor-acht-Reihe, direkt vor er Tagesschau, wo Sendungen wie „Wissen vor acht“ oder „Wirtschaft vor acht“ laufen. Die ARD zeigte sich dieser Idee gegenüber bislang ablehnend, deswegen gründete sich 2020 der gemeinnützige Verein Klima vor acht e.V. mit einem anderen Ansatz: Wir arbeiteten ein Sendekonzept im Sinne des konstruktiven Journalismus aus, sammelten über Crowdfunding Geld und produzierten eine Staffel von sechs Folgen KLIMA° vor acht. Damit wollten wir einerseits zeigen, wie das Sendekonzept mit sowohl (tages-)aktueller Berichterstattung als auch Hintergrund-Sendungen funktionieren kann. Andererseits sollten diese Folgen als eine Art Inspiration für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dienen, selbst ein ähnliches Format zu produzieren. Denn wir sehen hier insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien in der Verantwortung: laut Medienstaatsvertrag haben diese den Auftrag “als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen“. Die Rundfunkanstalten sollen „in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen … geben“ (§ 26 (1)). Die Klimakrise ist zu umfassend, um nur ein journalistisches „Thema“ zu sein, ihre Auswirkungen betreffen ausnahmslos jeden unserer Lebensbereiche. Angemessen und adäquat über sie zu berichten, gehört deswegen unzweifelhaft zum Informationsauf trag der Öffentlich-Rechtlichen.

Vonseiten der ARD-Verantwortlichen allerdings kam nach Veröffentlichung der Staffel, trotz öffentlichen Drucks und mehrerer Gespräche mit unserem Verein, im Grunde genommen nur eine Antwort: Man berichte schon sehr viel über das Klima, ein
eigenes Format sei überflüssig. Zeit, genauer hinzuschauen: Wie viel berichten die ARD und andere öffentlich-rechtliche Sender tatsächlich über die Klimakrise?


 

Abbildung 2 - Klimavor Acht

Abb 2 ― Sendeminuten mit Klimaerwähnung in verschiedenen Sendeformaten bei Das Erste, ZDF und WDR, in %-Werten anteilig an der jeweiligen Programmkategorie. Zeitraum: Juli 2021 bis September 2022. Quelle: Tschötschel et al., 2022

Analyse: Klimaberichterstattung im Fernsehen

 

Im Gegensatz zum Fernsehen ist die Häufigkeit der Berichterstattung über den Klimawandel bei Print- und Onlinemedien gut untersucht. Der Kommunikationswissenschaftler Michael Brüggemann etwa zeigt in seiner Forschung auf, dass bis 2019 vergleichsweise nur sehr wenig darüber berichtet wurde und Anstiege nur punktuell zu beobachten waren, beispielsweise zu Weltklimakonferenzen. Das sei zudem wenig effektiv: „Die nur punktuelle Berichterstattung hat kein Hintergrundwissen zur Klimapolitik vermittelt… Ohne Basiswissen über den Klimawandel können die Menschen Klimapolitik jedoch nicht angemessen beurteilen“ .

Doch wie viel die öffentlich-rechtlichen Sender tatsächlich zu Klimathemen berichten, dazu gab es lange kaum inhaltsanalytische Forschung. Und das, obwohl immer noch eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung ihre täglichen Informationen pri-
mär aus dem linearen Fernsehen bezieht, das gilt vor allem für die älteren Bevölkerungsgruppen. Die Anfang 2023 von der Universität Hamburg veröffentlichte Studie „Der Klimawandel im öffentlich-rechtlichen Fernsehen“ hat diese Lücke endlich
geschlossen. Die Forschenden untersuchten darin die Berichterstattung in der „Tagesschau“ über vierzehn Jahre und das Gesamtprogramm von Das Erste, ZDF und WDR vom Juli 2021 bis September 2022 Bei den “Tagesschau”-Sendungen zeigte sich eine ähnliche “Ereigniszentriertheit”, wie es im Printbereich der Fall ist. In den zehn Jahren von 2009 bis 2018 war “die Berichterstattung zum Thema eine Randerscheinung und kein Regelfall” schreiben die Wissenschaftler:innen. Verdeutlicht wird das, wenn man die Berichterstattung auf einzelne Tage herunterbricht: demnach wurde an 2952 von 3612 Tagen gar nicht über das Thema berichtet (für die Analyse zählte auch die bloße Erwähnung des Wortes). Das entspricht 8,2 Jahren des gesamten Zeitraums ohne jegliche Berichterstattung. Insgesamt kommen die Autor:innen zu dem Schluss, dass es seit 2019 einen Trend zu mehr Klimaberichterstattung gebe – aber verglichen mit anderen Themen, wie etwa der Wirtschaft, Klimathemen weiterhin zurückbleiben.
Die Analyse des Gesamtprogramms offenbarte, dass je nach Sendezeit Klimathemen nur zwischen 1 % und 2,4 % der Sendeminuten von Das Erste, ZDF und WDR einnahmen. “Das strukturelle Problem Klimawandel scheint im Strudel kurzfristiger Ereignisse unterzugehen, denen mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird”, schreiben die Wissenschaftler:innen.

Es ist ein niederschmetterndes Ergebnis angesichts der Dimension der Klimakrise und der dringlichen Notwendigkeit einer Transformation unserer Gesellschaft. Nur wenn die Öffentlich-Rechtlichen ihrem Informations- und Bildungsauftrag nachkommen
und die Bevölkerung angemessen über die Klimakrise informieren, sind die Menschen in der Lage, Entscheidungen über ihre Zukunft zu treffen. Momentan sind unsere öffentlich-rechtlichen Sender davon aber noch weit entfernt.

Abbildung 3 - Klima vor acht

Abb 3 — "Tagesschau"- Sendeminuten, in denen Klima, Corona oder Wirtschaft erwähnt wurden. Quelle: Tschötschel et al.,2022 

 

Zum Autorin

Friederike Mayer arbeitet als freie Journalistin und Lektorin in Hamburg. Sie hat KLIMA° vor acht mitgegründet und ist erste Vorsitzende und Pressesprecherin des gemeinnützigen Vereins.