Datum: 03.03.2006 (neu überarbeitet)
Emissionshandel - wirkungsloser Aktionismus
Zur EU-Richtlinie zum Emissionshandel vom Dezember 2002
Von Jürgen Grahl am 21.12.2003
Vorbemerkung: Dass wir uns im folgenden Artikel auf eine Diskussion
über die EU-Richtlinie zum Emissionshandel (Beschluss der
Kommission vom 11.12.2002) einlassen, soll nicht den Eindruck
erwecken, der Solarenergie-Förderverein würde den Emissionshandel
doch noch als sinnvoll akzeptieren, wenn erst einmal gewisse
Schwachstellen und Missstände beseitigt seien. Wir halten das
System des Emissionshandels vielmehr bereits im Prinzip für
ineffizient, untauglich und verfehlt, aus den in mehreren früheren
Artikeln (siehe z.B. Solarbrief 3/02, Seite 112) detailliert
erläuterten Gründen. Auch erheben die folgenden Ausführungen
keinesfalls den Anspruch einer vollständigen und erschöpfenden
Kritik am Beschluss der EU-Kommission, sondern sind lediglich als
Kommentar zu einigen wesentlichen Punkten zu verstehen.
Punkt 1:
Der Sanktionsmechanismus, der die Einhaltung der
festgelegten Emissionsbudgets sicherstellen soll, enthält
Hintertürchen, die seine Wirksamkeit vollends unterminieren
könnten.
Nach der Nennung der bei Nichteinhaltung zu zahlenden Strafe in
Punkt 17 der Begründung heißt es: "Anstatt die Höhe der Strafe für
jede Tonne, die über das zulässige Maß hinaus emittiert wurde,
festzulegen, wenden die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen die
Richtlinie Sanktionen an, die effektiv, verhältnismäßig und
abschreckend sind." Mit dieser vagen Formulierung ist der
Verwässerung des Sanktionsmechanismus durch die Einzelstaaten Tür
und Tor geöffnet. (Hierbei ist zu beachten, dass der
Emissionshandel mit einem lückenlosen Funktionieren der
Emissionskontrolle und der Sanktionsmechanismen steht und fällt, so
dass bereits ein einzelnes Land, das sich für ein Unterlaufen der
Reduktionsziele hergibt, das gesamte System gefährden kann. Wie
"groß" die Macht der EU-Kommission ist, derartige
Pflichtverletzungen der Einzelstaaten zu unterbinden, dafür liefert
die wiederholte Überschreitung der 3,0%-Defizitgrenze durch
Deutschland ein trauriges Anschauungsbeispiel.)
Unter Punkt 3.1 der Begründung zur Richtlinie findet man konkrete
Aussagen zu der Höhe der Sanktionen. Im ursprünglichen Entwurf der
Richtlinie vom 23.10.2001 war eine Sanktionszahlung von 100 Euro
pro Tonne CO2, mindestens aber dem Doppelten des Markpreises
beabsichtigt. Durch einen von der Kommission akzeptierten
Änderungsantrag wurde dieser Wert auf einheitliche 100 Euro pro
Tonne gesenkt, der Zusatz betreffend das Doppelte des Marktpreises
also gestrichen. Dies bedeutet, dass auch der Preis für
Emissionszertifikate nicht über 100 Euro pro Tonne steigen kann, da
jenseits dieser Schwelle die Nachfrage nach Zertifikaten wegbricht:
Es ist dann billiger, die Strafe zu bezahlen als
Emissionszertifikate zu kaufen. Nach der ursprünglich
vorgeschlagenen Regelung hingegen wäre durch den Faktor 2 zwischen
Sanktionshöhe und Marktpreis sichergestellt gewesen, dass eine
nicht durch entsprechende Zertifikate gedeckte Emission stets
wirtschaftlich unrentabel gegenüber dem Zukauf von Zertifikaten
gewesen wäre. Der Verzicht auf diese Bestimmung schmälert die
ohnehin fragliche Wirksamkeit des Sanktionsmechanismus weiter.
Punkt 2:
Da sowohl natürliche als auch juristische Personen mit
Berechtigungen handeln können, werden Spekulationen leicht
gemacht.
Nach Punkt 15 der Richtlinienbegründung kann jede natürlich oder
juristische Person mit Konto in den "nationalen Verzeichnissen"
mit Berechtigungen handeln. Das ermöglicht Spekulationen mit den
Emissionszertifikaten - mit all den destabilisierenden Folgen, die
wir von der Spekulation auf den Finanzmärkten mit Aktien, Devisen
und Optionen kennen (wobei die Spekulation mit Emissionsrechten,
d.h. letztlich mit Energie, dem Lebenssaft der Volkswirtschaften,
noch unmittelbarere und verheerendere Konsequenzen für die
Realökonomie haben dürfte als die Spekulation auf den
Finanzmärkten).
Punkt 3
Die Richtlinie bietet keinen Anreiz zu Emissionsminderungen, die
über die völlig unzureichenden internationalen
Kyoto-Verpflichtungen hinausgehen.
In Punkt 13 heißt es: "Die Gesamtmenge von Berechtigungen gemäß der
Richtlinie soll im wesentlichen der Verantwortung der
Mitgliedstaaten überlassen bleiben." Das verführt die Einzelstaaten
dazu, die Gesamtbudgets der eigenen Industrie zuliebe so hoch wie
nur möglich anzusetzen. Einzige Obergrenze werden die international
(etwa in Kyoto) eingegangenen Verpflichtungen sein, die bekanntlich
völlig unzureichend sind. Jeder Anreiz zu ambitionierteren
Vorgaben entfällt - im Gegenteil: Sie würden eine Bestrafung der
heimischen Wirtschaft bedeuten! (siehe hierzu Behauptung 6 des
Artikels Weitere Fehleinschätzungen zum
Emissionshandel) Wie Hermann Scheer festgestellt hat: Der
Emissionshandel scheitert an der Prämisse, Klimaschutz sei
wirtschaftliche Last, die es geschickt zu verteilen gelte.
Punkt 4:
Einige Formulierungen in der Richtlinie sind ethisch untragbar.
Im Artikel 10 "Zuteilungsmethode" des Richtlinienbeschlusses steht:
"Für den am 1. Januar 2005 beginnenden Dreijahreszeitraum teilen
die Mitgliedsstaaten die Berechtigungen kostenlos zu." Das halten
wir für ethisch untragbar, nicht zuletzt aufgrund der Symbolkraft
dieses Verhaltens: Die Unternehmen bekommen die Rechte zur
Umweltzerstörung auch noch umsonst! Ebenso zynisch folgende Passage
unter Punkt 13 der Begründung: "Es erhebt sich die Frage, ob andere
Personen, beispielsweise Umweltschutz-
Nichtregierungsorganisationen, in der Lage sein sollten,
Berechtigungen zu erwerben und sie dann aufzuheben, was zu einer
Verknappung der Berechtigungen führt; dieses Recht ist bereits im
Entwurf für das Kyoto-Protokoll vorgesehen." Im Klartext heißt das:
Die Umweltverbände sollen - wenn ihnen der Schutz des Klimas so
wichtig ist - Unsummen auf den Tisch blättern, damit ein paar
Tonnen weniger emittiert werden; es sollen nicht mehr die
Umweltzerstörer für die angerichteten Schäden zahlen, sondern die
Opfer für das Unterlassen der Zerstörung. Vergleichen lässt sich
diese groteske Regelung hinsichtlich ihres ethischen Niveaus
eigentlich nur noch mit den von der Mafia eingeforderten
Schutzgeldzahlungen.
Punkt 5:
Der Emissionshandel droht zum Totengräber der ökologischen
Steuerreform zu werden.
Der Emissionshandel ist auch in Umweltkreisen oftmals mit der
Begründung verteidigt worden, er könne eine sinnvolle Ergänzung zur
ökologischen Steuerreform sein; die Befürchtungen des SFV, es ginge
in Wirklichkeit um deren Ersatz, wurden immer wieder als
übertrieben abgetan. An recht unscheinbarer Stelle hat nun die
EU-Kommission höchstselbst die Katze aus dem Sack gelassen: Sie hat
einen Änderungsantrag zum Richtlinienentwurf abgelehnt, der
explizit klarstellen sollte, dass der Emissionshandel nicht die
Energiebesteuerung ersetzen darf. Zudem heißt es unter Punkt 7 der
Begründung zum Zusammenwirken des Emissionshandels mit
Energiesteuern: "Der gleichzeitige Einsatz beider Instrumente kann
sich nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken, wenn sie
zur selben Zeit im gleichen Sektor eingesetzt werden. [...] wäre es
jedoch zweckmäßig, bei Tätigkeiten, die unter das System für den
Handel mit Treibhausgasemissionen in der Gemeinschaft fallen, die
Höhe der auf das gleiche Ziel gerichteten Besteuerung zu
berücksichtigen." Dies lässt große Zweifel aufkommen an den
Beschwichtigungen, der Emissionshandel solle die Energiebesteuerung
nur ergänzen, nicht ersetzen, und bestätigt unsere Sorge, dass der
Emissionshandel die Durchsetzung bzw. Fortführung der ökologischen
Steuerreform erschwert oder gar verunmöglicht.
Punkt 6:
Die Annahme, in der Richtlinie gehe es lediglich um einen
europaweiten, von den Schlupflöchern des Kyoto-Protokolls nicht
tangierten Emissionshandel, entspricht nicht den Tatsachen.
Einer unserer Hauptkritikpunkte am Emissionshandel ist die
praktische Undurchführbarkeit einer wirksamen und lückenlosen
Emissionskontrolle im weltweiten Rahmen. Hiergegen wurde mitunter
eingewandt, bei der EU-Richtlinie zum Emissionshandel gehe es gar
nicht um einen weltweiten Handel auf der Ebene von Staaten, sondern
lediglich um einen europaweiten Handel zwischen einer
überschaubaren und daher relativ leicht kontrollierbaren Zahl von
Akteuren. Tatsächlich versteht sich die EU-Richtlinie jedoch sehr
wohl explizit als Vorstufe zum globalen Emissionshandel. In der
Begründung zum Richtlinienbeschluss (Punkt 20) findet sich folgende
Formulierung: "Das Handelssystem wurde so konzipiert, dass es mit
dem internationalen Emissionshandel kompatibel ist, der von den in
Anhang B des Kyoto-Protokolls genannten Vertragsparteien aufgebaut
werden soll [...]".
Die Integration eines europaweiten Emissionshandels in den des
Kyoto-Protokolls zieht aber auch die Infektion mit den unter der
euphemistischen Bezeichnung "Clean-Development-Mechanismen"
bekannten Schlupflöchern des Kyoto-Protokolls nach sich, die
Hermann Scheer treffend so charakterisiert hat: "Da soll noch jeder
ganz natürlich wachsende Strauch als CO2-Absorber kalkuliert
werden, um einen Bonus für weitere Emissionen herauszuholen." Auch
für diese "Clean-Development"-Mechanismen bezieht die Richtlinie
klar Stellung; unter Punkt 22 der Begründung heißt es: "Die
Kommission hält die Einbeziehung derartiger Emissionsgutschriften
letztendlich für wünschenswert [...]".
Aus diesen Gründen hat es unserer Ansicht nach keinen Sinn,
zwischen "gutem" (angeblich funktionierendem europaweitem) und
"schlechtem" bzw. problematischem (weltweitem) Emissionshandel zu
unterscheiden.