Datum: 22.03.2006

Falsche Zahlen verführen Politiker zur Untätigkeit

Fehleinschätzung von Personal- und Energiekosten verhindert Entlastung der Unternehmen von Personalnebenkosten

von Wolf von Fabeck
Geschäftsführer im Solarenergie-Förderverein Deutschland

Was ist zu tun gegen die Massenarbeitslosigkeit? Die Wirtschaft fordert seit langem, der Staat möge endlich die Personalkosten - genauer die Personalnebenkosten - senken, damit der wirtschaftliche Druck zur Entlassung von Personal vermindert wird. Die Politik solle handeln!

Doch die Politik handelt nicht. Neuerdings scheinen einige Politker sogar daran zu zweifeln, ob die Unternehmer überhaupt die richtigen Forderungen stellen. Die Personalkosten seien ja überhaupt nicht gravierend - nur 20 Prozent. Und die Massenentlassungen seien deshalb unnötig. Die Unternehmen sollten lieber bei der Energie oder am Material sparen, statt am Personal.

So zum Beispiel Minister Gabriel im Januar bei einem Interview im SPIEGEL wörtlich:

  • "Es ist doch abenteuerlich, dass wir in den Kostenbestandteilen der deutschen Industrie mehr als 50 Prozent Material- und Energiekosten haben und nur 20 Prozent Lohnkosten. Aber permanent wird nur darüber nachgedacht, wie man Leute arbeitslos machen kann, um die Kosten der Produktion zu senken. Viel besser wäre es, Kilowattstunden arbeitslos zu machen".

In ähnlicher Weise haben sich der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen, Matthias Berninger [1] oder der Vorsitzende der IG Metall, Herr Peters [2] geäußert. Die 20 Prozent Personalkosten stehen jetzt im Raum und ein Politiker schreibt sie vom anderen ab, und beruhigt sich bei dem Gedanken, dass die Politik ihre Aufgabe erledigt hat und dass der Schwarze Peter nun bei den Unternehmern liegt.

In den Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre werden allerdings für die Personalkosten andere Werte genannt, etwa 65 Prozent.

  • 65 Prozent oder 20 Prozent? Sind die Lohnkosten nun zu hoch oder sind sie nicht zu hoch? Muss der Staat sein Steuer- und Abgabensystem ändern, oder genügt es, die Unternehmer auf andere Einsparmöglichkeiten hinzuweisen? Hier geht es um eine Existenzfrage für unsere Gesellschaft und aus diesem Grund - nicht um Minister Gabriel oder Matthias Berninger oder Herrn Peters zu blamieren - drängen wir auf eine rückhaltlose Aufklärung.

Durch welchen Fehler im Ansatz es zu den irreführenden 20 Prozent kommen konnte, erläutern Jürgen Grahl und Gerhard Hübener ausführlich in ihrem Beitrag Arbeitskostenanteil nur 20 Prozent? Kurz gesagt, passiert dies, wenn man die Lohnkosten nicht auf die reale "Wert-Schöpfung" [3] in Deutschland bezieht, sondern auf den Umsatz [3] - genauer gesagt auf den "Bruttoproduktionswert" [3] - aller Unternehmen einschließlich der deutschen Zulieferer. Da im Bruttoproduktionswert jedes Unternehmens auch die Vorleistungen seiner jeweiligen Zulieferer enthalten sind, kommt es zu Mehrfachzählungen. Ein Beispiel: Der Wert der Zahnräder im Getriebe taucht bei dieser irreführenden Berechnung mehrfach auf: Erstens im Bruttoproduktionswert der Zahnradfabrik, dann im Bruttoproduktionswert des Getriebeherstellers, schließlich im Bruttoproduktionswert von VW oder Opel oder Audi. Aber die Lohnkosten zur Herstellung der Zahnräder tauchen als Lohnkosten nur einmal auf, nämlich in der Zahnradfabrik. Beim Getriebehersteller und bei dem Unternehmen, welches das Auto zusammenbaut und verkauft, sind sie unter Materialkosten aufgeführt. So ergibt sich ein viel zu niedriger Anteil der Lohnkosten.
Bei korrekter Rechnung (d.h. bei Abzug der jeweiligen Vorleistungen) ergibt sich der Anteil der Personalkosten an der Wertschöpfung der Unternehmen bundesweit zu 65 bis 70 Prozent.

Da der Anteil der Energiekosten bezogen auf die Wertschöpfung bei 5,2 Prozent liegt, besteht in der Realität kaum ein Anreiz für die Unternehmer, Energie einzusparen - aber es besteht unverändert ein verheerender Anreiz zur Entlassung von Personal. Die Unternehmer und die Aktionäre fragen sich natürlich, wieviel Prozent der erarbeiteten und verfügbaren Wertschöpfung für den Unternehmensgewinn übrig bleibt, wenn man indirekte Steuern (etwa 12%), Kapitalkosten (etwa 13%), und die genannten Personalkosten abgezogen hat. Die Personalkosten stellen bei weitem den größten Anteil dar, die Entscheidung, hier zuerst den Rotstift anzusetzen, ist verständlich. Moralische Vorhaltungen an die Adresse der Unternehmer nützen da wenig. Vielmehr muss der Staat sein Steuer- und Abgabensystem ändern, denn etwa die Hälfte der Personalkosten besteht aus staatlich verordneten Steuern und Sozialabgaben. Hier steht der Staat in der Pflicht

Das bedrückende Ergebnis sei noch einmal wiederholt: 65 bis 70 Prozent der Wertschöpfung werden für das Personal aufgewendet, doch davon kommt nur etwa die Hälfte als Nettolohn den Mitarbeitern zugute. Die andere Hälfte besteht aus staatlich verordneten Steuern und Abgaben. Das ist der Grund, warum Unternehmer Personal einsparen, soweit es ihnen möglich ist. Erschwerend kommt noch hinzu - worauf wir in vielen vorhergehenden Beiträgen aufmerksam gemacht haben - dass gerade bei Produktionsgängen, die sich automatisieren lassen, Personal leicht durch Energie ersetzt werden kann, deren Produktionsmächtigkeit erheblich höher ist, deren Kosten gegenüber den Personalkosten aber fast zu vernachlässigen sind.

Fazit: Es ist geradezu tragisch, wenn Politiker, die das Richtige wollen, des Glaubens sind, sie brauchen selber nichts mehr zu tun, als die Unternehmer aufzuklären. Die Unternehmer brauchen keine Aufklärung, sie brauchen - und wir werden das immer wieder anmahnen - eine Änderung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen! Wenn gar ein Minister will, dass nicht Menschen sondern Kilowattstunden arbeitslos werden, dann muss er bei jeder Gelegenheit und insbesondere im Bundeskabinett dafür werben, dass Energie stärker besteuert wird und die Belastung der Unternehmen durch die Lohnnebenkosten verringert wird. Dazu müssen aber erst einmal die richtigen Größenordnungen bekannt sein. Hier zur Aufklärung beigetragen zu haben, sei den Autoren des angesprochenen Beitrages herzlich gedankt!

Quellenangaben

[1] "Einseitige Debatte um Sozialabgaben und Steuern
Energie und Rohstoffkosten sind im Schnitt mit über 60 Prozent dreimal höher als die viel diskutierten Lohn- und Sozialkosten. Eine Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat unlängst gezeigt, dass gerade die kleinen und mittleren Unternehmen die Einsparpotenziale in diesem Bereich sehr unterschätzen. Angesichts der einseitigen Debatte um Sozialabgaben und Steuern sind gerade diese Kosten ein Wettbewerbsfaktor, der in der wirtschaftspolitischen Debatte grob vernachlässigt worden ist."
Schreibt Berninger im Schrägstrich vom 1.3.2006

[2] IG Metall: Der Lohnanteil am Umsatz liege bei nur noch 17,4 Prozent (Anm.: für die Metall- und Elektroindustrie) "Es ist deshalb nicht nur heuchlerisch, sondern peinlich, wenn die Arbeitgeber auch in dieser Tarifrunde das Klagelied über die hohen Lohnkosten anstimmen", sagte Peters. (Financial Times Deutschland /dpa 20.1.06).

[3] Erläuterung des Statistischen Bundesamtes zur Ableitung der verwendeten Begriffe