Hitze, Feuer, Fluten
Klimapolitik ohne Bezug zur Realität
Die deutsche Bundesregierung behauptet noch immer, dass ihre Klimapolitik im Einklang mit der 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens stehe. Zuletzt tat sie das z.B. anlässlich des „Petersberger Klimadialogs“ Ende April.[1] Jener April war der zehnte Monat in Folge, in dem die 1,5-Grad-Grenze im globalen Durchschnitt bereits überschritten wurde. Der Juni machte insoweit dann die zwölf Monate voll. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass 2024 im Durchschnitt unter der 1,5-Grad-Marke bleibt. Der atemberaubende Temperaturrekord von Anfang Juli 2023, als die globale Durchschnittstemperatur erstmals die 17°C-Marke überschritt, ist 2024 bereits an sechs Tagen überboten und um fast ein weiteres Zehntelgrad nach oben geschoben worden, obwohl El Niño anders als im Vorjahr nicht mehr als verstärkender Faktor wirkte.[2] Eine Umfrage der britischen Tageszeitung “Guardian” unter allen IPCC-Autor:innen ergab im Frühjahr dieses Jahres, “dass viele der kenntnisreichsten Menschen auf dem Planeten in den kommenden Jahrzehnten eine katastrophale Verwüstung erwarten”.[3] All dies beweist: Das klimapolitische Reden der Bundesregierung, die noch bis 2045 Treibhausgase emittieren will, hat sich von den klimaphysikalischen Realitäten komplett abgelöst.
Dass die deutsche Klimapolitik mit ihrem Ziel „Treibhausgas-Neutralität bis 2045“ nicht auf einem 1,5-Grad-Pfad ist, ist empirisch also klar erwiesen. Diese Einschätzung wird aber auch von den (sehr zurückhaltenden) Modellen des Weltklimarats IPCC gestützt. Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt, der unsere zweite Verfassungsbeschwerde vorbereitet, bringt es auf den Punkt: „Der IPCC gibt ein globales Restbudget von 300 Gigatonnen (Gt) CO2 mit einer Wahrscheinlichkeit von 83 Prozent für die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze ab 1. Januar 2020 an. Bei einem Pro-Kopf-Ansatz würde dies für Deutschland, das ein Hundertstel der Weltbevölkerung ausmacht, einen Rest von 3 GtCO2 bedeuten. Diese Menge hat Deutschland bereits jetzt verbraucht.“[4]
Hinzuzufügen wäre: Selbst wenn man das IPCC-Budget zugrunde legt, das nur eine 66-prozentige Wahrscheinlichkeit der Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze bewirkt, dürfte Deutschland nach 2025 kein Gramm CO2 mehr emittieren.[5] Die Bundesregierung ignoriert diese Fakten komplett und macht sich dadurch mitschuldig an den heutigen und künftigen Katastrophen, die aus der Erderhitzung folgen.
Schauen wir uns einige der konkreten Ereignisse an, die sich alleine im bisherigen Verlauf des Jahres 2024 aus den abstrakten Durchschnitts-Temperaturwerten ergeben haben. Alle, hier nur beispielhaft erwähnten, Ereignisse sind mit vielfachem, großem menschlichen Leid verbunden, das hinter den nackten Zahlen oft zu verschwinden droht. In ihrer Summe zeigen sie, was wir von einer 1,5-Grad-Welt zu erwarten haben. (Zur Erinnerung: Wir bewegen uns aber ungebremst auf eine mindestens um 2,5°C erhitzte Welt zu.)
Hitzewellen
Extremtemperaturen haben 2024 neue Dimensionen angenommen. Bereits im Februar zog eine Hitzewelle über große Teile der USA hinweg, mit Temperaturen, die teils 20 °C über dem Durchschnitt lagen.[6] In Westafrika wurde zur gleichen Zeit bereits die 40 °C-Marke überschritten.[7]
Im März wurden in Australien 42,8 °C gemessen, in der Sahelzone bis zu 48,5 °C. Südostasien und Israel überschritten die 40 °C im April. Im Mai registrierte die indische Hauptstadtregion Delhi 49,2 °C. Im Juni wurde dann an verschiedenen Orten die 50-Grad-Marke überschritten: Anfang des Monats in Assuan (Ägypten), Ende des Monats mit 52,2 °C in Pakistan. Dazwischen lag das einzige medial breit wahrgenommene Ereignis, als bei der islamischen Pilgerfahrt, der Hadsch, 1300 Menschen der extremen Hitze von mehr als 49 °C zum Opfer fielen.[8] Im Juli lastete eine wochenlang anhaltende Hitzewelle über Süd- und Südosteuropa, vor allem über Griechenland, wo touristische Attraktionen wie die Athener Akropolis tagsüber gesperrt werden mussten.[9] Zur gleichen Zeit galten für die Hälfte der Bevölkerung der USA erneut Hitzewarnungen.[10]
© CC BY-SA 4.0 BAKRAOUI Bilel – Austrocknendes "Feuchtgebiet" in Tunesien, Mai 2024.
Dies sind nur einige Beispiele aus der Hitzechronik des bisherigen Jahres 2024. Es handelt sich um eine globale Katastrophe. Im Zeitraum vom 16. bis zum 24. Juni, als Deutschland eher zu kühle Temperaturen erlebte, befanden sich fast fünf Milliarden Menschen, also 60 Prozent der Weltbevölkerung, in Regionen, die unter noch nie dagewesener Hitze litten. Alleine 619 Millionen Menschen waren in Indien betroffen. In Delhi herrschte an 40 aufeinanderfolgenden Tagen eine Temperatur von über 40° C.[11] Als paradoxe (oder besser: tragische) Folge mussten in Indien Kohlekraftwerke hochgefahren werden, um den Strombedarf der städtischen Klimaanlagen und der landwirtschaftlichen Wasserpumpen zu decken.[12] Ähnliche Stromprobleme waren im Mai aus Mexiko gemeldet worden[13], im Juli aus dem Iran.[14] Im August meldete der Generalsekretär der World Meteorological Organization, Celeste Saulo, über das bisherige Jahr 2024: “In mindestens zehn Ländern wurden an mehr als einem Ort Tagestemperaturen von über 50° C gemessen. Das wird zu heiß, um damit noch umgehen zu können”.[15]
Waldbrände
In sehr vielen Fällen bedeutet Hitze auch Trockenheit und Dürre, und dementsprechend erweist sich 2024 auch wieder als trauriges Waldbrand-Jahr. Die schlimmen Feuer in Chile im Februar mit mindestens 132 menschlichen Todesopfern sind vielleicht noch in Erinnerung. Die verbrannte Fläche in der Region Valparaiso umfasst dort 290 km2.[16] Im gleichen Monat verstärkte die erwähnte Hitzewelle in den USA das „Smokehouse Creek Fire“, das in Texas und Oklahoma 4283 km2 verzehrte, 500 Gebäude zerstörte und zwei Menschen sowie zehntausende von Nutztieren tötete.[17] Am 24. Juli brach infolge der wochenlangen Hitzeglocke in Kalifornien das “Park Fire” aus, dem bis zum 27. August 1738 km2 zum Opfer fielen; zu diesem Zeitpunkt waren noch mehr als 2000 Einsatzkräfte mit der Bekämpfung des Feuers beschäftigt.[18] Die eben genannte Mai-Hitzewelle in Mexiko führte zu mehr als 100 Waldbränden, die 754 km2 zerstörten.
© CC BY-SA 4.0 Frank Schulenburg – Das "Park Fire" wütet seit Ende Juli 2024 in Kalifornien.
© Public Domain – Das "Lake Fire" Anfang Juli 2024, ebenfalls in Kalifornien.
In Brasilien war die Zahl der Waldbrände in der ersten Jahreshälfte zehnmal so hoch wie im Vorjahr. Im sumpfigen Pantanal, einem Rückzugsgebiet zahlloser Tierarten, waren vom 1. Januar bis zum 8. August bereits 13.000 km2 verbrannt, und der traditionell gefahrvollste Monat September kommt erst noch.[19] Im Amazonas-Regenwald stieg unterdessen die Zahl der Waldbrände in der ersten Jahreshälfte auf mehr als 13.000, obwohl die neue Regierung die Abholzung dort erfolgreich zu bekämpfen begonnen hat.[20]
In Kanada „überwinterten“ ca. 150 Waldbrände aus der verheerenden Saison 2023 schwelend und flammten bereits im Februar wieder auf.[21] Mit Stand vom 27. August 2024 sind in Kanada dieses Jahr bereits mehr als 51.000 km2 durch Waldbrände zerstört worden, nach den beängstigenden 185.000 km2 des Vorjahres.[22] In den Rocky Mountains zerstörte ein “Monsterfeuer” etwa die Hälfte der Stadt Jasper.[23]
© Credit: European Union, Copernicus Sentinel-3B imagery – Der von Waldbränden in Kanada erzeugte Rauch erreicht im August 2024 Europa und zieht über das Mittelmeer weiter nach Osten.
Auch in der Alten Welt nimmt die Waldbrand-Saison Fahrt auf. In Griechenland sind seit Sommerbeginn im Zusammenhang mit extrem hohen Lufttemperaturen bereits mehr als 2000 Waldbrände gezählt worden.[24] Mitte August fraß sich ein Feuer in der Region Attika bis in mehrere Vororte von Athen hinein und zerstörte zahlreiche Häuser, bevor glücklicherweise der Wind abflaute.[25]
Im Juni verbrannten in der sibirischen Region Jakutien 4600 km2 Wald.[26] – Und durch alle diese Feuer wird zusätzliches CO2 in die Atmosphäre gebracht und steigert den Treibhauseffekt weiter. Die Einschätzungen variieren: Nach den Berechnungen der EU-Klimaagentur Copernicus verursachten die weltweiten Waldbrände im Jahr 2023 etwa 2,1 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen.[27] Aber laut dem World Resources Institute und der University of Maryland bewirkten alleine die kanadischen Waldbrände Emissionen von mehr als 3 Mrd. Tonnen CO2.[28] Das müsste das Land auf Platz 3 der am meisten zum Treibhauseffekt beitragenden Staaten katapultiert haben.
Überschwemmungen
In Deutschland äußerten sich die durch die Erderwärmung veränderten Wettermuster 2024 bisher bekanntlich vor allem in Hochwasser-Ereignissen. Das Jahr startete insbesondere in Norddeutschland bereits mit einer Zuspitzung des “Weihnachtshochwassers 2023”.[29] Das Überschwemmungsereignis Ende Mai-Anfang Juni in Bayern und Baden-Württemberg verursachte Schäden in Höhe von 2 bis 3 Mrd. € (nur versicherte Schäden)[30] und forderte sechs Menschenleben.[31] Davor hatte es Mitte Mai bereits schwere Überschwemmungen im Saarland und Rheinland-Pfalz gegeben, bei denen zwei Todesfälle zu beklagen waren.[32]
© CC BY-SA 4.0 stk – Donau-Hochwasser bei Ulm am 1.6.2024.
Überschwemmungskatastrophen in anderen Weltregionen hatten schlimmere Ausmaße. In Ostafrika kam es zwischen Januar und Mai immer wieder zu Hochwasserereignissen, die z.B. in Kenia und in Tansania hunderte von Todesfällen verursachten.[33] Der aktuellste Fall ist der vom Bürgerkrieg zerrissene Sudan, wo in den letzten Wochen mehr als 100.000 Menschen durch Hochwasser obdachlos wurden und nun auch eine Cholera-Epidemie ausgebrochen ist.[34]
Ende April und im Mai führten außergewöhnliche Regenfälle zu nie dagewesenen Pegelständen am Rio Grande do Sul und seinen Zuflüssen im Süden von Brasilien. Betroffen war auch die Millionenstadt Porto Alegre. 181 Todesfälle wurden registriert, 200.000 Gebäude wurden überschwemmt und 386.000 Menschen verloren ihr Zuhause.[35]
Bei zwei verheerenden „Sturzflut“-Ereignissen im Mai kamen im Norden Afghanistans etwa 400 Menschen ums Leben. In dem ohnehin schwer geprüften Land wurden tausende Familien zu Binnenflüchtlingen, viele Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen wurden zerstört.[36]
Weitere katastrophale Hochwasserereignisse gab es 2024 bisher z.B. in Dubai (zwei Mal!), Russland, Pakistan und Armenien. Auch der Anfang Juli durch den westlichen Atlantik ziehende Hurricane „Beryl“ verursachte an vielen Orten, wo er auf Land traf, Überschwemmungen. Dieser über 6 Milliarden $ Schaden verursachende tropische Zyklon, der 50 Menschen tötete, war der am frühesten im Jahr auftretende Kategorie-5-Hurricane seit Beginn der Aufzeichnungen, den außergewöhnlich hohen Wassertemperaturen im Atlantik geschuldet.[37]
© Gemeinfrei – Satellitenaufnahme des Hurricanes "Beryl" am 2. Juli 2024.
Der Politik Beine machen
Das ist also der globale empirische Hintergrund der Klimapolitik der Staatsregierungen auf der Welt. Denn die Attributionsforschung ordnet die geschilderten Ereignisse überwiegend der menschengemachten Erderwärmung zu, welche die Häufigkeit und die Intensität dieser Ereignisse stark erhöht. In allen Ländern versuchen Menschen, ihre Regierungen auf eine ambitioniertere Klimapolitik zu verpflichten, um den Anstieg dieser Katastrophen in Grenzen zu halten. Wir tun dies in Deutschland, einem der großen Treibhausgas-Emittenten (unter den Staaten der Welt stand Deutschland 2022 beim CO2-Ausstoß an achter Stelle).[38] Da der Treibhausgas-Ausstoß weltweit, und auch im eigenen Land, das Recht auf Leben und Gesundheit, das Recht auf Eigentum, und allgemein die Freiheitsrechte nicht nur bedroht, sondern bereits heute massiv beeinträchtigt, führen wir diesen Kampf nun erneut auch vor dem Bundesverfassungsgericht, das über die Einhaltung der grundgesetzlich verbrieften Grundrechte wacht.
In seinem Klimaurteil von 2021, das auf die 2018 eingereichte Klage von SFV und BUND zurückgeht, heißt es u.a., bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern nehme „das relative Gewicht des Klimaschutzgebots […] bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu“.[39] Dieses Fortschreiten des Klimawandels hat seit jenem Urteil ein beängstigendes Tempo angenommen. Es ist höchste Zeit, die Abwägung, von der das BVerfG spricht, nun neu vorzunehmen. Um das massenhafte Leiden nicht ins Unermessliche steigen zu lassen, ist ein sofortiger Ausstieg aus allen Formen der Fossil-Verbrennung unverzichtbar. Und in Wahrheit ist es noch viel dramatischer, denn wir müssen den CO2-Gehalt der Atmosphäre, der heute ca. 425 ppm beträgt, auf die gerade noch erträglichen 350 ppm zurückbringen – eine Mammutaufgabe.
Nachweise
[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/petersberger-klimadialog-2024-2274678
[2] https://climatereanalyzer.org/clim/t2_daily/?dm_id=world
[5] https://www.showyourbudgets.org/?country=germany; https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_SPM.pdf, S. 29.
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Temperaturanomalien_im_Jahr_2024
[9] https://www.dw.com/de/klimawandel-griechenland-%C3%A4chzt-unter-der-hitze/a-69712927
[11] https://climatefactchecks.org/record-breaking-heatwaves-affected-billions-globally-in-june-2024/
[13] https://time.com/6976775/mexico-wildfires-heatwave/
[15] https://wmo.int/media/news/extreme-heat-continues-throughout-july-devastating-impacts
[16] https://spiral.imperial.ac.uk/bitstream/10044/1/109375/2/Scientific%20report_%20Chile%20fires.pdf
[18] https://www.fire.ca.gov/incidents/2024/7/24/park-fire
[20] https://phys.org/news/2024-07-brazil-amazon-worst-months-wildfires.html
[21] https://www.foxweather.com/learn/what-are-zombie-fires
[22] https://ciffc.net/summary
[24] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/griechenland-waldbraende-vorbereitung-100.html
[25] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/feuer-griechenland-138.html
[26] https://atmosphere.copernicus.eu/high-carbon-emissions-wildfires-russian-arctic
[28] https://www.theguardian.com/world/article/2024/jun/27/canada-2023-wildfires-carbon-emissions
[29] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/hochwasser-300.html
[31] https://www.tagesschau.de/inland/hochwasser-bayern-tote-100.html
[32] https://www.tagesschau.de/inland/unwetter-deutschland-164.html
[33] https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberschwemmungen_in_Ostafrika_2024
[34] https://www.tagesschau.de/ausland/sudan-dammbruch-fluten-100.html
[36] https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-flood-event-analysis-09-may-2024-11-may-2024,
https://www.theguardian.com/world/article/2024/may/18/fresh-flooding-in-afghanistan-people-dead-after-heavy-rain-brings-devastation
[37] https://en.wikipedia.org/wiki/Hurricane_Beryl
[38] https://edgar.jrc.ec.europa.eu/report_2023?vis=co2tot#emissions_table
[39] https://www.bverfg.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html