Klima-Verfassungsbeschwerde 2.0: Warum sie nötig ist.
Warum eine neue Klima-Verfassungsbeschwerde nötig ist.
Der bedrohlich voranschreitende Klimawandel erfordert zeitnah null fossile Brennstoffe weltweit und in allen Sektoren, ebenso wie eine stark reduzierte Tierhaltung und eine verbesserte Treibhausgas-Bindung vor allem in Mooren und Wäldern. Ein wirksamerer Klimaschutz wäre ein angemessener Schutz unser aller Freiheit. Im Jahr 2018 haben BUND und SFV gemeinsam mit mehreren Einzelklagenden eine erste Beschwerde vor dem BVerfG eingereicht, um genau dies festzustellen und die damalige Bundesregierung zu ehrgeizigeren Zielen beim Klimaschutz zu verpflichten. Andere Verbände und Einzelklagende folgten ab 2020. 2021 entschied das Bundesverfassungsgericht aufgrund dieser Beschwerden und verpflichtete die Regierung, das geltende KSG, welches die deutschen Klimaziele festlegt, im Sinne eines langfristigen Freiheitsschutzes nachzubessern und das Klimaschutz-Ambitionsniveau zu erhöhen.
Die deutschen Klimaziele im KSG sind aufgrund des BVerfG-Klima-Beschlusses 2021 angehoben und konkretisiert worden, sie sind jedoch weiterhin unzureichend. Mit der KSG-Reform 2024 wird die Einhaltung der bereits unzureichenden deutschen Klimaziele faktisch weiter erschwert werden. Deshalb wenden sich SFV und BUND erneut an das BVerfG, um unser aller Freiheit besser zu schützen.
Ambitionsniveau der Klimaziele grundlegend unzureichend
Das deutsche Klimaziel-Ambitionsniveau ist grundlegend unzureichend. Rückenwind erhalten wir für dieses Vorbringen von einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom April 2024 zur Klage der Schweizer „Klimaseniorinnen“. Das Urteil bestätigt in manchen Punkten noch deutlicher als der BVerfG-Klima-Beschluss von 2021: Klimaschutz ist Menschenrecht – und die 1,5-Grad-Grenze ist verbindlich. Einfluss auf diese Interpretation der Menschenrechte auf Freiheit und ihre elementaren Voraussetzungen hat dabei der Art. 2 Abs. 1 des Pariser Klima-Abkommens. Diese Norm schreibt den Staaten rechtsverbindlich vor, ihre Klimapolitik so auszurichten, dass die globale Erwärmung bei weit unter 2 Grad und möglichst 1,5 Grad Celsius gestoppt wird. Der EGMR erkennt zutreffend, dass damit real die 1,5-Grad-Grenze das global verbindliche Klimaziel darstellt, an dem sich das Ambitionsniveau nationalstaatlicher – oder auch EU-seitiger – Klimapolitik messen lassen muss.
Anhand der 1,5-Grad-Grenze lässt sich ein ungefähres verbleibendes Treibhausgas-Budget berechnen, das auf einer gleichmäßigen Pro-Kopf-Verteilung des verbleibenden globalen Budgets beruht. Der IPCC gibt ein globales Restbudget von 300 Gigatonnen (Gt) CO₂ mit einer Wahrscheinlichkeit von 83 % für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze ab 1. Januar 2020 an. Bei einem Pro-Kopf-Ansatz würde dies für Deutschland, das ein Hundertstel der Weltbevölkerung ausmacht, einen Rest von 3 GtCO₂ bedeuten. Diese Menge hat Deutschland bereits jetzt verbraucht.
Wenn Deutschland Klimaneutralität im KSG erst für 2045 anstrebt (und die EU im European Climate Law gar erst für 2050), ist dies somit unzureichend. Dies gilt umso mehr, als das oben vorgestellte Budget sogar sehr günstige Annahmen für Industriestaaten enthält. So impliziert das Klimavölkerrecht eine Umverteilung des Budgets zu Gunsten der Länder des Globalen Südens, die eine geringere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben und auch pro Kopf viel weniger zum Klimawandel beigetragen haben: Der Verweis auf die Leistungsfähigkeit und das Verursacherprinzip ist in Art. 2 Abs. 2 und 4 Abs. 4 des Paris-Abkommens sowie in Art. 3 Abs. 3 der Klimarahmenkonvention enthalten.
Dem folgend hat auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) den zulässigen Anteil Deutschlands an diesem globalen Treibhausgasbudget jüngst neu berechnet und bestätigt: Deutschland hat inzwischen mehr emittiert als uns nach fairen Maßstäben international zusteht, um 1,5 Grad nicht zu überschreiten. Der SRU rechnet dabei sogar nur mit 67 % Einhaltungswahrscheinlichkeit für 1,5 Grad, berücksich-tigt aber umgekehrt, dass Deutschland leistungsfähiger als der Globale Süden ist und historisch mehr zum Klimawandel beigetragen hat.
© Christophe Gateau / Greenpeace Abb 1 — Bundespressekonferenz zur Ankündigung der zweiten Klimaklage. Der SFV war mit Susanne Jung, Rainer Doemen, unserer Klägerin Kerstin Lopau und Rechtsanwalt Felix Ekardt vertreten.
KSG-Reform verschlechtert Ambitionsniveau weiter
Die KSG-Reform vom Frühjahr 2024 ändert formal nichts am Ziel, bis 2045 klimaneutral zu werden. Durch verschiedene Mechanismen bewirkt das Gesetz jedoch, dass es faktisch unwahrscheinlicher wird, dass Deutschland dieses Ziel erreicht. Denn statt eines jahresscharfen, verbindlichen und mit rechtlichen Konsequenzen verknüpften sinkenden Emissionsminderungspfads für jeden Sektor soll künftig nur noch die Einhaltung der sektorübergreifenden summierten Jahresemissionsmengen in den Zeiträumen 2021 – 2030, 2031 – 2040 sowie 2041 – 2045 relevant sein. Es wird nur noch in Jahrzehnten gerechnet. Und erst wenn zwei Jahre in Folge die Projektionsdaten eine Überschreitung der Jahresemissionsmengen des jeweiligen Jahrzehnts prognostizieren, muss die Bundesregierung durch zusätzliche Maßnahmen nachsteuern.
Der BVerfG-Klima-Beschluss von 2021 verlangt, dass „weitere Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben so differenziert festgelegt werden, dass eine hinreichend konkrete Orientierung entsteht. Erst dies erzeugt den erforderlichen Planungsdruck, weil nur so erkennbar wird, dass und welche Produkte und Verhaltensweisen im weitesten Sinne schon bald erheblich umzugestalten sind. Wenn im Einzelnen konkret erkennbar ist, dass, wann und wie die Möglichkeit endet, Treibhausgas zu emittieren, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass klimaneutrale Technologien und Verhaltensweisen diesem Entwicklungspfad entsprechend zügig etabliert werden“ (Rn. 254 des Beschlusses).
Grundlegend unzureichendes Maßnahmenniveau
Zudem reicht der grundlegende Ansatz bei den Klimaschutzmaßnahmen in der gesamten Klimapolitik, für die das KSG ein Scharnier bildet, nicht mal für die eigenen, unzureichenden Ziele aus – und erst recht nicht für angemessen ambitionierte Ziele. Unabhängig von der aus GewaltenteilungsGründen offenen Frage, wie detailliert das BVerfG die exakte Ausgestaltung von Klimaschutzmaßnahmen betrachten wird, ergeben sich aus dem gebotenen Klimaschutz-Ambitionsniveau gemeinsam mit dem Gebot sorgfältiger Tatsachenermittlung aus dem BVerfG-Klima-Beschluss jedenfalls einige prinzipielle Anforderungen an die Gesamtheit der Klimaschutzmaßnahmen. Diese müssen tatsächlich zum Ambitionsniveau passen und dürfen nicht auf fiktiver Tatsachengrundlage eine solche Passfähigkeit nur behaupten.
Bereits beim Klima-Beschluss 2021 hat sich, wie oft in großen Verfahren vor dem BVerfG, die Vorgehensweise bewährt, eine Vielfalt von Argumenten und Perspektiven durch unterschiedliche Verbände und Einzelklagende vorzutragen und so zu einer ausgewogenen Entscheidung des BVerfG beitragen zu können. Andere Verfassungs-beschwerden, die jetzt parallel vorgebracht werden, wie die von Greenpeace und Germanwatch, adressieren etwa stärker einzelne Maßnahmen speziell im Verkehrssektor.
Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt
Jurist, Philosoph und Soziologe und u. a. Leiter der Forschungsstelle Nach-haltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin. Als Rechtsanwalt hat er bereits die erste die Klimaklage des SFV vors Bundesverfassungsgericht gebracht und den Verein mit juristischen Gutachten unterstützt.