Zur Parteienkritik an der "Letzten Generation"

 

Aktivist:innen des Klima-Bündnisses „Letzte Generation“ sind durch ihre Aktionsformen in die Schlagzeilen gekommen. Dazu gehören Straßenblockaden, bei denen sich einige der Beteiligten mit Schnellkleber an der Fahrbahn festkleben; sowie in letzter Zeit Aktionen in Museen, bei denen berühmte Kunstwerke mit Tomatensoße oder Kartoffelbrei überschüttet werden. Diese Aktionen haben heftige Reaktionen hervorgerufen, bei denen es oft nicht um das Anliegen des Bündnisses geht, sondern darum, es zu kriminalisieren.

Der Berliner CDU-Politiker Christopher Förster hat gegen die „Letzte Generation“ Strafanzeige wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gestellt.[1] Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag und Lobbyist der Automobilindustrie, hat die Aktivitäten der „Letzten Generation“ mit der Terrororganisation „Rote Armee-Fraktion“ (RAF) der 70er bis 90er Jahre verglichen.[2] Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU bereitet einen Gesetzentwurf vor, um die „Klimachaoten“ bei Straßenblockaden zwingend mit Gefängnis zu bestrafen und sie auch vorbeugend in Haft nehmen zu können.[3]

Es ist an der Zeit, zu dieser Entwicklung im politischen Raum Stellung zu beziehen. Zehn Thesen:

1.    Die Analyse, die den Aktionen der „Letzten Generation“ und schon ihrer Namenswahl zugrunde liegt, ist zutreffend. Die jungen Menschen, die sich daran beteiligen, gehören wohl nicht der letzten menschlichen Generation an, die auf diesem Planeten wandeln wird, sehr wohl aber der letzten Generation, die das Ruder vielleicht noch herumreißen kann. Denn wir befinden uns auf dem Weg in eine globale Katastrophe, die das Überleben menschlicher Zivilisation unmöglich machen könnte.

2.    Diese Tatsache ist seit mehreren Jahrzehnten bekannt, ohne dass die politisch Verantwortlichen daraus ein angemessenes Regierungshandeln ableiten würden. Das gilt auch für die derzeitige Bundesregierung. Bisherige Protestformen bis hin zum Zivilen Ungehorsam haben daran zu wenig geändert.

3.    Für die „Letzte Generation“ ist Gewalt gegen Menschen ganz offensichtlich keine Option. Der Vergleich mit der RAF stellt eine skandalöse politische Entgleisung dar.

4.    Die „letzte Generation“ ist, wie eingangs gesagt, in die Schlagzeilen gekommen. Dorthin gelangen traditionellere Aktionsformen immer seltener. Wir teilen mit der „Letzten Generation“ die Einschätzung, dass es die Klimakatastrophe ist, die in die Schlagzeilen gehört – nicht der Kartoffelbrei.

5.    Ob die Aktionsformen der „Letzten Generation“ zielführend sind, sollte deshalb Gegenstand einer offenen gesellschaftlichen Debatte sein. Die Beschädigung von Kunstwerken (zu der es bisher nach unserer Kenntnis nicht gekommen ist) wäre ein symbolischer Angriff auf eben jene menschliche Zivilisation, welche von der Klimabewegung doch so verzweifelt verteidigt wird. Das ausbleibende Handeln der politisch Verantwortlichen wird zu einer Welt führen, wo z.B. ein Genuss von Vincent van Goghs Gemälde „Sonnenblumen“ nicht mehr zur Debatte stehen wird. Dies wird aber womöglich durch eine – wenn auch symbolische – Attacke auf dieses Kunstwerk nicht angemessen zum Ausdruck gebracht. – Kritikwürdig erscheint auch die Diskrepanz, die zwischen einer betont alarmistischen Zustandsbeschreibung (nur noch zwei bis drei Jahre Zeit für die Rettung der Menschheit) und den eher zurückhaltenden konkreten Forderungen (Verlängerung des 9-Euro-Tickets) bestehen. Wir empfehlen einen Gedankenaustausch mit NGOs, die sich seit langem mit Konzepten der Energiewende beschäftigen, und bieten selbst gerne eine solche Zusammenarbeit an.

6.    In ihrem jüngsten Statement schreibt die „Letzte Generation“ am 12. November: „Das ist kein Beliebtheitswettbewerb; kein Versuch, die Menschen von unseren Anliegen zu überzeugen – denn das sind sie längst“.[4] Hierüber muss kritisch und solidarisch diskutiert werden können: Ganz so einfach dürfte es nämlich nicht sein. Umfragen zeigen ja, dass eine Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht ist, Aktionsformen der „Letzten Generation“ würden dem Ziel eines echten Klimaschutzes eher schaden.[5] Dies müsste strategisch mit der Einsicht vermittelt werden, dass a) der Stand der Klimakatastrophe radikales Handeln immer notwendiger macht, und b) die Aufmerksamkeitsökonomie unserer Öffentlichkeit das Verstörende, das Drastische und das Konfrontative prämiert. Diese Vermittlung ist eine Aufgabe, die sich immer wieder neu stellt. Kritik im Einzelnen an Aktionen der “Letzten Generation” sollte aber nicht davon ablenken, dass diese Aktivist:innen unsere volle Solidarität verdienen.

7. Wenn die Unionsfraktion die Aktionsform der Straßenblockade durch Gesetzesänderung als Schwerverbrechen ahnden will, greift sie damit ein Protestmittel an, das seit dem Bestehen der Bundesrepublik zu den wichtigsten Äußerungsformen von Protestbewegungen gehörte, die keine Stimme im parlamentarischen Raum hatten. Zu Ende gedacht, ist nach solcher Kriminalisierung kein Demonstrationszug mehr erlaubt (denn immer wird durch Demos ja der Verkehr inklusive darin befindlicher Rettungsfahrzeuge behindert). Die Union zeigt dadurch ein gestörtes Verhältnis zur Demonstrationsfreiheit, die durch Artikel 8 des Grundgesetzes gewährleistet wird. – Im Übrigen ist es ein Wesensmerkmal Zivilen Ungehorsams, dass er bewusst bestehende Gesetze übertritt. Wer sich daran beteiligt, ist bereit, dafür gerade zu stehen. „Sachbeschädigung“, „Eingriff in den Straßenverkehr“, „Nötigung“ – all dies ist bereits jetzt unter Strafe gestellt durch ein Rechtssystem, das deutlich genug das große Gewicht der Union in der Rechtsetzung der letzten Jahrzehnte zeigt. Wieso reicht die bestehende Strafdrohung gerade bei der „Letzten Generation“ nicht mehr aus?

8.   Nun gehört die Verschärfung von Gesetzen gerade im Bereich des Protesthandelns zur populistischen Grundausstattung dieses konservativen Milieus, das sich näher bei der Gedankenwelt z.B. eines Viktor Orbán befindet als bei dem einer lebendigen Zivilgesellschaft. Im vorliegenden Fall haben die Ausfälle von Unionspolitiker:innen aber noch eine andere Dimension. Der Problemdruck der Klimakatastrophe ist global existenzbedrohend; deshalb sind gewaltfreie Grenzüberschreitungen im Protest hier noch legitimer als in anderen Problembereichen. Inzwischen fangen ja auch Gerichte an, z.B. Hausfriedensbruch für legitim zu erklären, wenn er einen Einsatz für den Klimaschutz darstellt.[6] Wenn gerade hier die Reaktionen des konservativen politischen Spektrums besonders hysterisch ausfallen, dürfte das mit der Besonderheit dieser Problemlage zusammenhängen: In Deutschland ist keine Partei so sehr für die klimapolitischen Versäumnisse der Vergangenheit verantwortlich wie CDU/CSU. Daher besteht dort eine starke Versuchung, die Debatte über das eigentliche Problem zu verschieben, hin zu einer Debatte über Protestformen. Die Täter-Opfer-Umkehr, die dabei vollzogen wird, ist abenteuerlich: Tatsächlich ist ja die Frage, welche „Generation“ sich an welcher anderen vergeht, höchst relevant, wie sich aus dem „Klimaurteil“ des Bundesverfassungsgerichts[7] ableiten lässt. Hans-Josef Fell spricht in einem Kommentar von der Jugend als einer Generation, „die genau weiß, dass sie persönlich ums nackte Überleben wird kämpfen müssen“[8]; das ist keine abwegige Einschätzung. Die besondere Schuld der Union hieran lässt sich nicht leicht vollständig verdrängen; daher fallen dort offenbar die Abwehrreaktionen besonders aggressiv und irrational aus.

9.    Dobrindts Vergleich mit der RAF gilt nicht nur der Delegitimierung der „Letzten Generation“ durch Dämonisierung. Er deutet auch an, wie unerbittlich man bereit ist, diese Bewegung zu bekämpfen. Hierauf hat das frühere RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo in einem Beitrag für die taz aufmerksam gemacht.[9]

10. Das ausbleibende Handeln gegen die Klimakatastrophe ist jedenfalls in moralischem Sinne ein Verbrechen. Denn unabhängig von der Frage, ob Formen des Klimaprotests “Gewalt” darstellen: Die Erderhitzung tut dies bereits heute in monströsem, tödlichem Ausmaß. Wäre nicht eher hier ein sinnvoller Ansatz für Strafrechts-Verschärfungen?[10] Niemand würde dies verbissener bekämpfen als jene Law-and-Order-Fans in CDU und CSU. Viele von ihnen könnten sich dann schneller im Gefängnis wiederfinden, als ihnen lieb ist. In diesem Zusammenhang soll nicht verschwiegen werden, dass auch Vertreter der jetzigen Regierungsparteien FDP, SPD und Grüne sich an der verzerrenden Kritik der „Letzten Generation“ beteiligt haben.[11] Wenn auch nicht in derselben Ballung wie bei der Union, scheint hier ein ähnliches Syndrom vorzuliegen.

 

 

[1]    https://www.morgenpost.de/berlin/article236707509/CDU-Politiker-stellt-Strafanzeige-gegen-Letzte-Generation.html 

[2]    Aachener Zeitung, 14.11.2022, S.3: „‘Letzte Generation‘ – letztes Mittel?“

[3]    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/letzten-generation-union-fordert-offenbar-freiheitsstrafen-fuer-strassenblockierer-a-0c22fe72-0b40-4971-b8cc-8210bee50b70 

[4]    https://letztegeneration.de/blog/2022/11/wo-wir-stehen-und-wie-es-weitergeht-letzte-generation-zieht-ihre-schluesse/ 

[5]    https://www.welt.de/politik/deutschland/article242009845/Letzte-Generation-Mehrheit-findet-dass-radikale-Proteste-dem-Klimaschutz-schaden.html 

[6]    Aktuelles Beispiel: https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Freispruch-fuer-Baumbesetzer-vom-Flensburger-Bahnhofswald,bahnhofswald174.html    

[7]    https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rs20210324_1bvr265618.html und https://www.sfv.de/bahnbrechendes-klima-urteil 

[8]    https://hans-josef-fell.de/die-bundesregierung-ruegt-die-letzte-generation-und-schafft-selbst-keinen-wirksamen-klimaschutz/ 

[9]    https://taz.de/Ex-RAFler-ueber-Letzte-Generation/!5891843/ 

[10]  https://www.zeit.de/kultur/2022-11/klimawandel-oekologische-gewalt-aktivismus-klimaschutz 

[11]  https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/bild-umfrage-zu-den-klima-chaoten-muss-letzte-generation-verboten-werden-81832946.bild.html