„Nachhaltigkeit“ aus der Sicht von Ölscheichs
Haben Sie schon einmal vom OSP gehört? Vom „Oil Sustainability Program“ des Königreichs Saudi-Arabien? „Sustainability“ bedeutet „Nachhaltigkeit“, und man denkt sofort an die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der Vereinten Nationen. Bei denen geht es darum, die Zukunft des Planeten auf ein nachhaltiges und gerechtes Fundament zu stellen, z.B. durch „saubere Energie“ (SDG 7) oder „Climate Action“ (SDG 13). Beim OSP bedeutet Nachhaltigkeit hingegen: Förderung und Einsatz von Erdöl und Erdgas möglichst weit in die Zukunft verlängern.
Die Regierung Saudi-Arabiens bekennt das ganz freimütig: „Ziel des OSP“, heißt es auf der Homepage des Energieministeriums, „ist es, weltweit Möglichkeiten und Anwendungen für Kohlenwasserstoffe als wettbewerbsfähige Energiequelle zu schaffen“ und „sicherzustellen, dass Kohlenwasserstoffe auf möglichst effiziente und nachhaltige Weise Teil des globalen Energiemixes bleiben“. Eine nachhaltige Entwicklung des Planeten im Sinne der Vereinten Nationen wäre die größte Bedrohung des saudischen Geschäftsmodells.
Wie hat man sich die Verfolgung dieses Ziels vorzustellen? In einer verdeckten journalistischen Operation hat ein Team des „Centre for Climate Reporting“ dies kürzlich ans Licht gebracht. In einem fingierten Video-Telefonat fragten die Journalisten, die sich als Öl-Investoren ausgaben, ob das OSP errichtet worden sei, um den Rückgang der Nachfrage nach Erdöl zu bekämpfen, der „im Zusammenhang mit dem Klimawandel“ drohe, und um „die Nachfrage in einigen Schlüsselmärkten künstlich anzukurbeln“. Der Offizielle antwortete: „Ja, das ist […] eines der Hauptziele, die wir zu erreichen versuchen."
Wie der britische öffentlich-rechtliche TV-Sender „Channel 4“ berichtet, gehören zu den Schlüsselmärkten Regionen in Afrika und Asien, die bisher wenig ‚erschlossen‘ sind. Diese sollen mit Diesel- und Benzin-Fahrzeugen „geflutet“ werden, wie Channel 4 formuliert. Im saudischen Energieministerium denkt man vor allem darüber nach, die Zahl preisgünstiger Autos mit Verbrennungsmotor in diesen Regionen zu erhöhen. Ein Mittel dafür ist die Bekämpfung von Anreizprogrammen für Elektromobilität.
Auch Flugtreibstoffe hat man in Riad im Blick. Und dies nicht allein für Entwicklungsländer. „Unsere Chance“, sagt ein anderer Ministerieller, „besteht […] darin, das Wachstum und die Entwicklung von Überschalltechnologien zu fördern“. Der Grund dafür: „Überschallflugverkehr verbraucht mehr Energie“. Genauer gesagt: dreimal so viel.
Die Enthüllung des „Centre for Climate Reporting“ geschah kurz vor Beginn der Weltklimakonferenz COP 28, die derzeit im Nachbarland Saudi-Arabiens, in den Vereinigten Arabischen Emiraten (UAE) stattfindet. Auch die Volkswirtschaft der Emirate ist bekanntlich ganz auf Erdöl und Erdgas gegründet. Ebenfalls kurz vor Beginn der COP 28 veröffentlichte das „Centre for Climate Reporting“ zusammen mit der BBC Pläne der Konferenzleitung der UAE, die Gastgeberrolle zu nutzen, um mit 15 Staaten neue Öl- und Gas-Deals abzuschließen. So war geplant, in Gesprächen mit der Volksrepublik China mögliche Kooperationen zur Erschließung neuer LNG-Projekte in Mosambik, Kanada und Australien zu sondieren. Auch Deutschland stand auf der Liste möglicher Partnerländer für Fossil-Projekte. All dies zeigen geleakte Notizen, die für den Chef der COP 28, Sultan al-Jaber, erstellt wurden. Inwiefern er von diesen Notizen Gebrauch machte, ist nicht bekannt. Gesichert ist hingegen, dass er im November geäußert hat, es gebe "keine wissenschaftlichen Erkenntnisse", die darauf hindeuten, dass ein Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe erforderlich ist, um die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen; und dass ein Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen keine nachhaltige Entwicklung ermöglichen würde, "es sei denn, man will die Menschheit zurück in die Höhlen bringen".
Zurück in die Höhlen – das ist aber vielmehr die wahrscheinliche Entwicklung, wenn diesem Denken nicht Einhalt geboten wird. Einem Denken, welches über die COP 28 in Dubai präsidiert – einer Klimakonferenz, zu der nicht 636 Lobbyist:innen der Fossilindustrie akkreditiert sind (wie letztes Jahr in Ägypten), sondern 2456. Glänzende Aussichten für die – nachhaltige! – Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.
© Gerhard Mester
Titelfoto: rupakchatterjee (Pixabay)