Women Engage for a Common Future (WECF) und das Bündnis Bürgerenergie e.V. (BBEn) haben die gemeinsame Publikation "Frauen. Energie. Wende!" veröffentlicht. Sie richtet sich an Akteur:innen aus der Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, die für die Bedeutung der Genderthematik in der Energiewende sensibilisieren möchten. Strukturelle Widerstände, die vor allem Frauen in Deutschland bewältigen müssen, um ein erneuerbares und gerechtes Energiesystem mitzugestalten, werden in dem Bericht systematisch erläutert. Durch interessante Interviews mit 14 Expert:innen werden diese Barrieren, aber auch Chancen für eine inklusivere, und dadurch wachsende Energiewende beleuchtet.

Gleichzeitig wird der Zusammenhang von patriarchalen Strukturen als Hindernis auf dem Weg zu einem dezentralen und demokratischen Energiesystem aufgezeigt. Daran wird die Notwendigkeit einer geschlechtergerechten und zukunftsfähigen Energieversorgung aufgezeigt.

Das Dokument hat den SFV dazu inspiriert, das Thema Chancengleichheit und auch die Rolle des Vereins neu zu reflektieren. Dies ist der erste Artikel in der Reihe "Intersektionalität in der Energiewende". Wir möchten dazu beitragen, dass alle Menschen bei der Gestaltung der Energiewende angesprochen werden und die Chance erhalten, sich zu beteiligen; insofern werden Artikel zu weiteren Themen folgen. In diesem Artikel möchten wir Sie einladen, sich gemeinsam mit uns mit dem Thema Gender in der Klimabewegung auseinanderzusetzen und auszutauschen.

“Der Begriff Intersektionalität wurde von der Professorin Kimberlé Crenshaw geprägt und leitet sich von dem englischen Begriff ‚Intersection‘, also ‚Straßenkreuzung‘, ab. Crenshaw beschreibt, dass sich verschiedene Diskriminierungsprozesse und Unterdrückungssysteme entlang von Kategorien wie dem Geschlecht, dem Alter, dem Einkommen, der Ethnizität, der Sexualität, der Religionszugehörigkeit und der körperlichen und geistigen Fähigkeiten einer Person kreuzen können. Eine intersektionale Perspektive analysiert also nicht nur patriarchale Strukturen, sondern ermöglicht Mehrfachdiskriminierung und Machtverhältnisse insgesamt sichtbarer zu machen.”

- Crenshaw, 2016 & WECF, 2020

Wir verwenden im Artikel den binären Ausdruck ‚Frauen und Männer‘. Es sind jedoch nicht nur Menschen gemeint, die sich diesen Geschlechtern zuordnen, sondern alle Gender.

Studien weisen darauf hin, dass Frauen in der Umwelt- und Klimabewegung sehr aktiv sind: Sie weisen eine höhere Bereitschaft zu umweltverträglichem Verhalten und zur Unterstützung der Energiewende auf (OECD, 2018; BMU 2018). Gleichzeitig sind Frauen stärker von den Konsequenzen des Klimawandels betroffen (OECD, 2018; UN Women, 2014) und haben beschränkten Zugang zu klima- und energierelevanten Ressourcen und Dienstleistungen, wie bspw. zu Krediten (Heinrich Böll Stiftung, 2009; UN Women, 2009).

Energiewende Balance Technik Soziales

Doch Genderaspekte wurden in der Energiebewegung bisher kaum berücksichtigt. Der Transformationsprozess Energiewende wird gerne als rein technokratisch zu lösendes Projekt dargestellt. Es sei “eine Hybris, dass man alles technisch lösen kann” sagte Eva Töller, Hambi-Aktivistin, jüngst im SFV-Interview. Die Klimabewegung muss dringend in ihrer Beteiligungsstruktur transformiert werden. Männlich, weiß und akademisch dominiert - so schließt die Bewegung einen Großteil der Bevölkerung aus (EIGE, 2019). Doch eine schnelle und nachhaltige Energiewende funktioniert nur, wenn die gesamte Gesellschaft sich daran beteiligen kann!

So sind Frauen in entscheidenden Positionen in der Energiepolitik und im Energiesektor weiterhin stark unterrepräsentiert (Haffner & Loge, 2019). Die Geschäftsjahre 2015 und 2016 zusammenfassend schreiben Kemfert und Egerer (2017): “Der Anteil von Frauen {in Vorstandspositionen der Top-50 Energieunternehmen} liegt bei unter sechs Prozent, während ihr Anteil unter den Beschäftigten in den untersuchten Unternehmen bei knapp 30 Prozent liegt.” Dementsprechend lag die geschlechtsspezifische Führungslücke in Energieunternehmen mit etwa 25% besonders hoch und deutlich über dem branchenübergreifenden Durchschnitt von rund 16 Prozent %. Im Vergleich dazu war 2019 im allgemeinen Durchschnitt knapp jede dritte Führungskraft (29,4 %) weiblich (DESTATIS, 2021a), allerdings lag dieser Anteil bei den Top-100 Unternehmen nur noch bei 5,3% (2015), 8,6% (2016) und 13,7% (2020) (Rudnicka, 2021). Der Anteil an weiblichen Erwerbstätigkeiten lag bei 46,6% bei einem Bevölkerungsanteil von 50,8% (DESTATIS, 2021b). Weiter heißt es: “Nur drei der 50 umsatzstärksten Energieunternehmen {in Deutschland} haben eine Frauenquote im Vorstand von mehr als 30 Prozent.” 13 der Top-50 Energieunternehmen erfüllen die Quote von 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten (Kemfert und Egerer 2017). Der Zugang für Frauen muss insbesondere in Energieunternehmen dringend verbessert werden, damit sie sich gleichberechtigt einbringen können - denn momentan fehlt es der Klimabewegung an wertvollen Perspektiven, Lösungsansätzen und somit Wirksamkeit.

Die Forderung an Wirtschaft, Politik und die Klimabewegung lautet demnach, Frauen aktiv einzubinden. Grundlegende Instrumente zur Sensibilisierung sind Wissensvermittlung zur Gendergerechtigkeit und die Erarbeitung eines Gleichstellungsplans. Konkrete Maßnahmen sind zum Beispiel die Einführung einer Frauenquote, Förderungsprogramme und Gleichstellungsbeauftragte in Unternehmen, Vereinen und Genossenschaften. Zudem ist eine Überprüfung der erfolgten Maßnahmen an Hand von Faktoren wie Repräsentanz, Entlohnung sowie Zugangs- und Aufstiegsmöglichkeiten durchzuführen. Eine kohärente Politik ist dringend notwendig. Auch dort müssen bestehende Gesetze und Instrumente zur Gleichstellung der Geschlechter konsequent angewendet werden, um das bestehende System inklusiver zu gestalten.

Sustainable Development Goals Frau PV

Dem wäre auch ein nachhaltiger Demokratisierungsprozess zuträglich. In Energiekonzernen liegt die Entscheidungsgewalt in den Händen weniger Menschen, wohingegen sich in Energiegenossenschaften mehr Menschen einbringen und gleichberechtigt mitbestimmen können. So können dezentrale Systeme in Form von Bürgerenergiegenossenschaften eine demokratische und pluralistische Teilhabe ermöglichen (WWEA, 2019) und Chancen für Geschlechtergerechtigkeit bieten.

Auch der SFV sieht hier Potential zur Verbesserung. In unserer Kartei werden die Mitglieder automatisiert einem Geschlecht zugeordnet, dabei beläuft sich der Anteil derer, die dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden, momentan auf nur 10%. Dabei würden wir es sehr begrüßen, wenn Frauen zu gleichem Anteil Mitglied unseres Vereins wären. 

Auch wir als Verein müssen unsere Arbeit und unsere Außenwirkung kritisch reflektieren. Dazu sollten wir konkrete Maßnahmen ergreifen, um als Verein inklusiver zu werden. Hierzu regen die Autor:innen dieses Beitrages an, uns in Gender and Diversity / Gewaltfreie Kommunikation Seminaren fortzubilden, um die Sensibilität sowie Perspektive im Verein zu schärfen. Für unsere Publikationen wird vorgeschlagen, vermehrt  Energieakteurinnen und Klimaaktivistinnen anzufragen, sowie unsere eigene Außenwirkung diverser zu gestalten. Denn indem wir aktiv unser Netzwerk erweitern, stellen wir die Energiewende auf ein breiteres gesellschaftliches Fundament. Mit diesem Artikel möchten wir darüber hinaus dazu beitragen, dass weitere Klimaschutzorganisationen das Thema in Hinblick auf ihre Strukturen reflektieren und gegebenenfalls Maßnahmen ausbauen.

Energie Bürger Hand Frau Solar

Das Dokument Frauen.Energie.Wende! schärft die bisher ungenügende Sensibilität für die klima- und energiepolitische Relevanz von Geschlechtergerechtigkeit und wir möchten euch die Lektüre dringend empfehlen. 

Denn um eine erfolgreiche und schnelle Energiewende zu bewirken, müssen wir den Klimaschutz unbedingt als gesamtgesellschaftliches Projekt verstehen. Aktivismus und Teilhabe sollte nicht nur einer beschränkten Gruppe vorbehalten, sondern für alle praktisch umsetzbar sein!

In Zukunft möchten wir weitere Themen zu der Beteiligung in der Energiewende aufgreifen und thematisieren.

Quellen: 

BMU (2018). Online: https://www.bmu.de/ fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/ umweltbewusstsein_2018_bf.pdf

Crenshaw (2016). TED Ideas worth spreading, The urgency of intersectionality, https://www.ted.com/talks/kimberle_crenshaw_the_urgency_of_intersectionality/transcript

DESTATIS (2021a). Qualität der Arbeit - Frauen in Führungs­positionen, online: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/frauen-fuehrungspositionen.html

DESTATIS (2021b). Qualität der Arbeit - Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben, online: 

https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/teilhabe-frauen-erwerbsleben.html

EIGE (European Institute for Gender Equality) (2019). Gender Equality Index 2019: Germany. Litauen: EIGE. DOI:10.2839/724105.

Heinrich Böll Stiftung (2009). Online: https:// cz.boell.org/sites/default/files/gender_and_ climate_finance.pdf

Haffner, I. & L. Loge (2019). Frauen in Technik und Naturwissenschaft: Eine Frage der Passung – Aktuelle Erkenntnisse und Einblicke in Orientierungsprojekte, Barbara Budrich.

Kemfert, C. & Egerer, O. (2017). Frauen sind in Top-Positionen der größten Energie- und Verkehrsunternehmen in Deutschland deutlich unterrepräsentiert, Gender Leadership Gap, 1070 DIW Wochenbericht Nr. 47.2017. Online: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.570200.de/17-47-4.pdf

OECD (2018). Policy coherence for sustainable development and gender equality: Fostering an integrated policy agenda. online:

http://www.oecd.org/gov/gender-mainstreaming/policy-coherence-for-sustainable-development-and-gender-equality.pdf

Rudnicka (2021) Statista, Frauenanteil in den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen bis 2020, online: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/180102/umfrage/frauenanteil-in-den-vorstaenden-der-200-groessten-deutschen-unternehmen/

UN Women (2009). Online: https://www.un.org/womenwatch/feature/climate_change/downloads/Women_and_Climate_ Change_Factsheet.pdf

UN Women (2014). The World Survey on the Role of Women in Development 2014: Gender Equality and Sustainable Development. Online: https://www.unwomen.org/-/media/headquarters/attachments/sections/library/publications/2014/world-surveyon-the-role-of-women-in-development2014-en.pdf?la=en&vs=3045

WWEA (2019) Women for the energy transformation online: https://wwindea.org/women/

Die ersten drei Bilder und Grafiken sind aus dem zugrundeliegenden Dokument und dürfen mit freundlicher Genehmigung vom WECF genutzt werden. 

WECF (2020) Frauen. Energie. Wende! Warum wir eine geschlechtergerechte Energiewende brauchen, online: 

https://www.wecf.org/de/wp-content/uploads/2018/10/Frauen.Energie.Wende2020.pdf

Das Bild der Frau mit der orangefarbenen Hand darf mit freundlicher Genehmigung der Heidelberger Energiegenossenschaft genutzt werden. Quelle: Bürgerwerke eG