Stand: 01.07.1999 (überholt)

Enttäuscht von der energiepolitischen Sprecherin der GRÜNEN

- Offener Brief des SFV an Michaele Hustedt-

Sehr geehrte Frau Hustedt,

im Bundestags-Wahlprogramm der GRÜNEN hat eine gesetzlich verpflichtende bundesweite kostendeckende Einspeisevergütung (KV) für Solarstrom ihren festen Platz. Auf dem Bundesparteitag in Erfurt am 07.03.99 wurde dies noch einmal bestätigt. Doch Sie als energiepolitische Sprecherin der GRÜNEN sehen die Dinge offenbar anders. Mehrfach schon haben Sie zu erkennen gegeben, daß die Aufnahme der KV in das Stromeinspeisungsgesetz nicht mehr Ihr Ziel ist.

Meine Anfragen dazu vom

  • 31.10.97
  • 13.05.98
  • 22.08.98
  • 19.11.98
  • 07.12.98
  • 22.12.98
  • 01.02.99
haben Sie nicht einmal beantwortet.

Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Kostendeckende Vergütung oder/und Ökostromhandel" am 12.08.99 in Ahlen konnte ich Sie endlich nach den Gründen fragen.

Die von Ihnen genannten Gründe:

  • Leere Kassen
  • Probleme bei der Europäischen Kommission
  • Widerstand des Bundeswirtschaftsministers
konnten nicht überzeugen.
  • Die KV zeichnet sich ja gerade dadurch aus, daß sie nicht aus den leeren Kassen des Bundes, der Länder oder der Gemeinden finanziert wird, sondern über eine Erhöhung der Stromgebühren aller Stromkunden. Die Stromkunden aber werden durch den Wettbewerb im Strommarkt entlastet wie nie zuvor. Finanzielle Mittel sind also vorhanden.
  • Die Europäische Kommission, Generaldirektion IV Wettbewerb, stößt sich nicht an einer Erhöhung der Einspeisevergütung für Solarstrom, sondern befürchtet eine Überförderung bei der Windenergie.
  • Für die Gesetzgebung ist unserer Kenntnis nach nicht der Minister für Wirtschaft, sondern der Bundestag zuständig
Bei jedem anderen Diskussionspartner hätte ich angenommen, er kenne das Programm der KV und den Stand der Gespräche mit der Europäischen Kommission nicht. Hier aber entstand der Eindruck: Michaele Hustedt in ihrer Rolle als energiepolitische Sprecherin ist aus unerfindlichen Gründen nicht mehr bereit, über das Thema KV weiter nachzudenken.

Ihre Aussage, Sie hätten genug damit zu tun, das Stromeinspeisungsgesetz überhaupt zu retten, hat mich merkwürdig berührt. Das Gesetz, das Sie retten wollen, stammt aus einer CDU/CSU-FDP-Koalition, für die die Erneuerbaren Energien nur eine unbedeutende zusätzliche Energiequelle darstellten. Sie aber gehören einer Koalition an, die den Atomausstieg beschlossen hat, und insbesondere Ihre Fraktion setzt auf die Energiewende. Wir erwarten von Ihnen mehr als nur die "Rettung" des Stromeinspeisungsgesetzes.

Erschüttert aber war ich über Ihre Aussage, der ökologische Wert der Photovoltaik sei in der Umweltbewegung durchaus umstritten.

Natürlich gibt es überall Außenseiter, die dieses und jenes bezweifeln, aber darum ging es Ihnen vermutlich nicht. Sie zählten vielmehr die Gründe auf, warum Sie sich für die KV nicht mehr einsetzen, und ich muß deshalb annehmen, daß auch Sie vom ökologischen Nutzen der Photovoltaik nicht mehr überzeugt sind.
Muß ich tatsächlich mit einer energiepolitischen Sprecherin der Grünen heute noch - im Jahr 1999 - ernsthaft über den ökologischen Nutzen der Photovoltaik diskutieren?

Wenn in einer so entscheidenden Zukunftsfrage wie die der Solarenergie-Nutzung und -Markteinführung die Positionen von Basis und Sprecherin auseinanderdriften, kommt unweigerlich die Frage auf, wer denn nun den Kurs in der Energiepolitik der GRÜNEN bestimmt, genauer gesagt, für wen denn die "Sprecherin" spricht. Und es kommt die Frage auf, ob wir uns auf die GRÜNEN noch verlassen können,

Da das Thema alle angeht, habe ich zum Mittel eines offenen Briefes gegriffen. Mir geht es um die Klärung folgender Fragen:

  • Haben Sie Zweifel am ökologischen Nutzen der PV?
  • Wenn ja, worin liegen sie begründet?
Wir sind bereit, darüber in eine Sachdiskussion einzutreten, auch wenn uns dies längst ausgestanden schien.

Wir haben das 100.000-Dächerförderprogramm so akzeptiert, wie es von Hermann Scheer und Ihnen der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, als eine rasch wirksame Notmaßnahme, die den Installateuren ein Überleben bis zur Verbesserung des Stromeinspeisungsgesetzes ermöglichen sollte. Dies haben wir mitgetragen, doch wir haben auch sorgfältig das Versprechen der Politik - Ihr Versprechen(!) - registriert, daß die Markteinführung der Photovoltaik weiter beschleunigt werden soll. Dies ist dringend erforderlich!

Im vergangenen Jahr noch haben Sie das 100.000-Dächerprogramm als Notbehelf dargestellt; jetzt soll es ein großer, endgültiger Erfolg sein. Ich glaube nicht, daß wir weiterkommen, nur weil Sie Ihre Ansprüche zurücknehmen. Soll ich noch einmal vorrechnen, daß alle geplanten PV-Anlagen des 100.000-Dächerprogramms nur 4% dessen an Strom liefern würden, was ein einziger Kernkraftwerkblock erzeugt? Muß ich begründen, warum eine Partei, die in absehbarer Zeit Atom und Braunkohle durch einen Mix aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse ersetzen will, sich mit solchen, eher symbolischen Beiträgen nicht zufrieden geben kann? Soll ich belegen, daß wir auf die PV aus Mengengründen im zukünftigen Energiemix nicht verzichten können?

PV ist am weitesten von der Wirtschaftlichkeit entfernt. Wenn wir sie jetzt nicht energisch fördern - obwohl die finanziellen Mittel vorhanden sind - verschenken wir kostbare Zeit.

Ich empfinde es inzwischen als anstößig, daß sich auch das 100.000-Dächerprogramm wie alle bisherigen Programme nur an opferbereite Idealisten wendet. Wenn die Politik weiter zuläßt, daß man mit Kohle und Atom Gewinne macht, bei der Sonnenenergie aber draufzahlt, dann steht das Endergebnis schon jetzt fest. Mit anderen Worten: Mir kommt es ethisch sehr fragwürdig vor, wenn man die Verantwortung für eine von der Gemeinschaft zu lösende Aufgabe wieder einmal auf die Schultern der Idealisten abwälzt, zumal es ja andere Möglichkeiten gibt. Die kostendeckende Vergütung würde endlich mit diesem Mißbrauch des guten Willens Schluß machen.

Warum wollen Sie nicht die Förderung nach dem 100.000-Dächerprogramm durch eine Erhöhung der gesetzlichen Einspeisevergütung bis zur Kostendeckung aufbessern?

Ist Ihnen bekannt, daß die demokratisch gewählten Bürgervertreter von mehr als 90 Gemeinden und Städten - zumeist auf Initiative der GRÜNEN - ausdrücklich ihre Stromversorger zur Zahlung einer kostendeckenden Einspeisevergütung aufgefordert haben? Und ist Ihnen bekannt, daß die Stromversorger in 70 betrüblichen Fällen diese Aufforderung abgelehnt haben, zumeist mit der Begründung, ihre Konkurrenzfähigkeit im Preiswettkampf wäre gefährdet, es sei denn, die KV würde bundesweit gesetzlich eingeführt?

Was wollen Sie gegen die alarmierende Entwicklung unternehmen, daß von den Stromversorgern, die bisher freiwillig eine erhöhte Einspeisevergütung gezahlt hatten (wie z.B. die Stadtwerke München, Solingen, Soest, Pforzheim) immer mehr zurücktreten mit der Begründung, sie könnten im Wettbewerb nicht mehr bestehen, solange andere Stromversorger die KV nicht gewähren?

Sie haben als energiepolitische Sprecherin vor der Bundestagswahl zugesagt, sich für die Aufnahme der kostendeckenden Solarstrom-Vergütung ins Stromeinspeisungsgesetz einzusetzen (Solarbrief 3/98). Ein Bruch dieses Versprechens erschüttert nicht nur Ihre persönliche Glaubwürdigkeit, sondern die der gesamten Partei. Und - schlimmer noch - wir alle verlieren kostbare Jahre im Kampf gegen die Klimakatastrophe.

Mit freundlichen Grüßen
Wolf von Fabeck
- Geschäftsführer -


Antwort von Michaele Hustedt

Sehr geehrter Herr von Fabeck,

ich bin für jede, gerade auch kritische Begleitung meiner Arbeit als energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN dankbar, solange sie sachlich und persönlich fair vorgetragen wird.

Zum Thema: Auch wenn Sie mir anderes unterstellen, halte ich die Einführung einer kostendeckenden Vergütung für Solarstrom für notwendig und richtig. Nur leider orientiert sich die reale Welt nicht immer an dem, was Sie, ich und viele andere auch, aber eben längst nicht alle für richtig und notwendig halten.

Ihnen dürfte nicht entgangen sein, daß auf dem Stromsektor in Deutschland dramatische Veränderungen ablaufen - YELLO-Strom ist das jüngste, aber längst nicht das letzte und drastischste Phänomen eines liberalisierten Energiemarktes, der auch viele positiven Aspekte mit sich bringen wird, aber in jedem Falle nicht mehr aufzuhalten ist. Man sollte nie versuchen, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu wollen.

In diesem Umfeld kommt die Erzeugung von Strom aus regenerativen Energien, die bisher durch das Stromeinspeisungsgesetz gefördert wurden, erheblich unter Druck. Wir müssen dieses Gesetz deshalb wettbewerbsfest machen, um die Erfolge der Vergangenheit bei der Windenergie zu sichern und weiter auszubauen und die Energieerzeugung bei Biomasse deutlich zu verstärken. Hier ist akuter Handlungsbedarf gegeben, denn ohne eine schnelle Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes könnte ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß eine Forderung nach kostendeckender Vergütung für Solarstrom die gesamte Novellierung erheblich verzögern wird, mit unabsehbaren Folgen für die anderen regenerativen Energieträger.

Ich brauche Ihnen nicht zu erläutern, daß die Photovoltaik noch um ein Vielfaches von Wind und Biomasse beim Kostendeckungsgrad entfernt ist.

Die kostendeckende Vergütung jetzt durchsetzen zu wollen, ist meiner Meinung wegen der vielfältigen politischen Widerstände absolut kontraproduktiv.

(Nachträgliche Anmerkung: Die Vergütung betrug damals etwa 16 Pf/k'Wh und wurde dann glücklicherweise trotz der hier zitierten negativen Aussage - auf Initiative von Hans-Josef Fell - im EEG auf 99 Pf/kWh angehoben.)

Ich glaube vielmehr, daß das 100.000-Dächer-Programm der Bundesregierung und die Inbetriebnahme der Photovoltaikfabrik in Gelsenkirchen die Kosten des Solarstroms wird sinken lassen, womit eine Aufnahme des Solarstroms ins Stromeinspeisungsgesetz perspektivisch möglich wird.

Mit freundlichen Grüßen!
Michaele Hustedt
 

Auf die drängendste Frage des offenen Briefs, warum sie vom ökologischen Nutzen der PV nicht überzeugt sei, hat Frau Hustedt nicht reagiert.