Artikel vom 13. September 1999
Solarzellen und Chlorchemie?
Wie umweltfreundlich sind Solarzellen? Einmal auf einem Dach installiert können sie jahrzehntelang Strom erzeugen - ohne Abgase, ohne Treibhausgasemissionen, ohne Umweltverschmutzung. Von Kritikern angeprangert werden allerdings immer wieder „umweltschädigende Herstellungsverfahren", „giftige Materialien", „Probleme bei der Entsorgung". Was ist dran an „Solarzellen und Chlorchemie"?Von Wolfgang Bessler
Der Begriff „Chlorchemie" wird heute als Schlagwort für alle Umweltgefahren benutzt, die von der chemischen Industrie ausgehen. Tatsächlich stimmt es, daß es eine Reihe hochgiftige Stoffe gibt, die Chlor enthalten: Wer hat nicht von Dioxinen, DDT, Lindan etc. gehört? Fast schon regelmäßig liest man in Presseberichten von Störfällen, bei denen solche Stoffe freiwerden. Die Gefahren sollen keinesfalls unterschätzt werden, denn neben der akuten Giftigkeit besteht die Gefahr der Anreicherung: Die Stoffe werden nur sehr langsam vom Stoffwechsel ausgeschieden. Außerdem können sie krebserregend wirken.
Wir benötigen an dieser Stelle zunächst eine grundlegende Klarstellung: Fast alle Stoffe, die Chlor enthalten, sind ungiftig. Und andererseits: Es gibt viel mehr giftige Stoffe, die kein Chlor enthalten.
Die Herstellung einer Solarzelle ist ein chemischer Prozeß, bei dem viele Chemikalien, auch chlorhaltige, benötigt werden. Es soll nun meine Aufgabe sein, hierüber eine realistische Beurteilung zu erstellen. Als Grundlage dienen dafür unter anderem eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Studien über die Umweltverträglichkeit von Solarzellen.
Werfen wir einen Blick auf den Lebenslauf einer Solarzelle. Das Grundmaterial für eine konventionelle Solarzelle ist Silizium (98% der heute hergestellten Solarzellen arbeiten auf Silizium-Basis, auf die Beurteilung einiger zur Zeit erprobter neuerer Technologien sei in diesem Rahmen verzichtet). Wir können die Solarzellenherstellung grob in drei Schritte einteilen: Die Siliziumherstellung, die Verarbeitung zu Solarzellen und die Montage zu einsatzfähigen Photovoltaikmodulen. Schließlich soll noch auf den Betrieb und auf das Recycling eingegangen werden.
1. Siliziumherstellung
Silizium ist, nach Sauerstoff, das auf der Erde zweithäufigste chemische Element. Es wird hauptsächllich in der Metallindustrie verwendet.
Die gesamte Computer- und Elektroniktechnologie (dazu gehört auch die Photovoltaik) benutzt Silizium als wichtigsten Grundstoff. Hierfür ist eine Reinigung des Siliziums erforderlich. Das Rohsilizium wird dazu chemisch mit der Verbindung Chlorwasserstoff in eine Verbindung namens „Silicochloroform" umgewandelt; diese kann von allen Verunreinigungen befreit werden. Aus ihr wird dann wiederum der Chlorwasserstoff und das Silizium in hochreiner Form zurückgewonnen. Ersterer wird entweder im Prozeß wiederverwendet oder in der chemischen Industrie anderweitig benutzt. Das Verfahren ist insgesamt in sich geschlossen, es werden lediglich die Verunreinigungen frei, die das Silizium enthielt. Es handelt sich dabei vor allem um andere Metalle wie Eisen und Aluminium.
Chlorwasserstoff und die Zwischenverbindung Silicochloroform sind sehr reaktive Stoffe. Für den Menschen würde bei direktem Kontakt die Gefahr von Verätzungen bestehen. Die Umsetzung geschieht daher in geeigneten abgeschlossenen Reaktionsgefäßen. Der wichtige Unterschied zu eingangs erwähnten Chlorverbindungen wie Dioxinen besteht jedoch darin, daß keine Giftigkeit besteht, d.h. keine physiologischen Auswirkungen auf den Organismus. Sie sind nicht krebserregend. Ebensowenig besteht die Gefahr der Anreicherung.
Die beschriebenen Prozesse beliefern die Computerindustrie seit Jahrzehnten mit höchstreinem Silizium. Die jährliche Produktion beträgt heute knapp 18.000 Tonnen. Davon werden zur Zeit weniger als 10% für Solarzellen eingesetzt. Die Reinheitsansprüche sind bei Solarzellen weniger hoch, so daß hier meist „Abfallsilizium" der Computerindustrie verwendet wird. Die Solarzellenindustrie klinkt sich lediglich in geringem Maße in die viel höhere Produktion der Halbleiterindustrie ein.
2. Verarbeitung zu Solarzellen
Das reine Silizium muß physikalisch und chemisch in einer Vielzahl von Stufen zu Solarzellen verarbeitet werden. Hierzu gehören Dotierung, Texturierung, Passivierung, Reinigungs- und Ätzprozesse. Auf diese möchte ich nicht im einzelnen eingehen; wichtig ist für uns die Beurteilung des Gesamtprozesses. Letztendlich soll dadurch ein möglichst hoher Wirkungsgrad erreicht werden. (Großtechnisch hergestellte Siliziumsolarzellen kommen heute auf einen Wirkungsgrad von 15-17 %).
Für die einzelnen Verfahren werden eine Vielzahl von chemischen Verbindungen benötigt. Hierzu gehören u.a. Chlorwasserstoff (diese Verbindung ist uns schon bei der Siliziumreinigung begegnet), Flußsäure, Kalilauge, Bor- und Phosphorverbindungen. Entsprechende Stoffe treten dann natürlich zunächst auch als Abfallprodukte auf.
Für den größten Teil der verwendeten Stoffe gilt das schon bei der Siliziumreinigung Gesagte: Es handelt sich um ungiftige oder mindergiftige Chemikalien, die in der chemischen Industrie in vielen Prozessen eingesetzt werden. Ein Gefahr geht lediglich vom direkten Kontakt aus.
Einige Stoffe, wie die erwähnten Bor- und Phosphorverbindungen können können dagegen zusätzlich sehr toxisch sein. Sie werden bei den vorliegenden Prozessen (Dotierung) jedoch nur in minimalen Mengen benötigt, so daß selbst im Störfall nur geringste Mengen freiwerden. So werden für eine Tonne Silizium weniger als ein Milligramm (ein tausendstel Gramm) an Bor und Phosphor benötigt!
3. Modulfertigung
Hierzu gehören Prozesse wie Verkleben der Solarzellen, Vergießen der Abdeckplatte, Randabdichtung etc. Dabei sind keine oder nur geringe Umweltbelastungen zu erwarten (z.B. in geringem Maße durch Lösungsmittel von Klebern).
4. Betrieb von Solarzellen
Die Bestandteile einer Solarzelle sind ungiftig und ungefährlich. So ist auch keine Unfallart (Brand, Erdbeben etc.) denkbar, bei der eine Umweltgefährdung auftreten könnte. Silizium hat keinerlei Wirkungen auf Mensch und Natur!
5. Recycling
Zum Recycling von Siliziumsolarzellen haben mehrere Firmen verschiedene Verfahren entwickelt. Das Hauptproblem liegt zur Zeit in der Demontage der Solarzelle in ihre verschiedenen Bestandteile. Da das Solarmodul keine giftigen Stoffe enthält, verbleiben keine gefährlichen Abfälle. (Die Bor- oder Phosphorverbindungen liegen, wie wir gesehen haben, in vernachlässigbaren Mengen vor.) Insbesondere weist der Recyclingprozeß eine positive Energiebilanz auf, d.h. selbst wenn das Silizium je nach Verfahren nicht mehr für Solarzellen verwendet werden kann, sondern in anderen Bereichen (Metallindustrie) verwendet werden muß, ist der Energieaufwand für das Recyclen geringer als für die Herstellung von neuem Silizium aufgewendet werden müßte.
An dieser Stelle sei noch eine Bemerkung zur Energiebilanz von Solarzellen gemacht. Je nach Technologie gewinnt eine Solarzelle heute die gesamte Herstellungsenergie in einem Zeitraum von 3-7 Jahren wieder zurück. Der Einsatz von Solarzellen „lohnt" sich also energetisch auf alle Fälle.
Wird der gesamte Lebenslauf einer Siliziumsolarzelle betrachtet, so kann ihre Umweltfreundlichkeit offensichtlich an der Gefährlichkeit oder Harmlosigkeit der bei der Herstellung verwendeten Chemikalien beurteilt werden.
Leider gibt es noch keine oder nur unvollständige Daten zu tatsächlichen Emissionen, so daß eine auf Messungen basierende Bewertung noch ausstehen muß. Grundsätzlich können aber schon einige wesentliche Aussagen gemacht werden. So ist zunächst generell zu bemerken, daß bei der Produktion selbstverständlich alle notwendigen Umweltschutztechniken eingesetzt werden: Stoffe werden dem Prozeß zurückgeführt oder anders weiterverwendet. (So kann der bei der Texturierung verwendete Chlorwasserstoff sogar hinterher als Salzsäure verkauft werden). Abluft und schädliche Abfälle werden behandelt, letztere sodann deponiert. Von ihnen sind keine Belastungen mehr zu erwarten. Vom normalen Produktionsbetrieb geht also keine Umweltgefährdung mehr aus.
Würden aber bei einem Unfall gefährliche Stoffe freigesetzt? Wir haben von vielen verschiedenen beteiligten Chemikalien und ihren Eigenschaften gehört. Es wäre demnach sicher falsch zu sagen, die verwendeten Stoffe seien harmlos und die Prozesse ungefährlich. Wesentlich ist, daß die möglichen Gefahren nur lokal (d.h. in der Produktionsstätte selbst) und kurzzeitig ( d.h. keine Giftwirkung, keine Anreicherung, keine Langzeiteffekte) wirken. Damit unterscheiden sich die Wirkungen grundsätzlich von denen der eingangs genannten Chlorverbindungen. Wichtig ist auch, daß während der Reaktionen keine anderen schädlichen Stoffe entstehen können. (Dies ist z.B. das wesentliche Problem bei der Müllverbrennung: giftige Gase wie Dioxine entstehen hier als unbeabsichtigte Nebenprodukte.)
Das Gefahrenpotential steht also in keinem Verhältnis zu dem herkömmlicher Energiequellen wie Kohle, Öl oder Atomkraft, mit denen die Solarenergie ja immer in Relation gesetzt werden muß: Dort sind die Gefahren global (Kohlendioxidemissionen) und langzeitig (z.B. die Entsorgungsprobleme der Nuklearindustrie) - und dies bereits im Normalbetrieb.
Die bei der Solarzellenherstellung verwendeten Prozesse sind technisch ausgereift und erprobt. Auch eine Massenproduktion von Solarzellen wird aus chemisch-toxikologischer Sicht keine wesentlichen Umwelt- oder Gesundheitsprobleme mit sich ziehen. Der vermehrte Einsatz regenerativer Energiequellen wie der Solarenergie muß sogar im Gegenteil notwendige Folgerung aus dem vorhandenen Gefahrenpotential herkömmlicher Energiequellen sein! Insbesondere gehören Schlagworte wie „Dioxine" oder „Chlorchemie" in die Bereiche der Müllverbrennung oder Insektizidherstellung und haben mit Solarzellenproduktion nicht das geringste zu tun!
Einige Literaturangaben:
- Möller, J., Integrierte Betrachtung der Umweltauswirkungen von Photovoltaik-Technologien, Diplomarbeit, Wuppertalinstitut für Klima Umwelt Energie 1998
- Ostermayer, A., Analyse der Umweltauswirkungen eines neuentwickelten Herstellungsverfahrens für PV-Module aus multikristallinen Silicium-Dünnschichtsolarzellen, Diplomarbeit, Fachhochschule Bingen 1997
- Goetzberger, A. / Knobloch, J., Sonnenenergie: Photovoltaik, Teubner Stuttgart 1997