Datum:19.10.04

Wirtschaftswachstum - kein Patentrezept gegen Arbeitslosigkeit

Gegner der Arbeitsmarktreformen erkennen nicht den ideologischen Fehler

Wolf von Fabeck

Die umstrittenen Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 gehen von der Prämisse aus, dass „nur Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit stoppen“ könne. Dieser „Lehrsatz“ wird auch von den Kritikern der Arbeitsmarktreformen wie ein Glaubensbekenntniss wiederholt, obwohl gerade er den Freibrief für die beklagten neoliberalen Reformen darstellt. Viele Reformgegner kämpfen somit gegen ein System, dessen ideologische Grundlage sie selber vertreten.

Dabei ist der Glaube an die Notwendigkeit ständigen Wirtschaftswachstums einer der Grundfehler überhaupt.

Noch gibt es nur wenige Stimmen, die den Widerspruch wagen, denn die Autorität der Wirtschaftsweisen entspricht der von mächtigen Medizinmännern. Ihre Verherrlichung des Wachstums begründen sie mit der statistischen Beobachtung, dass die Zahl der Arbeitsplätze immer zugenommen hat, wenn das Wachstum der gesamten Volkswirtschaft die Rate von 2 oder 3 Prozent überschritten hat. Pauschal gesehen stimmt die Beobachtung sogar, doch als Beweis für die Behauptung, dass Wachstum Arbeitsplätze schaffe, taugt sie nicht. Wer genauer hinsieht, stellt nämlich fest, dass - abgesehen von wenigen rühmlichen Ausnahmen im Bereich der Erneuerbaren Energien - gerade solche Unternehmen hohe Wachstumsraten erzielen, die keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen, sondern sich rücksichtslos von vielen Mitarbeitern trennen.

Hier liegt eine schreckliche Fehlfunktion unseres Wirtschaftssystems vor. Deshalb hätte schon längst die Frage beantwortet werden müssen, warum ausgerechnet diejenigen Unternehmen mit Wachstum und steigenden Gewinnen belohnt werden, die ihre Arbeitsplätze abbauen:

Im Prinzip können Unternehmer ja selber entscheiden, ob sie viel oder wenig Personal beschäftigen wollen. Sie können zum Beispiel wählen, ob sie reparaturfreundliche Produkte mit der Garantie einer (personalintensiven) Werküberholung anbieten oder Produkte, die nach wenigen Jahren im Schrott landen, weil keiner sie reparieren kann. Beide Varianten sind technisch möglich, doch finden wir heute leider vorwiegend die letztgenannte, die wir mit den Stichworten „Sperrmüllkultur“ und „Raubbau an den Schätzen der Erde“ kennzeichnen können. Sie wird zumeist mit der arroganten Bemerkung begründet, dass die Käufer keinen Wert auf ein „Produkt von vorgestern“ legen.

Diese Behauptung lässt sich leicht am Beispiel der hochbegehrten und heute noch hochwertigen Oldtimer-Autos widerlegen. Das soll jetzt kein Plädoyer für technischen Stillstand sein, sondern soll zeigen, was machbar ist. Ein modernes, solide gefertigtes Produkt, welches bei Bedarf im Herstellerwerk oder einer Filiale grundüberholt werden kann, würde auch heute gerne gekauft. Es könnte zudem im Ausland die Wertschätzung der Marke „made in germany“ verbessern.

Der eigentliche Grund für die Entscheidung der Unternehmer zur reparatur-unfreundlichen, materialverschwendenden Produktionsweise liegt nämlich nicht im Käuferwunsch begründet, sondern darin, dass für Reparaturarbeiten gut ausgebildetes Personal benötigt wird. Und Personal ist teuer, die Alternative hingegen billig. Die Alternative besteht darin, am laufenden Band in fast menschenleeren Produktionshallen mit Hilfe von Automaten und billiger Energie neue billige Produkte als Ersatz für ältere billige Produkte herzustellen. Billige Grundstoffe, billige Energie und Automaten machen es möglich und sind die Ursache für den Personalabbau. Dies hat bereits zu Beginn des Industriezeitalters zur Forderung geführt, Maschinen (Automaten) zu besteuern und in der Gegenwart hört man bisweilen die Forderung nach einer Grundstoff- oder Materialsteuer. Beide Vorschläge sind vom Ansatz her richtig, haben aber in der Praxis das Problem der sachgerechten und nachvollziehbaren Bemessung. Eine wesentlich einfachere Lösung ergibt sich, wenn man Maschinen, Automaten und Grundstoffe indirekt über die von ihnen verbrauchte Energie besteuern würde. Dazu muss man wissen, dass der Energieaufwand zur Herstellung der Grundstoffe immens ist. Zwei Drittel der in der Produktion verwendeten Energie fließen in die Grundstoffherstellung. Eine Besteuerung der Energie würde gezielt insbesondere die Grundstoffe verteuern, was ein erwünschter Effekt wäre, weil er diejenigen Unternehmen belohnt, die wertbeständige Produkte herstellen und in personalintensiven Abteilungen für ihre Reparatur sorgen.

Gleichzeitig mit einer Erhöhung der Energiesteuern muss eine Entlastung der Lohnsteuer und Sozialabgaben erfolgen, um Einstellung neuen Personals zu erleichtern. Mit diesen Überlegungen haben wir den entscheidenden Lösungsansatz für die Schaffung neuer Arbeitsplätze skizziert.

Die Tatsache, dass in Großbritannien, dessen Steuer auf Dieselkraftstoff um fast unglaubliche 27 Cent/Liter über der deutschen Dieselsteuer liegt, die Arbeitslosenquote nur halb so hoch ist wie die in Deutschland, sollte nachdenklich stimmen.

Arbeitsplätze schaffen ohne Wirtschaftswachstum ist möglich!

PS. Die Energiesteuer muss auch auf Erneuerbare Energien erhoben werden. Diese brauchen keine Steuerbefreiung (Ausnahme: vorübergehende Steuerbefreiung für pflanzliche Treibstoffe). Zur Markteinführung der Erneuerbaren Energien sind andere Instrumente besser geeignet, wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz, Baupflicht für Solaranlagen und ein Genehmigungsstopp für den Neubau von Kohlekraftwerken.