Durchleitung von Strom?
Wolf von Fabeck
Nach der europäischen Richtlinie für den gemeinsamen Strommarkt, die bis Februar 1999 umgesetzt sein sollte, müssen die Stromversorger ihre Geschäfte in abrechnungstechnischer Hinsicht aufteilen in Stromerzeugung und Netzbetrieb. Diese Entflechtung wird auch als "Unbundling" bezeichnet. Der Stromerzeuger stellt Strom her, der Netzbetreiber transportiert ihn - nach laienhafter Vorstellung ähnlich wie ein Spediteur - vom Kraftwerk zum Stromkunden. Die laienhafte Vorstellung wird durch das Wort "Durchleitung" noch unterstützt. Der Laie bewundert die organisatorische und technische Leistung des Netzbetreibers, den Strom vom Absender zum Empfänger zu bringen. Doch diese Vorstellung hat mit der Realität wenig gemein. Tatsächlich hat der Netzbetreiber kein Problem damit, den richtigen Strom jeweils dem richtigen Empfänger zukommen zu lassen, denn Strom unterscheidet sich nicht. Die Verhältnisse am Netz sind eher vergleichbar wie die an einem großen See mit vielen Zuflüssen und Abflüssen, oder ähnlich wie die am Bankschalter, wo auch niemand erwartet, daß er denselben Hunderter bekommt, den seine Großmutter für ihn persönlich in einer anderen Bank eingezahlt hat.
Aufgabe des Netzbetreibers ist es also nicht, die Elektronen vom Kraftwerk zur Steckdose zu transportieren. Doch hat der Netzbetreiber drei andere wichtige Aufgaben:
Zum ersten muß der Netzbetreiber das Stromnetz instandhalten und ggf. ausbauen. Zum zweiten muß er messen, wer wieviel Strom einspeist und wer wieviel Strom entnimmt. Und zum dritten ist der Netzbetreiber dafür verantwortlich, daß Spannung und Frequenz im Netz nicht von der vorgeschriebenen Norm abweichen.
Besonders die dritte Aufgabe hat es in sich. Der Netzbetreiber muß dafür sorgen, daß von allen Kraftwerken immer nur soviel Strom ins Netz eingespeist wird, wie von allen Verbrauchern zur gleichen Zeit entnommen, d.h. verbraucht wird. Wenn zuwenig eingespeist würde, würde die Spannung immer weiter absinken, die Lampen würden dunkler, die Maschinen würden langsamer laufen, Computer würden abstürzen... Wenn zuviel eingespeist würde, würde die Spannung ins Unerträgliche steigen, die Sicherungen würden durchbrennen und es könnte sogar zu Unglücksfällen aufgrund von Überspannung kommen.
Der Netzbetreiber hat deshalb das Recht, Einspeisungen in sein Netz zu verweigern, wenn die Gesamtheit der Kunden weniger Strom verbraucht als zur Einspeisung ansteht. Umgekehrt hat der Netzbetreiber die Pflicht, rasch zusätzliche Einspeisung zu veranlassen, wenn Mangel auftritt. Wenn ihm letzteres nicht gelingt, vielleicht weil ein großes Kraftwerk plötzlich ausfällt, hat er das Recht, weniger lebenswichtige Kunden vom Netz zu trennen, damit wenigstens die wichtigeren Kunden (z.B. Krankenhäuser) noch mit ausreichender Spannung versorgt werden.
Als Entgelt für die Durchführung der drei geschilderten Aufgaben steht dem Netzbetreiber eine Netzgebühr zu. Das Wort "Durchleitungsgebühr" sollte man besser nicht verwenden, da es gedanklich in die Irre führt.
In dem Artikel von Eva Spille auf Seite 20 (Solarbrief 1/99) werden Vorschläge angesprochen, wie die Höhe der Netzgebühr möglichst objektiv bemessen werden könnte.
Die Netzbetreiber stehen untereinander nicht im Wettbewerb, denn welcher Stromkunde kann sich schon einen anderen Netzbetreiber suchen? Somit ist der Netzbetreiber Monopolist. Es ist nach allgemeiner Lebenserfahrung damit zu rechnen, daß er ohne staatliche Kontrolle die Netzgebühr zu hoch ansetzen würde... Möglichkeiten, die Netzgebühr zu hoch anzusetzen, gibt es in großer Zahl. Hier sollen zwei angedeutet werden.
So ist schon die Frage des Erhaltungsaufwandes für ein bereits abgeschriebenes Netz eine Quelle endlosen Streites unter Fachleuten.
Eine andere Quelle überhöhter Mehreinnahmen ergibt sich aus der Tatsache, daß die Netzbetreiber in der Frage der Konstanthaltung von Spannung und Frequenz mit den verschiedenen Stromlieferanten, bzw. Kunden die Lieferung von vorher nicht eingeplantem "Reservestrom" getrennt abrechnen. Ein einfaches Beispiel soll zeigen, was gemeint ist. Wir gehen von einem Netz mit nur zwei Stromlieferanten aus.
Stromlieferant A versorge (mit Liefervertrag) die Kundengruppe a
Stromlieferant B versorge (mit Liefervertrag) die Kundengruppe b
Wenn die Kundengruppe a mehr verbraucht, als Stromlieferant A liefert, verlangt der Netzbetreiber einen extrem hohen Preis für den von ihm zu stellenden "Reservestrom" z.B. 1 DM/kWh.
Wenn zum gleichen Zeitraum der Stromlieferant B mehr liefert, als seine Kundengruppe b verbraucht, bekommt er für seine überschüssige Lieferung vom Netzbetreiber nur einen ‘Trostpreis’ von vielleicht 2 Pf/kWh für den angeblich nicht verwertbaren Überschußstrom. Doch Stromlieferant B weiß nicht, daß der von ihm gelieferte "Überschußstrom" sogleich für einen Aufschlag von 98 Pf/kWh, d.h. also für 1,- DM/kWh an die Kundengruppe a weiterverkauft wird.
Obwohl der Stromverbrauch a plus b genau von der Lieferung A plus B befriedigt wird, erzielt der Netzbetreiber im dargestellten Beispiel einen ungerechtfertigten Mehrgewinn von 98 Pf/kWh.
Aus historischen Gründen beziehen fast alle Stromkunden ihren Strom von einem Stromerzeuger, der zum selben Konzern gehört wie der Netzbetreiber. Gegenüber der bisherigen Abrechnung ändert sich für sie nichts, allenfalls finden sie zukünftig eine Aufteilung der Endsumme in Stromerzeugungskosten und Netzgebühr. Die Aufteilung interessiert sie dabei kaum.
Stromkunden jedoch, die ihren Stromerzeuger wechseln wollen, interessieren sich sehr für die Höhe der Netzgebühr, denn sie müssen sie zusätzlich zu den neuen Stromerzeugerkosten des neuen Stromerzeugers weiter an ihren (nicht auswechselbaren) Netzbetreiber zahlen. Möglicherweise verteuert die Netzgebühr den Strom so weit, daß der Wechsel des Stromlieferanten sich nicht lohnt.
Zwar ist der Netzbetreiber verpflichtet, die Netzgebühr diskriminierungsfrei (ohne Rücksicht darauf, wer den Strom liefert) für alle gleich zu berechnen, doch fehlt bisher jede Kontrollmöglichkeit.
Aber gehen wir einmal davon aus, daß das Wunder geschieht. Gehen wir davon aus, daß die Netzgebühren wirklich für alle Stromkunden gleich seien, dann ergibt sich der günstigere oder ungünstigere Gesamtstrompreis für jeden Kunden einzig aus den Unterschieden in den Erzeugungskosten.
Für die Freunde der erneuerbaren Energien, die auf den freien Strommarkt gehen wollen, ist diese Erkenntnis desillusionierend. Es ist eine vergebliche Hoffnung, daß bei fairen (d.h. gleichen) Netzgebühren die erneuerbaren Energien im freien Strommarkt auch nur die geringste Chance hätten. Wenn die Netzgebühren wirklich fair berechnet werden, wird jeder Strom billiger, auch der aus konventionellen Kraftwerken. Und noch auf lange Sicht ist nun einmal Strom aus abgeschriebenen Kohle- und Atomkraftwerken mit 4 Pf/kWh unschlagbar billig gegenüber 16 Pf/kWh für Wind- oder 176 Pf/kWh für Solarstrom.
Eine Sonderregelung des Netzzugangs für die Erneuerbaren, wie er zur Zeit von einigen Grünen angedacht wird, würde auch nichts helfen. Nehmen wir an, durch Rechtsverordnung würde die Netzgebühr für die Erneuerbaren auf 8 Pf/kWh festgesetzt. Entweder ist dieser Wert berechtigt, dann werden im Konkurrenzkampf die Lieferanten von Kohle- und Atomstrom diese Netzgebühr auch für sich durchsetzen und der Vorteil für die Erneuerbaren wäre dahin. Oder aber der Wert ist zu niedrig, dann wird der Netzbetreiber beim Bundesverfassungsgericht wegen Verstoßes gegen die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes klagen.
Eine weitere, leider vergebliche, Hoffnung ist die auf die billige Wasserkraft, die im Mix mit den anderen erneuerbaren Energien den Preis drücken soll. Dazu finden Sie einen gesonderten Beitrag auf Seite 13.