Klimaneutral, Low Carbon, Dekarbonisieren: Wie Begriffe den Klimaschutz behindern
„Low Carbon“ ist genauso wie „Klimaneutralität“ ein Begriff der fossilen & atomaren Wirtschaft um den Ausbau der Erneuerbaren Energien zurückzudrängen, Klimaschutz vorzutäuschen und so 100% Erneuerbare Energien zu verhindern. Deren Ziel ist es die fossilen & atomaren Geschäftsmodelle weiter laufen zu lassen. Alle, die diese Begriffe als Ziele verwenden, sollten sich im Klaren darüber sein, dass sie damit die Agenda der fossilen & atomaren Wirtschaft gewollt oder ungewollt zum Teil unterstützen.
In Zeiten, wo der politische Druck auf die Entscheidungsträger in Sachen Klimaschutz zunimmt, wurden und werden neue Begriffe erfunden, die scheinbar starke Klimaschutzziele ausdrücken, in Wirklichkeit aber nur über das weitere Nichtstun hinwegtäuschen sollen. Schnell erobern solche Begriffe die öffentliche Debatte und geben den Anschein, dass es jetzt ernst mit dem Klimaschutz gemeint sei. Politische Beschlüsse werden mit diesen Begriffen geschaffen und damit der Eindruck erweckt, dass es endlich ernsthaft um Klimaschutz gehen wird. In Wirklichkeit bleibt aber alles weitgehend beim Klimaschutzversagen.
Dabei fällt auf, dass viele Akteure, die diese neuen Begriffe in die Debatte werfen oder verwenden, die entscheidenden Klimaschutzziele und Aktivitäten, wie Nullemissionen oder 100% Erneuerbare Energien nicht erwähnen, obwohl diese seit langem eingefordert werden. So erlebe ich seit Jahrzehnten, dass die Forderung nach Vollversorgung mit 100% Erneuerbaren Energien (die ja knapp 60% aller globalen Klimagasemissionen vermeiden würde) genau von solchen Akteuren vermieden wird. Sie verwenden dann andere, die Öffentlichkeit blendende Begriffe, die aber immer die Fortführung des fossilen Energiesystems auf einem unbestimmt hohen Niveau beinhalten und dieses gleichzeitig verschleiern sollen.
Low Carbon oder Dekarbonisieren bedeuten ganz klar, dass es zukünftig weniger (wieviel denn?) aber eben dennoch CO₂-Emissionen geben soll oder dass man die CO₂-Emissionen allmählich (bis wann? auf welches Niveau?) senken möge. In beiden Fällen ist klar: es soll weiter Emissionen geben. Dabei ist die Atmosphäre bereits heute mit fast 420 ppm CO₂-Äquvivalenten zu voll, weshalb es eigentlich überhaupt keine Emissionen mehr geben darf.
Seit wenigen Jahren hat sich plötzlich der Begriff „Klimaneutral“ durchgesetzt. Die EU hat Klimaneutralität bis 2050 beschlossen, die scheidende Bundesregierung hat nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgericht zum Klimaschutz Klimaneutralität bis 2045 beschlossen.
Die Energy Watch Group hat diese Ziele wissenschaftlich analysiert und kommt zum klaren Ergebnis: Klimaneutralität bis 2050 (auch bis 2045) ist der klare Pfad in eine unbeherrschbare irdische Heißzeit mit 3°C Welterwärmung. Jedenfalls ist damit das Pariser Ziel von 1,5°C nicht einzuhalten.
Der Klimanotstand auf der Erde führt aktuell schon zu immer dramatischeren Katastrophen, wie im Ahrtal, die Hungersnot in Madagaskar oder die vernichtenden Waldbrände und Hitzewellen dieses Sommers. Dies alles findet bereits bei aktuell 1,2 ° Celsius Welterwärmung statt. Neueste Klimaforschung macht uns klar, dass bereits 2030 das Pariser Ziel von 1,5 °C überschritten werden wird. Dies bedeutet, dass auch in Deutschland kein ausreichender Klimaschutz stattfindet. So hat es auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt.
Um wenigstens das Pariser Ziel einer 2°C Erwärmung nicht zu überschreiten, darf die Menschheit spätestens ab 2030 keine Emissionen mehr in die Atmosphäre entlassen und muss gleichzeitig möglichst viel Kohlenstoffsenken organisieren. Alles andere führt in eine unbeherrschbare irdische Heißzeit, in welcher es keine menschliche Zivilisation wie heute mehr geben kann. Bereits 2050 wird dies beim Weiter so wie bisher erwartet.
Der Begriff und das Ziel von Klimaneutralität dagegen sagen wenig darüber aus, wie denn genau Klimaschutz betrieben werden soll, eben deswegen wird er wohl auch verwendet. Ist damit vielleicht gemeint, dass, wenn die Weltgemeinschaft sich klimaneutral verhalte, das Erdklima nicht weiter aufgeheizt werde? Oder ist mit klimaneutral etwa gemeint, dass man sich in der Klimaschutzdebatte neutral verhalten solle, also nicht zu forsch, aber auch nicht untätig zu sein? Definiert ist der Begriff „klimaneutral“ jedenfalls nicht. Nur was könnte denn damit gemeint sein?
Die meisten verstehen darunter, dass man in der Gesamtbilanz der Klimagasemissionen und Klimagassenken nicht bei Nullemissionen ankomme, sondern lediglich bilanziell. Das bedeutet, dass es dann immer noch Klimagasemissionen gibt, die durch negative Emissionen, also CO₂-Senken kompensiert werden sollen. Viele meinen, dass dann Klimaschutz in ausreichendem Maße erfüllt sei, wenn in der Bilanz, Klimaneutralität z.B. bis 2035 oder 2050 erreicht werden solle.
Diese Denkweise akzeptiert jedenfalls die weitere Aufheizung der bereits fiebernden Erde auf über 1.5°C über dem vorindustriellen Niveau. Nun findet sich in allen Wahlprogrammen der Bundestagsparteien – außer AFD, die keinen Klimaschutz will — das Ziel der Klimaneutralität mit unterschiedlichen Zeithorizonten.
Sie blenden damit sogar einige applaudierende Klimaaktivisten. Aber in Wirklichkeit ist das Ziel für Deutschland, Klimaneutralität bis 2045 einzufordern, unzulänglich. Nur scheinbar ist dies eine Verschärfung der bisher vollkommen unzulänglichen Regierungsziele, nämlich bis 2050 80 bis 95% der Klimagasemissionen zu senken. Weiterhin sollen also noch 2045 5% bis 20% der Emissionen auf Basis 1990 geben. Sie sollen dann nur durch die Schaffung großer Kohlenstoffsenken in der Menge dieser 5 bis 20% Emissionen ausgeglichen werden.
Kohlenstoffsenken sind natürlich sehr wichtig. Nur sie dürfen eben nicht unzulängliche Emissionsreduktionsziele kompensieren. Sie müssen vielmehr das Ziel von Nullemissionen zusätzlich ergänzen, damit die Welt eine Chance hat, das Hitzefieber zu überwinden. Das Ziel muss sein, die Konzentration von Klimagasen in der Atmosphäre von heute 418 ppm CO₂ wieder auf 330 ppm zu senken. Das geht nur mit Nullemission und großflächigen Kohlenstoffsenken. Das aber genau schafft Klimaneutralität nicht.
Es ist nicht das erste Mal, dass neue Begriffe auftauchen, die die klaren Begriffe wie 100% Erneuerbare Energien oder Nullemissionen verwässern. Als von der rot-grünen Bundestagsmehrheit – insbesondere von Hermann Scheer und mir – in den 90er Jahren die Forderung nach 100% Erneuerbaren Energien politisch vorangetrieben und insbesondere mit dem EEG auf den Weg gebracht wurde, tauchte vor allem von Seiten der EU Kommission das Ziel Low Carbon als Klimaschutzziel auf. Schnell wurde in vielen politischen Papieren klar, was Low Carbon wirklich bedeutet: Atomenergie, Erdgas, blauer Wasserstoff, CCS, fossile Erzeugungseffizienz (also das Kohlekraftwerk mit 35% Wirkungsgrad statt mit 25%, oder verbrauchsarme Verbrennungsmotoren). Erneuerbare Energien waren – in einem überschaubaren Rahmen – lediglich als zusätzliche Energiequellen vorgesehen, ohne jedoch das bestehende Energiesystem zu ersetzen.
Das Ergebnis dieser täuschenden Klimaschutzstrategie „Low Carbon“ ist bekannt: Europa und Deutschland verfehlen selbst ihre vollkommen unzulänglichen Klimaschutzziele und die bereits in den 90er Jahren erhobene Forderung nach 100% Erneuerbaren Energien wurde als politisches Ziel torpediert.
Analyse der Energy Watch Group ist Online Verfügbar unter www.energywatchgroup.org
Originalartikel: https://hans-josef-fell.de/klimaneutral-oder-low-carbon-wie-begriffe-den-klimaschutz-behindern/