Interview mit Volker Quaschning am 10.2.2022
 

SFV: Was wären nach Ihrer Wahrnehmung die wichtigsten Forderungen, die wir für das „Osterpaket“ an Herrn Habeck und die Bundesregierung stellen sollten – insbesondere wenn man betrachtet, dass die Bundesregierung in ihrem Koalitionspapier noch das Jahr 2045 als Zieljahr hat, und wir uns eigentlich Maßnahmen wünschen sollten, die zumindest ermöglichen, dass das Tempo schneller ist?

Quaschning: Es ist ja relativ spannend: Wir haben trotzdem, auch wenn wir jetzt Kritik äußern, einen gewissen Paradigmenwechsel. Herr Altmaier wollte im Prinzip keine echte Energiewende und keinen wirksamen Klimaschutz, er hat nur davon gesprochen. Bei der neuen Regierung ist zumindest mal zu erkennen, dass man Interesse hat, beim Klimaschutz deutlich voranzukommen. Das sieht man an Personalentscheidungen, das sieht man auch schon an Ankündigungen. Aber wie Sie schon gesagt haben: Es reicht eigentlich immer noch nicht aus. Ich sehe also zwei Seiten: Auf der einen Seite hat die Regierung sich schon einiges vorgenommen. Das kann ja auch noch scheitern! Deswegen muss man einerseits die Regierung ganz klar unterstützen, die ganzen Sachen durchzubekommen. Auf der anderen Seite müssen wir versuchen, noch ‘ne Schippe draufzulegen.

Ich fange erst mal mit dem zweiten an: ‘ne Schippe drauflegen. Was müsste passieren? Wir haben das Pariser Klimaschutzabkommen. Deutschland hat es ratifiziert, der Bundestag hat einstimmig zugestimmt. Ziel dieses Klimaschutzabkommens ist, die globale Erwärmung deutlich unter 2 Grad, möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat ein CO2-Budget errechnet, das Deutschland höchstens zusteht, damit wir unsere Verpflichtungen nicht verletzen. Und dieses Budget wird irgendwann zwischen 2030 und 2035 aufgebraucht sein. Das heißt: Werden wir nach 2035 klimaneutral, dann kann Deutschland aus eigener Kraft nicht mehr das Pariser Klimaschutzabkommen einhalten. Es gäbe noch einen Plan B: Dass man entweder das CO2 wieder aus der Atmosphäre holt, oder dass man versucht, Länder des globalen Südens zu helfen, schneller klimaneutral zu werden. Aber dann muss man relativ viel Geld in die Hand nehmen: Wenn wir sagen, wir überziehen unser Budget (und wir gehen mal von 200 Euro pro Tonne aus), dann würde das bedeuten, wenn wir erst 2045 klimaneutral werden, dass wir für etwa 1000 Milliarden Euro, also eine Billion Euro, zu viel CO2 ausstoßen, und das dann auch als Kompensationszahlung an Länder des globalen Südens zahlen müssten, zusätzlich zu unseren Klimaschutzbemühungen. An dieser Stelle muss man ganz klar sagen: Wenn wir das nicht machen, dann halten wir das Pariser Klimaschutzabkommen nicht ein.

Also hier müsste man erst mal ein Ehrlichmachen der Politik fordern. Ich finde es ein bisschen schade, dass Herr Habeck sich das nicht getraut hat. Bei der Präsentation des Koalitionsvertrags hat er gesagt: „Wir sind auf einem 1,5-Grad-Pfad.“ Aus wissenschaftlicher Sicht kann man sagen: Das stimmt nicht. Er hätte ja sagen können: „Okay, Herr Altmaier hat es in den Sand gesetzt, und wir versuchen jetzt, das Beste daraus zu machen.“ Da hätte ihm auch keiner ‘nen Strick draus gedreht. „Wir sehen es erst mal als ambitioniert an, einen 2-Grad-Pfad einzuschlagen; dann schauen wir in zwei Jahren noch mal, ob wir vielleicht auf 1,5 noch einschwenken können.“ Das wäre das, was er wahrscheinlich auch vorhat – aber schlecht kommuniziert hat.

Deswegen erst mal: Ehrlichkeit in der Kommunikation. Sonst denken viele: „Ist doch okay! Habeck ist auf dem 1,5-Grad-Pfad und wir müssen uns dafür nicht mal richtig anstrengen. …“ Dann wiegt man sich in falscher Sicherheit, denn eigentlich ist das Ziel 2045 für die Klimaneutralität viel, viel zu spät und für das Pariser Klimaschutzabkommen zu unambitioniert.

Jetzt komme ich zum zweiten Teil: Er hat sich ja auch einiges vorgenommen. Es gab ja jetzt die Pressekonferenz, auf der schon Ziele verkündet wurden: 200 GW Photovoltaik bis 2030 – hätte ich das vor fünf Jahren gesehen, hätte ich einen Luftsprung gemacht!

SFV: Genau!

Quaschning: Muss man ganz klar sagen. 200 GW – ich war einer der ersten, der solche großen Mengen gefordert hat. Vor zehn Jahren hat man mich noch für verrückt erklärt; mittlerweile ist es Regierungsziel. Das ist ja schon mal ein sehr, sehr großer Fortschritt. Und da kann natürlich auch noch richtig viel schief gehen.

Der Windenergieausbau ist auch ambitioniert. Wir alle wissen: Der liegt komplett darnieder. Das heißt also: Hier muss man sich trauen, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und auch notfalls mal gegen die Menschen vor Ort eine Entscheidung zu treffen. Das wird auch dann wieder für Widerstände sorgen. Das sehen wir bei Corona. Da muss man einen Weg finden, wie man möglichst viel Akzeptanz hinbekommt, aber dann auch den Mut haben, es durchzusetzen.

Das Personal für diese ganzen Pläne fehlt hinten und vorne.

Das zweite wäre dann die technische Umsetzung. Bei 200 GW Photovoltaik werden wir in fünf, sechs Jahren irgendwann mal im Frühjahr schon mehr Solarstrom haben als wir verbrauchen können. Das heißt: Wir müssen uns dann ziemlich schnell Gedanken machen, wie man die Netze ausbaut, wie man Speicher an den Start kriegt, wie alles stabil bleibt. Es reicht nicht, nur ein paar Solarmodule hinzustellen. Und wenn wir jetzt von der wissenschaftlichen Seite darauf gucken, dann gibt es gleich das nächste Problem: Wer macht das überhaupt? Wir brauchen ja enorm viel Personal für diese ganzen Pläne. Und das fehlt hinten und vorne. Das heißt also, es gibt viele Herausforderungen, die schon für eine Klimaneutralität im Jahr 2045 zu meistern sind; da müssen wir wirklich die Regierung unterstützen und versuchen, die Widerstände, die ja auch noch von anderer Seite da sind – AfD, konservativer Flügel der CDU, die wollen das ja alle gar nicht – abzuräumen. Auf der anderen Seite muss man dem Herrn Habeck immer noch sagen: „Ja, das ist schon ganz gut, was du machst – aber reicht halt leider immer noch nicht aus für das Pariser Klimaschutzabkommen."

SFV: Wenn ich kurz nachfragen darf: Sie haben jetzt Widerstände erwähnt im Parteienspektrum. Aber gibt es nicht im wirtschaftlichen Gesamtsystem auch Akteure, mit deren Widerstand man rechnen muss?

Quaschning: Da würde ich sagen: Das ist ein bisschen unklar. Es ist sehr spannend, wie sich die Akteurslage in den letzten fünf Jahren verschoben hat, seit Fridays for Future aktiv ist. Viele Unternehmen suchen noch ihre neue Rolle.

Die Energiekonzerne? RWE hat sich innerlich schon von der Kohle verabschiedet. Die versuchen einfach noch, auf den letzten Metern möglichst viel Profit herauszuholen. Aber denen ist auch klar, dass sie die Meiler nicht mehr bis 2038 laufen lassen werden. Die versuchen nur, es möglichst teuer für die anderen zu machen, da rauszukommen. Ansonsten stimmen die Zahlen ja für RWE: Die schwenken auf den Gaspfad um; da kommt man nicht so schnell raus; Erneuerbare auch ein bisschen. Das heißt, auch ohne Kohle kann man bei RWE Geld verdienen. Deswegen glaube ich schon, dass sie die Energiewende irgendwie wollen, halt nur nicht so schnell.

Vor zehn Jahren war es ja so, dass RWE überhaupt keine Energiewende wollte. Die haben ja noch von Kohlekraftwerken bis 2080 gesprochen. Davon ist man mittlerweile weg. Man hört sehr spannende Sachen: RWE oder auch die anderen Energiekonzerne sagen, sie würden ja gerne schneller bauen, aber die Genehmigungsverfahren bei der Windenergie sind so kompliziert! Das ist schon etwas skurril, denn sie sind ja nicht ganz unschuldig daran, dass die so kompliziert sind. Die hat man ja absichtlich sehr kompliziert gemacht, damit der Ausbau nicht so schnell vorangeht; und da haben sicherlich einige Hinterzimmergespräche stattgefunden (das kann ich jetzt nicht bezeugen, aber das lässt sich doch stark vermuten). Und jetzt kämpfen sie: „Den Teufel, den ich selber rief, den muss ich jetzt wieder loswerden!“

Gucken wir uns die Automobilkonzerne an: Da ist das Bild noch etwas diffus. VW versucht, einen auf Tesla zu machen. Herr Diess hat ja vor der Wahl sogar eine höhere CO2-Steuer gefordert. Auch interessant – das wäre vor fünf Jahren undenkbar gewesen. Das heißt: Hier sieht man auch Bewegung.

Unsere Empfehlung ist, möglichst sofort Benzin- und Dieselautos nicht mehr zuzulassen. Da würde man natürlich massivste Widerstände sehen, denn die nächsten fünf bis zehn Jahre will man mit den ollen Verbrennern noch ein Geschäft machen, um erst dann auf die Elektromobilität zu gehen. Das heißt also: Man ist zwar schon auf dem Weg, aber nicht mit der Geschwindigkeit, die man für das Pariser Klimaschutzabkommen bräuchte.

SFV: Bei dem Szenario, das Sie in Ihrer neuen Studie und in dem neuen Buch vorstellen, gehen Sie ja von Klimaneutralität im Jahr 2035 aus, und von 1,7 Grad. Damit halten wir die 1,5-Grad-Grenze auch nicht ein. Das ist ein Mittelweg zwischen dem, was die Bundesregierung macht und dem, was der SFV fordert. Wir halten ja noch am Zieljahr 2030 fest. Wir haben uns gefragt, warum Sie sich für diesen Pfad und diese Jahreszahl entschieden haben.

Quaschning: Wir haben uns in der HTW-Studie immer die Frage gestellt: Was ist gerade noch realistisch? Ich könnte ja auch sagen, wir wollen 2025 klimaneutral werden. Das ist hinsichtlich der Klimafolgen noch deutlich besser als 2030. Aber wir haben uns in der Studie und unserem Buch angeschaut, was ist realistisch.

Also erst mal: Das Pariser Klimaschutzabkommen sagt nicht „1,5 Grad“, sondern „möglichst 1,5, aber deutlich unter 2“. Und auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen sagt: „Okay, da ist eine Grauzone, zwischen 1,5 und 1,7 wäre noch der Korridor im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommens“.

Von den Klimaschäden her – da brauchen wir nicht zu diskutieren – 1,5 Grad ist natürlich deutlich sicherer. Ab 1,5 Grad werden die Korallenriffe sterben, sagen neuere Studien. Also da werden wir auch schon eine deutliche Zunahme der Klimaschäden haben. Aber es ist immer die Frage: Was ist in Deutschland machbar? Wir haben auch mal versucht, die Arbeitsplatz-Situation darzustellen. Wenn wir 2035 klimaneutral werden wollen, brauchen wir in Deutschland ungefähr 600 GW PV, dann brauchen wir einen jährlichen Zubau von roundabout 40 GW. Dafür brauchen wir bereits insgesamt 250.000 Fachkräfte. Wir haben derzeit knapp 50.000, die in der Photovoltaik arbeiten. Das heißt, wir haben schon mal einen zusätzlichen Personalbedarf von 200.000 – alleine für die Photovoltaik. Hinzu kommt ja noch der Windbereich, die Gebäudedämmung usw. Das heißt, wir reden über viele hunderttausend Arbeitskräfte. Die Frage ist: Wo sollen die herkommen?

Mit viel Phantasie wird es dafür vielleicht noch irgendeine Lösung geben. Wir haben in der HTW-Studie auch durchgerechnet, was wir bräuchten, um 2030 kohlendioxidneutral zu werden. Und da haben wir ein zusätzliches Problem: Bis 2030 werden wir nicht alle Heizungen und Autos ersetzen. Das heißt: Je früher ich klimaneutral werden will, desto höher ist der Bedarf an synthetischen Treibstoffen und an grünem Gas, um die Bestandsheizungen noch zu betreiben. Und dann explodiert uns der Energiebedarf noch mal; wir brauchen dann noch mal erheblich mehr PV. Das geht in Richtung 80 oder 100 GW, 500.000 zusätzliche Fachkräfte, bis 2030. Ich sehe nicht, wo die herkommen sollen. Das ist ja nur PV; wir müssten das gleiche beim Wind machen, das gleiche bei der Mobilität, das gleiche bei der Wärme; wir müssten da die Heizungen rausreißen, und das in einem Affentempo. Wir haben jetzt in Deutschland zweieinhalb Millionen Arbeitslose, aber die sind natürlich nicht alle vermittelbar und einsetzbar. Also: Wo soll das Personal dafür herkommen? Man könnte jetzt anfangen, ein massives Anwerbeprogramm in den Ländern des globalen Südens zu machen, um Leute hierher zu kriegen; aber die muss man auch erst mal ausbilden, das dauert auch noch mal drei Jahre. Also ich glaube, 2030 ist alleine aufgrund der Restriktionen beim Personal in Deutschland nicht mehr realistisch.

SFV: Das heißt also: Arbeitskräfte sind ein Nadelöhr. Wissen Sie denn, ob seitens der Bundesregierung schon irgendetwas an Ausbildungsoffensiven geplant ist?

Quaschning: Wir haben uns den Koalitionsvertrag angeguckt; da ist nur generell vom Fachkräftemangel in Deutschland die Rede. Das betrifft ja nicht nur die Solarbranche oder die Windbranche, auch andere Bereiche wie die Gastronomie oder den Pflegenotstand, die jammern ja auch alle. Insgesamt gibt es ein paar Maßnahmen zum Fachkräftemangel allgemein. Aber ein massives Schwerpunktprogramm zur Energiewende habe ich jetzt nicht gefunden. Und Herr Habeck hat auch nicht so intensiv davon geredet.

Und wir sehen auch bei uns an den Hochschulen, dass gerade jetzt auch noch Studierende fehlen, die bei den Erneuerbaren Energien anfangen. Da kommt auch nicht sonderlich viel nach. Und wir haben auch in Ausbildungs-Berufen relativ wenige, die jetzt anfangen. Und wir sehen jetzt schon: Wir hatten letztes Jahr 5,3 GW PV, und jetzt muss man schon warten. Wenn ich eine PV-Anlage ordere, kriege ich die nicht nächste Woche. Jetzt haben wir 40 GW vorgeschlagen, das ist ja schon mal Faktor acht. Und wenn man bis 2030 80 GW pro Jahr bauen wollte …

Also, aus Sicht der Klimabewegung kann ich das nachvollziehen, dass man das eigentlich bräuchte. Aber wenn es halt nicht mehr realistisch ist, weil uns einfach das Personal dafür fehlt – das kann ich ja auch nicht backen! Politische Entscheidungen, Rahmenbedingungen, Genehmigungsverfahren – das sind ja alles nur künstliche Hürden. Aber der Faktor Mensch, der ist nun einmal physisch limitierend; und dann wird es wahrscheinlich schwierig.

SFV: Aber da läge ja schon mal eine Forderung an die Bundesregierung, auf die wir uns einigen können: dass eine ganz massive Ausbildungs- und Fortbildungsinitiative gestartet werden sollte.

Quaschning: Auf alle Fälle! Also, selbst wenn man das 2045er Ziel erreichen will, reden wir ja auch schon über einen erheblichen Fachkräftebedarf. Selbst dann brauchen wir in der Photovoltaik 50 bis 60.000 zusätzliche Leute – die muss man auch erstmal kriegen. Und da kommen wieder Wind, Gebäudesanierung und vieles mehr dazu, also da reden wir auch schon über ein paar Hunderttausend Leute. Also, wir brauchen dringend für die Energiewende eine Fachkräfte-Offensive.

Und man muss sich auch überlegen: Es wurde ja lange Zeit Angst gemacht mit Jobs, die in anderen Bereichen wegfallen. Durch die Energiewende haben wir natürlich auch Jobverluste bei der Braunkohle, auch bei der Herstellung von Verbrennungsmotoren. Z.B. der klassische Ölwechsel, der fällt ja auch weg. Das sind ja weit über 100.000 Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Das sind aber auch alles Menschen, die können was! Es ist ja nicht so, dass die dann alle in Frührente geschickt werden müssen. Sondern da kann man ja sagen: „Hurra, die haben ja schon mal ein technisches Verständnis; die haben was gelernt. Die muss man natürlich jetzt ein bisschen umschulen – dass sie jetzt z.B. den Ölwechsel, statt beim Auto, bei der Windkraftanlage machen“ (lacht). Das ist ja machbar, aber das muss man auch angehen. Und man braucht dann auch Personal, das die Leute schult. Da kann ich ja auch nicht sagen: „Zack, wir bilden jetzt mal 100.000 Leute aus!“ Man braucht ja Ausbilder:innen dafür. Das heißt: All das muss man jetzt anfangen, sich zu überlegen und anzugehen.

SFV: Kommen wir zu den technischen Aspekten bzw. Problemen dieses radikalen Umbaus zurück, vor dem wir stehen. Wir haben als SFV skeptische Nachfragen im Hinblick auf die Rolle, die Sie dem notwendigen Import von grünem Wasserstoff zumessen – obwohl Sie die Nachteile, die diese Speicherungsform von überschüssigem Strom hat, besonders im Hinblick auf die Effizienz, ja ziemlich präzise schildern. Zunächst mal, um das in der Größenordnung einschätzen zu können: Von wieviel Prozent unseres Energiebedarfs gehen Sie aus, die 2035 durch Wasserstoff abgedeckt werden müssen?

Quaschning: Auch da noch mal eine spannende Erkenntnis: Je früher wir klimaneutral werden, desto mehr Wasserstoff brauchen wir. Wasserstoff ist aber die ineffizienteste und teuerste Art der Energienutzung.

Wir haben in Deutschland ungefähr 40 Millionen Wohnungen, und überall sind ja Heizungen drin, im Wesentlichen Gasheizungen. Jetzt kann man sagen: „Ich mache es möglichst effizient“, dann würde ich versuchen, das Gebäude optimal zu dämmen, die Gasheizung rausreißen und eine Wämepumpe einbauen. Aber nun kann man sich überlegen: Mit dem bestehenden Fachpersonal – was schaffe ich in 15 Jahren? Da werde ich ja sicherlich nicht 40 Millionen Heizungen tauschen können. Das geht nur mit einer endlichen Geschwindigkeit, und je früher ich klimaneutral werden will, desto mehr Gasheizungen sind noch im System; und für diese Gasheizungen ist dann die einzige Chance, grünen Wasserstoff einzusetzen, um klimaneutral zu werden. Das heißt also: Je früher man klimaneutral werden will, desto mehr Wasserstoff braucht man. Das ist die bittere Erkenntnis; das hat mir auch nicht geschmeckt. Aber wir haben einfach überlegt: Mit welcher Geschwindigkeit kann man Heizungen tauschen, mit welcher Geschwindigkeit kann ich Verbrennungsmotoren ersetzen, entweder durch Abschaffen des Autos (aber dann brauche ich auch Alternativen im öffentlichen Verkehr), oder Elektroautos; und je früher wir klimaneutral werden, desto mehr alte, Ineffiziente Sachen – Verbrenner-Autos oder Gas- und Ölheizungen – sind noch im System. Und die kann ich halt nur mit Wasserstoff klimaneutral machen. Deswegen steigt der Wasserstoffbedarf empfindlich an, je früher wir klimaneutral werden wollen. Auch das macht 2030 deutlich schwieriger, weil wir dann solche Mengen an Wasserstoff brauchen, die wir auch im Ausland wahrscheinlich gar nicht so schnell herstellen können.

Je früher wir klimaneutral werden, desto mehr Wasserstoff brauchen wir. Auch das macht 2030 deutlich schwieriger.

Für 2035 haben wir versucht, den Wasserstoff nur dort einzusetzen, wo es nicht anders geht. Wasserstoff werden wir auch langfristig brauchen für die Industrie, also für die Stahlherstellung – grünen Stahl bekomme ich nicht ohne Wasserstoff. Ich brauche außerdem Wasserstoff für die Langzeitspeicherung: Wir haben bei Solar- und Windenergie zwei, drei Wochen, die wir überbrücken müssen, das werden wir dann auch mit Power-to-Gas machen müssen. Ja, und dann werden wir den Wasserstoff auch für die Bereiche brauchen, wo wir nicht schnell genug umgestellt haben, also Verbrennungsmotoren und alte Öl- und Gasheizungen, die noch im System sind. Deshalb war auch unsere Empfehlung: sofortiger Stopp des Einbaus von Öl- und Gasheizungen und von der Herstellung von Verbrennungsmotoren, denn je länger wir diesen alten Kram noch zulassen, desto schwieriger wird die Energiewende, desto mehr Wasserstoff brauchen wir und desto teurer wird es.

SFV: Da sind wir uns einig. Ich hatte nach einer quantitativen Angabe gefragt in Ihrem Szenario für 2035. Welchen Anteil des Endenergiebedarfs würden Sie dann, nach den Prämissen, die Sie genannt haben, durch Wasserstoff abdecken?

Quaschning: Wir sind davon ausgegangen, dass wir 60% des Wasserstoffs importieren, weil wir in Deutschland auch limitierende Faktoren haben. Wir sind davon ausgegangen, dass wir etwa zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft nutzen können. Man kann darüber diskutieren, ob vielleicht noch mehr durchsetzbar ist, aber diese zwei Prozent sind aus heutiger Sicht schon ambitioniert. Wir sind davon ausgegangen, dass wir die kompletten Potenziale der Offshore-Windenergie nutzen. Und wir sind davon ausgegangen, dass wir zwei Prozent der Landesfläche für die Photovoltaik verwenden. Das waren unsere limitierenden Faktoren. Und das, was dann noch übrigbleibt, haben wir gesagt, das importieren wir.

Jetzt kann man natürlich sagen: Okay, wir machen noch mehr bei uns, wir erhöhen die Windenergie. Aber dann muss man die Abstände zu den Gebäuden noch weiter reduzieren und die Widerstände brechen; das ist wahrscheinlich nicht wirklich durchsetzbar. Und deswegen ergibt sich einfach ein Importanteil aus den Flächenrestriktionen und den Widerständen, die wir gegen die Erneuerbaren Energien haben.

Den überwiegenden Anteil decken wir mit Erneuerbaren Energien, also Sonne und Wind direkt, sechzig, siebzig Prozent. Der Rest kommt vom Wasserstoff. Und von dem Wasserstoff, den wir brauchen, importieren wir allerdings sechzig Prozent.

Aber wir haben es auch sehr kritisch gesehen. Die Menge, die wir dann brauchen, ist relativ groß. Wir brauchen dann noch mal, um diesen Wasserstoff herzustellen, etwa die gleiche Menge an Photovoltaik im Sonnengürtel der Welt, wie wir hier in Deutschland aufbauen müssen. Also in der Größenordnung 500 bis 600 GW, um überhaupt diese Wasserstoffmenge bis 2035 produzieren zu können.

SFV: Also, es ist schwer, es präzise zu quantifizieren, verstehe ich aus Ihrer Antwort. …

Quaschning: Nein, ist es nicht. Ich müsste noch einmal nachschauen. Sie wollen eine genaue Zahl haben …

SFV: Eine Prozentzahl. Und ungefähr reicht, über den Daumen. Denn unser Eindruck ist: Es ist ziemlich viel.

Quaschning: Ja ist es auch. Selbst wenn wir zusehen, dass wir möglichst schnell die Öl- und Gasheizungen aus den Gebäuden rausdrängen und die Verbrennerautos ersetzen, dann brauchen wir im Jahr 2035 trotzdem um die 800 TWh an Wasserstoff. Der Gesamtenergiebedarf in Deutschland liegt dann bei 2500 TWh. Also wird der Wasserstoff etwa ein Drittel abdecken, wenn wir im Jahr 2035 klimaneutral werden wollen. Von dem Drittel werden 60% importiert. Die Importquote läge also bei 20%; das heißt, 80% des gesamten Energieaufkommens würden in Deutschland gemacht.

Auch dazu müssen wir vieles verändern. Da stellt sich die Frage: Ab wann kann man realistischerweise den Verbrenner in Deutschland verbieten? Das wird jetzt auch nicht ab dem Jahr 2022 klappen. Da wird VW und die gesamte Belegschaft Sturm laufen, und wir haben dann Gelbwesten auf den Straßen. Denn ich muss ja die Werke noch umstellen können. Zwei, drei Jahre muss ich den Firmen schon Zeit lassen. Also, 2025 ist aus unserer Sicht das frühestmögliche Datum, wo ich für Deutschland einen Zulassungsstopp für Verbrennungsmotoren erlassen kann. Und Autos leben nun mal zwanzig Jahre. Es gibt eine Sterbekurve für Autos, und dann kommen wir darauf, dass wir auch im Jahr 2035 immer noch relativ viele Verbrenner auf den Straßen haben. Wir sind davon ausgegangen, dass wir die Anzahl der Autos deutlich reduzieren (also Verkehrsmittel ersetzen), und die Autos, die noch unterwegs sind, dann grün machen mit Elektroantrieben oder notfalls ineffizienten und teuren synthetischen Treibstoffen. Anhand der Sterbekurven sehen wir, 2035 ist immer noch etwa ein Drittel der Autos mit Verbrennern unterwegs. Und für diese brauchen wir dann einfach diese Wasserstoffmengen.

Deswegen hat sich die Regierung wahrscheinlich 2045 ausgesucht: Das ist deutlich einfacher. Bis 2045 verschwinden fast alle alten Autos einfach von der Straße, dann gibt es das Problem nicht mehr. Aber für 2035 brauchen wir einfach gigantische Mengen an synthetischen Treibstoffen. Das Gleiche gilt im Heizungsbereich. Ich kann die Leute ja nicht frieren lassen und sagen: „Ihr habt nicht rechtzeitig umgestellt. Ihr kriegt jetzt kein Erdgas mehr.“ Irgendeine Lösung muss man anbieten, und dann kommt man einfach zum Wasserstoff.

SFV: Ich wollte eigentlich auf die andere Anwendung von grünem Wasserstoff hinsteuern, die Sie auch erwähnen, nämlich die Langzeitspeicherung. An meine quantitative Frage hätte sich die andere angeschlossen: Welcher Anteil davon würde in die Langzeitspeicherung fließen, also von welchen Mengen reden wir da? Und dann schließe ich aber gleich noch die qualitative Frage an. Wir haben im SFV ja lange auch Power-to-X-Strategien für die Langzeitspeicherung vertreten. Im Moment diskutieren wir wegen der Effizienz-Schwierigkeiten beim Wasserstoff, und bei den daraus hergestellten Stoffen Methan und Methanol, ob es nicht angesichts von technischen Fortschritten in der Batterietechnik sinnvoller ist, die Langzeitspeicherung auch durch Batterien zu machen. Die Diskussion ist gerade am Anfang. Da sind Sie ja auch vom Fach, und vielleicht können Sie ja eine Einschätzung geben, ob es nicht auf diesem Wege Alternativen zur Langzeitspeicherung durch Wasserstoff geben könnte.

Quaschning: Nein. Das muss ich ganz klar verneinen.

Wasserstoff hat einen Riesennachteil; Wasserstoff hat enorme Verluste. Das heißt, wenn ich Wasserstoff einspeichere und wieder raushole, sind zwei Drittel weg. Wenn ich das sehr häufig mache, summieren sich die Verluste zu riesigen Summen auf. Wenn ich aber Langzeitspeicherung mache, habe ich ja die Verluste praktisch nur ein einziges Mal im Jahr. Bei den Batterien ist es so: Die Kosten richten sich nach den Zyklen. Wenn ich jetzt einen saisonalen Batteriespeicher habe – eine Batterie lebt um die 20 Jahre – dann kann ich die Batterie in ihrer Lebensdauer zwanzig Mal be- und entladen. Ein üblicher Heimspeicher kriegt ja 2000 oder mehr Zyklen hin. Das heißt, ich nutze nur ein Hundertstel der Zyklen, und deswegen ist es auch hundert Mal so teuer. Also, aus finanziellen Gründen wird das Harakiri sein, die Langzeitspeicherung mit Batteriesystemen zu machen.

Außerdem sind die Mengen ja gigantisch. Man muss ja einfach mal überlegen, wenn wir von einem Speicherbedarf in der Größenordnung von 200 TWh ausgehen: Die Elektroautos, die im Jahre 2020 zugelassen wurden – nageln Sie mich nicht fest – ich glaube, die haben 8 GWh an Batteriespeicherkapazität gehabt. Das waren zwar auch nicht so dramatisch viele; aber wir reden dann über einen Faktor 25.000; also das heißt, es ist eine ganz andere Dimension, die wir dann brauchen. Da fehlt mir die Phantasie, wo a) diese gigantischen Mengen an Batterien herkommen sollen, und b) wer die bezahlen soll.

Also, Batteriespeicher machen immer dann Sinn, wenn ich viele Zyklen habe. Für den Tag-Nacht-Ausgleich ist Power-to-Gas Wahnsinn, weil ich dann einfach zu viel Verluste habe. Das werden wir mit Batterien machen. Immer wenn wir tagsüber Überschüsse haben – der typische Zyklus, den wir bei der Photovoltaik im Frühjahr haben. Aber wir haben halt auch die zwei oder drei Wochen im November, wo weder Wind noch Sonne ausreichend Energie liefern. Da brauchen wir eine saisonale Speicherung. Da kommen die Überschüsse im Frühjahr und Sommer rein, und die hole ich dann im November wieder raus. Diese Speicher werden vielleicht ein-, zwei-, dreimal im Jahr geladen, und dafür bietet sich dann einfach Power-to-Gas an. Das heißt, wir werden eine Kombination von beiden Speichertechniken brauchen. Ich glaube, da sind sich alle, die in der Wissenschaft so etwas mal durchgerechnet haben, einig.

SFV: Ich habe noch eine ergänzende Frage zu den Verbrennern und den Öl- und Gasheizungen. Wenn die jetzt nach 2035 mit Wasserstoff betrieben werden: Wer wird das zahlen? Das wird ja enorm viel teurer, und das wird ja nicht den Bürger:innen, die so eine Heizung haben, aufgehalst, vermutlich. Oder meinen Sie, dass das eigentlich heute schon eine Risikoinvestition ist?

Quaschning: Ja. Die Frage ist doch: Wie leistungsfähig ist künftig noch der deutsche Staat? Wir müssen auf der einen Seite die Energiewende stemmen. Je schneller wir das stemmen, desto teurer wird es natürlich. Und auf der anderen Seite die zunehmenden Klima-Folgeschäden, die wir ja auch irgendwie begleichen müssen. Das heißt: Momentan hat Deutschland ja noch volle Kassen; aber irgendwann werden die natürlich auch leer sein. Wie leistungsfähig ist der Staat dann noch? Also, ich würde jedem heute dringend abraten, ein neues Auto mit Verbrennungsmotor oder eine neue Öl- oder Gasheizung zu kaufen.

Irgendwann wird es eine Grenze geben, ab der es dann nicht mehr geht, und dann wird man einfach sagen: „Gut, ist halt so.“ Man wird den Leuten dann synthetische Treibstoffe oder synthetisches grünes Gas anbieten, das dreimal so teuer ist wie heute, und dann wird man sagen: „Friss oder stirb! – Wir sorgen dafür, dass ihr nicht frieren müsst; aber wir können nicht mehr dafür sorgen, dass es für den gleichen Preis wie 2020 sein wird.“ Und das muss man den Menschen, glaube ich, heute auch ganz ehrlich erzählen.

Wer heute eine Öl- oder Gasheizung einbaut, oder einen neuen Diesel kauft, wettet darauf, dass der Diesel- oder Heizölpreis nicht weit über den heutigen Preis hinaus steigt. Das wird nicht passieren, wenn man wirklich die Klimaziele einhalten will. Da wird der Druck weiter steigen. Wir werden noch mehr Katastrophen sehen wie im Ahrtal; und irgendwann wird die Bevölkerung sagen: „Okay, wir müssen wirklich schneller sein.“ Und dann ist ja der einzige Weg, dass man den Betrieb entweder verbietet, oder dass man synthetische Treibstoffe in den Markt gibt. Und die sind nun mal teuer.

Es bleibt eine spannende Frage, was wir mit Menschen mit niedrigem Einkommen machen.  Ich denke, der Weg wird sein, dass man ein Energiegeld für arme Leute definiert, also dass man dafür sorgt, dass die Menschen nicht hungern müssen, um ihre Energiekosten zu bezahlen. Aber die Leute, die ein mittleres oder hohes Einkommen haben, werden mit den hohen Kosten der fossilen Restsysteme zu kämpfen haben, und man kann das auch nicht auffangen.

SFV: Im Grunde genommen sollte man doch die Bundesregierung ermuntern, sozusagen einen Warnhinweis gegenüber dem Kauf von Verbrenner-Autos oder Gasheizungen …

Quaschning: Eigentlich muss die Regierung die Bevölkerung vor den Folgen, die ja heute schon absehbar sind, einfach schützen. Und das heißt, das wäre ein schnellstmögliches Verbot der Neuzulassung von Verbrennermotoren und ein schnellstmöglicher Einbaustopp von Öl- Und Gasheizungen. Spätestens 2025; wenn’s geht, sogar noch früher. Man muss der Branche natürlich eine gewisse Übergangsfrist geben, damit sie sich darauf einstellen kann; n einem Jahr wird’s vermutlich nicht gehen. Aber 2025 ist aus unserer Sicht eigentlich das späteste Datum, wann man es machen kann.

SFV: Glauben Sie, dass Deutschland irgendwann in der Lage sein wird, ohne Importe 100 Prozent erneuerbar zu sein? Vielleicht nicht 2035, aber irgendwann?

Quaschning: Also, machbar ist es, wenn wir uns ein bisschen einschränken, und bei der Windenergie die Widerstände brechen, so dass wir auch wirklich die kompletten Potenziale (oder vielleicht sogar noch ein bisschen darüber hinaus) ausbauen. Wir hatten ja gesagt: 80 Prozent machen wir schon bei dem 2035er-Szenario. Bei dem brauchen wir noch ein bisschen Wasserstoff für die alten Öl- und Gasheizungen. Wenn wir die dann noch ersetzen, dann sinkt ja der Wasserstoffbedarf wieder mittelfristig ab.

100 Prozent würde ich vielleicht nicht sehen. Wir haben ja z.B. noch den Flugverkehr; da ist es dann ja egal, ob der Flieger in Frankfurt aufgetankt wird, oder woanders, wo es vielleicht dann auch wirklich billiger ist. Also, da wird man dann auch kostenmäßig optimieren. Solarstrom ist nun mal in Afrika billiger als in Deutschland; deswegen wird man wahrscheinlich günstigere synthetische Treibstoffe dort haben.

Man muss auch darüber diskutieren, ob wir z.B. die enorm energieintensive Industrie hier in Deutschland halten werden können. Denn der Wasserstoff ist in Marokko erheblich günstiger als der in Deutschland, einfach weil der Solarstrom dort billiger ist. Und dann werden Unternehmen auch überlegen, ein energieintensives Stahlwerk nach Marokko zu verlegen. Warum nicht? Das wäre jetzt für mich auch kein Tabu. Und wenn dann alle aufschreien: „Wir müssen, koste es was es wolle, jede Industrie hier in Deutschland halten!“ – ich meine, das sind ja nicht so dramatisch viele Arbeitsplätze, und wie gesagt, wir haben sowieso einen erheblichen Fachkräftemangel. Und wenn man sich keine Gedankenverbote auferlegt, dann kann ich mir schon vorstellen, dass man 90 bis 95 Prozent im eigenen Land irgendwann mal abdecken kann.

SFV: Ich glaube, wir sollten zur technischen Klärung noch mal etwas vertiefen. Wenn Sie gesagt haben: „Wir brauchen den grünen Wasserstoff, um die noch vorhandenen Verbrenner-Autos und fossilen Heizungen zu betreiben“, dann könnten die Leute lesen, dass da direkt Wasserstoff verbrannt wird. Und das ist technisch ja nicht möglich. Da geht es dann noch mal um weitere Umwandlungen dieses Wasserstoffs zu synthetischen Kraftstoffen.

Quaschning: Klar, und die sind enorm ineffizient und sündhaft teuer. Das muss den Leuten klar sein. Den Wasserstoff muss ich erst mal methanisieren, also ich brauche eine Kohlenstoffquelle. Im Zweifelsfalle hole ich das CO2 aus der Luft. Das geht technisch, ist aber auch sehr teuer und energieaufwändig. Mit Kohlenstoff und Wasserstoff kann ich dann Methan oder Methanol herstellen, und das kann ich dann weiter aufbereiten zu Diesel-, Benzin- oder Kerosinersatz. Grünes Methan kann ich auch direkt als Erdgasersatz verwenden. Die Herstellung ist aber einfach aufwändig und teuer. Das muss den Leuten bewusst sein. Wenn man das jetzt noch mal deutlich steigert, was wir in diesem Jahr an Preissteigerungen gesehen haben, dann kommen wir dahin, wo wir mit grünem Wasserstoff oder grünem Gas sein werden.

SFV: Vielleicht noch eine kleine Frage: Bei dem Energiebedarf, den Sie ausgerechnet haben, ist da der Energiebedarf für CO2-Rückholungsmaßnahmen schon drin?

Quaschning: Nein. – Also, wir gehen ja davon aus, dass wir 2030 oder 2035 klimaneutral sind … also 2030, hatten wir gesagt, ist schwierig; 2035 vielleicht noch mit viel Phantasie machbar. Dann wären wir noch im Bereich des Pariser Klimaschutzabkommens, ohne Rückholung. Dann kann man natürlich darüber diskutieren, ob wir bei 1,7 Grad versuchen, etwas zurückzuholen, um den 1,5-Grad-Pfad noch einzuschlagen. Aber die Energiemengen dafür wären nicht drin. Da würde ich aber auch empfehlen: Bei der CO2-Rückholung ist es ja eigentlich wurscht, an welcher Stelle auf diesem Planeten wir das machen. Das würde man am sinnvollsten dort machen, wo die Energie am billigsten ist, weil das ja energieintensiv ist. Da würde ich dann vorschlagen: Gehen wir irgendwo in die Wüste, da kommt dann aus der gleichen Solaranlage doppelt so viel Strom raus, und dann ist die CO2-Rückholung halb so teuer.

SFV: Wobei ökonomisch ja die verantwortlich sind, die das rausgeblasen haben, also wir!

Quaschning: Ja, bezahlen müssen wir das, klar! Man kann ja trotzdem einen Deal z.B. mit Marokko machen und sagen: „Okay, wir kaufen oder mieten euch Land ab und machen das bei euch.“ Denn trotz der Miete für das Land wird es billiger, als wenn wir es bei uns machen.

SFV: Jetzt wäre noch mal ein Themenwechsel dran. Wir sollten etwas sagen zu dem aktuellen Problem der EU-Taxonomie. Denn auch aus Klimaschützer-Kreisen wird immer wieder eine Renaissance der Atomkraft herbeigeredet. Dazu hätten wir gerne noch eine Stellungnahme, insbesondere im Hinblick auf die Frage: Was soll man Ländern wie Frankreich sagen, die heute 70% ihres Strombedarfs aus Atomenergie decken?

Quaschning: Fangen wir damit an, warum wir überhaupt dieses Taxonomie-Problem haben. Es wird ja immer behauptet, die Kernenergie würde billigen Strom machen; mit billiger Kernenergie kann ich das Klima retten. Wäre die Kernenergie billig, dann würden wir gar nicht über die Taxonomie reden, denn dann würde man die Kernkraftwerke einfach bauen. Die Taxonomie ist ja eine Möglichkeit, Subventionen in die Kernenergie reinzubuttern. Darum geht es ja im Wesentlichen.

Ich denke, die Kernenergie-Diskussion, die wir hier auch in Deutschland führen, die ist ziemlich gaga. Ich bin im letzten Jahr bestimmt von zehn Journalistinnen und Journalisten gefragt worden, ob es Sinn macht, die bestehenden Kernkraftwerke abzuschalten. Da kann man aus technischer Sicht einfach nur sagen: Der point of no return ist schon vor einigen Jahren erreicht worden. Das heißt, selbst wenn jetzt die deutsche Bundesregierung das Gesetz zum Abschalten der Kernkraftreaktoren kippen würde, dann würde man sie trotzdem abschalten. Denn ich kann ja nicht auf Ebay irgendwelche Brennelemente ersteigern, oder in der Süddeutschen eine Anzeige schalten: „Suche Betriebspersonal für mein Kernkraftwerk“. Die hat man ja alle in den Ruhestand geschickt. Man hat Wartungspläne für Kernkraftwerke, die sind gar nicht mehr genehmigungsfähig momentan; die müsste man erst mal auf Vordermann bringen. Es geht gar nicht! Das ist so eine „Hätte, hätte, Fahrradkette“-Diskussion. Ich glaube, man führt diese Diskussion, weil allen bewusst ist, dass wir sehr einschneidende Veränderungen brauchen; und die Kernenergie suggeriert so ein bisschen die Hoffnung: „Komm, wir lassen einfach die Dinger weiterlaufen, und dann ist alles gut und wir brauchen uns nicht zu verändern. Deswegen springen so viele Leute darauf an. Aber das löst ja unser Problem nicht. Zumal die Kernkraftwerke im letzten Jahr nur drei Prozent des Endenergieaufkommens gedeckt haben, und wir müssen ja hundert Prozent klimaneutral werden.

Jetzt kann man natürlich über die Risiken und über die Klimaneutralität reden. Ein Kernkraftwerk – muss man auch als kritischer Mensch zugeben – ist CO2-arm; nicht CO2-frei, aber vergleichsweise CO2-arm; hat aber andere Risiken. Die Risikobewertung macht jeder subjektiv. Ich sehe das Risiko als sehr hoch an; andere sehen das subjektiv als nicht ganz so hoch an.

Die Frage ist nur: Macht es Sinn, auf die Kernenergie zu setzen? Wir haben einige Kernkraftwerke in Europa gebaut, die haben Bauzeiten von zehn, fünfzehn Jahren, zwanzig Jahren. Jetzt überlegen wir uns mal: Wir wollen 2035 klimaneutral werden. Wenn wir in Deutschland mit der Kernenergie 2035 klimaneutral werden wollen, müssten wir in diesem Jahr weit über 100 Kernkraftwerke planen, projektieren und in Auftrag geben, mit Standortfindung und sonstigem vor Ort. Nun kriegen die Leute ja schon einen Schreianfall, wenn ich ein Windrad hinstellen will. – Die AfD hat in ihrem Wahlprogramm drin: „Wir sind für die Kernenergie!“ Aber dann planen wir doch mal zehn Kernkraftwerke in Sachsen, und dann gucken wir mal, wie die AfD sich verhält! Das sind doch die ersten, die dann umkippen und sagen: „Ach nee, so haben wir uns das nicht vorgestellt!“ Das heißt: Das ist in Deutschland doch gar nicht durchsetzbar. Deswegen ist das eine reine Ablenkung: Neubauten sind nicht durchsetzbar, die alten kann man nicht verlängern, also wird die Kernenergie in Deutschland keinen Anteil leisten. Punkt.

Ich kann ja nicht auf Ebay irgendwelche Brennelemente ersteigern, oder in der Süddeutschen eine Anzeige schalten: „Suche Betriebspersonal für mein Kernkraftwerk“.

In anderen Ländern wird es ein bisschen anders diskutiert. Frankreich hat derzeit 70% Kernenergie. Jetzt denken alle: Mit der grünen Taxonomie wird die Kernenergie ausgebaut, und Frankreich leistet damit einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz. Auch das ist nicht der Fall. Den Zahn muss man den Leuten auch noch ziehen, die jetzt mit wehenden Fahnen für die Kernenergie gehen. Frankreich hat 70% Kernenergie am Strom. Die Autos fahren in Frankreich auch mit Benzin und Diesel. Die Industrie arbeitet auch mit fossilen Brennstoffen. Das heißt: Frankreich hat nur 25% Kernenergie am gesamten Endenergieaufkommen. 75% stammen nicht von der Kernenergie, auch in Frankreich. Man darf halt nicht nur auf den Strom schauen!

Das heißt also: Wenn jetzt der Green Deal durch ist, muss Frankreich seine gut 70%, die immer noch fossil sind, ersetzen. Dafür brauche ich schon mal einen Plan A; das wird wahrscheinlich auch mit erneuerbaren Energien passieren. Nun hat Frankreich das Problem, dass die Kernreaktoren schon ziemlich alt sind. Die sind größtenteils schon 30 oder 40 Jahre alt. Das heißt, bis zum Jahr 2035 würden fast alle Kernkraftwerke wegen Altersschwäche vom Netz gehen. Und wenn jetzt die Kernkraftwerke vom Netz gehen, dann haben die ja gar nichts mehr. Dann stehen die bei der Energiewende da, wo wir in Deutschland 1990 oder 1995 gestanden sind, und müssten alle Versäumnisse in einem Expresstempo nachholen. Und das haben jetzt die Franzosen verstanden: „Wir hätten eigentlich mal vor zehn Jahren eine Entscheidung treffen sollen, wie es weitergeht“. Die haben sie versäumt, weil sie unbequem ist. Sie haben das auf die lange Bank geschoben. Nun ist wohl offensichtlich ihr Plan, irgendwie mit vielen Subventionen die ollen Kernkraftwerke noch mal flott zu machen, damit die länger laufen können, dass sie die wenigstens im Strombereich nicht diese auch noch ersetzen müssen; und sich dann um die restlichen fossilen Energien kümmern zu können. Und das ist auch ein Express-Ritt. Darum geht’s eigentlich bei dem Green Deal, und nicht um die Kernenergie, die jetzt Frankreich plötzlich grün macht. Das haben ganz viele Menschen, die da keinen Sachverstand haben, ganz falsch verstanden, und das wird auch permanent falsch dargestellt.

Und der französische Weg wird halt einfach richtig teuer werden. Deswegen brauchen sie die Taxonomie, um die Subventionen da reinzubuttern.

SFV: Aber, um das erste Argument noch mal kritisch aufzugreifen: Sie haben ja gesagt, per saldo, im gesamten Energiebereich, sind 75% des Energieverbrauchs in Frankreich nicht nuklear. Aber das sind ja alles Bereiche, die wahrscheinlich in Frankreich, wie bei uns, elektrifiziert werden. Die ersetzen dann auch Benzinautos durch Elektroautos. Und der Strom dafür kann theoretisch auch aus neuen Atomkraftwerken kommen. Ich befürchte, dass es solche Planungen gibt in Frankreich.

Quaschning: Frankreich muss ja erst mal die ollen Meiler ersetzen. Die müssen ja erstmal die 50 Reaktoren auf Vordermann bringen; und dann müssten sie ja noch 50 oder 100 neue dazustellen. Und das in 15 Jahren! Also das möchte ich sehen, dass das in Frankreich durchsetzbar ist!

Und dann müssten sie es auch noch bezahlen können! Sie haben ja kürzlich einen neuen Reaktor in Flamanville gebaut. Der sollte mal 3 Milliarden Euro kosten. Mittlerweile liegen die Kosten bei 19 Milliarden. Dann kann man ja einfach mal rechnen: 100 Kernkraftwerke mit den Kosten von der Anlage in Flamanville – das würde selbst Deutschland überfordern, von den finanziellen Ressourcen her. Das wird nicht passieren, denn irgendwann fangen die Franzosen auch mal an zu rechnen, trotz aller Subventionen und Liebe zur Kernenergie. Ich meine: Frankreich ist eine Nuklearmacht; die haben sowieso Interesse, dass ein paar Anlagen weiterlaufen. Denn wenn man die Atombombe hat, ist es immer geschickt, dass man auch ein paar Kernkraftwerke hat, weil dann auch das Personal geschult und gehalten werden kann. Aber diese Mengen – never! Das ist eine reine Papierdiskussion, wie wir sie übrigens bei der Kernenergie schon seit 30 Jahren sehen. Also, seit 1990 haben wir in Deutschland alle fünf Jahre die Diskussion: „Überall machen sie eine Renaissance der Kernenergie.“ Seit 1990 werde ich permanent gefragt: „Wie sieht denn das aus mit der Kernenergie; alle Länder der Welt setzen auf den massiven Ausbau der Kernenergie, nur Deutschland nicht. Können wir uns das am Ende leisten?“ Dann habe ich gesagt: „Kernenergie ist teuer“, das hat man am Anfang nicht geglaubt. Mittlerweile glaubt man das. Aber gefühlt ist es ja so: Die Kernenergie legt überall zu, und die Chinesen bauen und die Franzosen bauen. Aber wenn wir die Leistung aller Kernkraftwerke weltweit betrachten, ist es absolut konstant: Seit 30 Jahren bauen wir genauso viele Kernkraftwerke zu wie abgeschaltet werden. Das heißt also: Da hat sich gar nichts getan. Und wo jetzt ab 2022 plötzlich der Kernenergie-Boom herkommen soll, der die letzten 30 Jahre ausgeblieben ist, das sehe ich nicht. Auch die paar Anlagen, die in China gebaut werden, die sorgen dafür, die in wegfallenden Anlagen in anderen Ländern zu kompensieren. Da wird es keinen Boom geben. Den gab es die letzten 30 Jahre nicht, und den wird es auch in den nächsten 30 Jahren nicht geben. Warum auch? Das ist eine reine Papier- und Scheindiskussion, die wir hier bei der Kernenergie führen.

SFV: Können Sie noch einen Satz sagen zu dem „großen Durchbruch“ bei der Kernfusion, der gestern durch die Presse ging, mit dieser riesigen Menge an Energie, die dort für einige Sekunden erzeugt werden konnte?

Quaschning: Es gibt ja die „Fusionskonstante“: Egal in welchem Jahrzehnt man nach der Kernfusion fragt – es dauert immer dreißig Jahre, bis sie marktfähig sein wird. In dreißig Jahren müssen wir aber schon klimaneutral sein.

Natürlich braucht man Erfolgsmeldungen bei der Kernfusion – man will ja auch Milliarden an Forschungsgeldern haben. Wenn man im Detail reinguckt, gibt es immer noch wahnsinnig viele ungeklärte Fragen. Das heißt, die Fusionskonstante von dreißig Jahren gilt nach wie vor. Weder die Kosten noch alle technischen Probleme sind gelöst. Und auf ein Pferd zu setzen, das vielleicht in dreißig Jahren zur Verfügung stände, ist natürlich hoch riskant. Und ich kann ja auch nicht sagen: In dreißig Jahren ist die Anlage da, und dann mach ich „schnick!“, und die ganze Welt hat Fusionsanlagen. Alleine für das Ausrollen bräuchte ich ja auch noch mal zwanzig Jahre. Die Zeit haben wir einfach nicht mehr.

Es gäbe noch ganz viele kritische Sachen, die man sagen könnte, aber allein aus der Zeitachse kommt diese Technologie für den Klimaschutz nicht mehr in Frage und sie ist zudem noch teurer als die heutige Kernspaltung

SFV: Ich habe noch eine Frage in Bezug auf unseren Lebensstil. Wir versuchen, von unserem fossilen Energiebedarf runterzukommen. Egal, ob wir das mit Kernenergie umsetzen wollen oder mit einem massiven Ausbau von Wind und Photovoltaik, ist das eine absolute Challenge, weil wir ja diesen Zeitdruck haben. Aber auch, weil wir eben diesen Lebensstil aufrechterhalten. Wir fragen uns auch intern immer wieder, ob wir die Klimakatastrophe überhaupt abwenden können, ohne unseren Lebensstil massiv zu ändern, in Richtung von Konsumreduktion jeglicher Art. In Ihrem neuen Buch sprechen Sie es ja auch teilweise an, z.B. dass wir von den Auto-Mengen in Deutschland runter müssen; nur noch die Hälfte haben Sie da angesetzt. Aber was ist da generell Ihre Haltung? Glauben Sie, dass wir es schaffen können, unseren Energiehunger auf ein neues System Erneuerbarer Energien umzuswitchen, ohne an diese sensiblen Fragen ranzugehen?

Quaschning: Spannende Frage! Ich kratz ja immer an diesen sensiblen Fragen. Nur, wir sind ja in einer Demokratie, was ja gut so ist. In einer Demokratie kann ich nur das System durchsetzen, was gerade noch so mehrheitsfähig ist. Natürlich kann ich die Hälfte der Häuser abreißen und sagen: „Rutscht mal zusammen!“ Im Zweiten Weltkrieg ist das ja passiert; da war die Hälfte der Häuser zerstört, und die andere Hälfte hat ja auch ausgereicht. Das funktioniert theoretisch – praktisch wird das nicht durchsetzbar sein. Dass man auslost: Jeder zweite gibt sein Haus ab und zieht zum Nachbarn, oder so. Wir hätten sofort halb so viel Heizenergiebedarf, und auch der Strombedarf ginge dramatisch runter. Das wäre sehr einfach. Insofern ist das spannend, weil die Wohnfläche in Deutschland seit 1990 um über 30% zugenommen hat, bei weitgehend konstanter Bevölkerung. Alle Erfolge, die wir haben, werden durch solche Steigerungen weggenommen. Das ist ein großes Problem.

Ich denke, man muss darüber diskutieren. Es gibt Sachen, die wir technisch lösen können. Der Aufwand ist schon groß; es ist eine Materialschlacht, die ganzen Windräder und Solaranlagen zu bauen.

Man kann appellieren. Aber selbst bei den hohen Kosten, die wir jetzt im Gebäudebereich beim Neubau haben, ist ja immer noch der Traum der Menschen: das eigene Haus, und das möglichst groß. In China könnte der Staat die Anzahl der Quadratmeter gesetzlich begrenzen. Das werden wir in Deutschland nicht durchkriegen. Deswegen sind solche Fragen sehr schwer zu beantworten. Prinzipiell würde ich das immer befürworten; ich glaube aber nicht, dass das in unserer Demokratie mehrheitsfähig sein wird.

Es gibt auch noch andere Räder, an denen wir drehen müssen, wo wir ohne Veränderungen gar nicht weiterkommen. Das ist der Fleischkonsum. Bei der Energie können wir mit einer Materialschlacht alles lösen. Wir haben ja ausreichend Solarenergie, es ist nur die Frage: Schaffen wir es rechtzeitig, ausreichend Solaranlagen hinzustellen, um unseren Energiehunger zu decken? Die Materialien für die Solarenergie kriegen wir auch, das sind im wesentlichen Silizium, Glas, dafür brauche ich Quarzsand, den gibt es auch in großen Mengen. Das Problem ist lösbar, aber es ist eine große Materialschlacht, und auch ein großer Eingriff in die Landschaft: Ich muss die Anlagen aufbauen, ich muss die Rohstoffe rausholen.

Was ich nicht so einfach gelöst bekomme, ist: der Fleischkonsum. Wir leisten uns in Deutschland einen Fleischkonsum, der dramatisch hoch ist. In Deutschland essen wir insgesamt ähnlich viel Fleisch wie in Indien. Deutschland hat 80 Millionen Einwohner, Indien über eine Milliarde. Wenn wir den Pro-Kopf-Fleischkonsum der Deutschen auf den Rest der Welt übertragen würden, würde dieser Planet nicht ausreichen für die Anbauflächen für die Futtermittel. Da muss man den Leuten ganz klar sagen: „Ihr müsst runter mit dem Fleischkonsum!“ Wir essen ja alleine doppelt so viel Fleisch, wie gesund ist. Auf die Hälfte, sagt sogar die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, sollten wir runter; auf ein Viertel runter bräuchten wir eigentlich für den Klimaschutz.

Das ist schon als Vorstellung für manche Menschen sehr, sehr schwierig. Ich selber bin Veganer. Ich führe auch diese Diskussionen: Wenn man den Leuten ihr Steak wegnehmen will, dann rasten die Menschen teilweise aus. Wenn ich jetzt noch sage: „Ihr müsst eure Wohnfläche verkleinern“, ist das nicht mehrheitsfähig. Die Menschen würden dann lieber in die Klimakatastrophe rutschen.

Dann muss man einfach schauen, dass man das durchsetzt, was noch gerade mehrheitsfähig ist. Dazu gehört auch schon eine Lebensstilveränderung. Man sieht ja schon, dass es einen Trend zu veganer Ernährung gibt. Da ist schon eine Veränderung im Gange, aber die braucht halt Zeit. Genauso auch bei allen anderen Konsummustern: Da verändert sich ein bisschen was, aber in 15 Jahren werden wir diese dramatischen Veränderungen, die wir brauchen, nicht durchsetzen können. Und deswegen, glaube ich, müssen wir schon sehr viel technisch lösen, auch mit einer großen Materialschlacht im Energiebereich.

SFV: Ich sehe das ähnlich. Ich habe mich über die kleinen Passagen in Ihrem Buch gefreut, wo das immer wieder angesprochen wird. Eine Sache, die ich generell kritisiere, ist, dass das im politischen Diskurs überhaupt nicht angefasst wird. Da geht es immer nur um die technologischen Fragen. Ich habe das Gefühl: Die Politiker:innen haben so viel Angst, dass sie es sich da verscherzen. Zu Recht: Das ist ja auch in der Vergangenheit oft passiert. Aber mir fehlt der Diskurs als Grundlagendebatte, als Teil von der Energiewende.

Quaschning: Klar! Ich bin seit dreißig Jahren dabei, ich habe viele solche Diskussionen geführt. Wenn man wirklich da reingeht und den Menschen sagt: „Ihr müsst eure Lebensstile verändern!“, dann merkt man sehr stark, dass die Menschen sofort renitent werden und es komplett ablehnen. Die Diskussion haben wir zum Beispiel bei uns in der Familie auch lange geführt, vor drei Jahren, da war die Frage: Schaffen wir unser Auto komplett ab, oder schaffen wir ein Elektroauto an? Man hat ja eine gewisse Vorbildfunktion. Wenn ich irgendwann mit einem Lastenfahrrad aus dem Carport rausradel, dann haben meine Familie und ich überhaupt kein Problem damit; aber meine Nachbarn würden sagen: „Na, der ist jetzt komplett abgedreht.“ Das ist ein Lebensstil, den niemand hier annehmen würde. Deswegen haben wir das Elektroauto genommen, und da merke ich dann sofort: Dann sagen viele: „Okay, ja, noch traue ich mich nicht, aber irgendwann mal“. Also: Wie viele Schritte kann man den Menschen zumuten? Den Schritt zum Elektroauto oder zu weniger Autofahren, mal mit der Bahn fahren, ab und zu mal wenigstens, das geht noch. Das Auto komplett abzuschaffen, in Berlin zu verbieten, nur noch Fahrräder zuzulassen, wäre eigentlich das Sinnvollste – aber das ist, glaube ich, nicht ansatzweise mehrheitsfähig.

Wir leben leider in einem Land, wo die Leute lieber die Klimakatastrophe in Kauf nehmen als kleinste Veränderungen. Wir haben ja nicht mal ein Tempolimit durchgekriegt.

Das ist, glaube ich, auch die Frage, die die Politik umtreibt. Es hilft ja nichts, wenn ich radikale Maßnahmen fordere und in vier Jahren dann die AfD die Regierung stellt. Dann haben wir ja nichts gewonnen.

SFV: Es ist ja so, dass unser Lebensstil auch für uns als einzelne mit starken Kosten und Nachteilen verbunden ist. Diskursiv müsste man ja eigentlich den Leuten klar machen, was es für ein Zugewinn an Lebensqualität wäre, wenn die Städte nicht durch Blech erdrückt würden. Und beim Wohnen ist es im Grunde genommen auch so: Ein verwitweter alter Mensch wohnt womöglich noch in seinem Häuschen und verbraucht viele Quadratmeter; das ist auch mit Vereinsamung verbunden. Das könnte man diskursiv ja klarer machen. Aber es beruht auch auf gesetzgeberischen Weichenstellungen. Da wären wir wieder bei der Frage, was eigentlich jetzt von der Bundesregierung zu fordern wäre, wenn sie es ernst meint mit Klimaneutralität: Dass erstens die politischen Weichen – jeder muss Wohneigentum bilden, das wird massiv gefördert, und verkehrspolitisch hat das dann auch wieder Konsequenzen – umgestellt werden, und zweitens, dass es auch so kommuniziert wird, dass die meisten Leute sehr viel zu gewinnen haben, wenn wir das ändern. Oder?

Quaschning: Spannende Frage, ob die Menschen das so sehen! Ein Raucher hat ja auch sehr viel zu gewinnen, wenn er aufhört zu rauchen. Trotzdem machen es die Raucher nicht.

Also, ich gebe Ihnen da vollkommen recht. Es ist so: In autofreien Städten, oder in Städten, die sich dahin entwickeln, wie Kopenhagen, da hat man eine deutlich höhere Lebensqualität als z.B. in Berlin. Aber das wird von den Menschen erst mal nicht so gesehen. Viele haben einfach Schwierigkeiten, sich Veränderungen vorzustellen, zu akzeptieren und umzusetzen. Irgendwann muss man sie einfach vorschreiben und Regeln machen.

Es ist immer die Frage, was die Menschen noch akzeptieren oder nicht. Eine autofreie Innenstadt scheint in Deutschland nicht durchsetzbar zu sein. Ich reibe mir immer die Augen: Kopenhagen – ein Prozent Reduktion des Autoverkehrs pro Jahr. London ebenfalls, die machen eine City-Maut von bald 20 Euro. In Paris kann ich ab 2024 mit ‘nem Diesel nicht mehr in die Innenstadt rein. – Berlin, rot-rot-grüne Regierung, etwas Besseres kann man sich eigentlich für den Klimaschutz derzeit nicht wünschen, zumindest bei den möglichen Konstellationen; da hat man in der letzten Legislaturperiode diskutiert, 2030 Verbrenner nicht mehr in die Innenstadt zu lassen. Und das ist dann in der Koalition noch gescheitert, weil das zu früh wäre.

Das ist halt Deutschland. Ich glaube wirklich: Wenn man beschlossen hätte: 2030 keine Verbrenner mehr in die Innenstadt – die CDU hat schon mobil gemacht – hätte das vielleicht sogar dazu geführt, dass Rot-Rot-Grün abgewählt worden wäre.

Ich sage ja immer: „Leute, die Autos, die ihr dann nicht mehr in die Stadt lassen wollt, die sind ja noch gar nicht gebaut!“ Da ging es ja nicht um ein Autoverbot in der Stadt, sondern nur: Verbrenner! Mit einem Elektroauto wäre ich im Jahr 2030 noch reingekommen, und die Leute haben gesagt: Nein, das geht nicht. Das ist halt so die deutsche Denkwelt. Das zu verändern, versuche ich seit 30 Jahren. Ich sag mal: „Verbietet den Leuten den Verbrenner“, dann meckern sie auch mal, aber wenn sie dann ein Elektroauto kaufen können, dann meckern sie, aber fahren damit und sagen: Okay, geht ja auch. Wenn sie dann aber nicht mehr in die Innenstadt dürfen und auf das Fahrrad oder den ÖPNV umsteigen müssen … mal gucken, ob das mehrheitsfähig ist. Wir leben leider in einem Land, wo die Leute lieber die Klimakatastrophe in Kauf nehmen als kleinste Veränderungen. Wir haben ja nicht mal ein Tempolimit durchgekriegt.

SFV: Angesichts dieses Dilemmas, vor dem ja auch die ganzen Politiker:innen  stehen – was würden Sie jetzt, auch im Hinblick auf das „Osterpaket“ der jetzigen Bundesregierung, Herrn Habeck empfehlen?

Quaschning: Man muss versuchen, die Altlasten zu reduzieren. Also: Keine neuen Verbrenner-Autos und keine neuen Öl- und Gasheizungen. Das wäre das erste. Jede neue Öl- und Gasheizung und jedes neue Verbrenner-Auto macht es schwieriger, klimaneutral zu werden. Verkehrspolitik macht jetzt leider die FDP. Also mit den Verbrennern kann man jetzt vermutlich nicht so viel machen. Im Heizungsbereich steht im Koalitionsvertrag ein bisschen verschwurbelt drin, dass man ab 2025 was bei den Gebäuden machen will. Also da muss man ran, dass man im Gebäudebereich die Öl- und Gasheizungen sowohl bei Neubau als auch bei der Sanierung aus den Gebäuden rauskriegt. Dass die nicht mehr zulassungsfähig sind, oder nur noch schwierig zulassungsfähig: Dann muss man eben eine zehnseitige Begründung schreiben und fünf Anträge und was weiß ich. Also, man kann es so machen, wie man die Solarenergie abgewürgt hat: Wenn man sich nicht traut, es zu verbieten, dann kann man es ja kompliziert machen.

Dann muss man schauen, dass man die Solarenergie und die Windenergie flottkriegt. Die Mengen, die Herr Habeck gefordert hat, muss man auf die Straße kriegen, es geht bei der Solarenergie immerhin von derzeit 5 auf 16, 17, im Endausbau 20 GW pro Jahr. Auch das muss man hinbekommen. Da muss man sämtliche Bremsen, die im EEG sind, beseitigen. Man muss die Freiflächen zulassen; die Mengen werde ich nicht nur auf den Dächern bauen können. Wir müssen auch auf die Äcker rauf. Im Prinzip muss man alle Ackerflächen zulassen, wenn sie als Agrar-Photovoltaik ausgeführt werden. Sonst werden wir diese Mengen nicht hinbekommen. Wir wissen, dass wir zwei Prozent der Landesfläche brauchen, und 1,5 Prozent werden davon auf Äckern stehen müssen. Das werde ich nicht mehr mit irgendwelchen alten Flughäfen hinbekommen. Wir reden ja bei 590 GW, die wir vorgeschlagen haben, von einer Verzehnfachung der bislang installierten Mengen.

Bei der Windenergie muss man noch mal mit Herrn Söder reden, oder ihm die Kavallerie auf den Hals hetzen. Mit den Abstandsregeln in Bayern werden wir nicht klimaneutral werden können. Wenn man das nicht hinbekommt, muss man über Kompensationen reden. Das heißt, wenn Herr Söder keine Windräder will, aber den Strom aus Norddeutschland, dann gibt es halt einen Transportaufschlag für die bayerische Industrie. Das heißt, man macht die Leitungsgebühren entfernungsabhängig. Wenn sich dann die Industrie überlegt, von Bayern nach Schleswig-Holstein zu ziehen, weil dort der Wind so billig ist, dann wird der Herr Söder seine Meinung zur Windenergie schon noch ändern. Das ist sehr, sehr wichtig, denn wir brauchen die Flächen. Wenn wir weiterhin Bundesländer ausnehmen, wie Bayern, werden wir in Deutschland nicht klimaneutral werden. Also muss man massiv Druck aufbauen, dass wir an diese Flächen rankommen. Und da würde ich sagen: Entfernungsabhängige Leitungsgebühr ist eine spannende Sache!

Genehmigungsverfahren für Windenergie muss man verbessern. Die Bürgerenergie reinbekommen, damit man die Widerstände vor Ort wegkriegt. Und dann muss man jetzt mit den Speichern anfangen. Ich wäre dafür, auch die Börsenstrompreise bis zu den Endkunden durchzureichen, damit bei einem Börsenstrompreis von Null Euro die Leute alle anfangen, ihr Elektroauto zu laden, und dass sie damit aufhören, wenn es dann nachts teuer wird. Das würde uns den Speicherbedarf deutlich reduzieren. Da muss man sehr schnell ran, dass man die Netze so intelligent macht, dass die Endkund:innen auch die Börsenstrompreise sehen und sich danach richten können; und dass Speicher gefördert werden – sonst bleiben wir in drei, vier Jahren stecken, weil uns die Speicher fehlen.

SFV: Auch wenn das Programm von Habeck für die 1,5 oder 1,7 Grad nicht ausreicht, ist das ja trotzdem ein ziemlich großer und einschneidender Schritt, in vielerlei Hinsicht. Was das angeht, würden Sie auch dafür plädieren, dass er jetzt erstmal mutig ein paar Schritte gehen soll, und dann schauen, ob man es noch auf den richtigen Pfad kriegt, wenn es denn mal angelaufen ist?

Quaschning: Genau. Ich denke, man muss das mit verschiedenen Schritten machen. Bei der alten Bundesregierung war ich ja immer sehr kritisch. Bei der neuen finde ich die Kommunikation zum 1,5-Grad-Ziel schlecht. Ansonsten sind schon mutige Schritte angedacht, und die muss man auch gescheit umsetzen. Sonst bleiben wir bei 100 GW PV stecken, weil wir dann feststellen: Oh, die Systeme sind nicht mehr stabil. Wenn man dann sieht, dass es läuft, kann man immer noch versuchen nachzulegen.

Also insofern: Lasst uns erst mal verdrei-, vervierfachen, dem Herrn Habeck aber immer sagen: Es reicht nicht! Damit er weiterhin Druck hat, nicht nachzulassen. Aber dann auch wirklich helfen, dass er das hinbekommt, gegen die Widerstände. Ich sehe die nicht mehr so sehr bei der Industrie, sondern: Herr Söder, die AfD, Leute, die sich nicht verändern wollen, die Windkraftgegner:innen vor Ort … und die sind nicht zu unterschätzen! Die werden bei jedem Schritt Gegendruck aufbauen. Man hat ja schon gesehen, was für ein Aufschrei kürzlich war, als die Greenpeace-Chefin im Außenministerium als Klimabotschafterin vorgestellt wurde. Die Konservativen sind alle im Dreieck gesprungen. Die werden sich massiv gegen Maßnahmen formieren und versuchen, Widerstand zu leisten. Und damit kann man alles ersticken, wenn Gemeinden, die keine Lust haben, sich bei den Genehmigungsverfahren Zeit lassen. Deswegen muss man wirklich umsetzen, dass diejenigen, die sich bei der Energiewende verweigern, am Ende erheblich finanziell draufzahlen.

SFV: Die entfernungsabhängigen Durchleitungsgebühren für Strom, oder Durchreichung des Börsenstrompreises an die Kunden – es ist gut, dass Sie solche Vorschläge noch mal in die aktuelle Debatte werfen, weil damit die Bundesregierung durchaus angeregt werden kann. Das sind richtig gute marktwirtschaftliche Mechanismen, mit denen man relativ schnell weiterkommt.

Quaschning: Die könnte sogar die FDP mittragen. Also, insofern sind sie vielleicht sogar in der Regierung mehrheitsfähig.

SFV: Ja. – Dann würde ich sagen: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview wurde am 10.2.2022 geführt von Kyra Schäfer und Rüdiger Haude

 

Titelfoto: Silke Reents