Immer wieder einmal werden Umweltfreunde aufgefordert, einen "Stromwechsel" durchzuführen. Was damit eigentlich gemeint ist, und welche Konsequenzen es hat, erläutern wir nachfolgend.

Wechsel des Stroms oder Wechsel des Stromanbieters - ein himmelweiter Unterschied

Physikalisch gesehen:

Vom Telefon her sind wir es gewohnt, dass wir wählen können, mit wem wir verbunden sein wollen. Beim elektrischen Strom ist das anders. Egal welche "Stromsorte" oder welchen Stromanbieter man wählt - der Strom aus der Steckdose ändert sich dadurch nicht. Man bekommt genau den gleichen Strom wie vorher und den gleichen Strom wie der Nachbar, der einen "anderen Strom" bestellt hat. Es gibt physikalisch keinen Unterschied. Die Spannung und die Frequenz bleiben gleich und die abrufbare Höchstleistung ändert sich nicht. Strom ist auch weder gelb noch grün.

Wirtschaftlich gesehen:

  • Wenn ich den Stromversorger wechsel, bekommt ein anderer Stromversorger mein Geld.
  • Wenn ich den Stromversorger aber beibehalte, und nur eine andere "Stromsorte" bestelle, dann bekommt der bisherige Stromversorger weiterhin mein Geld. Ob er mit diesem Geld dann das tut, was er in seiner Werbung verspricht, ist die große Frage!

Was ändert sich also, wenn man den Strombezug ändert?

Die Anwort lautet, das kommt darauf an, was man ändert.

  • Man bestellt beim bisherigen Stromversorger eine andere "Stromsorte" - das bringt nicht viel.
  • Man wechselt den Stromversorger - das kann etwas bewirken, wenn man den richtigen findet.

Der Grund, warum wir zur zweiten Variante - zum Wechsel des Stromanbieters - raten: Wir möchten einer kleinen Minderheit ökologisch engagierter Stromversorger zu mehr politischem Einfluss auf die Energiepolitik verhelfen. Und wie soll das gehen?

Der Einfluss eines Stromversorgers auf die Energiepolitik hängt stark von seiner wirtschaftlichen Bedeutung, d.h. von seinem Umsatz, ab. E.ON oder RWE z.B. verschaffen sich in der Energiepolitik eher Gehör als das kleine, Elektrizitätswerk Schönau. Es ist deshalb legitim und sinnvoll, wenn Stromkunden zu einem Stromversorger wechseln, der die Energiewende aus eigenem Antrieb vorantreibt. Der Strom muss dafür nicht teurer sein, sondern das Geld der Stromkunden - also Ihr Geld - soll nur in die "richtigen" Kassen fließen.

Aus dieser Überlegung folgt dann auch, dass es wenig Sinn macht, wenn man einen Stromversorger beibehält, der die Energiewende behindert und bei ihm nur eine andere Stromsorte - sogenannten "Ökostrom" - kauft, z.B. Energreen oder Naturwatt. Das Geld fließt weiterhin in die "falsche" Kasse.

Und wie finden Sie nun den "richtigen" Stromversorger?

Die Fragwürdigkeit von Zertifikaten und Labels

Hier melden sich garantiert die verschiedenen Zertifikatevereine, Technischen Überwachungsvereine und der Grüne Strom Label e.V. zu Wort. Diese Institutionen wollen Ihnen die Suche und das Nachdenken abnehmen und ersparen. Lassen Sie sich darauf nicht ein! Zertifikate und Labels haben leider nur eine geringe Aussagekraft! Sie werden auf Antrag des Stromhändlers und gegen Bezahlung nach formalen Kriterien vergeben. Die Zertifikate sagen aber herzlich wenig darüber aus, wie der Stromhändler wirklich zur Energiewende steht. Dies scheitert vornehmlich an zwei Problemen:

  • Unmöglichkeit einer lückenlosen Herkunftskontrolle für Strom
  • Fragwürdigkeit einer Gesinnungsprüfung mit formalen Kriterien

Eine Herkunftskontrolle für Strom ist praktisch nicht durchführbar. Zur lückenlosen Überprüfung müssten nicht nur sämtliche Einkaufsvorgänge des jeweiligen Stromversorgers offengelegt werden, sondern auch sämtliche Ein- und Verkaufsvorgänge all seiner Lieferanten und Vorlieferanten. Selbst wer Strom bei einem Wasserkraftbetreiber einkauft, kann nicht ausschließen, dass ein Teil seines Geldes letztlich bei einem Atomkraftwerksbetreiber landet. Es ist denkbar, dass der Wasserkraftbetreiber bereits seine gesamte Jahresproduktion anderweitig verkauft hat und den ihm fehlenden Rest auf dem freien Markt dazukauft. Wer will diese Art von "Stromwäsche" kontrollieren?

Hier zwei besonders betrübliche Beispiele für die Lückenhaftigkeit von Zertifikaten:

  • Die Stadtwerke Bielefeld verkaufen Ökostrom der Marke "energreen". Dieser Strom wurde vom Grüner Strom Label e.V. mit dem Label in Gold zertifiziert. Ungefähr zum Zeitpunkt der Zertifizierung haben die Stadtwerke Bielefeld eine Beteiligung am Kernkraftwerk Grohnde erworben. Das Label wurde ihnen jedoch nicht wieder aberkannt. Bei Wikipedia kann man zum Atomkraftwerk Grohnde nachlesen :"Betreiber ist die Gemeinschaftskernkraftwerk Grohnde GmbH & Co. oHG mit den jeweils beteiligten Gesellschaftern E.ON Kernkraft GmbH zu 83,3% und die Stadtwerke Bielefeld zu 16,7%."
  • Ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Raum Köln verkaufte "Ökostrom" ebenfalls als "energreen" mit Zertifizierung. Die Mehreinnahmen aus dem "Ökostromverkauf" gab es als Zuschuss an die Errichter von Photovoltaik- (PV) Neuanlagen weiter und erhielt dafür ein Goldenes Label. Das klingt zuerst einmal ganz vielversprechend. Doch schaut man hinter die Kulissen, dann ändert sich der Eindruck: Genau dieses EVU nämlich verhinderte gleichzeitig durch abschreckende Vertragsgestaltung, gerichtliche Verfahren und preisaufwändige Anschlussbedingungen eine große Zahl von PV-Anlagen. Die Bilanz ist verheerend: Das Unternehmen förderte einige wenige PV-Anlagen durch einen Zuschuss, hängte sich dafür ein goldenes Label um und schreckte gleichzeitig potentielle PV-Anlagenbetreibern davon ab, ihrerseits eine PV-Anlage zu errichten.

Also: Vergessen Sie die Zertifikate! Ordnen Sie diese Papiere getrost unter der Rubrik "Werbung" ein und denken Sie daran: In der Werbung ist fast alles erlaubt.

Und lassen Sie sich auch nicht durch Selbstverpflichtungen blenden! Selbstverpflichtungen, dass man den Bau von Anlagen zur Nutzung der Erneuerbaren Energien fördert, sind kaum nachprüfbar. Versuchen Sie es gar nicht erst! Einige schöne PV-Anlagen und Windanlagen mit Anschrift und Telefonnummer sind rasch ins Netz gestellt und vermitteln den Eindruck der Transparenz, trotzdem sagen sie nichts über die eigentlichen Absichten des Stromversorgers aus.

Und - wie finde ich nun den richtigen Stromversorger?

Urteilen Sie lieber nach dem Motto: An ihren guten Taten im Alltag sollt ihr sie erkennen.

Das sicherste Kriterium dafür, ob ein Stromversorger die Energiewende mit Dezentralisierung der Stromversorgung wirklich will, ist seine Einstellung zum massenhaften Bau privater Solarstromanlagen. Es geht hier nicht um das öffentlichkeitswirksame Zur-Schau-Stellen eigener Solarstromanlagen des Stromversorgers. Entscheidend ist vielmehr die ermutigende, beratende und praktische Unterstützung für jeden privaten Anlagenbetreiber. Rufen Sie doch einmal an und fragen um Rat für einen fiktiven Bekannten, der sich im Netzgebiet des Energieversorgers eine Solaranlage bauen wolle.

  • Bitten Sie um ein Einspeisevertragsformular. Falls der Netzbetreiber keinen Einspeisevertrag anbietet, so ist das kein Unglück; im Gegenteil: Auch der SFV vertritt den Standpunkt, dass schriftliche Einspeiseverträge nicht erforderlich sind, weil das EEG und andere einschlägige Gesetze die Pflichten des Netzbetreibers eindeutig festschreiben. Falls der Netzbetreiber mehr tun will, als das, wozu das Gesetz ihn verpflichtet, genügt seine einseitige schriftliche Verpflichtung. Ein Einspeisevertrag ist dafür nicht erforderlich.
  • Wird in den Einspeiseverträgen drohend auf ein mögliches Ende des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) verwiesen?
  • Enthalten die Einspeiseverträge Klauseln, mit denen die Rückforderung der Einspeisevergütung angedroht wird?
  • Wird die Länge der Einspeiseverpflichtung (20 Jahre plus die Restmonate des Inbetriebnahmejahres) ausdrücklich im Vertrag garantiert? (So erkennt der Einspeiser deutlich, dass ihm Investitionssicherheit geboten wird.)

Ein weiteres Bewertungskriterium ist die Tarifgestaltung.

  • Gibt es Preisermäßigungen für Vielverbraucher oder Betreiber von Elektroheizungen? (Das ist gar nicht gut!)
  • Verzichtet der Stromversorger auf einen Grundpreis? (Das ist gut, weil Stromsparer dann weniger bezahlen und weil Vielverbraucher dann mehr bezahlen müssen!)
  • Bitten Sie um die Begründung für die letzte Preiserhöhung. Lassen Sie sich eine Kopie per Fax zusenden. Wenn in dieser Begründung unterschwellig gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) oder gegen die Stromsteuer, bzw. Ökosteuer Stimmung gemacht wird, dann liegt diesem Stromversorger offenbar nicht viel an der Energiewende.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der eigenen Recherche! Vielleicht berichten Sie uns kurz über Ihre Erfahrungen?


PS Der SFV bezieht den Strom für die Bundesgeschäftsstelle in Aachen von den Elektrizitätswerken in Schönau. Der organisatorische Aufwand für den Wechsel des Versorgers war minimal, vielleicht 15 Minuten. Eine email genügt zur Konaktaufnahme info@ews-schoenau.de