Datum: 26.08.2005
Vergifteter Köder
Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken zugunsten Erneuerbarer Energien?
Quelle: Editorial - Solarzeitalter 2/2005
Die "Renaissance" der Atomenergie, wie sie seit etwa einem Jahr - international gut organisiert - herbeigeredet wird, kommt auf samtenen Pfoten daher. Sie beginnt mit der Laufzeitverlängerung in Betrieb befindlicher Atomkraftwerke. Studieren lässt sich das in den USA, wo die genehmigte Laufzeit von 70 Kraftwerken verlängert worden ist - von 40 auf 60 Jahre. Der Vorteil eines solchen Vorgehens für die Atomfraktion in Politik, Energiewirtschaft und atomtechnischer Industrie liegt auf der Hand. Gesetzt wird zunächst auf die technische Runderneuerung bestehender Anlagen. Damit können neue Milliarden-Aufträge für die atomtechnische Industrie gesichert werden.
Auch die CDU/CSU und FDP haben angekündigt, dass sie eine Laufzeitverlängerung im Falle ihrer Regierungsübernahme exekutieren wollen. Dieser Schritt wäre gleichbedeutend mit der gesetzlichen Aufkündigung des "Atomenergieausstiegs", wie er zwischen der Bundesregierung und den deutschen Atomkraftwerksbetreibern 1999/2000 ausgehandelt und dann von der rot/grünen Bundestagsmehrheit als Gesetz beschlossen wurde. Die Laufzeitverlängerung ist die Droge zum generellen Wiedereinstieg in die Atomenergie. Sie wird damit legitimiert, dass das Potenzial der Erneuerbaren Energien nicht ausreiche, um fossile Energien zu ersetzen. Diese notorisch vorgetragene Behauptung stand auch in allen Kommentaren zu der Entscheidung, das internationale Gemeinschaftsprojekt des Atomfusionsreaktors ITER in Frankreich zu realisieren und dafür 10 Mrd. Euro öffentliche Mittel bereitzustellen. Wieder einmal zeigt sich, welche fatalen Konsequenzen es hat, wenn sich selbst bekannte Befürworter Erneuerbarer Energien scheuen, die Möglichkeit eines vollständigen Ersetzens atomarer und fossiler Energien öffentlich zu vertreten - oder dieses sogar in Abrede stellen.
Der neueste Trick, der überwiegend mit Erneuerbaren Energien sympathisierenden deutschen Öffentlichkeit die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke schmackhaft zu machen, ist der Vorschlag, die sich daraus ergebenden Unternehmensgewinne den Erneuerbaren Energien zugute kommen zu lassen. Ein solcher Vorschlag kommt nicht nur aus den Reihen von Unionspolitikern. Er wird auch von Fritz Vahrenholt vertreten, dem Chef des Windkraftanlagen-Produzenten Repower. Da die stillzulegenden deutschen Atomkraftwerke noch betriebstauglich und sie allesamt abgeschrieben seien, würden sie im Falle ihrer Laufzeitverlängerung jährlich Gewinne von etwa vier Milliarden Euro abwerfen. Diese Gewinne sollten dann zur Hälfte für Investitionen in Erneuerbare Energien bereitgestellt werden. Damit, so Fritz Vahrenholt, könne man sich "Zeit kaufen", um eine vermeintliche Versorgungslücke zu vermeiden, die im Falle der Umsetzung des Atomausstiegs drohe. Erneuerbare Energien, so wird unterstellt, könnten die Atomenergie noch nicht ersetzen. Damit wird nicht nur ein Vorurteil bestätigt, sondern auch energiepolitischer Zitronenhandel getrieben.
EUROSOLAR hat mit seiner Studie "Das deutsche Ausbaupotential Erneuerbarer Energien im Stromsektor" (als Pdf herunterzuladen - siehe Solarzeitalter 1/2005) herausgearbeitet, dass Erneuerbare Energien - unter der Voraussetzung der Existenz des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) - nicht nur die Atomkraftwerke ersetzen, sondern auch den Bau neuer fossiler Großkraftwerke überflüssig machen können. Der Anteil von 20% Erneuerbarer Energien, der nach dem EEG bis zum Jahr 2020 "mindestens" erreicht sein soll, wird wahrscheinlich schon 2012 erreicht sein, und im Jahr 2025 wären wir dann schon bei über 35%. Schon deshalb gibt es keinen Grund, die Laufzeit der Atomkraftwerke zu verlängern.
Und wie stellen sich diejenigen den Vorschlag praktisch vor, finanzielle Erträge aus dem Weiterbetrieb von Atomkraftwerken auf Erneuerbare Energien umzulenken? Soll den Atomstromkonzernen zugestanden werden, für Atomstrom Preise zu verlangen, die deutlich über den Erzeugungskosten liegen? Oder will man ihnen ein Investitionsprivileg für Erneuerbare Energien geben, damit sie ihre Strukturmacht aufrechterhalten können? Soll dann die Einführung Erneuerbarer Energien nach dem Gusto der Stromkonzerne erfolgen, etwa in großen Off-Shore-Anlagen, zu Lasten einer Breiteneinführung und einer breiten Eigentümerstreuung?
Der Vorschlag einer Laufzeitverlängerung ist ein vergifteter Köder, mit dem angeblich zugunsten Erneuerbare Energien die Atomenergie-Renaissance akzeptanzfähig gemacht werden soll.