Auszug aus dem nicht veröffentlichten SPIEGEL-Beitrag von Harald Schumann und Gerd Rosenkranz
Frontlinie quer durch die Koalition
Die Reichweite und die Konsequenzen aller drei Vorhaben könnten kaum größer sein. Die Ausgestaltung der entsprechenden Gesetze werde «das Gesicht der Elektrizitätswirtschaft noch über die Mitte des Jahrhunderts hinaus prägen», erwartet Hans-Joachim Ziesing, Energieexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin.Unvermeidlich hat sich daher ein Machtkampf zwischen den alten Strommonopolisten und ihren Konkurrenten und Kritikern entzündet, dessen Frontlinie quer durch die rot-grüne Regierungskoalition verläuft. Dabei verfolgen Umweltminister Jürgen Trittin und sein Dauerkontrahent Wirtschaftsminister Wolfgang Clement grundlegend verschiedene Strategien. Geht es nach Trittin, wird Deutschland dem Zeitalter des Klimawandels mit einem Energiemix aus Wind-, Wasser- Biogas- und Erdgaskraft begegnen, der den Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent senkt und den Herstellern der neuen Technologien eine weltweite Marktführung verschafft. «Es wird mehr Gaskraftwerke geben und mehr Strom aus erneuerbaren Energien», hofft der Umweltminister, «aber auch weiter eine beachtliche Zahl Kohlekraftwerke».
Clement dagegen hält jede grundlegende Veränderung des hergebrachten Energiemixes für eine «gefährliche Utopie». Er streitet für eine weitgehende Beibehaltung des alten Systems zentraler Großkraftwerke, betrieben von wenigen großen Konzernen, die sich im europäischen Wettbewerb behaupten können. Nur so lasse sich verhindern, dass Deutschland «Stromimportland» werde und seine technologische Führung bei den Kohletechnologien verliere, glaubt Clement.
Zwar weiß Trittin die Mehrheit der Abgeordneten in beiden Fraktionen der Koalition auf seiner Seite. Gleichwohl verfügt der Wirtschaftsminister bislang über die stärkeren Bataillone. Denn die Spitzenmanager der Konzerne RWE und E.on, die heute über 80 Prozent des Strommarktes halten, setzen die Schröder-Regierung massiv unter Druck - ganz im Sinne Clements. Vor allem der Essener Stromriese RWE (Jahresumsatz 43,9 Milliarden Euro) hat viel zu verlieren und droht offen mit einem Investitionsboykott. Fundament und wichtigste Einnahmequelle des Konzerns sind die 18 Kraftwerke im rheinischen Braunkohlenrevier, die teilweise schon über drei Jahrzehnte in Betrieb sind und dringend erneuert werden müssen.
Dafür aber, so forderte kürzlich Finanzvorstand Klaus Sturany, müsse die Bundesregierung stabile Rahmenbedingungen schaffen. Klimaschutzziele, die über das - von Deutschland schon heute weitgehend erfüllte - Protokoll von Kyoto hinaus gehen, müssten mit «volkswirtschaftlichen Schäden» bezahlt werden. Halte die Bundesregierung daran fest, so Sturany, «dann investieren wir nicht».
Prompt spricht auch Minister Clement, der sich schon als Regierungschef in Düsseldorf für die RWE-Braunkohle stark machte, vom «drohenden Investitionsstop». Sein Staatssekretär Georg Wilhelm Adamowitsch, ehedem selbst Manager bei den inzwischen von RWE geschluckten Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW), versprach schon mal, die Regierung werde den «Klimaschutz nicht im nationalen Alleingang» betreiben und auch den Netzbetrieb gewiss nicht «kaputt regulieren». Die Strombranche fordere zu Recht «Renditesicherheit für 35 Jahre».
Aber selbst wenn sie wollte, könnte die Regierung solche Garantien gar nicht abgeben. Niemand weiß heute, welche Richtung die Energiepolitik einschlagen wird, wenn die Konsequenzen des heraufziehenden Klimawandels weltweit spürbar werden. In Wahrheit dient die Drohkulisse der Stromer und ihres Ministers denn auch vor allem einem Zweck: Neue Wettbewerber klein zu halten.