Ein paar Schweizer haben ein echtes Erfolgskonzept auf den Weg gebracht: Selbstbau-Genossenschaften. Durch sie übernehmen Hauseigentümer:innen den Aufbau ihrer PV-Anlage selbst – mit fachlicher Unterstützung. Das macht die PV-Anlagen nicht nur günstiger, es wirkt auch dem Fachkräftemangel der Solarbranche entgegen und stärkt Gemeinsinn und Energiewendebezug. Genug Gründe, um sich das Konzept genauer anzuschauen.

Die Idee der Selbstbaugenossenschaften für Solaranlagen kam Syril Eberhart bereits 2011. Die dezentrale Energiewende war in der Schweiz ins Stocken geraten, ähnlich wie in Deutschland. Zwar wurde 2009 erstmals eine kostendeckende Einspeisevergütung für Solaranlagen eingeführt, wodurch sich die damals noch sehr teuren Solaranlagen endlich rentierten. Allerdings waren der Ausbau viel zu niedrig kontingentiert und die Fördertöpfe bald leer, sodass sich extrem lange Wartelisten bildeten und der Solarausbau stagnierte. Zudem war vielen Eigentümer:innen die Amortisationszeit der Anlagen trotz Förderung zu lang. Syril, ausgebildeter Elektroingenieur aus Spiez, wollte diesem Trend mit einem neuen Modell etwas entgegensetzen. Das Ziel: die Energiewende sollte endlich wieder Fahrt aufnehmen, und Solaranlagen sich nicht erst nach 15 bis 20 Jahren wirtschaftlich rentieren, sondern bereits nach 10 Jahren.

 

Fast die gesamte Schweiz durch Selbstbaugenossenschaften abgedeckt

 

Im Jahr 2013 wurde dann die erste Selbstbau-Energiewendegenossenschaft in Bern gegründet – als Pilotprojekt. Die Ungewissheit, ob sich für das Selbstbau-Projekt genügend Interessierte finden würden, die beim Aufbau der Solaranlage anpacken wollen, war schnell ausgeräumt: bei der ersten Vorstellung gab es bereits 80 Anfragen, 40 davon mit Offerte.

Die Bilanz bis heute kann sich sehen lassen: da die Genossenschaft Bern bald auch Anfragen über die Kantonsgrenze hinaus bekam, wurden über die Jahre dezentral in der ganzen Schweiz neue Selbstbaugenossenschaften gegründet. So zum Beispiel durch Pascal Städeli, Ingenieur für Energie-  und Umwelttechnik 2018 in Basel. Die dezentrale Struktur ist den Gründern wichtig: die Selbstbaugenossenschaften sollen lokal verankert sein. Heute wird fast jede Region von einer der Selbstbau-Genossenschaften abgedeckt: 12 Stück sind es an der Zahl, lediglich 3 Regionen fehlen noch: das Tessin, Genf und Lausanne, hier befinden sich weitere Genossenschaften im Aufbau. Mittlerweile sind die Genossenschaften zudem im Dachverband für unabhängige Energieerzeuger VESE organisiert, welche die Selbstbaugruppen unterstützen.

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Gemeinsam konnten seit 2014 über 650 PV-Anlagen mit knapp 8 MWp installiert werden, der Jahresumsatz beträgt beachtliche 3 Millionen CHF.  Noch beeindruckender ist, dass etwa 650 Schweizer Bürger:innen am Aufbau der Anlagen beteiligt waren. Und diese Erfahrung spricht sich herum:  Der gemeinschaftliche Selbstbau und das Genossenschaftsprinzip eröffnen Möglichkeiten der Mund-zu-Mund-Propaganda. Dies führt bis heute dazu, dass die Genossenschaften mehr Nachfragen haben, als sie umsetzen können und beispielsweise nie in Werbung investieren mussten.

Prinzip Selbstbau plus Genossenschaft

 

Worin sich das Selbstbauprinzip von einer “normalen” Installation einer Solaranlage unterscheidet, ist schnell erklärt. Normalerweise läuft der Kauf einer PV-Anlage so ab: Interessierte beauftragen ein Solarinstallationsunternehmen – je nach Fachkräftemangel vor Ort muss mit einigen Wochen Wartezeit gerechnet werden. Das Unternehmen plant dann die Anlage, macht eine Ortsbesichtigung und erstellt ein Angebot. Module, Wechselrichter, Batterien und Konstruktionsmaterial etc. werden bestellt und zum Haus geliefert. Dort wird die Anlage montiert und letztlich durch eine:n Elektroinstallateur:in in Betrieb genommen.

Bei den Schweizer Selbstbaugenossenschaften ändert sich an diesem Vorgehen nicht viel: die Genossenschaft übernimmt mit teils eigens ausgebildeten, selbstständigen Planer:innen die Projektleitung und Planung der Anlage. Das Material wird über die Genossenschaft eingekauft. Erst bei der Montage kommt der Selbstbau zum Zug: hier übernehmen die Hauseigentümer:innen das Zepter – unter fachkompetenter Anleitung und gemeinsam mit anderen Genossenschaftsmitgliedern. Durchschnittlich kommt bei der Montage ein:e Bauleiter:in auf 2-3 Eigentümer:innen oder andere Selbstbauer:innen, die mithelfen. Die Dachabsicherung oder der Gerüstbau werden dabei vorab von Profis durchgeführt. Die Inbetriebnahme machen dann die Solarplaner der Genossenschaft, welche eine eingeschränkte Installationsbewilligung haben. Nur der wechselstromseitige Anschluss wird von Elektriker:innen gemacht. Die Montage funktioniert nach einem sogenannten Stundentausch-Modell. Die Stunden, welche andere Helfer:innen, zum Beispiel ehemalige Kund:innen, auf dem eigenen Dach helfen, diese Stunden müssen bei nachfolgenden Kund:innen wieder abverdient werden.

Das Ganze ist für jedermann und -frau geeignet. Die Kenntnisse, die es für den Zusammenbau eines IKEA-Möbels braucht, genügen!

Homepage Selbstbau.ch

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Solaranlage bis zu 30 Prozent günstiger

 

Die wirtschaftlichen Vorteile des genossenschaftlichen Selbstbaus liegen auf der Hand: Durch das Prinzip Selbstbau entfallen große Teile der Lohnkosten auf die Montage. Früher stellten die Materialkosten den ausschlaggebenden Kostenfaktor für PV-Anlagen dar, heute sind die Preise für die Module und Komponenten aber so stark gefallen, dass die Montage fast ein Drittel der Kosten ausmacht.

Dazu arbeiten die Genossenschaften weder wachstums- noch profitorientiert. Die Marge auf den Materialeinkauf fällt deswegen wesentlich geringer aus: während Unternehmen eine Marge von 20-30 % erheben müssen, um sich zu finanzieren, setzt die Genossenschaft nur 5-10 % an. Dazu kommt, dass die Genossenschaft im Vergleich zu kleinen Installateuren ohne Lagermöglichkeiten beim Einkauf etwas mehr Rabatt erhalten, weil größere Mengen eingekauft und umgesetzt werden. Versicherungskosten für den Bau, die Löhne der Angestellten inklusive Sozialabgaben und MwSt. müssen natürlich dennoch bezahlt werden.

In Summe verringert sich der Gesamtpreis der Anlagen trotzdem um etwa ein Drittel. Inklusive der Schweizerischen EIV (Einmalvergütung), welche 2013 eingeführt wurde und bis zu 30% der Anlagenkosten abdeckt, refinanziert sich eine Selbstbau-Solaranlage in der Schweiz nach durchschnittlich 8-10 Jahren. Je nach Standort der Solaranlage geht es noch wesentlich schneller, da der Einspeisepreis von den lokalen Elektrizitätswerken abhängt. An “guten” Standorten in der Schweiz erhält man 20 Rappen (also ca. 18 cent) pro eingespeiste Kilowattstunde, an “schlechten” nur 4 Rappen.

Den Genossenschaftlern geht es allerdings nicht um ein „Race to the Bottom“ auf dem PV-Markt - in erster Linie steht die Energiewende im Fokus. Die Unterschiede werden schon in der Projektplanung sichtbar. Konventionelle Installateure empfehlen oft Anlagen, die auf den Eigenverbrauch optimiert sind - das hat die Konsequenz, dass Dachflächen nicht vollständig genutzt werden, sondern nur entsprechend der optimalen Größe für den Eigenverbrauch. Für die Energiewende ist das natürlich nicht hilfreich. Die Selbstbau-Genossenschaften beraten hingegen für einen größtmöglichen Ausbau von Photovoltaik, mit dem Ziel, so viel Strom erneuerbar zu produzieren, wie die Dächer hergeben. Auch wirtschaftlich rechnet sich das, da der Aufpreis für eine beispielsweise doppelt so große Anlage als für den Eigenverbrauch optimiert, niemals doppelt so hoch ist, sondern je nach Anlagengröße wesentlich geringer ausfällt. Die Genossenschaften haben die Erfahrung gemacht, dass die zusätzliche Investition, das gesamte Dach mit PV auszustatten, bei der Selbstbaugenossenschaft pro Kilowattstunde nur etwa 3-4 Rappen kostet. Unabhängig vom Standort und dem jeweiligen Einspeisepreis des Elektrizitätswerkes  lohnt es sich demnach immer, die Dachfläche voll auszunutzen.

Vordergründig geht es nicht um Profit, sondern die Energiewende. Es wird immer für eine Energiewende beraten.

Syril Eberhard

Gründer der ersten Selbstbaugenossenschaft

Darüber hinaus wissen Pascal Städeli und Syril Eberhart, dass professionelle Installateure ungern Anlagen für Einfamilienhäuser bauen, weil es viel Aufwand für kleinen Umsatz bedeutet - im Vergleich zu größeren Megawatt-Anlagen. Zudem wollen die meisten Solarteur:innen überhaupt keine Leute aufs Dach lassen: wenn etwas passiert, ruiniert es das Unternehmen. So schließen die Selbstbaugenossenschaften eine Lücke: sie übernehmen die Einfamilienhäuser und lassen die Bauherren mitarbeiten.

Vorzüge des Selbstbau-Genossenschaftsprinzip

 

Die Idee des Selbstbaus bringt aber noch weitere positive Nebeneffekte: es fördert die Gemeinschaftsbildung und erhöht den persönlichen Bezug zur Energiewende. Die Leute lernen, wie die eigene Anlage funktioniert, und durch die gemeinschaftliche Montage entsteht meistens ein reger Austausch mit anderen Anlagenbesitzenden: wer produziert wie viel Strom, mit welcher Technik etc. Aus der Bottom-Up Bewegung ist dadurch ein richtiges Netzwerk entstanden. Außerdem wird der Aufbau der PV-Anlage zu einem fototauglichen Erlebnis - die Energiewende wird quasi selbst in die Hand genommen. Dass dieses Konzept für Begeisterung sorgt, zeigt sich auch darin, dass immer mehr Leute für die eigene PV-Anlage aufs Dach steigen möchten. Durch die Mitgliedschaft in der Genossenschaft wird zudem mehr Werbung gemacht, als wenn eine Anlage von einer GmbH aufs Dach gesetzt wird. Bei einer GmbH identifizieren sich die Anlagenbesitzer:innen im Anschluss nicht mehr mit dem Unternehmen. Das ist bei der Genossenschaft anders.

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Trotz anfänglicher Zweifel, beim Aufbau der Solaranlagen mit „Laien“ zusammen zu arbeiten, ist das Selbstbau-Prinzip für PV-Anlagen in der Schweiz mittlerweile längst etabliert. Die Genossenschaften haben so ein großes Netzwerk zum Informationsaustausch, dass sie bezogen auf politische oder rechtliche Änderungen und technische Gegebenheiten oft besser aufgestellt sind als eine normale Firma. Über den Verband VESE werden zusätzlich Treffen abgehalten, und Webinare oder Schulungen angeboten. Dazu gibt es seit ein paar Jahren das Handbuch „PV Selbstbau“, welches ebenfalls von VESE herausgegeben wird, ein Selbstbau-Wiki auf der Homepage und ein ziemlich beindruckendes Online-Tool für Richtpreisofferten: Hier kann das eigene Dach virtuell ausgewählt und die potenzielle PV-Dachfläche, Anlagenleistung, jährliche Solarstromproduktion, Einsparungen und Amortisationszeit berechnet werden.

Die Hoffnung, durch den Selbstbau auch dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist allerdings nur teilweise aufgegangen. Der Andrang bei den Genossenschaften ist so hoch, dass die Selbstbauer selbst Engpässe haben, insbesondere auf der Planungsseite. Deswegen haben einige Genossenschaften begonnen, Kurse für PV-Planung und Projektleitung anzubieten. Hier arbeitet jede Genossenschaft etwas anders, in Basel gibt es beispielsweise einen zwei- dreitägigen Kurs, und dazu müssen drei Projekte begleitet werden, um selbstständige:r Projektleiter:in zu werden.

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Ein Konzept auch für Deutschland?

 

Spätestens seitdem Syril Eberhart 2018 mit dem Stromrebellen-Preis der Elektrizitätswerke Schönau ausgezeichnet wurde, werden Optionen für Selbstbau-PV auch in Deutschland besprochen. In Bremen, Hagen und Kassel gibt es mittlerweile Selbstbaugemeinschaften, die allerdings alle mit unterschiedlichen Umsetzungskonzepten arbeiten. Der Bremer Solidarstrom nutzt ein ähnliches Modell wie in der Schweiz, in Hagen arbeitet die BEG-58 mit einem Pool an ehrenamtlichen Solarmonteur:innen, in Kassel organisiert der solocal Energie e.V. den Selbstbau nach dem Prinzip einer Solidarischen Landwirtschaft. So richtig durchgestartet und institutionalisiert ist der Selbstbau in Deutschland aber noch nicht.

Wir denken, da ist noch Luft nach oben. Auch wenn sich Deutschland bezüglich der PV-Förderungen und Einspeisevergütungen für Solaranlagen von der Schweiz unterscheidet, halten wir das Konzept des Selbstbaus für vielversprechend. Nicht nur wegen der verbesserten Wirtschaftlichkeit der Anlagen, sondern auch, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Außerdem haben die Schweizer gute Vorarbeit geleistet, stehen für Fragen unterstützend zur Seite und der Blick in das Handbuch lohnt sich trotz der unterschiedlichen Rahmenbedingungen in jedem Fall.

Wir planen, auch weiterhin über Selbstbaugemeinschaften zu berichten, um dieses vielversprechende Engagement für die Energiewende öffentlich zu machen. Wenn Sie von einer solchen Initiative wissen oder selbst eine planen, melden Sie sich gern bei uns. Wir sammeln Informationen und wollen dazu beitragen, Menschen zu verbinden. 

 

Danke an Syril Eberhart und Pascal Staedeli, die uns für das Portrait Frage und Antwort gestanden haben!

Weitere Infos: 

 

  • Handbuch Selbstbau PV zum Download
  • Homepage der Schweizer Selbstbau-Genossenschaften
  • Karte mit Links zu Deutschen Selbstbau-Gruppen