Mängel im Energiewirtschaftsgesetz ruinieren Umwelt und Stadtwerke
Die öffentlichen Proteste der Stadtwerke gegen die Benachteiligung durch den Wettbewerb im Strommarkt zeigen nicht die eigentliche Ursache: Eine folgenschwere Regelungslücke des neuen Energiewirtschaftsgesetzes Wolf von Fabeck
Die Lage ist durchaus kritisch für die Stadtwerke. Die großen Stromhändler locken mit Billigangeboten und picken sich aus dem Versorgungsbereich der Stadtwerke die unzufriedenen Stromkunden heraus. Die Stromverteilung - sprich die Unterhaltung des Stromnetzes, der Trafostationen, des Notdienstes - obliegt jedoch weiter den Stadtwerken. Wenn diese angemessene Gebühren für das Durchleiten des Fremdstroms erhalten würden, wäre die Aufgabe durchaus reizvoll. Doch die Gebühren für das Durchleiten des von abtrünnigen Kunden bestellten und von fremden Erzeugern gelieferten Stroms dürfen nur möglichst gering sein, da sind sich alle einig, vom konservativen Wirtschaftspolitiker im Bundestag bis zu GREENPEACE in Hamburg!
Nun hätte die Forderung nach geringen Durchleitungsgebühren noch vor zwei Jahren keinen Stadtwerkedirektor aus der Ruhe gebracht. Verbindlich lächelnd hätte er erklärt, daß die staatliche Preisaufsicht zum Schutz der Verbraucher über die Gebühren wache; und mancher Zuhörer hätte sich vielleicht gefragt, wie wohl die Preisaufsichtsbehörde alle Kosten und Erlöse nach Berechtigung und Notwendigkeit beurteilen könne.
Perversion des Wettbewerbs: Es geht nur noch um den Preis
Doch heute ist die Situation eine andere. Nicht die Preisaufsicht kontrolliert, sondern die großen Stromerzeuger oder Stromhändler drohen mit dem Kartellgericht. Die Wahrscheinlichkeit, daß es zu einem Verfahren kommt, ist groß, denn Stromhändler und große Stromerzeuger haben kein Interesse am Fortbestand der Stadtwerke. Sie sind ausschließlich an möglichst geringen Durchleitungsgebühren interessiert. Der Ausgang eines solchen Prozesses ist zudem höchst ungewiß, denn es gibt keine verbindlichen Maßstäbe für die Durchleitungsgebühren. Die Verbändevereinbarung verpflichtet keinen Stromversorger, und der Gesetzgeber gibt keinen Anhalt. Das Kartellgericht ist - genauso wenig wie früher die Preisaufsicht - in der Lage, die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterhaltung und den Ausbau des Versorgungsnetzes zu bewerten. Maßstab der drohenden kartellgerichtlichen Bewertung wird deshalb die Vergleichbarkeit mit den Durchleitungsgebühren anderer Netzbetreiber sein. Man spricht vom "Als-ob-Wettbewerb". Und da beginnen nun die eigentlichen Probleme! Ein Stadtwerk, das seinen Kunden eine excellente Energieberatung angedeihen läßt, das die Emissionen klimaschädlicher Gase durch Kraft-Wärmekopplung im Stadtbereich minimiert, das die Sicherheit der Stromversorgung durch redundante Ausführung der Versorgungsleitungen erhöht, das auch entlegen wohnende Stromkunden anschließt, hat natürlich höhere Kosten. Diese möchte es bei einem kartellgerichtlichen Verfahren ins Spiel bringen dürfen. Doch da hat es schlechte Karten.
Nach dem neuen Energiewirtschaftsgesetz ist die Umlage der Mehrkosten für solche eben aufgezählten freiwillig übernommenen Verpflichtungen auf die Netzgebühr oder Durchleitungsgebühr nicht vorgesehen.
Die Auswirkung einer solchen Regelungslücke hat katatstrophale Folgen. Denn wegen der geforderten Vergleichbarkeit im Preis darf das "gute" Stadtwerk keine wesentlich höheren Durchleitungsgebühren verlangen als der nachlässige Versorgungsnetzbetreiber, der nur das Nötigste tut und das Versorgungsnetz verkommen läßt.
Es ist demnach kein Wunder, daß bundesweit viele Stadtwerke versuchen, alle gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen - von der Energieberatung bis zur Kraft-Wärmekopplung zurückzunehmen. Teilweise scheint sogar der Erhalt eines gut geschulten Mitarbeiterstammes gefährdet.
Wettbewerb um Qualität ist notwendig
Es geht nicht darum, den Wettbewerb im Strommarkt rückgängig zu machen, sondern ihn auszuweiten. Wettbewerb der Netzbetreiber darf sich nicht auf den Preis (Netz- oder Durchleitungsgebühr) beschränken, sondern er muß ausgedehnt werden auf die Qualität. Netzbetreiber, die freiwillig Verpflichtungen zur Verbesserung der Umwelt und der Versorgungssicherheit (gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen) übernehmen, müssen das Recht erhalten, berechtigte Mehrkosten aus diesen Verpflichtungen auf die Netz- bzw. die Durchleitungsgebühr umzulegen. Andernfalls ist bereits die Präambel des Energiewirtschaftsgesetzes verletzt, in welcher die Umweltfreundlichkeit und die Versorgungssicherheit gleichberechtigt neben der Preisgünstigkeit aufgezählt werden.