Negative Strompreise – ARD zieht gegen die Photovoltaik vom Leder
Am 18. September 2024 sendete das ARD-Wirtschaftsmagazin “Plusminus” zur besten Sendezeit einen Beitrag, der die – so wörtlich – “unendliche” Förderung von Photovoltaik-Anlagen zum Problem erklärte. Hintergrund ist die wachsende Anzahl von Zeiträumen, in denen an der Strombörse negative Preise erzielt werden. Der Beitrag ist nach unserer Einschätzung ein Paradebeispiel für schlechten, ideologiegetriebenen Journalismus. Wir haben die nachfolgenden zwölf Fragen an die “Plusminus”-Redaktion geschickt.
Sie finden den Plusminus-Beitrag hier (Anfang bis Minute 8:46).
- Es gibt einen Grund für die Energiewende: Klimaschutz. Wieso kommt in dem Beitrag das Wort „Klima“ nicht vor? Für eine klimagerechte Energiewende benötigen wir viel mehr PV-Anlagen und Windkraftanlagen, als wir bisher installiert haben. Soll dies bestritten werden?
- Den Kosten für die Einspeisevergütung für Strom aus Erneuerbaren Energien (die übrigens kein Geschenk sind, sondern der Amortisierung einer gemeinwohlfördernden Investition dienen) müssten die gesellschaftlichen Kosten für Klimawandelfolgen gegenübergestellt werden, wenn die Energiewende verzögert wird. Zur Einordnung der Milliardenbeträge wären zudem die jährlichen Subventions-Summen für fossile Energien hilfreich, die weit höher ausfallen. Wäre es nicht guter Journalismus, eine solche Kontextualisierung vorzunehmen?
- Bei der Energiewende müssen Erzeugung, Speicherung und Transport des Stroms umgebaut werden. Es hapert bei den Netzen und bei den Speichern. Wieso sollte der Hebel dann ausgerechnet bei der Erzeugung angelegt werden, indem man diese bremst?
- Erneuerbare Energien machen den Strom billiger, negative Strompreise sind nur eine extreme Ausprägung davon. Was ist schlecht an einer Verbilligung des Stroms? Wieso kommt die Verbilligung nicht bei den Verbraucher:innen an?
- Negative Strompreise kommen immer häufiger vor, aber sie treten dennoch nur in einem kleinen Prozentsatz der Stunden im Jahr auf. Morgens, abends, im Winter wird immer noch viel mehr Strom aus PV-Anlagen benötigt, als wir haben. Wieso verschweigt der Beitrag das?
- Unser Stromsystem befindet sich zur Zeit im Übergang. Zahlreiche fossile Kraftwerke sind noch im Mix. Insbesondere Braunkohlekraftwerke werden in Zeiten hoher Solar- und Winderträge aus konstruktiven Gründen zu wenig heruntergefahren (auch Biogas-Anlagen werden bisher kaum geregelt). Dies ist der eigentliche Hauptgrund für das Überangebot an Strom in bestimmten Stunden. Warum wird das nicht erwähnt? (Vgl. das irreführende Schaubild bei 2:53)
- Wieso werden Engpässe in einzelnen Verteilnetzen mit dem Gesamtangebot an der Strombörse in einen Topf geworfen? (siehe z.B. Anmoderation, 0:20 bis 0:36) Das im Beitrag gezeigte Problem von Thomas H. hat z.B. mit der Strombörse sehr wenig, umso mehr mit der Weigerung seines Netzbetreibers zu tun, das Verteilnetz bedarfsgerecht zu ertüchtigen. Auch das Statement der „bayernwerk netz“ (bei 6:56) bezieht sich explizit auf die jeweils „örtliche Situation“. Warum tut Ihr Beitrag so, als gebe es nur ein völlig undifferenziertes Stromnetz in Deutschland?
- Das nachgestellte Telefongespräch, worin einem PV-Investor bei einem Einsatz von 200.000 € eine Steuerersparnis von 100.000 € versprochen wird (bei 5:10 bis 5:26), deckt sich nicht mit unserer Kenntnis und Erfahrung. Um was für ein Steuerspar-Modell soll es sich dabei handeln? Und wäre dies nicht ein Auswuchs, der konkret abgestellt werden sollte, anstatt die gesamte Energiewende „auf den Prüfstand zu stellen“?
- Dass die bei 4:59 abgebildete Internet-Werbung „20 Jahre gesetzlich garantierte Einspeisevergütung“ kaum als Beleg für die bei 4:49 getätigte Behauptung taugt, der Staat fördere Photovoltaik „nicht nur durch die Einspeisevergütung“, dürfte Ihnen bewusst sein. Die andere im Beitrag anonymisiert gezeigte Internet-Seite richtet sich an Investoren, die „auf der Suche nach einer geeigneten Investition in grüne Energie und Nachhaltigkeit“ sind und dabei zugleich von „hervorragender Wirtschaftlichkeit“ profitieren wollen (4:57). Auch hier findet sich kein Hinweis auf staatliche Förderung über die Einspeisevergütung hinaus. Haben Sie keine geeigneteren Belege für Ihre Behauptung finden können?
- Das Beispiel mit dem österreichischen Pumpspeicher zeigt, wie überschüssiger Strom für Zeiten, in denen er gebraucht wird, „aufgehoben“ werden kann. Wieso wird dies mit dem polemischen Begriff der „Entsorgung“ verbunden, als handele es sich um gefährlichen Müll?
- Auch das Beispiel des Metzgers, der Produktion und Verbrauch durch „Demand Side Management“ glättet, zeigt einen Teil der Lösung auf. Das Problem ist hier nicht, dass er erneuerbaren Strom produziert, sondern dass der Netzbetreiber ihm die gesamte Anlage abregelt und ihn zwingt, stattdessen teuren Netzstrom zu kaufen. Wie passt das in die Argumentationslinie des Beitrags?
- Der im Beitrag zitierte Energieexperte, Prof. Christof Bauer, ist für den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) tätig und vertritt offensichtlich eine entsprechende Perspektive. Der BDI ist Trägerverein der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, welche seit vielen Jahren in teuren PR-Kampagnen die Energiewende und effektiven Klimaschutz torpediert. Ebenso ist der „Bund der Steuerzahler“, der in Gestalt seines Präsidenten Reiner Holznagel zu Wort kommt, für seine neoliberale, gegen staatliche Daseinsvorsorge gerichtete Ideologie bekannt. Wären diese Informationen für die Zuschauer:innen nicht von Interesse? Und kennen Sie keine Expert:innen diesseits des neoliberalen Spektrums, die Sie ergänzend hätten zu Rate ziehen können?