Die private Energiewende

Bis vor einigen Jahren ging es uns wie wahrscheinlich vielen Menschen: Wir hatten für unser Einfamilienhaus jeweils einen Strom- und Gasvertrag bei einem Energieversorger, waren Stammkunden an der Tankstelle und haben fleißig Energie konsumiert. Damit haben wir unseren täglichen Energiebedarf gedeckt. Wie eine Raupe, die einen Großteil ihres Daseins mit Fressen verbringt – um sich am Ende in einen schönen Schmetterling zu verwandeln. Sehr gerne beobachten wir im Sommer täglich das bunte Treiben an unserem Schmetterlingsflieder.

Bei uns fehlte diese sinnstiftende Transformation. Über den Raupenstatus kamen wir eigentlich nicht hinaus. Menschengemachter Klimawandel, Raubbau an der Natur, Insektensterben und alle damit einhergehenden Horrorszenarien. An diesen allgegenwärtigen Themen hatten wir unseren Anteil. Das wollten wir ändern. So begann 2014 unsere Transformation.

Unser Ziel: Ein negativer Energieverbrauch, wir wollten also mehr Energie produzieren als wir benötigen. Und damit den Raubbau an der Natur, den wir bis dahin betrieben hatten, möglichst ausgleichen. Raus aus dem roten, rein in den grünen Bereich. Mit Strom aus der Sonne. Wir machten uns auf den Weg vom reinen Energiekonsumenten hin zum Produzenten. Unser Motto lautete ab sofort: Sonne, Wind und Wasser aus dezentraler Erzeugung statt Öl, Kohle und Gas.

 

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Energieverbrauch in den Lebensphasen: Alles im grünen Bereich dank Sektorenkopplung. Familie Fischer/Ruszynski verbindet die Energiebereiche Strom, Wärme und Mobilität zu Hause und produziert dadurch mehr Energie als sie selbst im Haushalt benötigt.

Fahrplan für die private Energiewende: 

 

1. Solaranlage installieren

Meine Partnerin und ich bewohnen ein freistehendes Einfamilienhaus in Kassel, mitten in Deutschland (Baujahr 1964, 30 cm Hochlochziegel plus 10 cm Dämmung). Die beheizte Wohnfläche im EG und OG beträgt insgesamt 130 qm. Für einen jährlichen Gesamtenergieverbrauch für Strom, Heizung/Warmwasser (Gas) und Benzin von jährlich 30.000 kWh zahlten wir 3.600 € netto. 

Seit 2014 produzieren wir mit einer Solaranlage Strom auf dem Süddach. Mit einer weiteren Anlage haben wir seit 2019 insgesamt 8,3 kWp installiert. Unsere Wechselrichter Sunny Boy 4000 TL und 3600 TL wandeln den Sonnenstrom aus 32 Solarwatt-Modulen (250 bzw. 270 Watt) in jährlich rund 8.300 kWh Solarenergie. 2020 waren es sogar 9.100 Kilowattstunden.

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Sonne aufs Dach: Die 8,3-kWp-Solaranlage produzierte im Jahr 2020 sogar 9.100 Kilowattstunden Solarstrom.

2. Elektrisch fahren und Solarstrom tanken

Als 2014 die ersten Elektroautos marktreif waren, stiegen auch wir auf elektrisches Fahren um. Unser Renault ZOE braucht 15 kWh auf 100 km. Bei einer Fahrleistung von ca. 6.000 km ergibt sich ein jährlicher Stromverbrauch in Höhe von 900 kWh. Im Vergleich zu der Zeit vor unserer privaten Energiewende sparen wir über 80 Prozent an Energie ein (2013: 5.000 kWh).

Besonders überrascht waren wir davon, dass unsere Batterie auch nach sechs Jahren immer noch über 97 Prozent ihrer ursprünglichen Kapazität verfügt. Um auch unterwegs Strom tanken zu können, nutzen wir einen Spezialtarif der Städtischen Werke (E-Mobil). Wir zahlen 28,5 Cent/kWh für zu Hause und unterwegs an den E-Ladesäulen der Stadtwerke Union Nordhessen (SUN).

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Klimaneutral unterwegs: Familie Fischer/Ruszynski fährt seit 2014 elektrisch und lädt das Elektroauto mit regenerativen Energien.

3. Wärmepumpe für Heizung und Warmwasser nutzen

Im Juli 2020 ersetzten wir endlich auch unsere 19 Jahre alte Gasheizung durch eine Bosch- Wärmepumpe (CS7000iAW 9 IRM). Keine halben Sachen: Gleichzeitig tauschten wir die 56 Jahre alten Stahlradiatoren gegen Wandheizkörper Typ 33 aus. Hier profitierten wir von einem satten Preisnachlass in Höhe von 41 % (35 % BAFA Förderung, 3 % MwSt., 3 % Rabatt bei Zahlung innerhalb 7 Tagen). Den Endenergieverbrauch konnten wir dadurch um 85 Prozent senken, von 21.000 kWh (Gas) auf ca. 3.000 kWh (Strom).

Waschmaschine und Geschirrspüler haben wir auch gleich an den Warmwasserspeicher der Wärmepumpe angeschlossen. So sparen wir beim Waschgang 90 Prozent der Energie. Die Waschmaschine muss jetzt nämlich nur noch die Trommel drehen, aber nicht mehr das Wasser elektrisch aufheizen. Sie verfügt über einen Kalt- und Warmwasseranschluss.

Um auch im Winter genug regenerativen Strom für die Wärmepumpe zu bekommen, haben wir über die Bürgerenergiegenossenschaften Anteile an regionalen Windrädern erworben.

 

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Außeneinheit der Wärmepumpe

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Wärme aus dem Keller: Mit einer Wärmepumpe produziert Familie Fischer/Ruszynski die Energie für Heizung und Warmwasser direkt vor Ort und senkt ihren Endenergieverbrauch um 85%.

4. Sagenhafte 95 % Energiekosten sparen

Insgesamt reduzieren wir über die Kopplung der Bereiche Strom, Wärme und Mobilität (Sektorenkopplung) unseren jährlichen Energiebezug um 90 Prozent auf 3.300 kWh. Die jährlichen Energiekosten sind sogar um 95 % gesunken. Wir zahlen jetzt nur noch 150 €. Das ist die Differenz aus den jährlichen Strombezugskosten (2020: 3.300 kWh à 1.060 €) und der EEG- Vergütung für PV-Überschusseinspeisung in das öffentliche Netz (2020: 7.200 kWh à 911 €).

Damit haben wir unser primäres Ziel erreicht: Der Energiebezug ist negativ. Wir speisen mehr Solarstrom ins öffentliche Netz (7.200 kWh) als wir Strom vom Versorger beziehen (3.300 kWh). Unser kompletter Energiebezug und auch die Solarstrom-Einspeisung laufen jetzt über einen EVU-Stromzähler. 

5. Auf effiziente Beleuchtung und Großverbraucher umstellen

Die Beleuchtung haben wir komplett auf energiesparende LEDs umgestellt und auch unseren 15 Jahre alten Kühlschrank ausgetauscht. Im Sommer sind wir nun statt im Auto oft mit dem Elektrofahrrad unterwegs. Das freut natürlich auch unseren körpereigenen Energiehaushalt.

6. Tipps für Nachahmer: Förderungsmöglichkeiten prüfen

Unser Fazit: Die Energiewende in den eigenen vier Wänden ist technisch und wirtschaftlich möglich. Durch die eingesparten Energiekosten haben wir die Solaranlage, das Elektroauto inkl. Batteriemiete sowie die Wärmepumpe inkl. neuer Heizkörper sogar fast geschenkt bekommen. 15 Jahre x 3.450 € = 51.750 €. Dabei haben wir auch von Förderungen profitiert. Es lohnt sich also, vor Beginn der Maßnahmen mögliche Förderungen zu prüfen.

Sprecht am besten vorab mit eurem Installateur über das Thema Sektorenkopplung, denn nicht alle Fachfirmen können das schon vollumfänglich leisten. Bei der Wärmepumpe mussten wir beispielsweise einen Kompromiss eingehen und eine Marke nehmen, mit der sich die Firma auskennt. Sonst hätten wir wahrscheinlich eine andere Marke mit einem noch höheren Wirkungsgrad gewählt. Hier lohnt es sich, Effizienzklassen und Angebote zu vergleichen. Solar-Fachpartner beraten euch kompetent und installieren fachgerecht.

7. Weiterdenken und Wissen teilen

Wir wollen auf jeden Fall weitermachen und die Energiewende weiter mit vorantreiben. Auf der Nordseite wollen wir auch noch eine Solaranlage installieren. Das ist nicht unbedingt die Schokoladenseite des Daches. Aber die Preise für Solartechnik sind inzwischen so gesunken, dass sich die zusätzliche Nutzung des diffusen Sonnenlichts von der Nordseite lohnt. Das wird oft unterschätzt.

Mit einer bidirektionalen Wallbox wollen wir künftig auch die Autobatterie mit 23 kWh ans Haus anschließen. Damit bräuchten wir in den Monaten März bis Oktober keinen Strom mehr vom öffentlichen Stromversorger. Die Energiekosten wären dann analog zum Energiebezug negativ. Wir könnten dann mit der Energiewende sogar noch Geld verdienen. Das ist dann der besonders leckere Nektar für den Schmetterling.

Für uns lohnt sich die Energiewende aber auf jeden Fall jetzt schon – nicht nur wirtschaftlich. Wir sind auch stolz darauf, unseren Teil zu einer nachhaltigen Energieversorgung beizutragen. Grün ist nicht nur eine schöne Farbe, sondern auch ein gutes Gefühl. Nachahmer sind hier gerne willkommen.

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Ralf Ruszynski,

nach einem Bauwesenstudium absolvierte er z.T. berufsbegleitend ein Informatik- und ein Wirtschaftingenieurwesen-Studium sowie bis 2018 ein Studium der Energie- und Ressourceneffizienz. Neben der langjährigen Berufstätigkeit als Bauingenieur arbeitete er als IT-Berater und Ingenieur im Facility Management verschiedener großer Firmen. Zur Zeit ist er als Energiebeauftragter bei SMA angestellt. Seit 2008 ist er außerdem als Autor tätig.