Was bedeutet: „zwei Prozent der Landesfläche“?
„Mit dem Wind-an-Land-Gesetz werden wir zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie reservieren“. So steht es in der Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz vom 11. Januar 2022. Die Zwei-Prozent-Angabe spielt schon lange eine wichtige Rolle in der Debatte um den Ausbau der Windenergie an Land in Deutschland. Was aber bedeutet „zwei Prozent“ genau?
Es wäre irreführend, hier an die übliche Logik der Flächennutzung zu denken, wie sie in Abb. 1 beispielhaft dargestellt ist. Denn dann würde man die zwei Prozent bei anderen Nutzungssegmenten abziehen müssen. Man würde ein 2%-Tortenstück „Wind“ in die Grafik einfügen, und z.B. Landwirtschaft und Wald jeweils um einen Prozentpunkt verkleinern. Wenn sich die Waldfläche in Deutschland von 29,8 auf 28,8 Prozentpunkte verkleinern würde, entspräche dies einer Waldverminderung um deutlich über drei Prozent. Diese Interpretation ist aber völlig falsch.
© Umweltbundesamt (weitere Urheber-Informationen in der GRafik)
Abb. 1
Dass genau diese Fehlinterpretation dennoch üblich ist, zeigt die Abb. 2. In einer auch sonst sehr anfechtbaren Recherche[1] illustriert „Der Spiegel“ die „2 %“ folgendermaßen:
© Der Spiegel
Abb. 2
Diese Visualisierung ist grob irreführend. Ebenso wie die Aussage des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder beim Antrittsbesuch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Söder belehrte die Presse darüber, was 2% der Landesfläche im Falle Bayerns bedeuten würden: "Das wären 200.000 Fußballfelder."[2] Er verschwieg, dass 195.000 von diesen angeblichen "Fußballfeldern" weiterhin als Wald, Wiese oder Ackerland genutzt würden, und er unterließ auch den Hinweis darauf, dass die insgesamt erforderliche Flächenversiegelung etwa dem entspricht, was alle drei Monate in Bayern für Gebäude und Verkehrswege neu versiegelt wird.
Den tatsächlichen Flächenverbrauch der Windkraft können wir verdeutlichen, wenn wir zunächst einmal die Frage stellen, wieviele Windräder an Land wir benötigen, und wieviel Fläche diese Anlagen jeweils verbrauchen. Wir gehen hier von einer Referenz-Windenergieanlage (WEA) mit einer Leistung von 4 MWp aus. Diese Anlage hat eine Gesamthöhe von ca. 200 Meter und einen Rotordurchmesser von ca. 140 Meter. Sie kann im Jahr, abhängig vom Standort, etwa 10 GWh Strom erzeugen. Um pro Jahr 500 TWh Strom zu produzieren, benötigten wir also 50.000 solcher Anlagen. (Man kann die nachfolgenden Berechnungen einfach skalieren, wenn man – wie der SFV – davon ausgeht, dass der Gesamtstrombedarf im Jahr 2030 nicht bei maximal 750 TWh liegt, wie der Ampel-Koalitionsvertrag annimmt, sondern ungefähr beim doppelten. Umgekehrt sinkt die Anzahl der benötigten WEAs, wenn wir von State-of-the-Art-Anlagen ausgehen, die etwa 6 MWp Leistung haben. Das ändert aber nichts am grundsätzlichen Argumentationsgang.)
Wieviel Fläche verbrauchen also diese Anlagen? Wenn wir zunächst die Fläche betrachten, die für jede dieser WEAs versiegelt werden muss, so handelt es sich um etwa 350 Quadratmeter (bzw. 0,035 ha), im Wesentlichen für das Fundament (Abb. 3). Für die angenommenen 50.000 Anlagen müssen demnach insgesamt 17,5 km2 versiegelt werden; das entspricht 0,005% der Landfläche Deutschlands.
© Horst Kluttig
Abb. 3
Zum Vergleich: In Deutschland werden jedes Jahr für Wohn-, Verkehrs- und Gewerbezwecke mehr als 100 km2 versiegelt.[3]
Zusätzlich zur vollversiegelten Fläche werden für ein Windrad noch weitere Flächen in Anspruch genommen: ein Zufahrtsweg, sowie ein Platz neben der Anlage, auf dem, zum Beispiel für Wartungs- oder Reparaturarbeiten, ein Kran platziert werden kann (Abb. 4). Diese Fläche ist nicht betoniert oder asphaltiert, sondern mit einer "wassergebundenen Decke" (Splitt, Kies) versehen. Sie macht im „Offenland“ ca. 2000 m2, also 0,2 ha aus; im Durchschnitt wird sie zwischen 0,2 und 0,4 ha pro Anlage liegen. Diese Fläche muss nicht versiegelt werden. Für unsere 50.000 WEAs summiert sich die benötigte Fläche auf 100 bis 200 km2, das entspricht 0,03 bis 0,06% der Landfläche Deutschlands. Von 2% sind wir noch immer weit entfernt.
© Horst Kluttig
Abb. 4
Es kommt nun noch hinzu, dass diese Stellflächen und Zufahrtswege oft ökologisch wertvoller sind als etwa das Ackerland, dem sie entzogen wurden. An die Stelle monokultureller Anbauflächen, die in der konventionellen Landwirtschaft mit vielfältigen Giftstoffen behandelt werden, tritt hier ein Bodenbewuchs, der nicht zuletzt Insekten einen Lebensraum erschließt (Abb. 5, 6). Man spricht in diesen Fällen eines spontanen und vielfältigen Bewuchses auf vom Menschen überprägten Flächen von „Ruderalvegetation“.[4]
© Horst Kluttig
Abb. 5
© Horst Kluttig
Abb. 6
Den Flächenbedarf einer WEA kann man noch großzügiger kalkulieren, z.B. wenn man einen eigentumsrechtlichen Ansatz wählt. Die gesamte Fläche, die vom Rotor einer WEA überstrichen werden kann, wird dabei zugrunde gelegt. Bei unserem Referenzwindrad ist das eine Fläche von etwas mehr als 1,5 ha. Für die 50.000 angenommenen Anlagen ergeben sich so ca. 770 km2. Das entspricht knapp 0,22% der Landfläche Deutschlands. Legt man den vom Rotor überstrichenen Kreis in ein quadratisch parzelliertes Stück Land, so erhöht sich der Anteil auf knapp 0,28% (Abb. 7). Auch das ist nur ein Siebtel der „zwei Prozent“, von denen jetzt alle sprechen.
Und der weitaus größte Teil dieser Fläche kann in seiner ursprünglichen Nutzung verbleiben. Das gilt insbesondere für landwirtschaftliche Flächen: Selbstverständlich kann um ein Windrad herum weiterhin Ackerbau oder Weidewirtschaft betrieben werden, wie zuvor.
© Horst Kluttig
Abb. 7
Der Zwei-Prozent-Größe nähern wir uns erst dann, wenn wir nicht einzelne WEAs betrachten, sondern Windparks, bei denen die Abstandsflächen zwischen den Windrädern ebenfalls in die Rechnung mit eingehen. Die Abb. 8 zeigt, wie sich die Flächenberechnungen dann ändern. Wenn ein Windrad drei Rotordurchmesser Abstand von seinem Nachbarn haben soll, verdoppelt sich der „Flächenbedarf“ pro WEA bei zwei benachbarten Anlagen. Sind mehrere Anlagen auch in der Tiefe gestaffelt, vervierfacht er sich sogar.
© Horst Kluttig
Abb. 8
Auf diese Weise werden aus knapp 2 ha Planfläche pro WEA annähernd 8 ha. Aus 0,28% der Fläche Deutschlands werden 1,12%. Und wenn man die Staffelung der WEAs in der Hauptwindrichtung auf den fünffachen Rotordurchmesser erhöht („5x3-Raster“), um die Abschattungsverluste bei den hinteren Rädern zu minimieren, steigt dieser Wert noch einmal um die Hälfte auf 1,68%.
Aufgrund des sehr speziellen deutschen Windenergie-Baurechts weisen die Kommunen in der Regel nicht einzelne Standorte, sondern größere Flächen (Konzentrationszonen, Vorrangzonen) aus. Die Gemeinden bestimmen nach Kriterien, die teilweise von ihnen selbst festgelegt werden, über den Zuschnitt dieser Konzentrationszonen. Am Beispiel der Aachener Konzentrationszone Münsterwald (Abb. 9) lässt sich gut zeigen, wie der rechnerische Flächen-„Bedarf“ sich gegenüber den vorigen Erwägungen noch weiter steigern lässt. Ohne auf die Aachener Kriterien der Grenzziehung der Zone näher einzugehen, erkennt man deutlich (vor allem an der Teilfläche oben links im Bild), dass relevante Bereiche überhaupt nicht mit Anlagen bebaut werden können – da ja die vom Rotor überstrichene Fläche komplett innerhalb der Zone liegen muss. In die Teilzone oben links ließ sich gerade soeben ein Windrad platzieren, aber das gesamte Puzzlestück wird in die Flächenverbrauchsrechnung mit einbezogen!
Die Konzentrationszone Aachen-Münsterwald hat auf allen drei Teilstücken eine Gesamtfläche von etwa 116 ha. Für die sieben WEAs, die dort errichtet werden konnten, sind ca. 7 ha aus der vorherigen forstwirtschaftlichen Nutzung entnommen worden; vollversiegelt wurden ca. 0,3 ha.
© Google-Earth, bearbeitet von Horst Kluttig
Wenn man mit den konkreten Daten dieses Windparks (Stromerzeugung, Fläche der Konzentrationszone) hochrechnet, wieviel Fläche für die Produktion von 500 TWh/a erforderlich wäre, kommt man auf etwa 2,9 % der Fläche Deutschlands.
Hier wären wir also in der Nähe der genannten „zwei Prozent“. Aber wie hoffentlich deutlich geworden ist, bedeutet dies etwas ganz anderes, als die bloße Zahl nahelegt. Diese Zahl ist sehr anfällig für irreführende Interpretation im Sinne von Söders „Fußballfeldern“. Wir sollten sie nicht verwenden, ohne klarzustellen, was sie eigentlich bedeutet. Sonst schaffen wir dem dringend erforderlichen kräftigen Ausbau der Windkraftkapazitäten Akzeptanzprobleme, die überhaupt nicht nötig sind.
Quellen- und Bildnachweise
[1] Philipp Bethge: Wie die Grünen das Windkraft-Dilemma lösen könnten. In: Der Spiegel 4/2022, 21.1.2022. – In dem Beitrag wird u.a. die Fossillobby-Organisation „Deutsche Wildtier Stiftung“ als Organisation von „Naturschützern“ apostrophiert.
[2] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-01/robert-habeck-markus-soeder-windkraft-energiewende?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.ecosia.org%2F
[3] Das Umweltbundesamt weist für den Zeitraum von 1992 bis 2020 sogar durchschnittlich 170 km2 pro Jahr an zusätzlicher Bodenversiegelung aus. Vgl. https://www.umweltbundesamt.de/daten/flaeche-boden-land-oekosysteme/boden/bodenversiegelung
[4] http://www.ruderal-vegetation.de/wasistdas.html
Titel-Abbildung: CC BY-SA 3.0 Philipp Hertzog (via Wikipedia)
Abb. 1: Bundesumweltamt
Abb. 2: Der Spiegel (wie Fußnote 1)
Abb. 9: Google Earth, bearbeitet von Horst Kluttig
Alle übrigen Abbildungen: CC BY-SA 3.0 Horst Kluttig