In diesem Artikel zeigt Susanne Jung mit Hilfe von Praxissbeispielen die Vorzüge eines Stromkreisbilanzmodells für kommunale Einrichtungen auf.

Stellen Sie sich vor, solare Energieerzeugung auf kommunalen Einrichtungen könnte systematisch verrechnet werden. Das Stromkreisbilanzmodell ermöglicht Transparenz über Erzeugung, Verbrauch und Verteilung. Überschüssiger Solarstrom aus einem Kindergarten kann unkompliziert an andere Verwaltungsgebäude weitergeleitet werden – das spart Kosten und fördert die Energiewende. Einige Kommunen zeigen, dass es möglich ist.

Die Möglichkeit, selbst erzeugten Solarstrom mit dem Verbrauch anderer städtischer Gebäude zu verrechnen, ohne neue Leitungen verlegen zu müssen, war für Herrn Lambertz vom Gebäudemanagement der Stadt Aachen so faszinierend, dass er vor mehr als drei Jahren mit seinem Projekt begann. Der Grund für seine Begeisterung lag in der Überlegung, wie man die Verrechnung von regionalem Solarstrom effektiv umsetzen kann. Denn in der heutigen Zeit, in der nachhaltige Energien zunehmend an Bedeutung gewinnen, ist es entscheidend, Lösungen zu finden, die nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich tragfähig sind. Auch die Stadt sah sich mit der Realität konfrontiert, dass sie beim Einspeisen von Solarstrom in das allgemeine Versorgungsnetz nur eine geringe Einspeisevergütung erhalten kann. Im Vergleich dazu sind die Kosten für Strombezug aus dem überregionalen Netz mindestens doppelt so teuer. Durch die Schaffung eines internen Verrechnungssystems für den selbst erzeugten Solarstrom könnten alle städtischen Gebäude profitieren, ohne dass umfangreiche Investitionen in neue Leitungen erforderlich wären. Statt überschüssigen Strom ins Netz einzuspeisen und ihn dann teurer aus dem überregionalen Netz zurückzukaufen, könnte die Stadt ihre eigenen Dachflächen nutzen, um in größerem Umfang Solarstrom zu erzeugen und diesen bilanziell mit dem Verbrauch anderer städtischer Einrichtungen zu verrechnen. Liegenschaften ohne geeignete Flächen für Solarenergie könnten dennoch von kostengünstigem und nachhaltigem Strom profitieren. Da diese Gebäude durch andere, besser geeignete Flächen mit Strom versorgt werden, entsteht zugleich ein wirtschaftlicher Anreiz, solargeeignete Dächer optimal zu nutzen. Das steigert die Gesamteffizienz der Solarstromproduktion und unterstützt den Ausbau erneuerbarer Energien.

Auch in anderen Regionen Deutschlands gab es zu diesem Thema Bewegung. Bereits 2018 wurden auf den 56 städtischen Schulen im Main-Taunus-Kreis insgesamt 28 Photovoltaikanlagen installiert. Der überschüssige, selbst erzeugte Strom wurde bilanziell auf andere kommunale Gebäude übertragen. Die dadurch eingesparten Mittel fließen seitdem kontinuierlich in den Ausbau weiterer PV-Anlagen. In Aachen blieb man dran, allerdings war hier der Weg bis zur Realisierung alles andere als einfach. Auch heute noch gibt es Probleme – immerhin aber lösbar. Aber von Anfang an: Zunächst galt es, einige grundlegende Fragen zu klären: Ist es der Stadt Aachen möglich, ihren Stromverbrauch vollständig durch den Strom aus eigenen Photovoltaikanlagen zu decken? Wie kann der erzeugte Solarstrom optimal für die Eigenversorgung genutzt werden? Darüber hinaus war es wichtig, die potenzielle jährliche CO2-Reduktion zu ermitteln und zu überprüfen, ob der Betrieb von kommunalen Photovoltaikanlagen wirtschaftlich sinnvoll ist. 

Kita Sandhäuschen

Abb 1 — Kita Sandhäuschen: 29,9 kWp Anlagengröße; 30.835 kWh Stromertrag und 17.977 kWh eigener Stromverbrauch in 2023 •

Zahlen aus Aachen

Der gesamte Stromverbrauch der Stadt Aachen beläuft sich auf etwa 24 Millionen kWh pro Jahr, verteilt auf 675 Liegenschaften und insgesamt 883 Objekte. Dabei nehmen Verwaltungsgebäude, Schulen, Schwimmhallen und kulturelle Einrichtungen einen großen Teil ein. Zusätzlich zählen Kindergärten, Feuerwehrstationen, Friedhöfe und Wohngebäude zu den Verbrauchern. Auf den Dächern dieser Objekte liegt ein enormes Potenzial für die Solarenergie. Analysen zeigen, dass bei vollständiger Nutzung der geeigneten kommunalen Flächen eine installierbare Photovoltaik-Gesamtleistung von 13.839 kWp möglich wäre. Aktuell sind jedoch lediglich 64 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 2.034 kWp in Betrieb, was bedeutet, dass die Leistung noch um mehr als das Sechsfache gesteigert werden könnte. Die potenzielle jährliche CO2-Reduktion ist beeindruckend: Mit einer installierten Gesamtleistung von 13.839 kWp könnte die Stadt Aachen jährlich rund 6.600 Tonnen CO2 einsparen. Dies entspricht etwa 8,6 % der erforderlichen jährlichen Reduktionsmenge von 76.850 Tonnen CO2, die für die Stadt Aachen angestrebt wird.

Diagramm Juli

Abb 2 — Analyse und Abgleich der Daten aus Strombezugs-Lastgängen und solaren Erzeugungspotentialen der Stadt Aachen •

Zusammenspiel zwischen Solarstromerzeugung und Eigenbedarf

Der Vergleich der Daten aus dem Jahr 2019 ergab, dass der Lastgang, also die viertelstündlich gemessenen kW-Werte des Stromverbrauchs, überwiegend durch die Photovoltaik-Erzeugung gedeckt werden könnte. Würde der erzeugte Solarstrom, der vor Ort zeitgleich nicht benötigt wird, an anderer Stelle im Netz bereitgestellt, könnte eine kaufmännische bilanzielle Verrechnung realisiert werden. Die Stadt Aachen stellte sich den Herausforderungen und reichte beim Hauptzollamt einen Antrag ein, als Stromversorger anerkannt zu werden. Dieser wurde 2022 genehmigt. Dadurch hat die Stadt Aachen die Erlaubnis, Strom innerhalb ihrer Liegenschaften zu verrechnen. Für den ausschließlich erneuerbar erzeugten Strom erfolgt eine Stromsteuerbefreiung von 2,05 Cent je Kilowattstunden, wenn durch eine viertelstündliche Messung der Einspeisung und des Verbrauchs nachgewiesen wird, dass exakt die gleiche Menge Solarstrom durch das öffentliche Netz geflossen ist. Zudem reduziert sich auch die zu zahlende Umsatzsteuer auf die Stromsteuer. Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung ist, dass:

  • die Verbrauchsstellen innerhalb eines Abstands von 4,5 km zur Stromerzeugungsanlage liegen,
  • eine viertelstündlich genaue Bilanzierung erfolgt.


Mit steigenden Strompreisen wird die Einsparung größer und damit auch wirtschaftlicher. Zu Beginn des Projektes lag die Einsparung der Strombilanzierung bei 8,51 ct/kWh. Im Jahr 2024 ist sie auf 18,50 ct/kWh gestiegen. Für die Aachener ist neben der Wirtschaftlichkeit ebenso wichtig, dass der Klimaschutz durch diese Maßnahmen vorangetrieben wird. Denn die Stadt hat sich auf die Fahnen geschrieben, bis 2030 klimaneutral zu sein. 

Die Idee des kommunalen Energy Sharing fand seit 2018 – als die Vorreiter aus dem Main-Taunus-Kreis erfolgreich waren – in vielen anderen Städten Deutschlands Beachtung. In Greifswald wurde beschlossen, das Strombilanzkreismodell zu prüfen, ebenso in Lörrach, Bad Soden, Eisenach und Kitzingen. Herr Lambertz aus Aachen erhielt Vortragsanfragen aus Bochum, Dortmund, Kiel, Hannover, Hagen, Bonn und zahlreichen weiteren Städten. All dies deutet auf eine vielversprechende Erfolgsgeschichte hin. 

Es ist ausgezeichnet, dass eine gute Idee bundesweit Nachahmer findet. Allerdings trifft sie überall auf unterschiedliche Ausgangssituationen. In Aachen musste die Stadt schnell erkennen, dass viele der geeigneten Dächer zunächst saniert werden müssen, was Zeit in Anspruch nimmt. Auch die verpflichtende Ausschreibung der Elektroinstallationen für die Solaranlagen auf städtischen Gebäuden verzögert den Fortschritt. Der Fachkräftemangel trägt zusätzlich zur Verlangsamung des Prozesses bei, sodass Aachen noch lange nicht das erreicht hat, was sich die Stadt vorgenommen hat. Dennoch geht es voran, und das von den Verantwortlichen gern als neues „Aachener Modell“ beschriebene Konzept überzeugt auf ganzer Linie! Das erste „Aachener Modell“ war übrigens die Idee der kostendeckenden Vergütung für Solarstrom, die nicht minder erfolgreich war. Sie wurde von uns, dem Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV), bereits 1989 vorgetragen und 2000 im Erneuerbaren-Energien-Gesetz umgesetzt.

Mit einer installierten Gesamtleistung von 13.839 kWp könnte die Stadt Aachen jährlich rund 6.600 Tonnen CO2 einsparen.

Susanne Jung

Energy Sharing – auch in der Nachbarschaft?

Heute verfolgt der SFV eine über das Strombilanzkreismodell hinausgehend noch viel weitreichendere Idee. Wir haben im letzten Jahr das Konzept des solaren Nachbarschaftsstroms zur Diskussion gestellt. Es basiert auf der Logik, dass alle Anlagenbetreiber ihren Solarstrom über das öffentliche Netz an Nachbarn weitergeben und vermarkten können – quasi von Tür zu Tür. Unser Argument lautet: Nachbarschaftsstrom bietet zusätzliche Einnahmen, schafft Investitionsanreize für mehr Solaranlagen, entlastet die Stromnetze und hilft bei der sozialen Abfederung von Energiepreissteigerungen für Bürgerinnen und Bürger, die nicht in ein Solardach investieren können. Damit fördert es die Teilhabe und letztendlich die Akzeptanz für Veränderungen in der Energiewende. Auch hierzu gibt es bereits einen Teilerfolg: Im Entwurf eines Gesetzes zum Energy Sharing wurden Ende des Sommers erste Eckpunkte vorgestellt. Doch auch hier gibt es noch viel zu tun.