Die Karlsruher Klimaklatsche für die deutsche Regierungspolitik ist ein Meilenstein nicht nur für die Rechtsprechung, sondern auch für die klimapolitische Auseinandersetzung insgesamt. Wem die Zukunft des Planeten am Herzen liegt, der oder die hatte wahrlich Anlass zum Jubeln. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, das Urteil genauer anzuschauen und zu analysieren, welche Fallstricke und Hintertüren es trotz alledem enthalten könnte. Ein Punkt springt hier schnell ins Auge.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts enthält zwei Grundsätze, die einander deutlich widersprechen.

 

Auf der einen Seite wird dekretiert, der Gesetzgeber müsse „die Größe der festzulegenden Jahresemissionsmengen für Zeiträume nach 2030 selbst bestimmen oder nähere Maßgaben zu deren konkreten Bestimmung durch den Verordnungsgeber treffen“. Auf diese Bestimmung haben sich die Regierungsparteien begierig gestürzt, weil ihre Umsetzung keine Verbesserung der Reduktionsziele für 2030 erfordern würde. Aus diesem Satz erwächst die Scheinplausibilität des Tweets von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU): „Ich freue mich, dass das Urteil des @BVerfG die wichtigste Forderung meiner Klima-Initiative von Sept. 2020 umsetzt: 2. {...} Die Minderungsziele bis 2050 werden schon jetzt in konkrete Minderungsziele für jedes einzelne Jahr zwischen 2022 und 2050 aufgeteilt und festgelegt‘“. Auch die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) glaubt, sich als Vorreiterin mutigen Klimaschutzes zu profilieren, wenn sie als Reaktion auf das Urteil bemerkt, „sie habe sich immer schon dafür eingesetzt, auf dem Weg hin zur Treibhausgasneutralität 2050 auch ein Zwischenziel für 2040 festzulegen“. Und diese Politiker*innen können sich der Schützenhilfe aus den Medien gewiss sein. So kommentiert die „Aachener Zeitung“: „Nicht die ehrgeizigen Klimaziele an sich beanstanden die Richter, sondern den nicht ausreichend definierten Weg dorthin.“

Ehrgeizige Klimaziele?

Aber das BVerfG hat andererseits auch gesagt, es dürfe „nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde“.
Dies ist der revolutionäre Kern der Entscheidung. Mit dieser Bestimmung ist das Reduktionsziel für 2030 nicht zu halten; denn wie immer man dann den Emissionsrückgang zwischen 2030 und 2050 plant und festlegt: Es ist das Abwälzen einer „radikalen Reduktionslast“ (nämlich 45 Prozentpunkte) auf die nachfolgenden Generationen. Und zwar schon unabhängig davon, dass die geplante Summe der insgesamt noch emittierbaren Kohlenstofflasten das globale Klima mit Sicherheit überfordern wird, und unabhängig davon, dass auch die Folgen der bisher bereits emittierten Treibhausgase die Freiheiten der nachfolgenden Generationen mit Sicherheit massiv einschränken werden – denn die Erderhitzung wird auch bei einer Stagnation der Treibhausgase weitergehen.

Es geht nun darum, diesen zweiten Aspekt des BVerfG-Entscheides in den Fokus zu rücken und die Parteien, die in den vergangenen 15 Jahren die Energiewende in Deutschland kaputt gemacht und z.B. im Verkehrssektor jeden Klimaschutz aggressiv verhindert haben, nicht mit dem Taschenspielertrick davonkommen zu lassen, dass ja schließlich auch der erstgenannte Aspekt in dem Urteil steht. Es geht darum, unsere Medien nicht damit davonkommen zu lassen, dass sie die „vergleichsweise milde Reduktionslast“, von der das BVerfG spricht, weiterhin in „ehrgeizige Klimaziele“ übersetzen.