Sind gestrandete Kosten vermeidbar?
Volkswirtschaftliche Vorteile der modularen Stromerzeugung mit regenerativen EnergienVon Raphael Edinger
Der Autor: Dipl.oec.Raphael Edinger, Doktorand am Institut für Konsumökonomik der Universität Hohenheim, verbrachte 1997 ein Forschungsjahr am Center for Energy and Environmental Studies, Boston University, Boston, Massachusetts, und am Rocky Mountain Institute, Snowmass, Colorado, USA.
Deutschland ist mit dem neuen Energierecht auf dem Weg zu einem liberalisierten Strommarkt. In den Vereinigten Staaten konnten Energieversorger gestrandete Kosten in Milliardenhöhe geltend machen und auf Konsumenten abwälzen. Modulare Stromerzeugungstechnologien, regenerative Energien und eine vorausschauende Energiepolitik können helfen, Investitionen beim Übergang zu einem deregulierten Stromsektor nicht ökonomisch unrentabel werden zu lassen.
Gestrandete Kosten
Auf dem Weg zu einem liberalisierten Energiemarkt verändern sich die ökonomischen Rahmenbedingungen für Investitionsentscheidungen der Stromversorgungsunternehmen. Anlagen, die bislang wirtschaftlich betrieben wurden, können unter einsetzendem Wettbewerb innerhalb kürzester Zeit obsolet werden. So hätten Newcomer gegenüber den etablierten Marktteilnehmern einen Wettbewerbsvorteil, da sie neue, hocheffiziente und kostengünstige Technologien einsetzen könnten und nicht an Investitionsentscheidungen gebunden sind, die in einem regulierten Umfeld getroffen wurden. Da Investitionen in einem regulierten Markt auf der Basis von legislativen Vorschriften vorgenommen wurden, fordern etwa die US-amerikanischen Stromkonzerne die angefallenen Kosten unrentabler Großkraftwerke von den Konsumenten ein.
Was sind gestrandete Kosten ?In der Zeit der Monopolstellung hat die Energiewirtschaft langfristige Investitionen getätigt, da die Erbauung von Großkraftwerken den meisten Gewinn versprach. Jetzt, da sich in einem freien Wettbewerb Flexibilität auszahlt, sind die hohen Investitionskosten in "den Sand gesetzt", gestrandet.
Gefährdete und zukunftsfähige Technologien
Zentrale konventionelle Kraftwerke müssen sich in einem liberalisierten Markt gegen die Konkurrenz neuer Technologien behaupten. Insbesondere hocheffiziente Gasturbinen haben hier einen Wettbewerbsvorteil, da sie durch niedrige Brennstoffkosten wirtschaftlich betrieben werden können und aufgrund ihres modularen Charakters innerhalb kurzer Zeit in fast beliebiger Größe errichtet werden können. Mit modularen Technologien und kurzen Konstruktionszeiten läßt sich so in dem erwarteten dynamischen Strommarkt sehr viel genauer der aktuellen Nachfrage entsprechen und Elektrizität nahe am Endverbraucher bereitstellen.
Interessant ist in Deutschland in diesem Zusammenhang die politische Diskussion über die Zukunft der Kernenergie. Der de-facto Ausstieg der USA aus der Kernkraft hatte weniger ökologische als vielmehr handfeste ökonomische Gründe.
In einem liberalisierten Markt sind modulare Technologien weit kostengünstiger zu errichten und zu betreiben als zentralen Kernkraftwerke. Deutschland wird auch durch preiswerte Gasimporte aus Rußland in naher Zukunft seine Stromgestehungskosten für Gaskraftwerke sehr niedrig halten können. Weiterhin bedeutet ja ein liberalisierter Markt, daß nicht länger der Staat, sondern jedes einzelne Unternehmen die Risiken der eingesetzten Produktionsmethoden selbst tragen muß.
Wettbewerbsvorteile erneuerbarer Energien
Für regenerative Energien wie Solar-, Wind- und Wasserkraft gelten ebenfalls die oben angesprochenen Modularitätsvorteile. Solar- und Windanlagen lassen sich in kleinen Kapazitätsgrößen installieren und somit nach der aktuellen Marktnachfrage ausrichten.
Marktumfragen haben gezeigt, daß bei vielen Verbrauchern eine potentielle Nachfrage nach umweltfreundlichem Strom besteht. In einem liberalen Strommarkt lassen sich regenerative Energien als besonders umweltfreundlich vermarkten und so eher langfristige Verträge direkt mit Endabnehmern abschließen, wodurch sich das Risiko gestrandeter Kosten weiter verringert. Höhere Strompreise für "Grünen Strom" entlasten die regenerative Energieerzeugung auch etwas vom zu erwartenden Kostendruck in der liberalisierten Energiewirtschaft.
Die Planungs- und Konstruktionszeit für zentrale Großkraftwerke kann sich über Jahre oder Jahrzehnte erstrecken. In einem dynamischen, deregulierten Strommarkt sind derart lange Planungszeiten aber einem hohen Risiko ausgesetzt, da mit einer unsicheren zukünftigen Nachfrage für den einzelnen Energieversorger sowie mit schnellen technologischen Neuerungen zu rechnen ist. Daher sind flexible Technologien ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. Kleine regenerative Stromerzeugungstechnologien haben hier ökonomische Vorteile, die sich bislang von den vorherrschenden Investitionsrechnungen der Elektrizitätsindustrie nicht erfassen lassen. Vor allem Solaranlagen lassen sich mit geringem Aufwand schnell errichten und auch wieder abbauen, anschließend weiterveräußern und an einer anderen Stelle und Verwendung wieder errichten. Diese Reversibilität modularer Technologien sollte bei einer Investitionsentscheidung quantifiziert und berücksichtigt werden.
Sind gestrandete Kosten für Deutschland relevant?
Vor dem Hintergrund hoher finanzieller Rückstellungen der deutschen Elektrizitätsindustrie sehen Analysten bislang wenig politischen Handlungsbedarf. Grundsätzlich ist aber die Situation bei uns nicht anders als in den USA.
Investitionen in Großkraftwerke wurden bis zuletzt getätigt und müssen über die nächsten Jahre über Kundentarife wieder umgesetzt werden. |
Es ist auch damit zu rechnen, daß bei einsetzendem Wettbewerb zahlreiche Großkraftwerke lange vor ihrer technischen und vorgesehenen ökonomischen Lebenszeit abgeschaltet und durch neue Technologien ersetzt werden. Mit einem frühzeitigen Übergang zu modularen und auch regenerativen Technologien hätte diese Übergangsphase optimiert und die volkswirtschaftlichen Verluste minimiert werden können.
Eine Chance für kleine Stadtwerke
Um wettbewerbsfähig zu bleiben oder zu werden, strengen deutsche Energieversorger nach amerikanischem Vorbild Fusionen an, um durch Größenvorteile zu geringen Produktionskosten zu gelangen. Mit der Überlegung, gestrandete Kosten auf die Stromverbraucher abwälzen zu können, sehen sich große Energiekonzerne auch keinem besonderen Risiko ausgesetzt. Würde die Politik rechtzeitig und nachdrücklich die Umlegung gestrandeter Kosten mit einem nachvollziehbaren, verbindlichen Deregulierungsfahrplan untersagen, so könnten sich manche Unternehmenszusammenschlüsse als unrentabel herausstellen.
Auch kleine Stadtwerke suchen ihr wirtschaftliches Überleben oft im Zusammenschluß mit einem größeren Partner. Dabei haben vor allem diese kleinen Energieversorger einen wichtigen Wettbewerbsvorteil, der strategisch genutzt werden sollte. Einerseits haben kleine Elektrizitätswerke in der Regel nicht mit hohen gestrandeten Kosten etwa aus Atomkraftwerken zu rechnen. Andererseits haben sie häufig Zugang zu regenerativen und somit leicht zu vermarktenden lokalen Energiequellen, wie beispielsweise kleinen Wasserkraftwerken oder die Nutzung der privaten Dächer für die Solarstromproduktion. Ihre Kundennähe und der Einsatz erneuerbarer Energietechnologien nahe am Verbraucher sind für kleine kommunale Energieversorger ein wertvoller strategischer Wettbewerbsvorteil. So läßt sich in einem liberalisierten Markt mit umweltfreundlicher Stromerzeugung und herausragendem Vor-Ort-Service Qualitätsstrom zu guten Preisen vermarkten und langfristige Kundenbindungen eingehen.
Die Umlegung gestrandeter Kosten ist nicht gerechtfertigt
Nur bei überraschenden Marktveränderungen kann die Überwälzung gestrandeter Kosten auf die Endverbraucher angemessen sein. Da modulare Technologien aber bereits seit Jahren auf dem Markt verfügbar und die Liberalisierung des deutschen Stromsektors nach Entwicklungen im europäischen und US-amerikanischen Umfeld absehbar war, sind die Voraussetzungen für die Umlegung nicht gegeben. Vielmehr festigt die politische Bestätigung gestrandeter Kosten die Vorherrschaft etablierter Großunternehmen und benachteiligt die Wirtschaftlichkeit kleiner Stromversorger und Newcomer, die durch kleinere Anlagen bislang höhere Kosten hatten oder den Wettbewerbsvorteil neuer Technologien einbüßen.
Es ist zu erwarten, daß bei einsetzendem Wettbewerb auch in Deutschland die Forderung nach der Überwälzung gestrandeter Kosten laut wird. Um neuen Wettbewerbern faire Startchancen zu geben und die Vorteile kleiner Stromgeneratoren zu sichern, die erneuerbare Energien nutzen, muß die Politik hier aber rechtzeitig restriktive Leitlinien vorgeben.
Sowohl Stromkunden als auch Steuerzahler müssen von der Bürde verfehlter Investitionsentscheidungen in Milliardenhöhe geschützt werden. |