Der RWE-Konzern zerstört weiter – trotz Kohleausstieg
Über die Kumpanei zwischen dem Braunkohlekonzern RWE und der Genehmigungsbehörde bei der Bezirksregierung Arnsberg, über die aktuellen Klimakämpfe an den Braunkohletagebauen Hambach und Garzweiler, und über die Einschätzung von Partizipationsangeboten für Akteure der Zivilgesellschaft sprachen wir mit Antje Grothus in ihrem Wohnort Kerpen-Buir. Grothus ist bei diesen Themen eine Kapazität – von ihrem Engagement für die Rettung des Hambacher Waldes in der Initiative „Buirer für Buir“, über ihre Beteiligung an der „Kohlekommission“ im Jahre 2019 bis hin zu ihrer Arbeit für die Klima-Allianz, die sie erst kürzlich beendete. – Zur Zeit kandidiert sie für die Grünen bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl.
Das Interview führte am 18.3.2022 Rüdiger Haude.
Antje Grothus in ihrem Garten in Kerpen-Buir. Foto: Rüdiger Haude
SFV: Vor ein paar Wochen gab es eine Razzia bei Mitarbeitern eines RWE-Subunternehmens und Mitarbeitern der Bezirksregierung Arnsberg. Da ging es um die Hochwasser-Katastrophe, und das Verschwinden eines Teils von Erftstadt-Blessem.[1] Wie schätzt du das ein: Welche Rückschlüsse kann man aus diesem Zusammenhang auf den Braunkohletagebau ziehen, wo ja die gleichen Akteure zusammenkommen?
Antje Grothus: Zunächst, möchte ich sagen, gilt für jeden immer die Unschuldsvermutung. Das ist ja auch in unseren Zusammenhängen immer ganz wichtig! Aber es gibt einen wirklich begründeten Verdacht, dass das Ganze unrechtmäßig zugegangen ist, sonst hätten ja keine Hausdurchsuchungen stattgefunden. Ich war ja mehrfach in Blessem und auch an dieser Grube, habe auch mit dem technischen Beigeordneten von Erftstadt gesprochen, habe mir auch selber Kartenmaterial angeschaut. Da war eindeutig zu sehen, dass an diesem sogenannten Hochwasserschutz schon Risse waren.
Das ist etwas, was ich schon seit Jahren kritisiere: Alle Anträge, die bergbautreibende Unternehmen beim Bergamt stellen, werden einfach nicht ordentlich geprüft, sondern meist eher durchgewunken. Meine Forderung ist da eindeutig: Das Bergamt muss wieder eine Aufsichts- und Überwachungsbehörde werden und kann keine Durchwinkbehörde bleiben.
Wir haben das auch zum Beispiel hier beobachtet, als im Dezember 2021 der Hauptbetriebsplan 2022-2024 für den Tagebau Hambach genehmigt wurde, dass der noch nicht mal offengelegt wurde; dass es keine Beteiligung gab, noch nicht mal die Bezirksregierung war informiert, und auch nicht die Kommunen. Meiner Meinung nach muss nicht nur das Bergrecht, sondern auch das Bergamt dringend reformiert werden.
Das andere ist, dass es nicht sein kann, dass der Hochwasserschutz – das ist ja auch eine Art Klimawandelfolgen-Anpassung – mit Füßen getreten wird. Da müssen sich auf jeden Fall die Prioritäten verändern, d.h. der Schutz vor Klimawandelfolgen, der Schutz von Menschen und ihrem Zuhause muss auf jeden Fall über den wirtschaftlichen Interessen von bergbautreibenden Unternehmen, und auch von Kiesgrubenbetreibern, stehen.
SFV: Glaubst du, dass die bergrechtliche Abteilung der Bezirksregierung Arnsberg reformierbar ist? Oder muss man da ganz neu aufbauen?
Grothus: Eine sehr provokante, aber sehr gute Frage! Ich glaube, unabhängig von politischen Mehrheiten ist es so, dass viel Veränderungslust und -willen und -bedarf scheitern wird an den Strukturen, die wir in Nordrhein-Westfalen haben.
Da sehe ich eine riesengroße Herausforderung, dass da in diesem Bergamt diese Menschen sitzen, die das schon jahrelang so gemacht haben und das auch weiter so machen werden. Und das ist natürlich ein Problem. Das sind Beamte, und da ist die Frage: Wie reformiert man ein solches Amt, das jahrelang, um nicht zu sagen, jahrzehntelang so gearbeitet hat – immer Hand in Hand mit den bergbautreibenden Unternehmen, und oft die Interessen von Natur, von Menschen, von Klimaschutz gar nicht berücksichtigt hat? Ich denke: Einen Versuch ist es immer wert, diese Strukturen zu verändern, und wir brauchen das auch dringend, um zukunftsfähig zu werden. Ob das machbar ist … es wird schwer!
SFV: Die nächste Frage führt hier in das nähere Umfeld von Buir. Hier ist der Hambacher Wald vor der Tür. Und es ist auch noch nicht so lange her, dass das Bochheimer Wäldchen[2] zerstört worden ist, weil es eine gültige Genehmigung dafür gab. Wie würdest du diese Aktion von RWE in der allgemeinen energiepolitischen Landschaft einordnen?
Das rheinische Braunkohlerevier mit den drei aktiven Tagebauen Inden, Hambach und Garzweiler. CC BY-SA 2.0 Thomas Römer, verändert durch SFV.
Grothus: Du meinst, nicht nur in der allgemeinen, sondern auch in der aktuellen, oder? Wir müssen ja auch die geopolitische Krise durchaus betrachten …
SFV: Die können wir nicht ausblenden. Aber auch unabhängig davon würde mich das interessieren.
Grothus: Bevor ich auf die Frage antworte, möchte ich noch etwas zu der vorigen Frage ergänzen: die Zusammenhänge zwischen der Flutkatastrophe und meinem langjährigen Engagement für Klimaschutz. Diese Flutkatastrophe hat vor unserer Haustür stattgefunden, Bisher waren die Katastrophen infolge der Klimakrise meist eher weiter weg, im globalen Süden. Wir kennen die Zusammenhänge; andere Menschen kennen die nicht so. Und es ist für mich noch mal eine ganz große Motivation, dass wir an dem richtigen Thema arbeiten, nämlich an der Bekämpfung der Klimakrise, um Menschen und das Zuhause von Menschen und ihre Lebensgrundlagen zu schützen.
Um jetzt auf deine Frage zurückzukommen: Das Thema Bochheimer Wäldchen hängt auch eng mit meiner Antwort auf die erste Frage zusammen. Das Abholzen des Bochheimer Wäldchens war ja nur möglich, weil das Bergamt eben einen neuen Hauptbetriebsplan durchgewunken hat. Das Ganze konnte passieren im Schatten des großen (und sehr wichtigen) Fokus auf Lützerath.[3] Dort wurden massiv Strukturen aufgebaut, es gibt viele tolle Baumbesetzungen; es gibt rund um Eckart Heukamp, den letzten verbliebenen Landwirt von Lützerath, sehr viele solidarische Menschen, die ihn in seinem Willen unterstützen, dort zu bleiben. Ich persönlich finde es auch unheimlich wichtig, dass nach dem Fokus auf dem Hambacher Wald im Jahr 2018 und ‘19 jetzt endlich der Fokus auch auf die Dörfer gelegt wird. Denn wir wollen ja nicht nur Wald und Ökosysteme erhalten, sondern auch das Zuhause von Menschen und die landwirtschaftlichen Flächen. Aber im Schatten dessen konnte diese Abholzung passieren. Auch da muss ich leider wieder die Berichterstattung der Medien hier in unserer Region kritisieren: Es gab ja Bilder, Fotos und auch ein Video von diesen Abholzarbeiten; aber was dann hier in der regionalen Presselandschaft gezeigt wurde, waren nur irgendwelche Rückschnittarbeiten von RWE an einer Landstraße, die ebenfalls im Zuge dessen gesperrt wurde. Ich war sehr traurig darüber. Ich persönlich habe extrem viel versucht, um die Abholzung dieses Wäldchens zu verhindern. Ich habe versucht, Gespräche mit RWE zu führen und habe auch das Wirtschaftsministerium und Wirtschaftsminister Prof. Pinkwart darum gebeten, noch einmal über das Bochheimer Wäldchen zu sprechen und noch einmal in die Diskussion mit dem Bergamt und mit RWE zu gehen. Wir haben auch versucht, zusammen mit Michael [Zobel][4] und unseren Netzwerken, öffentlichkeitswirksame Aktionen zu machen – Waldspaziergänge, rote Linien – sind aber leider mit allem nicht durchgedrungen.
Ich glaube, die einzigen Skills, die mir und anderen gefehlt haben, um das Bochheimer Wäldchen vielleicht zu erhalten, waren: Bäume zu besetzen. Das hat noch mal gezeigt, welche Relevanz es hat, als Besetzer:in und Waldschützer:in auf so einem Baum zu sitzen, damit er nicht gefällt werden kann. Ganz ehrlich: Das ist mir da noch mal sehr bewusst geworden. Letzten Endes waren es dann noch Dirk Jansen vom BUND[5] und ich, die da hingefahren sind und versucht haben, das noch zu dokumentieren. Wir kamen an, und da fielen gerade die letzten Bäume. Ich finde das sehr tragisch: Das ist zu einem Zeitpunkt passiert, den ich völlig unnötig fand. Und auch noch aus einem anderen Grund. Prof. Schellnhuber hat mal gesagt: Die Ökosysteme sind unsere mächtigsten Freunde im Kampf gegen die Klimakrise, weil es alles natürliche Senken sind. Wenn wir die jetzt auch noch vernichten, dann ist das so etwas wie doppelter Selbstmord. – Also: Kohle zu verheizen einerseits, und noch dafür Wälder zu zerstören. Und das zeigt eigentlich den ganzen Irrsinn, gegen den wir hier schon seit Jahrzehnten kämpfen.
SFV: Was mir jetzt noch fehlt, ist eine Einschätzung der Motivation von RWE, das zu machen. Ist es so, dass es auch symbolische Aktionen sind? Dass RWE zeigen will, was sie können; wer tatsächlich die Macht hat? Ich war gestern noch in Lützerath; sie haben jetzt wirklich, geschätzt, näher als 80 Meter an den Hof von Eckard Heukamp herangebaggert. Ich habe den Verdacht, dass das aus betrieblichen Gründen gar nicht nötig ist; ebenso wenig wie beim Bochheimer Wäldchen. Wie schätzt du das ein? Warum machen die das?
Grothus: Ich befürchte, dass es ausschließlich um eine Machtdemonstration und ein Machtgehabe geht – was wir ja von RWE schon länger kennen. RWE ist meiner Meinung nach mit allem, was sie sagen, absolut nicht mehr glaubwürdig! Das haben sie ja allerspätestens unter Beweis gestellt in der Diskussion um den Erhalt des Hambacher Waldes. Du erinnerst dich: Ich war ja auch in der Kohlekommission. 2018 hieß es: Nein, den Hambacher Wald können wir auf keinen Fall erhalten, dann steht morgen die Kohleförderung im Tagebau Hambach still. – Die Kohleförderung findet immer noch statt. Als klar wurde: Der Hambacher Wald bleibt erhalten, wurde noch von über 500 Meter Abstand auf 50 bis 100 Meter herangebaggert, um die Böschung ganz steil zu stellen und noch möglichst viel Kohle zu fördern, genau wie der BUND es in diversen Gutachten und in Briefen während der Kohlekommission dargestellt hatte.
SFV: … und obwohl bei 500 Meter Abstand das Argument ja war: Wegen der Böschung ist der Hambacher Wald sowieso nicht zu retten!
Grothus: Genau. Also, RWE legt sich seine Argumente so zurecht, wie sie für sie am besten sind. Vielleicht auch noch einen ganz kurzen Satz zum Manheimer Loch[6]: Es gab ja im Zuge der Leitentscheidung öffentliche Podiumsdiskussionen; da war der Herr Eyl-Vetter auf dem Podium bei einer Veranstaltung in Türnich und hat gesagt: Ja, das Manheimer Loch – die „Manheimer Bucht“, wie RWE es immer so malerisch nennt – ist nicht alternativlos; es gibt auch andere Möglichkeiten; aber uns ist das die liebste Variante. Und die liebste Variante ist RWE immer die, die am wenigsten kostet. Die leider das ist, was wir als Flächenzerstörung beschreiben, und auch eine Zerstörung von Heimat und dem Zuhause von Menschen.
Also, es ist vieles möglich, wenn man den Willen hat. Aber RWE ist da beratungsresistent und hat sich deswegen ja auch auf Aktionärsversammlungen schon Kritik eingefangen. Ich glaube, das war erstmals im Jahr 2019, aufgrund dieser Eskalationsstrategie am und um den Hambacher Wald, gab es Fondsmanager, die dem RWE-Vorstand die Entlastung nicht erteilt haben – weil das Verhalten von RWE so desaströs war, auch aus kommunikativer Sicht. Aber RWE lernt ja nichts dazu, leider. Und das finde ich bedauerlich, und natürlich sind diese martialischen Bilder – du hast gerade gesagt, in Lützerath – für einen letzten verbliebenen Landwirt, oder die anderen Anwohner:innen, die da noch leben … unglaublich! Also, wenn du morgens aufwachst, und du guckst raus und denkst, der Bagger ist zum Greifen nah – dann kann dir das so ein bisschen den letzten Mut rauben, und deine letzte Kraft. Kann – muss aber nicht! Die Bagger standen auch hier vor dem Hambacher Wald, und es gab jedes Jahr diese unsäglichen und schmerzhaften Rodungssaisons; und trotzdem haben wir es ja geschafft! Deswegen, glaube ich, lohnt es sich immer, dafür zu streiten, dass keine weiteren Flächen mehr zerstört werden.
SFV: Jetzt ist RWE ja hier in der Gegend um die Tagebaue herum ein nennenswerter Grundeigentümer. Denen gehören ganz viele Böden, die wegen des Bergrechts teilweise auch enteignet wurden, oder unter Druck an RWE verkauft worden sind – und die jetzt nicht mehr „bergbaulich in Anspruch genommen werden“. Ich würde gerne eine Einschätzung von dir hören, insbesondere dahingehend: Welche Konsequenzen hat das eigentlich für die Bürgerbeteiligung im Hinblick auf die Nachnutzung? Ist es vielleicht so, dass man bei RWE denkt: „Die Runden Tische und Kommissionen können viel diskutieren und beschließen! Am Ende geht es darum: Wem gehört der Boden.“ Wie schätzt du das ein?
Grothus: Es ist schon so, dass die Grundeigentümer darüber entscheiden, was mit ihren Flächen passiert. Das ist das eine. Und dann ist die Frage: Liegt auf den Flächen noch Bergrecht oder nicht? Das ist auch eines der großen Probleme. Hier im Tagebauvorfeld Hambach beobachten wir das auch: Obwohl klar ist, da soll keine Kohle mehr gefördert werden, weil RWE nicht um den Hambacher Wald herumbaggern kann, sind diese Flächen noch immer unter Bergrecht. Das ist eine ganz große Herausforderung. Wie gehen wir damit um, dass RWE auf den Flächen sitzt – ich wohne ja hier in Sichtweite von Morschenich[7] – und die Flächen nicht freigibt? Da sind Menschen, da ist ein Bürgermeister, da ist eine Kommune, die möchte ein „Dorf der Zukunft“ umsetzen, kann das aber nicht, weil RWE sagt: „Die Häuser gehören uns, und die Flächen gehören uns – und wir warten erst mal ab.“ Und da ist die Frage: Worauf wartet RWE? Wollen sie die Flächen meistbietend an andere Investoren verkaufen, oder haben sie selber Ideen, was sie entwickeln könnten? Bisher sind sie mir leider nicht damit aufgefallen, dass sie selber Ideen entwickeln und einbringen – im Gegenteil!
In Morschenich gibt es einen privaten Eigentümer, der noch eine Fläche in seinem Besitz hatte und da jetzt mit dem Forschungszentrum Jülich so eine Agro-PV-Anlage in Eigeninitiative errichtet hat. Und das sind meiner Meinung nach die kleinen Schritte im Aufbruch, auch im Strukturwandel, die wir jetzt machen müssen. Es muss Beispiele geben, wo etwas gelingen kann. Und das geht nicht, wenn RWE weiter auf seinen Flächen sitzen bleibt. Und sich nicht einbringt in die Gestaltung. Und die Kommunen – dazu möchte ich auch noch etwas sagen – RWE nach wie vor hofieren, und sich nicht von RWE emanzipieren. Und teilweise mit RWE zusammen Flächen entwickeln, insbesondere Gewerbegebiete, wo dann vermehrt leider nur Logistik stattfindet. Da gibt es ja eine sehr verengte Vorstellung davon, was Gewerbegebiete sind.
SFV: Aber RWE ist unter Bedingungen in den Besitz dieser Flächen und Gebäude gekommen, die ja jetzt zum Teil nicht mehr zutreffen. Die Begründung für eine Enteignung trifft nicht mehr zu. Das lässt sich aber auf rechtlichem Wege nicht mehr rückabwickeln; oder hast du da andere Informationen?
Grothus: Ich bin ja in Kontakt mit vielen Hauseigentümern, sowohl hier am Tagebau Hambach als auch am Tagebau Garzweiler, die jetzt sagen: „Mein Haus kann stehenbleiben, ich würde das gerne zurückerwerben. Ich habe ja unter falschen Voraussetzungen überhaupt an RWE verkauft!“ Ich weiß sogar von Leuten, die gesagt haben, sie hätten gerne in ihrem Kaufvertrag ein Rückkaufsrecht, falls der Tagebau doch nicht käme. Und die sind nicht nur von RWE, sondern auch von Mitarbeitern der Bezirksregierung ausgelacht worden! Und wenn du dann da als Bürger sitzt, dann hältst du auch nicht unbedingt daran fest. Diese Taktik des Mürbemachens versteht RWE hervorragend.
Es müsste sich ein Bürger entscheiden: „Ich klage, ich gehe damit vor Gericht!“ Und dann müsste ein Präzedenzurteil dafür geschaffen werden. Oder die Menschen tun sich zusammen …
SFV: Ja; das Thema ist, glaube ich, auch noch zu wenig beachtet.
Grothus: Ja, leider. Und es sind leider auch zu wenig Menschen, die ihre Flächen behalten haben. Die gedacht haben: „Na, vielleicht ist da noch Musik oder Spiel drin“. Man muss aber auch sagen: RWE hat natürlich auch total Gas gegeben bei den Enteignungen, weil sie ja selber schon im Hinterkopf hatten: „Wer weiß ... die Zeit der Klimakrise spielt RWE nicht in die Karten.“
Aber ich meine, es kann nicht sein, dass jetzt die Kirche in Manheim leer steht, verbrettert ist, vergammelt sozusagen, und nicht geöffnet wird für Ideen. Und es gibt genug Ideen, auch bei der Stadt Kerpen. – Das kann doch nicht sein, dass der Bürgermeister von Morschenich jedesmal betteln muss, wenn er mal die Kirche in Morschenich für Veranstaltungen nutzen möchte. Weil sie RWE gehört. Da muss RWE mal das sein, was sie immer behaupten zu sein: ein Partner oder ein guter Nachbar. Nicht nur da, wo sie davon profitieren können, indem sie Fördergelder abgreifen.
SFV: Da sind wir uns einig! – Ich hätte gerne eine grundsätzliche Einschätzung: Du hast viele Erfahrungen gemacht mit Partizipationsprozessen – in der Kohlekommission besonders prominent, aber auch in vielen anderen Gremien. Nach jahrelanger Erfahrung: Wie würdest du den Stellenwert dieser Handlungsform einschätzen? Lohnt sich das?
Grothus: Also, wenn du nach dem Stellenwert und nach dem Lohnen fragst, würde ich sagen: Das hat für mich persönlich nach wie vor einen hohen Stellenwert. Ich meine auch nach wie vor, dass es sich lohnt; aber es ist unheimlich arbeitsintensiv. Und es ist nicht die Art der Beteiligung und Teilhabe, die wir uns wünschen. Es gab ja zum Beispiel auch die Bürgerbeteiligungsprozesse zur Bioökonomie – wenn du dir die Ergebnisse anschaust, dann ist das eigentlich genau das, was wir erwartet haben, wie die Bürger:innen denken, und was sie gerne möchten, nämlich ein intaktes Lebensumfeld, Naherholung, Flächenerhalt, regionale Lebensmittelproduktion und einen guten Lebensraum. Es gibt die Empfehlungen, die sind auch überreicht worden, die werden aber einfach nicht beachtet. Das ist das Problem: Die Verbindlichkeit fehlt meist. Es gibt hier kommunale Gremien, die kennen diese Empfehlungen gar nicht!
Ich habe mich ja sehr dafür eingesetzt, dass es überhaupt diese Beteiligungsformate gibt. Die haben längst nicht die Qualität, die ich mir wünschen würde. Auch nicht „Barrierefreiheit“: sie erreichen ja ehrlich gesagt meist dieselben, die dann ihre Zeit opfern; es ist keine repräsentative Beteiligung. Es sind Leute wie du, wie ich – Menschen, die sich ohnehin schon engagiert haben. Es sind oft Menschen mit Hochschulabschluss, seien wir ganz ehrlich, es ist nicht der Bürger von nebenan. Weil der vielleicht auch in seinem Alltag andere Sorgen hat. Und das würde ich gerne noch ändern.
Und was auch ein Punkt ist: Man kann im Wirtschafts- und Strukturprogramm 1.1 sich die Leitlinien für die Bürgerbeteiligung, also diese „Bürgerbeteiligungs-Charta“, durchlesen. Das war sehr aufwändig, sich da einzubringen. Da scheitert es eben daran, dass wir zu wenige hauptamtlich bezahlte Kräfte haben, welche die Zivilgesellschaft bei dieser unglaublich intensiven Textarbeit unterstützen. Wenn man sich diese Charta mal ansieht, dann ist die toll – aber sie wird nicht angewendet. Es gibt jetzt den nächsten Prozess der Raumstrategie; der ist mit aufgesetzt vom „Revierknoten Raum“, aber auch von der Zukunftsagentur. Und wenn du dir diesen Prozess jetzt anguckst und vergleichst mit den Leitlinien in der Bürgerbeteiligungs-Charta – dann stimmt das nicht überein. Was wir in einem extrem mühsamen, über Monate sich hinziehenden Prozess vereinbart haben, wird einfach nicht berücksichtigt. Es ist wieder ein enormer Zeitdruck; innerhalb von drei Monaten soll wieder über eine Raumstrategie entschieden werden. Es werden Pläne veröffentlicht, die schon Vorfestlegungen enthalten – du kannst vielleicht ein paar Sonnenblümchen und grüne Bäumchen drumherum malen, mehr kannst du aber nicht mehr tun.
Ich war unglaublich entsetzt, als ich einen dieser Entwürfe gesehen habe, wo die „Manheimer Bucht“ – das Manheimer Loch – einfach gesetzt ist. Es ist unglaublich! Damit geht man raus zu den Bürgern und sagt: „Hier! Was hältst du denn jetzt davon?“ Da traut sich ja keiner mehr zu sagen: „Nee, hör mal, das hier möchte ich aber nicht!“ Sondern man überlegt dann, wie man mit dem, was vorgegeben wird, vielleicht noch was machen kann. – Das kann es nicht sein! Es muss eine ergebnisoffene Beteiligung geben!
SFV: Klar! Deshalb möchte ich die Frage noch mal etwas präzisieren. Wir alle wissen ja: Wir haben begrenzte Ressourcen an Zeit und Kraft. Zum Beispiel im Kampf um den Rodungsstopp im Hambi stand man ja sozusagen vor der Alternative: Setze ich die Arbeitskraft oder die Zeit, die ich zur Verfügung habe, für Beteiligungsprozesse dieser Art ein, oder setze ich sie ein, eine Menschenkette zu machen oder einen Baum zu besetzen, oder was auch immer?
Grothus: Ach, das meinst du mit Stellenwert. – Ich tu mich sehr schwer damit, einen Stellenwert zu definieren. Ich glaube, wie und wo man sich engagiert, das obliegt erst mal jedem Menschen selber. Worauf hat er Lust? Was sind seine Kapazitäten? Was sind seine Ressourcen, aber auch: Was sind seine Fähigkeiten? Was ist seine Expertise? Und ich glaube: Wir brauchen die Vielfalt dieser Dinge. Ich möchte deswegen nicht irgendeinen Stellenwert zuweisen. Ich glaube, auch gerade die Auseinandersetzung um den Hambacher Wald hat genau gezeigt, dass es die Vielfalt der Aktionsformen braucht.
Wir brauchen nach wie vor die Proteste auf der Straße. Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft. Wir brauchen auch definitiv weiter die Wege vor den Gerichten – das hat uns beim Hambacher Wald geholfen, das hat uns in Hinsicht auf die Generationengerechtigkeit – Stichwort: Urteil des Bundesverfassungsgerichts – weitergeholfen; ihr selber habt ja auch Klimaklagen angestrengt. Das heißt: Wir brauchen weiterhin diesen Strauß an Aktivitäten. Und wir brauchen darüber hinaus auch parlamentarische Mehrheiten, die das ganze umsetzen. Oder Leute, die so verrückt sind wie ich, in so eine Kohlekommission zu gehen. Das heißt: Ich persönlich würde weiter auf diesen ganzen Strauß setzen, und auf jeden Fall schauen, weiterhin auch aktivistisch zu sein; zu versuchen, Öffentlichkeit zu bekommen – was aufgrund von Corona und den anderen Krisen, die uns gerade beunruhigen und erschüttern, schwierig ist.
Es braucht nach wie vor die solidarische Vielfalt. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, sondern viele verschiedene, die zusammen etwas wirklich Großartiges bewirken können.
SFV: Das ist doch ein schönes Schluss-Statement. Deswegen danke ich für das Gespräch.
Anmerkungen
[1] Beim Hochwasser im Juli 2021 kam es in Erftstadt-Blessem zu Erdrutschen, die mehrere Häuser zerstörten. Der Hochwasserschutz bei einer nahen Kiesgrube hatte versagt. Im Januar 2022 fanden Hausdurchsuchungen bei Mitarbeitern des Kiesgruben-Betreibers – einer RWE-Tochter – sowie bei Mitarbeitern der Genehmigungsbehörde, der Bezirksregierung Arnsberg, statt. Der Vorwurf lautete „Verdacht des fahrlässigen Herbeiführens einer Überschwemmung durch Unterlassen, der Baugefährdung sowie Verstoßes gegen das Bundesberggesetz“. Vgl. Bericht im Handelsblatt
[2] Das Bochheimer Wäldchen war eine kleine Waldfläche östlich des Hambacher Waldes (mit dem es früher einmal zusammenhing), nördlich der Ortslage Kerpen-Manheim. Am 1. Dezember 2021 wurde es von RWE an einem Tag vollständig abgeholzt. Vgl. Schilderungen und Abbildung im Aktivisti-Blog
[3] Lützerath liegt am Tagebau Garzweiler; es hat sich in den vergangenen Jahren zum Brennpunkt der Klimakämpfe im Rheinland entwickelt. Der Ort ist von seinen einstigen Bewohnern weitgehend verlassen und teilweise bereits durch RWE zerstört worden. Ein Bauer, Eckart Heukamp, harrt noch aus und wird von einer wachsenden Zahl von Aktivist:innen unterstützt. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition heißt es, über die Zukunft von Lützerath sollten die Gerichte entscheiden (den anderen bedrohten Dörfern am Rande des Tagebaus Garzweiler wurde durch den Koalitionsvertrag ihr Bestand zugesichert).
[4] Michael Zobel ist Waldpädagoge und seit vielen Jahren eine wichtige Figur in den Kämpfen gegen das rheinische Braunkohlesystem. Legendär sind die monatlichen Waldspaziergänge durch den besetzten Hambacher Wald, die zum Rodungsstopp 2018 beitrugen.
[5] Dirk Jansen ist Geschäftsleiter beim Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) in Nordrhein-Westfalen.
[6] Östlich des Hambacher Waldes, in der Ortslage Manheim, will RWE mit Unterstützung der NRW-Landesregierung nach wie vor die Böden abtragen – nicht, um die darunter liegende Kohle zu fördern, sondern um Material für die Stabilisierung der Böschungen zu gewinnen. Die letzten verbliebenen Gebäude des Ortes Manheim, u.a. die Kirche, sollen dadurch noch zerstört werden. Alternative Lösungen wurden verworfen. Der Begriff „Bucht“ verweist auf die Pläne, dass das Braunkohleloch Hambach in vielen Jahrzehnten mit Wasser gefüllt sein soll.
[7] Morschenich ist neben Manheim der zweite Ort, der ursprünglich noch dem Braunkohletagebau Hambach zum Opfer fallen sollte. Aufgrund des Rodungsstopps im Hambacher Wald ist der Abriss dieses Ortes gestoppt worden. Zur Zeit wird über eine neue Nutzung des Ortes diskutiert, der von der Mehrzahl der früheren Einwohner bereits verlassen wurde.
Titelbild: Braunkohletagebau Hambach. Foto: Johannes Fasolt (gemeinfrei).