In einem neuen Gutachten analysieren unsere Klimaklage-Juristen die weitreichenden Folgen des BVerfG-Urteils für die EU-Klimapolitik, die deutsche Gesetzgebung und das Verwaltungsrecht. Eine Neuigkeit: es gibt auch Klagerechte gegen Unternehmen.

In den letzten Tagen hat die Klimakatastrophe ein Gesicht bekommen, direkt vor unserer Haustür. Innerhalb weniger Stunden zerstörten Unwetter mit enormen Regenmengen von über 150 l/m² menschliche Existenzen. Menschen ertranken in den Fluten reißender Bäche und viele Familie suchen noch heute verzweifelt nach ihren Angehörigen. Ganze Häuser verschwanden im Abgrund rutschender Landmassen, Straßen und Brücken wurden zerstört und tausende Menschen über Nacht wohnungslos. Der Verlust ihrer Heimat und ihr Leid sind kaum in Worte zu fassen.

Die Bilder werden uns noch lange begleiten. Sie führen uns brutal vor Augen, wie unsere Zukunft aussehen kann. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Extremwetterereignisse wie Starkregen zukünftig unser Leben begleiten werden – auch in Deutschland. So ist die durchschnittliche Jahrestemperatur in Deutschland seit 1881 bereits um 1,6 Grad gestiegen - stärker als weltweit. Eine Temperaturerhöhung um 1° C bewirkt, dass die Atmosphäre 7 % mehr Wasserdampf aufnehmen kann. Extreme Unwetter werden also häufiger auftreten.

Keiner kann behaupten, er hätte es nicht gewusst, denn wir erleben genau das, was Klimawissenschaftler bereits vor Jahrzehnten vorhergesagt haben. Es wäre unsere Pflicht gewesen, schon viel eher konsequent zu handeln – überall dort, wo klimaschädliches Verhalten unsere Zukunft zerstört. Doch bisher wurde die Verantwortung für Klimaschutz häufig auf die jeweils höhere Ebene und am liebsten als Thema auf internationele Konferenzen verschoben. Das darf so nicht bleiben. Wir brauchen Tempo beim Klimaschutz!

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gibt uns bei unserer klimapolitischen Arbeit enormen Rückenwind. Höchstrichterlich wurde beschlossen, dass die Politik beim Klimaschutz massiv nachgebessert werden muss. In der öffentlichen Wahrnehmung zum Urteil stand zunächst das Klimaschutzgesetz und dessen zwingende Nachjustierung bei der Reduktion der Treibhausgase. Das wäre allerdings nur ein erster Schritt.

 

Neues Gutachten 

 

Wir baten deshalb Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt und Dr. Franziska Hess um Interpretationshilfe. In einem Gutachten sollte herausgearbeitet werden, ob das BVerfG-Urteil auf alle, den Klimaschutz betreffende Gesetze und Verordnungen in der EU, dem Bund, den Ländern und Landkreisen sowie den Kommunen wirkt. Denn Klimaschutz findet nicht nur in Berlin, sondern vor allem vor Ort statt.

Das Gutachten liegt uns nun vor und bringt Klarheit: Neue Treibhausgas-Reduktionsziele im Klimaschutzgesetz der Bundesregierung reichen keineswegs aus. Das BVerfG fordert alle auf, umfassende Voraussetzungen für eine klimafreundliche Transformation und die Einhaltung des 1,5°-Ziels zu schaffen. Das trifft sämtliche Lebensbereiche wie Produktion, Dienstleistungen, Infrastruktur-, Verwaltungs- und Kultureinrichtungen, die Konsumvoraussetzungen oder sonstige klimarelevante Strukturen. Daraus folgt, dass fossile Versorgungsstrukturen im Strom-, Wärme- und Verkehrsbereich zügig durch Erneuerbare Energien ersetzt und alte Denkmuster aufgelöst werden müssen. Selbst Klagen gegen fossil basierte Industrie- oder Verkehrsprojekte und Unternehmen sind möglich.

Neben alledem können sich Auswirkungen für mögliche Klagen von Privaten gegen Unternehmen ergeben, die in hohem Maße klimaschädigende Geschäftsmodelle verfolgen

Prof. Ekardt

Wir sind uns sicher: Die Leitentscheidung zur Braunkohle in NRW, der 10H-Regelung und 1000m-Abstandsregelung für Windenergie in Bayern und NRW und weitere klimaschädliche Landesregelungen sind mit Blick auf das BVerfG-Urteil nicht hinzunehmen. Es ist verfassungswidrig, die Energiewende weiterhin um Jahre zu verzögern.

Prof. Ekardt: dazu „Die Klimaschutzbemühungen der Länder, die sich aufgrund der Gesetzgebungskompetenzen auf das Planungs-, Bildungs- und Kommunalrecht sowie den Vollzug auf Landesebene konzentrieren, müssen sich an den Zielen ausrichten, die eine globale Temperaturgrenze von 1,5 Grad Celsius einhalten".

Auch kommunale Vorschriften und Bausatzungen müssen endlich den Belangen des Klimaschutzes standhalten. Mit klimafreundlichen Verkehrsplanungen, der Einführung einer solaren Baupflicht, beschleunigten Genehmigungsverfahren für Wind- und Freiflächen-Solaranlagen und der Integration klimafreundlicher Stromgewinnung bei Bestands- und Denkmalschutz-Immobilien sind nur einige Maßnahmen genannt, die vor Ort angestoßen und nach Urteil des BVerfG zügig vorangebracht werden müssen.

Es liegt an uns, das BVerfG-Urteil für unsere Klimaschutzarbeit zu nutzen. Noch haben wir die Chance für eine Trendwende beim Klimaschutz. Wir müssen sie ergreifen.

Die Klimaschutzbemühungen der Länder, die sich aufgrund der Gesetzgebungskompetenzen auf das Planungs-, Bildungs- und Kommunalrecht sowie den Vollzug auf Landesebene konzentrieren, müssen sich an den Zielen ausrichten, die eine globale Temperaturgrenze von 1,5 Grad Celsius einhalten.

Prof. Ekardt

Übersicht:  

Auf welche Bereiche wirkt sich das BVerfG-Urteil aus?

 

  • auf die internationale Klimaschutzpolitik in Deutschland und es bewirkt auch einen Druck auf die EU
  • bestehende Landesgesetze (z.B. Landes-Klimaschutzgesetze, Landesbauordnungen), deren Rechtsinterpretation und Gesetzesänderungen
  • kommunale Ebene, speziell im Baurecht
  • Klimaschutz muss als gewichtiger Belang in Abwägungs-, Gestaltungs- und Beurteilungsspielräumen berücksichtigt werden. Weitreichende Konsequenzen für das Umweltverwaltungsrecht in Hinblick auf
    • Bestandsschutz
    • Planungshorizonte
    • Bedarfsplanung bei Infrastrukturprojekten
  • Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen für Unternehmen
    • Klimaschutzbelange müssen umgesetzt werden, auch im Bestand
    • Gegen klimaschädliche Geschäftsmodelle kann geklagt werden.