Datum: 29.11.05
Netzzusammenbruch im Münsterland und Haftungsfragen
Der Netzzusammenbruch war kein unabwendbares Ereignisvon Wolf von Fabeck
Geschäftsführer im Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V.
Den vierten Tag in Folge sind über sechzigtausend Haushalte und mittelständische Betriebe im Münsterland ohne Strom. Schnee- und Eislast haben die Strommasten abgeknickt.
Erst wenn der Strom wegbleibt, merken wir, wie abhängig wir von der Stromwirtschaft sind. Nicht nur Radio, Fernsehen und Beleuchtung bleiben weg. Auch die Trinkwasserversorgung, die Wasserspülung in der Toilette, die Gas- oder Ölheizung versagen, weil sie auf elektrische Pumpen angewiesen sind. Die Telefonverbindungen brechen zusammen und in der Tiefkühltruhe gammelt das Fleisch. Was geschieht im Zoo, im Aquarium? Auf den Bauernhöfen brüllen die Kühe, die jetzt von Hand gemolken werden oder notgeschlachtet werden müssen. Melken Sie mal 100 Kühe am Stück! Was ist mit Säuglingen, Kranken und Behinderten?
Stromversorgung gehört zur Daseinsvorsorge. Ein Staat, der die Daseinsvorsorge einem privatisierten Unternehmen überlässt, muss sich starke Kontrollen und wirtschaftliche Einflussnahme vorbehalten. Doch wie sieht es in dieser Hinsicht bei uns aus?
Der Blackout mitten in Deutschland - war kein unabwendbares Ereignis, wie RWE jetzt die Medien glauben machen will, sondern das Ergebnis technischer Sorglosigkeit. Es ist sträflicher Leichtsinn, heutzutage eine ganze Stadt aus Kostengründen nur noch über ein oder zwei Stromtrassen versorgen zu wollen. Stromnetze müssen enger vermascht bleiben. Sicherheitseinrichtungen und Energieversorgung müssen mehrfach (redundant) ausgeführt werden. Wenn der Strom auf dem einen Weg den vorgesehenen Empfänger nicht erreicht, muss er eine andere Möglichkeit finden! Im Zweifelsfall sollte man Erdkabel statt Freileitungen verwenden, denn Erdkabel sind witterungsunabhängig! Die Regeln und die technischen Elemente für eine sicherere Stromversorgung müssen nicht erst erfunden werden! Man hat sie nur vergessen - aus Kostengründen!
Der wirtschaftliche Schaden durch den derzeitigen Stromausfall wurde bisher kaum erwähnt, doch ist er immens. Die Versorgungssicherheit spielt bei der Beurteilung eines Wirtschaftsstandorts eine erhebliche Rolle. Häufigere Stromausfälle machen einen Wirtschaftsstandort schnell unattraktiv.
Netzsicherheit ist deshalb ein Standortfaktor.
Die Netzbetreiber selber haben allerdings kein wirtschaftliches Interesse an teuren Erdkabeln und mehrfach redundanten Stromleitungen. Und niemand kann sie zur Beachtung höherer Sicherheitsstandards zwingen. In ihrem Netzgebiet sind sie Monopolisten, sind sie Alleinherrscher. Ein Wettbewerb um mehr Netzsicherheit findet nicht statt. Die Schadenersatzpflicht bei großen Vermögensschäden, die der Wirtschaft einer Region durch Netzausfall zugefügt werden, wäre das einzige Druckmittel; doch die ist gesetzlich zugunsten der Netzbetreiber eingeschränkt. Warum eigentlich?
Das wirtschaftliche Interesse der Netzbetreiber liegt deshalb nur noch in der Steigerung des Gewinns durch Minimierung der Kosten.
Die staatliche Aufsicht beschränkt sich auf Verstöße gegen aktuelle Sicherheitsbestimmungen, stellt aber keine Forderungen an eine Verbesserung der Netze entsprechend dem fortschreitenden Stand der Technik.
Gesetzliche Einschränkung der Haftung und mangelnde Qualitätskontrolle der Netzsicherheit durch eine staatliche Aufsicht; diese unglückliche Kombination führt zwangsläufig zu einem Niedergang der Netzsicherheit. Hier liegt ein Mangel im System vor.
Man kann nur hoffen, dass die Erfahrungen aus dem derzeitigen Desaster einfließen in die Neufassung der Rechtsverordnungen AVBEltV und AVBGasV (Verordnungen über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitäts-/Gasversorgung von Tarifkunden), die derzeit im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit überarbeitet werden. Und es ist zu hoffen, dass die Wirtschaftsverbände in der bevorstehenden Anhörung auf Streichung der Haftungsbefreiung in diesen Rechtsverordnungen drängen.