Solare Revolution oder Reformismus?
Solarenergie-Förderverein Deutschland zu Habecks "Eröffnungsbilanz Klimaschutz" vom 11.01.2022
Die „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ des Bundeswirtschaftsministeriums geht von einer durchaus brauchbaren Problembeschreibung aus: „Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend.“ (Quelle). Der Treibhausgasausstoß ist in Deutschland 2021 sogar wieder angestiegen. In diesem Licht ist es auch zu begrüßen, dass das Ministerium „alle notwendigen Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen“ bis Ende des Jahres 2022 in Kraft setzen will. Es ist von einer Verdreifachung des Reduktionspfades bei Treibhausgasen die Rede. Nur so könne Klimaneutralität bis 2045 erreicht werden. Maßnahmen wie eine Solardachpflicht, die Erhöhung der Ausschreibungsvolumen von größeren Erneuerbare-Energien-Anlagen, die Verbesserung der Mieterstromförderung und die Erhöhung der Fördersätze für Photovoltaik-Anlagen weisen in die richtige Richtung.
Nur ist das Zieljahr 2045 für Klimaneutralität eben unzureichend. Die 1,5°C-Grenze, auf welche sich die Bundesregierung beruft, wird mit einem solchen Pfad mit Sicherheit verfehlt werden. Der SFV hat als äußersten Kompromiss im Lichte dieses Ziels die Jahreszahl 2030 gefordert; selbst dann muss in großem Stil in die technische und ökologische CO2-Rückholung eingestiegen werden. Wo die Eröffnungsbilanz von einer Verdreifachung spricht, wäre eher eine Verzehnfachung notwendig. Technisch stünden einem solchen Programm keine unüberwindbaren Hindernisse entgegen. Wirtschaftlich gäbe es freilich Verlierer: Akteure, die ihre klimazerstörenden Maschinen (z.B. Kohlekraftwerke) nicht mehr voll amortisieren können. Aber wenn es einen Fall gäbe, wo man zu Recht einmal auf das „unternehmerische Risiko“ verweist, dann läge er hier ja wohl vor. Wir befinden uns in einer Situation gesellschaftlicher Notwehr. Diese Einsicht hat sich in der Eröffnungsbilanz des Habeck-Ministeriums noch nicht durchgesetzt, trotz aller punktuellen Fortschritte.
So soll die neue Klima- und Energiepolitik den herkömmlichen, zentralisierten Strukturen der Energiewirtschaft verbunden bleiben. Dies zeigt sich etwa in der Klage, die „die Fertigstellung der Stromnetze“ verzögere sich „erneut um Jahre“ (Quelle S. 1). Offensichtlich sind damit die zu Recht von Umweltinitiativen so genannten „Monstertrassen“ zwischen Nord- und Süddeutschland gemeint, die den größten Vorzug der Erneuerbaren Energien konsequent ignorieren: Dass diese nämlich überall dezentral geerntet werden können und die Aufgabe von Höchstspannungs-Übertragungsnetzen dadurch viel geringer sein kann, als die alten Strom-Monopolisten behaupten. In der Tat müssen Stromnetze modernisiert werden, jedoch überwiegend auf der Ebene der Verteilnetze. Die gewaltigen Geldmittel, die in die Monstertrassen fließen, gehören dringend auf den Prüfstand.
Ähnlich ist auch zu beurteilen, wenn die Eröffnungsbilanz der künftigen Wasserstoff-Wirtschaft die „zentrale Rolle“ bei der Energiewende zuspricht. Wir leugnen nicht, dass grüner Wasserstoff eine wichtige Aufgabe im künftigen Energiesystem spielen wird (etwa im Bereich der Energiespeicherung, aber auch in industriellen Prozessen). Aufgrund gravierender Umwandlungsverluste kann Wasserstoff aber z.B. nicht im Straßenverkehrssektor mit batterieelektrischen Antrieben konkurrieren. Der Verdacht liegt nahe, dass die Bundesregierung die H2-Technologien vor allem deswegen ins Zentrum rückt, um die traditionell mächtigen Akteure der Energiewirtschaft bei Laune zu halten. Dies wird vollends klar bei dem Bekenntnis, „den überwiegenden Teil des Wasserstoffs importieren“ zu wollen. Es ist die größte Chance der Energiewende, von Energieimporten unabhängig werden zu können und damit nicht zuletzt eine der Hauptursachen von Kriegen abzuschaffen. Dies sollte nicht leichtfertig verschenkt werden.
Zu fordern ist deshalb: Wenn in der Regierungspolitik schon kein schnellerer Zielpfad als 2045 durchzusetzen ist (die Partei Habecks, die Grünen, hatte im Wahlkampf ein früheres Datum für Klimaneutralität versprochen), dann sollte zumindest die Chance für eine Überbietung der Ziele eröffnet werden. Dies geschieht am besten durch mutige Förderung der dezentralen Akteure, welche schon einmal im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts die Energiewende in Deutschland auf den Weg gebracht haben, bevor sie von den Bundesregierungen ausgebremst wurden. Alle Ausbau-Obergrenzen müssen ersatzlos gestrichen werden. Die Vergütungssätze für PV-Strom müssen so hoch angesetzt werden, dass möglichst viele Bürger die dezentrale Energiewende wieder mit Leben erfüllen. Erzeugergemeinschaften und regionale Vermarktungen müssen das neue „Normal“ werden. Ausschreibungen für PV-Anlagen, deren Menge die Eröffnungsbilanz zu erhöhen ankündigt, müssen auf große Freiflächenanlagen über 5 MWp beschränkt werden, nicht zuletzt, um im Bereich mittlerer Anlagengrößen durch feststehende Vergütungssätze wieder Energiegenossenschaften ins Spiel zu bringen.
Und es gibt noch weitere Handlungsfelder, die angepackt werden müssen. Allem voran der Bürokratieabbau, der die Energiewende seit Jahren zum Investitionszombie werden ließ.
Die Eröffnungsbilanz Klimaschutz hat die Probleme erkannt. Aber wo wir eine Revolution brauchen, regiert das Ministerium von Robert Habeck bisher noch mit Reformismus. Das wird nicht reichen.