Datum: 09.02.2006
Kernfusion, Hoffnung oder Illusion
von Hermann Knüfer
Geschichtliches
Die Kenntnisse vom Fusionsreaktor Sonne sind nicht sehr alt. Frühe Spekulationen, nach denen die Sonne aus Steinkohle bestünde, scheiterten rasch an der Brenndauer von 5000 Jahren. Auch die Zuführung von Bewegungsenergie durch große Mengen eingefangener Meteoriten schied aus, weil sich sonst in historisch übersehbaren Zeiträumen von ca. 2000 Jahren die Bewegungsverhältnisse unseres Planetensystems geändert haben müssten. Ebenso schied die Energiezufuhr durch Zusammenziehung infolge der eigenen Schwerkraft aus; sie lieferte mit einer Brenndauer von ca. 10 Millionen Jahren weniger als 1 Prozent der bisherigen Brenndauer. Erst im ersten Drittel dieses Jahrhunderts konnten Physiker - u.a. auch Carl Friedrich von Weizsäcker 1938 - theoretisch nachweisen, dass nur Kernfusion die Strahlungsleistung der Sterne und somit auch der Sonne decken kann.
Nach dem zweiten Weltkrieg begann unter dem Druck knapper und begrenzter Ressourcen früher oder später in allen Industriestaaten die Forschung auf dem Gebiet der Kernfusion. Sie erreichte allerdings nicht den Umfang wie bei der vergleichsweise rasch zu realisierenden Kernspaltung zur Stromerzeugung.
Unsere Sonne
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Physikalisch-technische Grundlagen
Zwei Kernprozesse kommen zur Energiegewinnung in Betracht: Die
Spaltung sehr schwerer Atomkerne, z.B. Uran, und die Fusion sehr leichter
Atomkerne, z.B. Wasserstoff. Für beide Prozesse gilt, dass man je
Gewichtseinheit millionenfach mehr Energie gewinnt als beim chemischen
Prozess; der Verbrennung. Für die Fusion von Wasserstoff sind es etwa
20 Millionen mal mehr. Zur Fusion sind sehr hohe Temperaturen erforderlich, z.B.
im Inneren der Sonne ca. 15 Millionen Grad. Bei diesen hohen Temperaturen haben
sich Atomkerne als positiv geladene Ionen und die Hülle aus negativ
geladenen Elektronen völlig voneinander getrennt. Man nennt dieses
ionisierte Gemisch Plasma; es handelt sich sozusagen um einen vierten
Aggregatzustand neben dem festen, flüssigen und gasförmigen. Die Ionen
und Elektronen bewegen sich nahezu unabhängig voneinander. Das Plasma ist
nach außen elektrisch neutral, innen jedoch elektrisch leitend. Die hohe
Temperatur, d.h. die Geschwindigkeit der positiv geladenen Atomkerne, ist eine
der Voraussetzungen, dass sie unter Überwindung ihrer gegenseitigen
Abstoßungskräfte verschmelzen können. Eine zweite und dritte
Voraussetzung sind in der Sonne ihre hohe Teilchendichte infolge ihrer
Gravitation und die große Anzahl von Kernen aufgrund ihrer Ausdehnung. Aus
den beiden letzteren Gründen können in der Sonne auch Fusionsprozesse
ablaufen, die - bezogen auf das einzelne Atom - eine sehr geringe
Eintrittswahrscheinlichkeit aufweisen.
Auf der Erde muss man die geringe Teilchendichte und
begrenzte Ausdehnung der Fusionszone kompensieren durch höhere Temperaturen
bis zu mehreren 100 Millionen Grad und die Wahl einer Fusionskette mit
größerer Eintrittswahrscheinlichkeit für den
Fusionsprozess. Das ist bei der Verschmelzung von Deuterium und Tritium zu
Helium der Fall. Deuterium (schwerer Wasserstoff) hat zusätzlich zu einem
Proton ein Neutron, Tritium zusätzlich zwei Neutronen im Kern. Wasserstoff
besitzt kein Neutron. Alle drei werden Isotope des Wasserstoffs genannt. Bei der
Fusion von Deuterium- und Tritiumkernen entstehen Neutronen und (sozusagen als
Asche) Heliumkerne. Die dabei freigesetzte Energie fällt in Form von
Bewegungsenergie des Neutrons und Heliumkerns im Verhältnis 80% zu 20% an.
Die sehr große Bewegungsenergie der Neutronen und Heliumkerne wird durch
Stöße an benachbarte Atomkerne als Wärme und Strahlung
abgegeben.
Das neben dem Deuterium ebenfalls als „Brennstoff"
erforderliche radioaktive Tritium kommt wegen seiner relativ kurzen Lebensdauer
in der Natur praktisch nicht vor. In jeweils 12,3 Jahren (der Halbwertszeit)
zerfällt jeweils die Hälfte der Tritiummenge in das Folgeprodukt
Helium unter Hinwegschleudern eines Elektrons. (Solche instabilen Isotope
heißen Betastrahler.) Tritium muss daher im Fusionsprozess als
Nebenprodukt hergestellt, „erbrütet" werden. Das geschieht,
indem man die beim Fusionsprozess freiwerdenden Neutronen in einem Mantel
(auch Blanket genannt) aus Lithium einfängt. Lithium ist ein sehr leichtes
Metall und verwandelt sich bei Einfang von Neutronen in Helium und Tritium.
Weil praktisch die gesamte Energie der Neutronen im Lithium
freigesetzt wird, dient dieses Metall (eventuell mit Blei gemischt) mit einem
niedrigen Schmelzpunkt von 180° C in flüssiger Form gleichzeitig zur
Kühlung des Reaktors. Über Wärmetauscher gibt die Metallschmelze
ihre Energie an einen Wasserdampfkreislauf ab, mit dem bei einem späteren
Leistungsreaktor eine Turbine mit Generator angetrieben wird. Wegen der
technologischen Probleme mit der Flüssigmetall-Kühlung wird beim
späteren Demonstrationskraftwerk auch ein heliumgekühltes Blanket aus
einer festen, keramischen Lithiumverbindung diskutiert. Da andere Elemente als
Deuterium und Tritium den Fusionsprozess als Verunreinigungen
beeinträchtigen, muss auf der Erde das Plasma in ein
Ultrahochvakuumgefäß eingeschlossen werden, das möglichst wenig
Fremdatome enthält.
Aus dem gleichen Grund, und um nicht zu stark abgekühlt zu
werden, darf das viele Millionen Grad heiße Plasma nicht die
Gefäßwände berühren, damit keine Fremdatome durch
Verdampfung freigesetzt werden. Das Plasma wird daher durch extrem starke
magnetische Felder, deren Erzeugung bei späteren Leistungsreaktoren auf
verlustarme Supraleitung angewiesen ist, von den Wänden auf Distanz
gehalten und zusammengepresst eingeschlossen.
Um das für den Beginn der Fusion notwendige
Temperaturniveau zu erreichen, muss das Plasma aufgeheizt werden.
Grundsätzlich ist dafür die Bereitstellung elektrischer Energie
erforderlich. Die Ohmsche - oder Widerstandsheizung reicht allein nicht aus. Bei
Temperaturen von ein paar Millionen Grad ist ein Wasserstoffplasma nämlich
ein besserer Leiter als Kupfer bei Zimmertemperatur. Üblich sind daher
hochfrequente elektromagnetische Wellen nach dem Prinzip des Mikrowellenherdes.
Ferner kann man im Teilchenbeschleuniger sehr energiereiche Deuteriumatome
erzeugen und ins Plasma einschießen. Dort wird deren sehr hohe
Bewegungsenergie durch Stöße an Nachbaratome weitergegeben.
Schließlich ist auch eine Energiezufuhr durch Laserstrahlen
möglich.
Die bei der Fusion entstehende starke Neutronenstrahlung
bewirkt eine Schädigung der Strukturmaterialien, insbesondere der
Gefäßwand, durch Versprödung und erzeugt dort außerdem
durch gewisse Kernreaktionen instabile Isotope, d.h. Radioaktivität. Das
hat zur Folge, dass jeweils in Zeitspannen weniger Jahre die
geschädigten Materialien fernbedient ausgetauscht werden müssen.
Zusammen mit den aktivierten Reaktorteilen, die nach Betriebsende
zurückbleiben, erzeugt ein Fusionskraftwerk aus den heute üblichen
Stahlsorten insgesamt bis zu 40.000 Kubikmeter an radioaktivem Abfall. Um die
supraleitenden Magnetspulen, die Heizapparaturen und die übrige Umgebung
vor direkter Strahlung und Neutronen aus dem Plasma sowie induzierter Strahlung
von den Gefäß- und Blanketmaterialien zu schützen, muss das
Blanket mit einer abschirmenden Hülle umgeben werden.
Die beim Zerfall der aktivierten Isotope in den
Strukturmaterialien entstehende Nachwärme macht eine längere
Nachkühlung des Blankets nach dem Abschalten des Reaktors erforderlich -
allerdings in abgemilderter Form verglichen mit einem Kernspaltungsreaktor.
Schließlich muss die Helium-"Asche" sowohl
aus dem Fusionsgefäß als auch aus dem Lithium-Brutmantel abgesaugt
und durch Kryodestillation entfernt werden.
Schweres Wasser als Ausgangsstoff für den
„Brennstoff" Deuterium ist in jedem Wasser mit 15
°/°° d. h. mit 0,15 Gramm je Liter enthalten. Es wird seit
Jahrzehnten in energieintensiven Isotopentrennverfahren tonnenweise hergestellt
und in Schwerwasser-Spaltungsreaktoren, z.B. in Kanada,
genutzt.
Fusionsreaktortypen
Bei den Reaktortypen unterscheidet man nach magnetischem und Trägheitseinschluss des Plasmas.
1. Tokamak
Beim magnetischen Einschluss besitzt weltweit der Tokamak einen Entwicklungsvorsprung gegenüber seinen Konkurrenten. Der Begriff Tokamak kommt aus Russland und heißt frei übersetzt „Toroidale magnetische Kammer". In der Tat ist die Fusionszone ein Torus. Sie gleicht einem riesigen, liegenden LKW-Reifenschlauch. Der Tokamak benötigt drei verschiedene Spulensysteme. Das magnetische Grundfeld wird durch Toroidalfeldspulen, die den Torusschlauch in gleichmäßigen Abständen voneinander ringförmig umschließen, erzeugt. Ein zweites Magnetfeld entsteht durch einen Strom, der im Plasmaschlauch als Sekundärwicklung eines Transformators von einer in der Torusnabe stehenden Primärwicklung induziert wird. Das dritte Magnetfeld wird durch Vertikalfeldspulen erzeugt, die als große, liegende Ringe parallel zur Toruswandung angeordnet sind.Weltweit gibt es zwei große Tokamak-Experimentieranlagen, die in den letzten Jahren Aufsehen erregten: Der europäische JET (Joint European Torus) in Culham in England und der amerikanische TFTR (Tokamak Fusion Test Reaktor) in Princeton. Im JET hat man mit einer Gesamtheizleistung von 54.000 kW Plasmaströme bis zu 7 Millionen Ampere erzeugt. In beiden Anlagen wurden für die Dauer von etwa einer Sekunde Temperaturen von 250-300 Millionen Grad und eine Fusionsleistung bis zu 12.000 kW erreicht. Dazu musste allerdings das 2- bis 3,7-fache an Heizenergie aufgewendet werden.
Der nächste notwendige Schritt wäre der Bau des ITER (International Thermonuklear Experimental Reaktor). Er soll eine thermische Leistung von 1,5 Millionen kW in Pulsen für eine Dauer von jeweils 1000 Sekunden erzeugen (Stromerzeugung ist erst für das übernächste Projekt DEMO geplant). Das Großprojekt mit einem Plasmavolumen von 1000 m³ benötigt u.a. 20 Toroidalfeldmagnete mit einer Höhe von 17 m, einer Breite von 10 m und je 400 t Gewicht. Neuerdings soll es aus Kostengründen technologisch abgespeckt werden, um die Realisierungschancen zu erhöhen. Da der Projektpartner, in dessen Land das Projekt gebaut würde, mindestens 60% der Kosten von geschätzten 15 Milliarden DM übernehmen müßte, haben bisher Deutschland, Frankreich und die USA auf eine Standortzuweisung verzichtet.
Grundsätzlich ist der Tokamak eine gepulste Maschine. Weil der im Plasma induzierte Strom seine Richtung nicht umkehren soll, kann immer nur für eine begrenzte Zeit ein ansteigender oder abfallender Strom in der Primärwicklung genutzt und damit ein Strom im Plasma getrieben werden. Das ist ein großes Hemmnis für eine spätere, unterbrechungslose Stromerzeugung.
2. Stellarator
Dieses Hemmnis vermeidet der Stellarator. Er arbeitet zwar ebenfalls mit einem magnetischen Einschluss des Plasmas, aber ohne den durch eine Primärwicklung induzierten, gepulsten Plasmastrom. Neuerdings genügen allein Toroidalfeldspulen besonderer Art. Sie bestehen nicht mehr aus ebenen Ringen in größeren Abständen um den Torusschlauch, sondern aus einer größeren Anzahl räumlich verbogener, ringförmiger Spulen. Diese neuen Stellaratorspulen haben sich bereits im Experiment am „Wendelstein 7-AS" in Garching bewährt. Die Japaner nahmen nach achtjähriger Bauzeit jetzt eine größere Stellarator - Experimentieranlage LHD (Large Helical Device) in Betrieb. Sie besitzt noch die die Wartung erschwerenden, spiralförmigen Spulen um den Torus und soll von zunächst 5.000 auf später 28.000 kW Heizleistung aufgestockt werden. Dagegen wird die in Greifswald/Mecklenburg vorgesehene Stellarator - Experimentieranlage „Wendelstein 7X" schon die neuartigen Spulen erhalten. Mit einer Heizleistung von 20.000 kW und einem Torusvolumen von 30m³ soll sie im Jahr 2004 arbeitsbereit sein. Von den geschätzten 600 Millionen DM Investitionskosten werden 45% durch die EU-Kommission finanziert.
3. Laserreaktor
Beim Laserreaktor will man den langzeitigen magnetischen Einschluss des Plasmas durch im Sekunden-Rhythmus nacheinander folgende Trägheitseinschlüsse ersetzen. Zu diesem Zweck soll ein gekapseltes Kügelchen von Sandkorngröße aus Deuterium und Trithium von sehr energiereicher Laserstrahlung allseitig beschossen werden. Das von der Oberfläche des Kügelchens in ein paar Milliardstel Sekunde explosionsartig abdampfende Material verdichtet nach dem Trägheitsprinzip das Innere des Körnchens. Dabei wird im Inneren eine tausendfache Wasserdichte und eine Temperatur von einigen Millionen Grad erreicht. Das reicht für die Zündung des Fusionsprozesses, wodurch das gesamte Material des Körnchens fusionieren soll.
In den USA befindet sich eine solche Experimentieranlage NIF (National Ignition Facility) in Kalifornien im Bau. Sie soll 1,2 Milliarden Dollar kosten und im Jahr 2003 in Betrieb gehen. Dabei sind große technologische Hürden, insbesondere bei den gigantischen Lasersystemen und der Herstellung der Pellets zu überwinden. Das eigentliche Ziel des NIF ist jedoch nicht die Gewinnung von Fusionsenergie, sondern es soll dem Militär als Simulationsmodell für Wasserstoffbomben nach dem Kernwaffenteststoppabkommen dienen.
Ausblick
Ohne Zweifel ist man in den vergangenen Jahrzehnten einer kontrollierten (im Gegensatz zur unkontrollierten bei der Wasserstoffbombe) Kernfusion näher gekommen. Allein von 1993-1996 wurden in der Bundesrepublik 800 Millionen DM dafür aufgewendet. Zur Weiterentwicklung sind Großgeräte (ITER, DEMO u.a.) erforderlich, deren Investitions- und Folgekosten die Finanzkraft von Staatengemeinschaften erfordern. Folgende Zweifel bleiben bestehen:
1. Es ist nicht sicher, ob es physikalisch-technisch gelingt, die Voraussetzungen für eine stetige Nettoproduktion zu schaffen.
2. Es ist nicht sicher, ob es wegen der erforderlichen extrem aufwendigen Technologie gelingt, technisch-wirtschaftliche Lösungen zu finden.
3. Es ist sicher, dass selbst bei einem Gelingen von 1. und 2. der Masseneinsatz von Fusionsreaktoren erst gegen Ende des 21. Jahrhunderts möglich ist und damit für eine Kohlendioxidentlastung der Atmosphäre zu spät kommt.
Zusammenfassung
Vorteile:
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Nachteile:
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Literatur 1. Buch: „100 Milliarden Sonnen“ von R.
Kippenhahn, Piper-Verlag, 1984 |