Kalte Wärmenetze sind günstig und leicht zu bauen. Sie haben kaum
Wärmeverluste und eignen sich sowohl für den ländlichen Raum als auch für
hochverdichtete Siedlungen. Das Beste: Sie ermöglichen die Nutzung von
Erdwärme, Solarwärme und Abwärme. Unser Gastautor berichtet über eine
wenig bekannte gemeinschaftliche Heiztechnik.

Brauchen wir wirklich Fernwärmenetze mit Vorlauftemperaturen von 75 bis 90 °C, damit es in den angeschlossenen Gebäuden 20°C warm wird? "Kalte Wärmenetze [...] bieten ein so großes technisches und wirtschaftliches Potenzial zur Nutzung Erneuerbarer Energien und unvermeidbarer Abwärme wie keine andere Wärmenetzart. Sie sind leicht zu bauen und praktisch ohne Netzverluste unkompliziert zu betreiben und sehr gut erweiterungsfähig. Die Baukosten von kalten Wärmenetzen liegen bei nur rund einem Zehntel der Kosten von klassischen heißen Wärmenetzen, ähnlich verhält sich der Planungs- und Betreuungsaufwand. Systembedingt haben kalte Netze keine Abhängigkeit von einem zentralen und heißen Wärmeerzeuger und hohen Wärmeliniendichten. Obwohl sich kalte (Nah-) Wärmenetze insbesondere für ländliche Gebiete eignen, stellen sie auch im urbanen Raum hervorragende Möglichkeiten dar, kostengünstig Gas-Etagenheizungen durch dezentrale Wärmepumpen mit Nutzung eines kalten Netzes als Umweltwärmequelle zu ersetzen. [...] Gerade die Gewinnung von Abwärme ist mit kalten Netzen oft überhaupt erst wirtschaftlich möglich, jeder Bürger kann – zum Beispiel bei solaren Überschüssen – so auch zum Einspeiser werden. Auch die Funktion von Kältenetzen gemäß EU-Vorgabe wird mit diesen Netzen automatisch erfüllt, zukünftige Aspekte der Klimaanpassung bereits infrastrukturell vorbereitet. Dem Mehraufwand bei der Aufstellung der Wärmeplanung durch die Betrachtung von kalten Netzen stehen unmittelbar Einsparungen durch die Vermeidung unnötiger Betrachtungen von heißen Netzen gegenüber." 


Was sich wie eine Werbebroschüre liest, ist tatsächlich ein Beschluss des Bundesrats (BR-Drucksache 388/1/23, Beschluss vom 29.9.2023). Das macht neugierig auf die „kalten Wärmenetze“. Was hat es damit auf sich?


Was sind kalte Wärmenetze? 


Luft-Wasser-Wärmepumpen sind während der Heizperiode weniger effizient als Wärmepumpen, die Grundwasser oder das Erdreich als Niedertemperaturquelle nutzen. Die Erschließung dieser ergiebigeren Wärmequellen treibt aber die Kosten einer Wärmepumpeninstallation deutlich nach oben oder ist in vielen Fällen aufgrund der lokalen Gegebenheiten überhaupt nicht möglich. In beiden Fällen bietet es sich an, die Wärme zur Versorgung der Wärmepumpen aus Solarthermie, Abwärme und oberflächennaher Geothermie an einer zentralen Stelle gemeinschaftlich zu gewinnen und auf sehr niedrigem Temperaturniveau in die angeschlossenen Gebäude zu verteilen: über kalte Wärmenetze, auch Anergienetze genannt.

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Abb 1 — Warme und kalte Wasserleitungen. Quelle: https://5gdhc.eu/5gdhc-in-short/  • 

Wärme im Winter – Kälte im Sommer


Die Wärme zirkuliert auf geringem Temperaturniveau („kalt“) zwischen den Gebäuden. Unterwegs zu den einzelnen Abnehmern nimmt das Wassergemisch unterirdisch weitere Umgebungswärme aus dem Erdreich auf. Wegen der geringen Temperaturen kommt das Netz nahezu ohne Dämmung und Wärmeverluste aus – oftmals können durch den Wärmeeintrag aus dem Erdreich sogar erhebliche Wärmegewinne erzielt werden. Das verschafft den kalten Wärmenetzen einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber heißen Wärmenetzen. Erst in den einzelnen Gebäuden wird das Wassergemisch mithilfe von effizienten Wärmepumpen auf die gewünschte Temperatur gebracht: etwa 35 °C für die Heizung und mehr als 65 °C für eine hygienische Trinkwassererwärmung. Das System sorgt nicht nur für wohlige Wärme im Winter, sondern kann auf Wunsch an heißen Tagen auch kühlen, und das völlig emissionsfrei. 


Ersatz von fossilen Heizungen


„Auch in dicht besiedelten Bestandsquartieren können kalte Netze, die Gasgeräte zum Beispiel in Wohnungseigentümergemeinschaften ersetzen helfen, indem Umweltwärme aus dem öffentlichen Straßenraum/Böden/Gewässern unkompliziert entnommen und in den Mehrfamilienhäusern genutzt wird und eine optische Beeinträchtigung des Baubestandes mit Splitgeräten dadurch verhindert wird. Sowohl im ländlichen als auch im urbanen Raum sollten klimaneutrale Kalte Netze schnell, effizient und ohne großtechnologische Betriebsorganisationen aufgebaut werden. Die Abhängigkeit von externen Energielieferanten wird verringert, Resilienz und Kostensicherheit gestärkt“, so der Bundesrat in seiner o.g. Entschließung. Der Investitionsbedarf ist zwar bei reinen Luftwärmepumpenlösungen geringer als bei Anergienetzen. Allerdings haben diese einen höheren Stromverbrauch und damit höhere Energiekosten. 


80 Anergienetze deutschlandweit


Bereits seit 15 Jahren existieren Anergienetze mit guten Jahresarbeitszahlen. Besonders einfach sind sie in Neubaugebieten zu verwirklichen. Auch im Bestand gibt es in Deutschland viele Anergienetze, darunter auch etliche Bürgerenergienetze. Die meisten Anergienetze nutzen ungedämmte Kunststoffrohre. Viele Netze sind länger als 2 km, das kleinste Netz ist 150 m lang und versorgt vier Gebäude. Etwa die Hälfte der Anergienetze haben keinen Anschlußzwang. In vielen Fällen befinden sich die dezentralen Gebäudewärmepumpen im Besitz der Wärmenetzbetreiber. Nach zehn Jahren gehen sie oft in das Eigentum der Gebäudebesitzenden über.Projektbeispiele und Auswertungen zu technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Einzelheiten der Projekte finden Sie hier: www.bdev.de/anetze

Waermenetze

Versorgung zu 100 % mit kalter Nahwärme


„Eine grundlegende Frage war, ob in der dicht bebauten Stadt genug Platz für die nötigen Erdwärmesonden vorhanden ist – und das konnte mit Ja beantwortet werden", berichtet Gerhard Bayer, Experte der Non-Profit-Organisation ÖGUT, über eine Untersuchung in Wien. Durch eine fachgerechte Auslegung der Erdwärmesonden könnte in den meisten Stadtgebieten der gesamte Wärmebedarf und auch die komplette Warmwasserbereitung abgedeckt werden, wenn auch öffentliche Flächen wie Gehsteige, Straßen und Plätze genutzt werden. Technisch ist zwar auch die Beheizung eines einzelnen, unsanierten Altbauhauses möglich, flächendeckend ist so ein Modell in der Stadt aber nicht realisierbar.

 
Tausch Brennwerttherme gegen Wärmepumpe


Das ist grundsätzlich möglich. Es gibt Wärmepumpen, die auch Vorlauftemperaturen von 60 bis 70 °C aus der Erdwärme erzeugen. Da sie hier etwas mehr Arbeit verrichten müssen, wird auch etwas mehr Strom benötigt. Der COP-Wert einer Wärmepumpe ist dann nicht mehr ganz so hoch, aber der Nutzen bleibt immer noch weit besser als bei einer Brennwerttherme. 

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Abb 2 — Bei den einzelnen Abnehmern bringen Wärmepumpen die kalte Wärme auf die gewünschten höheren Temperaturen. Das dezentrale, niedrigtemperierte Anergienetz reduziert die Verteilungsverluste auf 5% im Vergleich zu 25% eines herkömmlichen Heiznetzes. Bildquelle: D2Grids • 

Kosten Erdwärme versus Gasheizung 


„Es hat sich gezeigt, dass der Umstieg auf Anergie nicht teurer ist als eine weitere Versorgung mit Erdgas“, so Gerhard Bayer zu seiner Untersuchung für die Stadt Wien. Die Erschließung von Erdwärme verursacht höhere Investitionskosten als eine konventionelle Heizung. Die Betriebskosten sind jedoch niedriger, da die Stromkosten für die Wärmepumpe deutlich niedriger liegen als die Kosten für das Erdgas. Werden die aktuellen Betriebskosten einer Gasheizung monatlich angesetzt, sind die Investitionskosten in ein Erdwärmepumpensystem nach 15 bis 20 Jahren abgeschrieben. Danach sind deutlich geringere Heizkosten zu erwarten, insbesondere dann, wenn die Preise der fossilen Brennstoffe weiter steigen. 


In etlichen bereits gebauten Netzen gibt es keinen Wärmepreis mehr, sondern nur ein Entgelt für den Anschluss ans Netz, unabhängig davon, wie viel Wärme oder Kälte man entnimmt beziehungsweise einspeist. In Neubaugebieten werden die Kosten für Netz und Quellensystem oft auf den Grundstückspreis (Erschließungskosten) umgeschlagen oder können durch Nutzungsgebühren abgegolten werden. Es ist dann kein Zählersystem notwendig.

 

Anergienetz nur mit Erdwärme?


Erdwärme ist zwar die häufigste Wärmequelle für Anergienetze. Meistens werden die Kollektoren horizontal verlegt, gefolgt von Geothermiebohrungen. Es geht aber auch ohne Erdwärme. Etliche Netze nutzen Außenluft, Abwärme, Abwasserwärme oder Eisspeicher. Solarwärme eignet sich am besten für Netze mit höheren Temperaturen. Denn es ist schade, die oft hohen Temperaturen aus Solaranlagen durch Mischung mit kühlerem Wasser abzukühlen. Als Backup und Spitzenlastdeckung dienen konventionelle Erzeuger wie Kessel oder BHKW. 


Wie startet man ein Anergie-Netz?


Auch wenn die Investitionen bei Anergienetzen nicht per se geringer sind als bei Fernwärme, eignen sie sich im Vergleich zu konventionellen Wärmenetzen besonders gut für Netze in Bürger:innenhand. Damit eine Anergienetz‐Startzelle zustande kommt, muss sich eine Gruppe von mindestens drei bis fünf Liegenschaftseigentümern und -eigentümerinnen in der unmittelbaren Nachbarschaft zusammenfinden, sei in der Stadt oder auf dem Land. 
Es gibt zwei Organisationsmodelle: Es wird ein kommerzieller Betreiber gesucht (Stadtwerke bzw. Contractor) oder die Bürger:innen organisieren sich gemeinschaftlich als Verein oder Genossenschaft wie beispielsweise in der Humboldtstraße in Bremen. Die gemeinschaftliche Organisation erfordert hohes Engagement. Eine kommerzielle Lösung liefert die Eigentümer:innen dem späteren Preisdiktat des Netzbetreibers aus, wenn nicht verbraucherfreundliche Preisregelungen vertraglich fixiert werden: Die Heizkosten für die Bewohner:innen sollten deutlich unter den ortsüblichen Fernwärmekosten liegen. Weiter sollte darauf geachtet werden, dass die Preisanpassung (Indexierung) anhand der tatsächlich auftretenden Kosten (Strom für die Wärmepumpe, Wartung, Service, Reinvestitionen) erfolgt.


Fazit


Zusammengefasst bieten kalte Nahwärmenetze eine zukunftsweisende Lösung, die sowohl umweltfreundlich als auch wirtschaftlich sinnvoll ist, und sie erweisen sich als vielseitig anpassbar an unterschiedliche urbane und energetische Gegebenheiten.
 

 

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