Auf die Klimakatastrophe einstellen?
Zwei Antworten auf einen verantwortungslosen Beruhigungsversuch
Abwarten und Tee trinkenvon Georg Engelhard |
Wichtige Fakten werden übersehenvon Wolf von Fabeck |
Die technikgläubige Zuversicht des Hans von Storch übersieht allerdings einige Fakten, die Sie weiter unten nachlesen können.
Abwarten und Tee trinken
von Georg EngelhardEine erfreuliche Nachricht war in der Ausgabe 34/03 des SPIEGEL zu lesen: "Wir werden das schon wuppen" meinte der Klimaforscher Hans von Storch, und da fällt uns doch glatt ein ganzer Mont-Blanc-Fels vom Herz. Hatten wir doch schon fast panisch auf die schreckliche Klimakatastrophe gestarrt, die mit geradezu biblischen Plagen über uns zu kommen drohte. Immerhin ist Herr Storch einer der weltweit führenden Klimaexperten, also wird er es schon beurteilen können. Wirklich gemein, all seine "Kollegen, die mit ihren Furcht erregenden Prognosen den Menschen Angst eingejagt haben" (Spiegel). Schuld daran sind natürlich die "Journalisten und Politiker, die uns immer gern möglichst gruselige Prognosen aus der Nase ziehen" (v.Storch). Doch halt: haben wir da was verpasst? Hat da jemand von Angst gesprochen? Angst vor der Klimakatastrophe etwa?
Also nach meiner Beobachtung haben die Menschen vielleicht Angst vor Kampfhunden - aber vor der Klimakatastrophe? In Sachen Klima ist bisher noch kein Politiker in Hektik verfallen, in Sonntags- oder Wahlkampfreden taucht das Thema nicht auf. Gerade erst löste die Bevorzugung des ÖPNV über die Kilometerpauschale einen Sturm der Entrüstung quer durch die Republik aus. Der Jahrhundertsommer als Ausdruck des Klimawandels wurde von den Medien mit dem Hinweis abgetan, man müsse sich eben drauf einstellen, dagegen könne man ohnehin nichts tun. Angst ist somit weit und breit nicht in Sicht, also wen will Herr v.Storch eigentlich beruhigen? Selbstredend ist auch er dafür, alles zu tun, damit die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht auf das Vierfache steigt. Aber man solle doch bitte eine Kosten-Nutzen-Analyse anstellen, wieviel Klimaschutz man sich wirklich leisten kann. Tatsächlich ist dagegen wenig einzuwenden - wenn man denn wirklich alle Kosten und allen Nutzen in die beiden Seiten der Gleichung einrechnet.
Herr v.Storch ist auch so nett, in die Waagschale der Kosten eine ganze Reihe von Maßnahmen zu werfen, die seiner Meinung nach notwendig sind, um sich auf den Klimawandel einzustellen. Als da sind:
- Klimaanlagen in allen Häusern
- Bau von Schutzhütten für die armen, armen Bangladescher
- verbessertes Forstmanagement gegen Waldbrände
- Umstellung der Landwirtschaft
- Erhöhung der Deiche um einen Meter
- Umsiedlung von Millionen Menschen
- Ausbreitung von Wüstengebieten
- Neubau von Infrastruktur in ehemaligen Permafrostgebieten
- Schließung von Touristenzentren, Neubau an anderer Stelle
- Beseitigung von Schäden durch Naturkatastrophen
Es ist schon wahr: technisch gesehen ist eine Reaktion auf den Klimawandel kein Problem, im Grunde eine locker-flockige Kosten-Nutzen-Analyse. Nur erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass wir noch gaaaanz weit von einem Gleichgewicht beider Waagschalen entfernt sind. Die Kosten des notwendigen Klimaschutzes sind ein echter Klacks gegenüber dem Nutzen, den sie stiften! Und dabei sind die nicht bezifferbaren ideellen Werte noch gar nicht eingerechnet. Oder auch der gesellschaftliche und wirtschaftliche Fortschritt, der ausbleibt, weil wir uns völlig hirnverbrannt damit beschäftigen Wohnungen zu renovieren, Kraftwerke für Klimaanlagen zu bauen und Geld für die Flutopfer in sonstwo zu sammeln.
Das alles kann man natürlich ignorieren, wenn man den Urlaub, wie Herr v.Storch, in Dänemark verbringt, wo es dieses Jahr ganz besonders toll war, und vielleicht wird es ja nächstes Jahr noch besser. Zynisch aber ist seine Haltung zur Lage in Bangladesch. Allen Ernstes meint er, wenn man die Leute dort fragte, ob sie lieber heute Schutzbauten gegen die Fluten, oder aber CO2-Reduktionen gegen zukünftige noch schlimmere Fluten hätten, dann würden sie heute Schutzbauten verlangen. Mein lieber Mann: wenn MIR das Wasser bis zum Hals stünde, würde ich auch erstmal in Richtung Rettungsring schwimmen, und mir dann erst Gedanken darüber machen, wie ich Land gewinne.
Sei's drum. Nun hat sich also auch das Magazin SPIEGEL eingereiht in die Riege der Medien, die sich als Beruhigungspille in Sachen Klimawandel verstehen, nachdem SPIEGEL TV, WDR und wer weiss wie viele weitere mit schlechtem Beispiel vorangegangen waren.
Und doch: in meinen Träumen sehe ich einen SPIEGEL aus dem Jahr 2050. Darin ein Interview mit einem Schüler des Herrn v.Storch, in dem es heisst: "Mein Lehrer hatte schon recht, dass alles nicht so schlimm kommen wird, wie von einigen unverantwortlichen Chaoten an die Wand gemalt. Heute haben wir auf jedem Dach eine Solaranlage und sehen Sie: das Klima ist völlig stabil!"
Wichtige Fakten werden übersehen
von Wolf von Fabeck
Die technikgläubige Zuversicht des Hans von Storch übersieht einige Fakten:
So haben die Völker in den wärmeren Teilen der Erde nicht genügend Finanzmittel, um in jedes Haus eine Klimaanlage einzubauen und selbst bei uns dürfte dies nur den Reichen vergönnt sein. Die vielen Tausend Hitzetoten in Frankreich - gerade aus den ärmeren Bevölkerungsschichten - sind eine unübersehbare Warnung.
Wieviele Klimaflüchtlinge will Herr von Storch wohl in seinem Ferienhaus in Dänemark aufnehmen?
Und wer weiß denn, ob nicht das Ferienhaus in Dänemark beim beängstigenden Anstieg der Windgeschwindigkeiten entweder weggeblasen oder durch eine Sturmflut überschwemmt wird?
Schwieriger noch ist es mit der Pflanzenwelt. Pflanzen können nicht einfach nach Dänemark auswandern; insbesondere Wälder nicht, wenn es ihnen in Südfrankreich zu trocken und zu heiß wird. Eine Verschiebung der Vegetationszonen braucht viele Tausende von Jahren.
Selbst die Tierwelt kann einer Verschiebung der Klimazonen nicht in wenigen Jahrhunderten folgen. Und außerdem wird wegen der Kugelgestalt der Erde die Landfläche immer weniger, je weiter man nach Norden kommt.
Und sollen sich die Landwirte, denen Herr von Storch eine so hohe Flexibilität zutraut, nun auf Trockenheit oder Überschwemmung einstellen? Sollen Sie Ziegen und Hirseerntemaschinen oder Reiserntemaschinen und Wasserbüffel anschaffen oder am besten Beides - für alle Fälle!
Bei einigem Nachdenken und einem Blick über den eigenen Berufs-Horizont hinaus, sollte es auch einem Klimaforscher klar werden, dass wir als Menschheit nur eine einzige Chance haben - nämlich die, uns mit allen Kräften gegen die Ursachen der Klimakatastrophe zur Wehr zu setzen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass weitere Klimaanlagen, wenn sie mit konventionellem Strom angetrieben werden, das CO2-Problem noch verschlimmern. Wir brauchen einen vollständigen Umstieg auf die Erneuerbaren Energien!
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"Wir werden das wuppen"
DER SPIEGEL Nr. 34/03 - Der Klimaforscher Hans von Storch über die Ursachen des Sahara-Sommers, unbegründete Ängste vor dem Weltuntergang und die Anpassung des Menschen an die globale ErwärmungSPIEGEL: Herr von Storch, wie haben Sie sich als Klimaforscher vor der Hitze
der vergangenen Wochen geschützt?
Storch: Das brauchte ich gar nicht. Wie jedes Jahr habe ich meinen Urlaub in
meinem Ferienhaus in Dänemark verbracht. Dort konnte ich den Sommer richtig
genießen.
SPIEGEL: Wir haben also einen typischen Gewinner der Klimaveränderung vor
uns.
Storch: Jedenfalls habe ich nichts dagegen, wenn das Wasser hier oben im
Norden auch mal 21 Grad hat. So komme ich endlich dazu, im Meer zu baden. Es
liegt natürlich auf der Hand: Gewinner einer voranschreitenden Erwärmung
werden tendenziell all jene Gegenden sein, wo es bisher eher zu kalt und
ungemütlich war.
SPIEGEL: Im letzten Jahr brach die Hochwasserkatastrophe über die
Elbanrainer herein, in diesem Jahr hat die große Dürre Europa im Griff.
Bereitet Ihnen diese Entwicklung denn keine Sorgen?
Storch: Nein, das macht mir keine Angst - genauso wenig, wie ich mich als
Kind vor Sturmfluten gefürchtet habe. Auf der Insel Föhr wurde ich damit
groß. An der Nordseeküste wissen die Leute eben noch, dass Unwetter immer
schon ein Teil unseres Lebens waren und auch in Zukunft sein werden. Viele
Menschen, besonders in den Städten, haben das vergessen oder ver-
drängt und sind jetzt überrascht. Es ist aber ein Irrtum, zu glauben, wir
hätten das Wetter in der modernen Zeit unter Kontrolle gebracht.
SPIEGEL: Politiker wie Bundesumweltminister Jürgen Trittin behaupten, die
Elbeflut und der Sahara-Sommer seien bereits Folgen der Klimaveränderung.
Hat er Recht?
Storch: Das ist so nicht richtig. Dieser heiße und trockene Sommer wurde
nicht durch den Klimawandel verursacht. Einen heißen und trockenen Sommer
hätte es auch so gegeben, das war eine normale Laune der Natur. Durch die
beginnende globale Erwärmung ist der Sommer vermutlich nur rund ein Grad
wärmer geworden, als er ohnehin gewesen wäre. Und das Elbehochwasser vor
einem Jahr wäre ohne den Klimawandel vielleicht ein paar Dezimeter niedriger
ausgefallen; aber die Schäden wären selbst dann schon ganz ordentlich
gewesen. Kurzum: Dieser Sommer und die Flut 2002 sind nicht Resultat des
Klimawandels; aber beide sind dadurch vermutlich etwas stärker ausgefallen.
Es ist zu einfach, das Auftreten von extremen Wetterereignissen auf den
Klimawandel zu schieben. Aber für viele ist das natürlich auch ganz bequem.
SPIEGEL: Wen meinen Sie damit?
Storch: Wenn die globale Klimaveränderung Schuld hat, ist es viel leichter
zu rufen: Vater Staat, hilf! Ganz nach dem Motto: Es hat uns ja keiner
gewarnt, dass die Elbe plötzlich so gefährlich werden kann. Verschwiegen
wird dabei, dass in Sachsen auch in der Vergangenheit alle paar Jahrzehnte
mörderische Überschwemmungen auftraten.
SPIEGEL: Auch die Bauern sehen sich wegen der diesjährigen Dürre schon als
Klimaopfer ...
Storch: Welche Bauern meinen Sie? In Dänemark sind die Bauern begeistert
über das Wetter - und das, obwohl Bauern normalerweise niemals öffentlich
erklären, dass das Wetter für sie gut war. Ähnliches dürfte für die
Landwirte in Schleswig-Holstein gelten. Irgendwo auf der Welt gibt es eben
immer gute Ernten - und irgendwo natürlich auch schlechte.
SPIEGEL: Ihre Gelassenheit in allen Ehren. Aber viele Menschen fürchten,
dass es in Zukunft fast überall schlechtere Ernten geben wird.
Storch: So schlimm wird es schon nicht werden. Zunächst muss man immer im
Hinterkopf behalten, dass wir Klimaforscher nur mögliche Szenarien anbieten.
Es kann also auch ganz anders kommen. Wahr ist aber: Es wird wohl wärmer
werden. Und alles spricht dafür, dass diese Entwicklung bereits begonnen
hat. Und wir werden noch mehr Hitze bekommen.
SPIEGEL: Wie müssen wir uns das konkret vorstellen?
Storch: Wir gehen bis Ende des Jahrhunderts von einer Erhöhung der
Durchschnittstemperatur um drei Grad aus. Um das einmal anschaulich zu
machen: Der Hamburger Sommer wäre dann so warm wie heute in Freiburg; und
der in Freiburg wäre dann so warm wie heute in Marseille. Global gesehen,
kann eine solche Entwicklung durchaus hier und da nachteilige Folgen haben.
Aber all das passiert ja nicht von heute auf morgen. Wir werden genug Zeit
haben, uns darauf einzustellen. Ob die Erwärmung übrigens wirklich auch zu
mehr extremen Wetterlagen führen wird, steht auf einem anderen Blatt.
SPIEGEL: Eine neue Sintflut ist nicht zu erwarten?
Storch: Sicher nicht. Vor kurzem sind dänische Klimaforscher erstmals mit
einem Klimamodell hoher Auflösung dieser Frage nachgegangen. Das ist
wirklich eine grundsolide Arbeit. Ihr Ergebnis: Im Sommer wird es zwar etwas
trockener, zugleich wird aber die Häufigkeit extremer Niederschläge um 30
Prozent zunehmen - allerdings erst im Laufe der kommenden 100 Jahre. In den
nächsten Jahren ist von all dem noch nicht viel zu merken. Wir haben also
genug Zeit, darauf zu reagieren. Und ich bin sicher, dass wir Lösungen für
das Problem finden können.
SPIEGEL: Und wie ist es mit den Superstürmen, die im Treibhausklima
angeblich mit nie da gewesener Wucht unsere Dörfer und Städte verwüsten
werden?
Storch: Auch bei den Stürmen erwarten wir nur eine geringe Zunahme bis Ende
des Jahrhunderts. Heute ist davon noch überhaupt nichts zu sehen. Mit den
Stürmen habe ich mich selbst ausführlich beschäftigt als Koordinator eines
EU-Projekts. Dabei fanden wir heraus, dass von 1960 bis 1990 tatsächlich
eine Verstärkung der Stürme zu beobachten war. Seit 1995 jedoch ist das
Phänomen weg, es ist erstaunlicherweise wieder ruhiger geworden.
SPIEGEL: Demnach ist es wohl auch eine Legende, dass Malariamücken auf Grund
der Erwärmung nordwärts fliegen?
Storch: Malaria ist ein interessantes Beispiel. Viele Laien sind ja
überzeugt, sie werde sich mit zunehmender Erwärmung weiter ausdehnen. Doch
Malaria ist nicht nur eine Tropenkrankheit, die etwas mit dem Klima zu tun
hat: Vor 200 Jahren hatten Menschen in den kalten Marschen vor London, in
den Niederlanden und auch an der Nordseeküste nur die Hälfte der
Lebenserwartung, weil so viele von ihnen an Malaria erkrankten. Und in
Holland ist die Malaria erst vor ein paar Jahrzehnten ganz verschwunden. All
das gelang durch bessere Hygiene, bessere Medikamente und die Trockenlegung
von Sümpfen. Mit dem Klima hatte das herzlich wenig zu tun. Dass die Malaria
wegen des Klimawandels zurück nach Europa kommt, ist deshalb so gut wie
ausgeschlossen.
SPIEGEL: Die Ausbreitung solcher Krankheiten ist also eher ein soziales
Problem?
Storch: Genau. Nehmen Sie etwa das ebenfalls von Mücken übertragene
Dengue-Fieber. Die Ausbreitung folgt nicht klimatischen, sondern sozialen
Grenzen: Im armen Mexiko ist die Krankheit weit verbreitet, gleich hinter
der Grenze, im reichen Texas, nicht.
SPIEGEL: Lässt sich die Erwärmung der Erdatmosphäre überhaupt noch
verhindern?
Storch: Wohl kaum. Wenn wir gar nichts tun, kriegen wir sogar eine
Vervierfachung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Das wäre sicher eine
gravierende Veränderung; und wir sollten alles dransetzen, das zu
verhindern. Aber selbst wenn wir uns beim Klimaschutz mächtig anstrengen,
wird sich der CO2-Gehalt immer noch verdoppeln. Alles andere ist utopisch.
Spüren werden wir die Erwärmung also in jedem Fall. Von daher ist es falsch,
dass es in der Klimadebatte immer nur um die CO2-Emissionen geht. Viel zu
wenig wird bisher darüber gesprochen, wie wir mit dem unvermeidbaren
Klimawandel konstruktiv umgehen.
SPIEGEL: Wir müssen lernen, mit der Erwärmung zu leben?
Storch: Uns wird gar nichts anderes übrig bleiben. Doch bislang wird jede
Forderung, sich an den Klimawandel anzupassen, leider verteufelt oder als
unmoralisch dargestellt. Unterschwellig wird immer unterstellt, dass man das
Böse einfach hinnimmt oder den Klimawandel sogar gut findet. Doch mir geht
es nur um einen rationalen Umgang mit dem Unausweichlichen. Wir müssen den
Menschen die Angst vor der Klimaveränderung nehmen. Ich bin sicher: Wir
werden das schon wuppen.
SPIEGEL: Aber es waren vor allem auch Ihre Kollegen, die mit ihren Furcht
erregenden Prognosen den Menschen Angst eingejagt haben ...
Storch: ... da vergessen Sie aber die Journalisten und Politiker, die uns
immer gern möglichst gruselige Prognosen aus der Nase ziehen. Aber ich gebe
zu, dass es auch Klimaforscher gibt, die das Verkünden von Horrorszenarien
für legitim halten, um eine gute Sache voranzutreiben. Eine solche Taktik
lehne ich total ab. Das bringt auch gar nichts. Auf Dauer lähmt die Warnung
vor dem angeblich bevorstehenden Weltuntergang doch nur.
SPIEGEL: Viele Menschen glauben tatsächlich, die Rückkehr der biblischen
Plagen stünde unmittelbar bevor.
Storch: Solche Ängste sind zutiefst menschlich. In der Geschichte waren die
Menschen schon immer davon überzeugt, dass sie das Klima auf Grund ihres
sündigen Lebens zum Schlechteren verändern, nie aber zum Besseren. Diese
pessimistische Überzeugung hat sicher tiefe religiöse Wurzeln.
SPIEGEL: Wie sähe denn eine Anpassung an das Klima der Zukunft konkret aus?
Werden in Zukunft mehr Deutsche ihren Urlaub im eigenen Land verbringen,
weil bald auch auf Helgoland die Palmen wachsen?
Storch: Gut möglich. Für viele Leute hängt die Urlaubsfreude ja
ausschließlich davon ab, ob es am Urlaubsort heiß genug ist. Hauptsache in
der Sonne kochen.
SPIEGEL: Schlecht ist ein heißeres Klima nur für den, der dabei arbeiten
muss.
Storch: Da hilft bekanntlich die Technik. Der US-Wüstenstaat Arizona war
früher ein unbewohnbares Land. Heute leben dort sehr viele Menschen. Das
liegt einfach daran, dass Klimaanlagen dort allgegenwärtig sind.
SPIEGEL: Also müssen auch die Deutschen demnächst Klimaanlagen in alle
Häuser einbauen?
Storch: Zumindest könnte diese Mode zunehmen. Vor einigen Jahren hätte auch
niemand erwartet, dass viele Neuwagen serienmäßig mit Klimaanlage
ausgestattet sind. Wenn dies auf Dauer zu wesentlich mehr CO2-Ausstoß führt,
wäre das natürlich nicht sinnvoll. Aber sicher wird es noch andere Wege
geben, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können. Wer hat schon die
Erfindung von Handy oder Internet vorausgesagt? Der Mensch ist sehr
anpassungsfähig und erfinderisch.
SPIEGEL: Was können wir schon heute tun, um uns auf die schleichende
Klimaveränderung vorzubereiten?
Storch: Wir müssen zunächst einmal anfangen, uns besser an das Klima der
Gegenwart anzupassen. Denn Klima ist auch heute schon gefährlich - und nicht
erst der künftige Klimawandel. Nach den verheerenden Waldbränden in
Südeuropa beispielsweise wird in extrem gefährdeten Gebieten sicher das
Forstmanagement überdacht werden müssen. Hat womöglich eine stärkere
Begrünung mit mehr Unterholz dazu geführt, dass Waldbrände, die in einigen
Gegenden nun einmal auftreten können, außer Kontrolle gerieten? Oder nehmen
Sie die Elbeflut im vergangenen Jahr: Dort sind in der Vergangenheit
schwerste Fehler durch Bebauung in gefährdeten Gebieten begangen worden. Auf
so etwas wird in Zukunft stärker zu achten sein - die Bundesregierung hat ja
soeben einen Gesetzentwurf zum Hochwasserschutz vorgelegt.
SPIEGEL: Müssen an der Küste auch die Deiche erhöht werden?
Storch: Wenn Sturmfluten künftig noch höher auflaufen, weil der
Meeresspiegel bei einer Erwärmung nach den Klimamodellen um bis zu einen
Meter ansteigt, müssen wir in der Tat die Deiche weiter erhöhen. Und wenn
das nicht mehr geht, müssen wir bestimmte Köge bei Sturmfluten vorübergehend
aufgeben und als Überschwemmungsgebiet nutzen - ich weiß, dass das gerade an
der Küste nicht auf Gegenliebe stößt.
SPIEGEL: Sie sagen, dem Menschen sei es auch früher schon gelungen, auf
Klimaveränderungen zu reagieren. Sie verschweigen dabei, dass sich die
heutige Erwärmung viel rasanter vollzieht als alle vorangegangenen der
letzten Jahrtausende. Überfordert das nicht unsere Anpassungsfähigkeit?
Storch: Sie haben Recht, in der Tat musste sich der Mensch noch nie so
schnell an eine Klimaveränderung anpassen. Aber wir haben auch viel mehr
technische Möglichkeiten, damit umzugehen, als frühere Gesellschaften.
SPIEGEL: Das trifft vielleicht auf die Industrienationen zu. Für die
Einwohner von Bangladesch dürfte Ihre Haltung ziemlich arrogant klingen.
Storch: Gut, dass Sie das Thema ansprechen. Bangladesch ist eine
interessante Ikone in der Klimadebatte. Bangladesch hat ja den großen
Vorteil, dass es sehr weit weg ist und kaum jemand hier zu Lande weiß, wie
es dort wirklich aussieht. Neulich traf ich auf einer Podiumsdiskussion eine
Ethnologin, die sich für das Rote Kreuz dort um den Hochwasserschutz
kümmert. Sie berichtete, dass die Bangladescher sich nicht die Bohne für den
Klimawandel interessieren, weil sie voll mit ihren Alltagsproblemen
beschäftigt sind. Das Publikum reagierte richtig zornig. Wie können Sie
diese Analphabeten nur ernst nehmen, wurde der armen Ethnologin vorgehalten?
Dabei verhalten sich die Bangladescher durchaus rational und setzen für sich
die richtigen Prioritäten.
SPIEGEL: Der Klimawandel dürfte dort alles noch schlimmer machen.
Storch: Das ist für mich zu akademisch gedacht. Die Menschen leben dort
schon jetzt in extrem sturmflutgefährdeten Landstrichen. Auch ohne Erwärmung
ist die Gefahr für Leib und Leben ungeheuer groß. Wenn wir dort wirklich
helfen wollten, könnten wir das heute schon tun: Mit einem Schutzbau für 100
000 Euro etwa lassen sich bei einer Sturmflut 3000 Menschen vor dem Ersaufen
retten.
SPIEGEL: Warum konstruieren Sie hier einen Gegensatz? Wird nicht beides
nötig sein - Klimaschutz in Deutschland und Sturmflutvorsorge in
Bangladesch?
Storch: Alles eine Frage des Geldes. Natürlich sollten wir uns anstrengen,
den Ausstoß von CO2 so weit wie möglich zu reduzieren. Aber das wird viel
Geld kosten, und die Gesellschaften werden sich keinen unbegrenzten
Klimaschutz leisten können. Wir müssen daher die Frage diskutieren, wie
stark wir den Klimawandel bremsen wollen und welchen Aufwand wir dafür noch
für sinnvoll halten. Das ist eine nüchterne Kosten-Nutzen-Abwägung. Um mal
eine ketzerische Frage zu stellen: Sollen wir Unsummen für eine
CO2-Reduktion ausgeben, damit der Wasserstand in Bangladesch in 100 Jahren
um zehn Zentimeter weniger ansteigt - oder helfen wir den Menschen dort
wirkungsvoller, indem wir ihnen heute Schutzbauten finanzieren? Würde man
die Bangladescher fragen, wäre die Antwort eindeutig. Ich finde die Warnung
vor der fürchterlichen Lage in Bangladesch in 100 Jahren geradezu zynisch
angesichts der heutigen Dramen dort.
SPIEGEL: Womit ist es zu erklären, dass in der Klimadebatte fast
ausschließlich über eine CO2-Reduktion gesprochen wird?
Storch: Ich habe zumindest einen bösen Verdacht. Maßnahmen zur CO2-Senkung
haben gerade für Länder wie Deutschland den Vorteil, dass davon die
heimische Industrie profitiert - beispielsweise durch die Entwicklung
effizienterer Pkw-Motoren oder Windkraftanlagen. Am Bau von Sturmflutbauten
in Bangladesch hingegen lässt sich wenig verdienen.
SPIEGEL: Wie präzise lassen sich die Veränderungen, die auf die Gesellschaft
als Folge der globalen Erwärmung zukommen, heute überhaupt schon
vorhersagen?
Storch: Die meisten Szenarien, die in Umlauf gebracht werden, sind pure
Spekulation. Um 1900 hat der Geograf Eduard Brückner sich erstmals Gedanken
über die Folgen des natürlichen Klimawandels gemacht. Er sagte gravierende
Folgen für Gesundheit, Verkehr auf Flüssen oder Landwirtschaft voraus. 30
Jahre später hatte der bis dahin vollzogene technische und wirtschaftliche
Fortschritt all seine Vorhersagen überholt.
SPIEGEL: Der Mann hatte aber auch noch keine teuren Supercomputer.
Storch: Auch damit wäre es nicht möglich gewesen, den technischen
Fortschritt vorherzusagen. Die Eisenbahnen hatten inzwischen das Monopol der
Flussschiffe verdrängt, die landwirtschaftliche Produktion hatte sich tief
greifend verändert. Das wird uns ebenso gehen: In 30 Jahren wird das Klima
anders sein - und die Gesellschaft wird darauf reagiert haben. In 30 Jahren
wird der landwirtschaftliche Betrieb völlig anders aussehen als heute, und
die Landwirte werden auch ganz andere Nutzpflanzen anbauen. So blöd sind
Bauern nicht, dass sie Klimaveränderungen tatenlos hinnehmen.
SPIEGEL: Wird die Macht des Klimas generell überschätzt?
Storch: Ganz bestimmt. 1995 gab es eine außergewöhnliche Hitzewelle in
Chicago. Hunderte Menschen starben damals an Kreislaufversagen. Doch in
anderen Städten gab es seinerzeit keine Hitzetoten. Und warum? In Chicago
traf es ärmere Menschen, die in Häusern ohne Klimaanlage lebten. Aus Angst
vor Überfällen trauten sie sich nicht mehr, wie es in den fünfziger Jahren
noch üblich war, bei starker Sommerhitze draußen im Park zu übernachten. In
Philadelphia hingegen wurden die Armen in klimatisierte Einkaufspassagen
evakuiert. Nun erklären Sie mir, wer Schuld hat an den Hitzetoten in
Chicago: das Wetter? Oder nicht doch eher die ignorante Stadtverwaltung von
Chicago? Das Klima ist ein wunderbarer Sündenbock, um von eigenen
Versäumnissen abzulenken.
SPIEGEL: Herr von Storch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.