Auszug aus dem nicht veröffentlichten SPIEGEL-Beitrag von Harald Schumann und Gerd Rosenkranz
«Marktbeherrschendes Duopol»
Dabei hatte doch eigentlich alles ganz anders kommen sollen. Als die Kohl-Regierung 1998 die EU-weit vorgesehene Liberalisierung des Strommarkts in Deutschland gleich stufenlos umsetzte, schien es zunächst, dass die alten Monopolisten der deutschen Stromwirtschaft nun endlich die Marktwirtschaft lernen müssten. Wo früher gesetzlich garantierte Gebietsmonopole den damals acht Verbundunternehmen exklusive Lieferechte und satte Preise sicherten, mussten sie nun plötzlich um die Abnehmer konkurrieren und ihre Stromnetze für die Durchleitung der Lieferungen ihrer Mitbewerber öffnen. Die Alt-Monoplisten reagierten auf den verordneten Wettbewerb aber zunächst mit einer beispiellosen Fusionswelle. Aus der früheren Veba, deren Stromtochter Preußen-Elektra und dem Bayernwerk wurde die heutige E.on. Und die Essener RWE schluckten die VEW. Das marktbeherrschende Duopol wie es die Ökonomen der Monopolkommission der Bundesregierung nannten, kontrolliert nun vier Fünftel der gesamten Stromerzeugung. Den Rest teilen sich die schwedische Vattenfall, die den ostdeutschen Versorger Veag und die Hamburger Elektrizitätswerke kauften sowie die Energie Baden-Württemberg (EnBW), an der der französische Staatskonzern EdF einen Anteil von 34,5 Prozent hält.Diese Konkurrenz muss das Duopol allerdings nicht fürchten. Denn es hält zugleich auch die Mehrheit bei 41 der 54 regionalen Verteilerunternehmen und an mehr als 130 Stadtwerken. Wer größere Marktanteile erobern will, kommt deshalb am Netz von E.on und RWE nicht vorbei.
Genau an diesem Punkt hatte das Projekt Stromwettbewerb aber von Beginn an einen grundlegenden Konstruktionsfehler. Weder die alte Regierung noch die rot-grüne Koalition wagte es, die Machtbasis der großen Stromkonzerne anzutasten: Die Verfügung über das Verteilungsnetz. Anders als bei der Telekom , in deren Netz die eigens eingerichtete Regulierungsbehörde den Wettbewerbern freie Bahn schaffte, blieb es den Stromern und ihren industriellen Großkunden selbst überlassen, die Tarife für die Durchleitung von Strom festzulegen.
Das Ergebnis ist vernichtend und kommt die deutsche Volkswirtschaft teuer zu stehen. Zwar warben die Konzerne und zahlreiche kleinere Handelsunternehmen zunächst bundesweit mit Billigtarifen um neue Kunden und schickten die Preise auf Talfahrt. Furore machte vor allem die Karlsruher EnBW mit ihrer Billigmarke Yello, die fast eine Million Kunden fand. Doch die Billiganbieter konnten ihre Preise nicht lange halten. Denn das neue Duopol nutzte konsequent seine Stromnetze, um durch überhöhte Gebühren den lästigen Wettbewerb abzustellen. So mussten Unternehmen, wie etwa der Hamburger Öko-Strom-Anbieter Lichtblick plötzlich für die Durchleitung ihres Produkts mehr als doppelt so viel bezahlen wie für die Stromerzeugung selbst.
Zur Rechtfertigung der Wucherpraxis nutzten die Platzhirsche der Branche «alle Tricks, um dem Netz sachfremde Kosten zuzuordnen», beklagt Ulf Böge, Präsident des Bundeskartellamtes. So fanden Böges Beamte heraus, dass zum Beispiel die E.on-Tochter Teag in Thüringen sogar Werbemaßnahmen und Personalkosten dem Neztbetrieb zuschlug, die damit gar nichts zu tun haben. In mehreren Musterverfahren will Böge nun klären, ob er mit Hilfe des Kartellrechts die Gebühren drücken kann.
Derweil sind die meisten unabhängigen Anbieter aber schon in Konkurs gegangen. Auch die EnBW-Firma Yello schreibt Millionenverluste. Und die Strompreise haben längst wieder das alte Niveau erreicht. Konnte sich ein dreiköpfiger Haushalt im Jahr 2000 noch für weniger als 41 Euro monatlich mit Strom versorgen, zahlt er dafür nun wieder über 50 Euro. Von dieser Steigerung entfällt nur etwa die Hälfte auf die Ökosteuer und andere staatliche Gebühren. Den Rest streichen die Konzerne ein.
Trotz alledem sahen Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller und sein Nachfolger Clement dem Treiben untätig zu. Erst als die EU-Kommission im Frühjahr ultimativ die Einrichtung einer Kontrollbehörde forderte, wie sie in den anderen EU-Staaten längst üblich ist, schwenkte Clement ein und sagte zu, der Regulierungsbehörde für Telekom und Post ab nächstem Jahr auch die Aufsicht über die Stromnetze zu übetragen.
Völlig offen ist allerdings, mit welchen Kompetenzen und nach welchen Kriterien die Behörde die Stromer an die Leine nehmen kann. Im Kern geht es dabei um die Höhe der Rendite, die den Betreibern zustehen soll. Weil der Netzbetrieb ohne jedes unternehmerische Risiko ist, hält etwa Kartellwächter Böge eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals knapp über dem Niveau von Bundessschatzbriefen für angemessen. Dieses Ansinnen weisen die Konzerne jedoch brüsk zurück. «Versorgungssicherheit gibt es nicht zum Nulltarif», erklärte E.on-Chef Bernotat rundheraus und verwies drohend auf die großen Stromausfälle in den USA und Italien infolge der dort schlecht ausgelegten Netze.
Kritiker wie die grüne Energiepolitikerin Michaele Hustedt verweisen dagegen auf die durchweg niedrigeren Netzentgelte in anderen EU-Staaten. Der Wettbewerb dürfe doch nicht für immer auf der Strecke bleiben, «nur weil ein paar Unternehmen den Marktzugang kontrollieren».