Aggressionen gegen die Ökosteuer

Vom 3.5.2003, Autor: Wolf von Fabeck

Wer Versprechungen nicht einhält, zieht Enttäuschung, Zorn und Aggressionen auf sich, sein guter Ruf ist schnell verdorben - und das ist richtig so! Ungerecht ist dies allerdings dann, wenn es den Falschen trifft. So mag es manchem Vater gehen, der sein jammerndes Baby mitleidig ans Herz drückt und nur noch mehr Geschrei erntet, weil der Kleine irrtümlich eine ergiebigere Brust erwartet hatte.

So wie es dem hungrigen Säugling mit der Vaterbrust ergeht, ergeht es manchem Umweltfreund mit der „Ökosteuer“. Doch merken die Umweltfreunde meist nicht so schnell, dass sie Mama und Papa verwechselt haben. Manche Umweltfreunde glauben nämlich beharrlich, die „Ökosteuer“ solle die konventionellen Energien verteuern, um mit den Einnahmen „irgendwie“ die Erneuerbaren Energien zu fördern; doch das ist eine Fehleinschätzung, die zwangsläufig in Enttäuschung enden muss. Die Erneuerbaren Energien sollen gar kein Geld aus der „Ökosteuer“ erhalten. Diese Umschichtung soll von einem anderen Förderprogramm bewältigt werden - vom EEG, dem Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien.

Sie glauben das nicht? Nun, dann lesen Sie einmal §1 des EEG:

„Ziel dieses Gesetzes ist es, im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen und den Beitrag Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung deutlich zu erhöhen (... )“
 
Und unter § 11, Absatz (4) EEG finden Sie sogar die genaue Anleitung, wie die Mehrkosten für die Erneuerbaren Energien auf alle Stromhändler umgelegt werden. Auf jeder Stromrechnung können Sie den Protest der Elektrizitätsversorger gegen die angeblich unsinnigen Strompreiserhöhungen durch das EEG nachlesen.

Also - die ökologische Steuerreform (ÖSR) ist nicht vorgesehen für die Förderung der Stromerzeugung aus Sonne-, Wind-, Wasserkraft, Biomasse und Geothermie!
Wenn es bei Sonne und Bioenergie noch etwas hapert, so liegt dies nicht an der „Ökosteuer“, sondern an den zu geringen Einspeisevergütungen im EEG, deren Verbesserung wir schon lange fordern. Die Ökologische Steuerreform dafür zu prügeln ist total ungerecht!

Die „Ökosteuer“ hat immer wieder unter Missverständnissen wegen ihres unglücklichen Namens gelitten. Bei „Einkommensteuer“, „Tabaksteuer“, „Hundesteuer“ ist jedem klar, was besteuert werden soll. Doch wie soll die „Ökologie“ besteuert werden, fragt sich der Umweltfreund empört und kommt dann leicht auf die Idee, dass wahrscheinlich das Gegenteil von Ökologie besteuert werden soll - er denkt dann an eine Schadstoffsteuer, doch auch damit liegt er falsch.

Was die „Ökosteuer“ wirklich will, ist aufgrund ihres Namens nicht zu erraten. Wer käme schon darauf, dass hier ein großes Reformwerk vorliegt, welches gleichzeitig die Arbeitslosigkeit von den Wurzeln her beseitigen, zur langfristigen Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme beitragen, die hemmungslose Ausbeutung der Ressourcen stoppen, die Verschwendung von Rohstoffen und das Anwachsen der Müllberge bremsen soll. Eine erbitterte Gegnerschaft aus den Kreisen der Neoliberalen ist der „Ökosteuer“ deshalb gewiss, aber die mit Aggressionen vermischte Ablehnung aus dem Lager der Umweltfreunde ist unverdient und geht weitgehend auf das Konto mangelhafter Information und der verkorksten Namensgebung.

Umweltfreunde haben schon manches gute Projekt durch verunglücktes Marketing in Schwierigkeiten gebracht. Warum müssen sie aber auch immer wieder ihre Produkte mit möglichst abstoßenden oder unverständlichen Namen belasten? Wer möchte zum Beispiel in der kalten Jahreszeit ein sogenanntes „Passivhaus“ beziehen, das - so muss er befürchten - passiv zusieht, wie er jämmerlich friert, oder wer möchte seinen VW-Diesel künftig mit „PÖL“ betanken (igittigitt! - Mit PÖL ist Pflanzenöl im Gegensatz zum Biodiesel gemeint), und so mancher denkt beim „EEG“ eher an die Diagnose einer Hirnkrankheit als an das erfolgreichste Gesetz zur Markteinführung der Erneuerbaren Energien.
 

Am unglücklichen Namen können wir nun nichts mehr ändern, doch können wir die abfällige Abkürzung „Ökosteuer“ wenigstens durch die seriösere Bezeichnung „Ökologische Steuerreform (ÖSR)“ ersetzen, oder von einer „Steuerreform für Arbeit und Umwelt“ sprechen.

Ich will Ihnen hier nun nicht alle Feinheiten der ÖSR ausbreiten, sondern mich auf die Grundidee beschränken, damit Sie selber erkennen können, ob Sinn und Verstand bei der Verwendung der „Ökosteuermittel“ herrscht.

Das Problem

Aus historischen Gründen wird in den meisten Industriestaaten die menschliche Erwerbsarbeit mit Abgaben und Steuern belastet. Lohnsteuer/Einkommensteuer, Sozialversicherung und Rentenversicherung belasten jeden Arbeitnehmer und es ist für ihn in der heutigen Zeit kein Trost mehr, dass sein Arbeitgeber einen Teil dieser Ausgaben für ihn bezahlen muss, denn das verdirbt dessen Bereitschaft, überhaupt noch Personal zu beschäftigen. Beim Arbeitgeber kommt Verdruss auf, wenn er sieht, dass er für seine Angestellten und Arbeiter mehr als doppelt so viel bezahlen muss, wie diese letztlich als Nettolohn zu ihrer Verfügung haben. Letztlich zahlt der Arbeitgeber ja nicht nur den Lohn, sondern direkt und indirekt auch die Steuern seiner Mitarbeiter und die gesamten Sozialabgaben.

Je mehr Personal ein Unternehmen beschäftigt, desto höher ist seine Steuer- und Abgabenlast. Kein Wunder, dass Unternehmer in Billiglohnländer ausweichen, oder dass sie Produktionszweige stillegen, die viel Personal benötigen.

Unternehmensberater - inzwischen ein ganzer Berufstand - verdienen gut Geld damit, alternative Produktionsverfahren vorzuschlagen, die mit weniger Personalkosten höhere Gewinne erzielen - die also Personal „freisetzen“.

Betrachten wir einmal solche "gewinnbringenden" Produktionsverfahren: In der Regel zeichnen sie sich durch einen hohen Grad an Automatisierung aus. Die Produkte aus solchen Betrieben können wegen ihrer Gleichartigkeit kaum Rücksicht auf individuelle Wünsche der Käufer nehmen, es handelt sich um Massenware, die wegen ihres extrem niedrigen Preises jeder handwerklich hergestellten Ware im Konkurrenzkampf weit überlegen ist. Es lohnt sich nicht einmal mehr, sie reparieren zu lassen. Kein Wunder, dass die Müllberge wachsen und die Ressourcen zur Neige gehen.

Und nun die entscheidende Frage - warum ist die Massenware so billig? Kaum jemand denkt daran: Massenware ist deshalb so billig, weil die Grundstoffe, aus denen sie gefertigt wird, so billig sind. Und die Grundstoffe sind deshalb so extrem billig, weil sie kostenlos der Erdoberfläche entnommen werden können und mit Hilfe BILLIGER ENERGIE ausgearbeitet werden. Kupfer- und Eisenerze, Kalkstein, Bauxit, Erdöl usw. werden unter hohem Energieeinsatz zu Kupfer, Stahl, Zement, Aluminium, Rohkunststoff usw. ausgearbeitet.

Paradebeispiel ist die Corus Aluminium GmbH; sie braucht nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 10.08.02 mehr Strom als eine ganze Großstadt mit 350.000 Einwohnern. Und der Strompreis ist für diesen Großabnehmer so skandalös niedrig, dass er streng geheim gehalten wird.
 

Kommen wir zu einem Zwischenergebnis: Die hohe steuerliche Belastung der menschlichen Arbeitskraft einerseits und der niedrige Preis für Energie andererseits sind Ursache für mehrere sich gegenseitig noch verstärkende Probleme, nämlich für die Arbeitslosigkeit, für das Elend der sozialen Sicherungssysteme, für die Ressourcenvergeudung, für die Müllberge.

Die Lösung

Nach diesem Zwischenergebnis ist die Folgerung, die die Erfinder der Ökologischen Steuerreform gezogen haben, eigentlich naheliegend: Man befreie die menschliche Arbeitskraft in den unteren und mittleren Einkommensgruppen von der Steuer- und Abgabenlast und bürde diese Last der Energie auf.

Für den Staat und für die Gesamtheit seiner Bürger sei diese Lösung kostenneutral, heißt es meistens, doch das kann leicht missverstanden werden, und außerdem glaubt es keiner so richtig. Deswegen etwas genauer: Die Höhe der Steuern, die dem Staat zufließen, bleibt insgesamt gleich, aber sie wird von anderen gezahlt. Die Kostenneutralität bezieht sich also nicht auf den einzelnen Steuerzahler, sondern auf die Steuereinnahmen des Staates. Im Einzelfall gibt es natürlich Gewinner und Verlierer, darüber sollten wir offen sprechen. Die VERLIERER wissen sehr wohl, was für sie auf dem Spiel steht; und entsprechend heftig ist ihre Gegenwehr. Bedauerlicherweise wissen aber die GEWINNER nichts davon, dass sie zu den Gewinnern zählen sollen, sondern beteiligen sich völlig verbiestert und gegen ihre eigenen Interessen am Widerstand gegen die ÖSR.

Manche Entwicklungen kann man sich besser vorstellen, wenn man einen Blick auf das Ziel wirft. Stellen Sie sich deshalb wie in einer Vision das politische Fernziel der ÖSR vor: Die Lohn- bzw. Einkommensteuer fallen für die unteren und mittleren Einkommensgruppen weitgehend weg und alle Ausgaben für die Kranken- und Rentenversicherung werden vom Staat übernommen. Ein Aufseufzen der Erleichterung würde durch die Lande gehen, und ich wette, auch Sie wären erleichtert.

Zur Zeit sind wir allerdings noch lange nicht so weit. Es gibt nur eine Richtungsentscheidung, aber noch keine so weit gehenden konkreten Festlegungen. Infolge der zögerlichen Einführung der ÖSR können zur Zeit durch die Einnahmen aus der ÖSR nur die Beiträge zur Rentenversicherung entlastet werden, und die Entlastungswirkung ist zur Zeit auch noch geringer als der steigende Finanzierungsbedarf infolge der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung. Die ersten Ergebnisse der ÖSR haben deshalb den Anstieg der Rentenbeiträge nicht rückgängig gemacht, ihn nicht einmal verhindern können, sondern ihn nur verlangsamt. Trotzdem zeigt das Ergebnis, dass wir mit Trippelschritten auf dem richtigen Weg sind. Ein Anfang ist gemacht...

Ein Jahrhundertwerk wie die ÖSR braucht halt seine Zeit und viel Ausdauer und Zielstrebigkeit bei der Umsetzung.

Aber nun zu den zukünftigen Gewinnern:
Wer keine Lohn- bzw. Einkommensteuer, keine Krankenkassen- und keine Rentenbeiträge mehr zahlt, kann mit dem, was im nächsten Absatz geschildert wird, gut fertig werden.

Stellen Sie sich vor, Energie würde durch Besteuerung teurer, langsam aber gleichmäßig. Die Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, das Heizen und das Autofahren würden teurer. Doch auf lange Sicht überwiegen die Vorteile: Der Wettbewerb wird nicht mehr nur durch den Preis, sondern wieder durch die Qualität der Waren entschieden. Die Haltbarkeit und die Garantiezeiten würden sich verlängern. Es würde sich wieder lohnen, Geräte mit kleinen Defekten zur Reparatur zu bringen, anstatt sie auf den Müll zu werfen. Es würden verbrauchssparende Autos und Maschinen nicht nur entwickelt, sondern auch angeboten, und es würden sich mehr Menschen um eine gute Wärmedämmung ihrer Wohnung kümmern.

Personalintensive Betriebe, der Mittelstand, insbesondere das Handwerk, hätten den größten Vorteil von dieser Regelung.

Die Zahl der Arbeitslosen würde zurückgehen und eines der bedrückendsten innenpolitischen Probleme wäre gelöst.

Und - sagen wir es geradeheraus - wer sind die Verlierer? Wo ist die Kehrseite der Medaille?
Die Verlierer wären solche Konzerne der Großindustrie, die sich nicht umstellen wollen, die weiterhin in billige, unintelligente Massenproduktion investieren wollen und es sich als Erfolg anrechnen, wenn sie ihre Betriebe „verschlanken“ und Personal „freisetzen“ können.

Schlusswort

Nach diesem Überblick über Sinn und Zweck der ÖSR wird Ihnen hoffentlich einleuchten, dass die Verwendung der „Ökosteuer“-Einnahmen zur steuerlichen Entlastung der Arbeit keine Zweckentfremdung von „eigentlich für die Ökologie bestimmten Mitteln“ ist. Aggressionen gegen den vermuteten Missbrauch sind fehl am Platz. Die ÖSR in ihrer derzeitigen Ausgestaltung verfolgt - wenn auch nur sehr zaghaft - genau die Ziele, für die dieses Reformwerk geschaffen wurde: Verminderung der Arbeitslosigkeit, Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme, Vermeidung von Müll, Schonung der Ressourcen und damit der Umwelt.