Das FDP-Wahlprogramm zur Klimapolitik
 

Unter den Parteien, die im jetzigen Bundestag vertreten sind, ragen zwei heraus, die völlig andere klimapolitische Ansätze haben als ihre Mitbewerberinnen. Eine davon ist die AfD, welche die anthropogene Erderwärmung leugnet und dementsprechend auch Klimapolitik für unangebracht hält. Es ist zwecklos, sich mit diesen Epigonen der ‚alternativen Fakten‘ inhaltlich auseinanderzusetzen.

Die zweite hier gemeinte Partei ist die FDP. Teile dieser Partei haben in der Vergangenheit immer mal wieder AfD-nahe Ansätze vertreten. Es lohnt sich insoweit, einmal bei der Klimaleugner-Plattform „EIKE“ in der Suchmaske die drei Buchstaben FDP einzugeben und sich durch die 63 Seiten voller Treffer zu arbeiten.[1] Ähnliches gilt auch für die Homepage der militanten Energiewende-Gegner von „Vernunftkraft“.[2] Doch diese etwas halbseidenen Verknüpfungen von Teilen des FDP-Milieus bestimmen das jetzige Wahlprogramm der Partei keineswegs. In diesem heißt es vielmehr: „Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.“ (58)[3] Ja, das Programm wird sogar noch konkreter: „Wir bekennen uns ausdrücklich zu dem Ziel aus dem Pariser Abkommen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.“ (58) Die FDP unterscheidet sich aber von allen anderen Parteien des demokratischen Spektrums dadurch, dass sie diese Herausforderung mit einem einzigen, durchgängig angewendeten Hebel zu bewältigen verspricht.

Dieser Hebel ist der Handel mit Verschmutzungszertifikaten. „Wir Freie Demokraten wollen den EU-Emissionshandel (EU-ETS) schnellstmöglich auf alle Sektoren und geographisch ausweiten. Die Politik gibt vor, wieviel CO2 im Jahr ausgestoßen werden darf. Für den Ausstoß müssen Zertifikate erworben werden, die von Jahr zu Jahr weniger und damit teurer werden.“ (58) Das ist der klimapolitische Kernsatz des FDP-Wahlprogramms. Konkret wird z.B. eine „Ausweitung des Europäischen CO2-Emissionshandels auf den gesamten Verkehrssektor“ gefordert (28). Dadurch, so heißt es weiter, „können die bestehenden Maßnahmen zur CO2-Reduktion im Verkehr beendet werden“. (28) Also wohl solche Dinge wie Tempolimits, autofreie Zonen in Städten und dgl.
 

Ein Herz für den Verbrennungsmotor
 

Schauen wir uns die Vorstellungen der FDP für den Verkehrssektor etwas genauer an. Leitgedanke ist hier (wie bei dem Zertifikatehandel überhaupt), dass staatliches Handeln „technologieoffen“ stattfinden solle (26, 28). Man wolle Ingenieurinnen und Ingenieuren die „Freiheit zurückgeben, die bestmöglichen Antriebe und Anwendungen zu entwickeln“ (28), wende sich daher „gegen unverhältnismäßige Verbote in der Mobilität“ (26). Das bedeutet konkret: „Ein pauschales Verbot von Verbrennungsmotoren lehnen wir ab.“ (26)

Die Zukunft des Verbrennungsmotors ist der FDP ein echtes Herzensanliegen. Das wird einerseits in solchen Sätzen versteckt: „Für uns ist E-Mobilität wesentlicher Bestandteil des Verkehrsmix der Zukunft.“ (28) Was ja impliziert, dass es noch andere, vielleicht nicht minder wesentliche, Bestandteile in diesem Mix geben soll. An anderer Stelle heißt es deutlicher: „Deutschland kann die vereinbarten Klimaziele bis 2030 nur erreichen, wenn auch Kraftstoffe ihren Beitrag leisten.“ (60) Dazu sollen „mehr alternative Kraftstoffe“ gehören, „die ohne technische Umrüstung in herkömmlichen Verbrennungsmotoren verwendet werden können“ (60).

Nun könnte man sagen, dass die Fahrzeug-Bestandsflotten ja tatsächlich ihre restliche Lebensdauer lieber mit Power-to-Liquid-Kraftstoffen verbringen sollten als mit Erdöl-Derivaten. Aber hat man in der FDP einmal durchgerechnet, wieviel Energie man benötigt, ein Antriebssystem, das konstruktiv über einen durchschnittlichen Wirkungsgrad von 30% kaum hinauskommen kann, mit synthetischen Kraftstoffen zu betreiben, die ihrerseits einen Wirkungsgrad der hineingesteckten Energie von günstigenfalls 50% aufweisen, so dass für eine kWh Leistung auf der Straße selbst bei optimistischer Rechnung fast 7 kWh Primärenergie investiert werden müssen? Volkswirtschaftlich klingt das ein bisschen unseriös; betriebswirtschaftlich ergibt es aber Sinn: Die deutschen Auto-Konzerne, welche die Elektrifizierung teils verschlafen, teils sabotiert haben, können so weiter ihr Business-as-usual betreiben und etablierte Produktionsstraßen als Gelddruckmaschinen betreiben, anstatt in Effizienz zu investieren. Für die FDP ist dies „zukunftsweisende Verkehrspolitik ohne ideologische Scheuklappen“ (26). Man kann diese Einsicht ohne weiteres verallgemeinern: Es gibt keine ideologischere Rede als die Warnung vor „ideologischen Scheuklappen“; sie ist immer eine Taktik zur Verteidigung des Status quo. Den Status quo können wir uns aber nicht mehr leisten.
 

Privatisierung, High-Tech, mehr Fernhandel
 

Wir werden uns gleich mit dem Instrument des Zertifikatehandels näher beschäftigen, wollen aber vorher noch die weiteren Vorstellungen der FDP zur Verkehrspolitik kurz vorstellen. Ausgehend von der Überzeugung, privatwirtschaftliche Konkurrenz sei ein Heilmittel in allen Lebensbereichen, soll der Bahnbetrieb privatisiert werden (26). Die Infrastruktur soll weiter aus Steuermitteln bezahlt werden, aber die Gewinne des Betriebs sollen in private Taschen fließen. In Großbritannien kann man sich anschauen, welche sicherheitsrelevanten Konsequenzen die Bahnprivatisierung und die Trennung von Betrieb und Infrastruktur so mit sich bringen können. Über die Zugkatastrophe von Ladbroke Grove im Jahr 1999 schreibt Wikipedia: „Nach dem Eisenbahnunfall von Southall 1997 war dies der zweite schwere Eisenbahnunfall, der sich auf der Great Western Main Line ereignete […]. Beide Eisenbahnunfälle trugen wesentlich dazu bei, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Privatisierung der Eisenbahn nachhaltig zu erschüttern. Aber erst der Eisenbahnunfall von Hatfield am 17. Oktober 2000 mit vier Toten und 70 Verletzten führte dann zum Zusammenbruch des Eisenbahninfrastrukturunternehmens Railtrack, das am 7. Oktober 2001 unter Zwangsverwaltung gestellt und am 18. Oktober 2002 aufgelöst wurde.“[4] In Großbritannien wird die Privatisierung derzeit gerade wieder rückgängig gemacht.[5] Man könnte ja auch mal aus den Fehlern anderer lernen, wenn man eine „zukunftsweisende Verkehrspolitik ohne ideologische Scheuklappen“ vertritt.

Des Weiteren will die FDP „die Zulassungs- und Testverfahren für neue Ideen vereinfachen und die Innovationsförderung voranbringen. Sprunginnovationen wie das autonome Fahren, das Hochgeschwindigkeitssystem Hyperloop, Drohnen oder Flugtaxis wollen wir gezielt fördern und den rechtlichen Rahmen dafür schaffen. Insbesondere für den ländlichen Raum entstehen so Chancen für eine schnellere und kostengünstigere Versorgung.“ (28) Das – durchaus interessante – Höchstgeschwindigkeits-Transportsystem Hyperloop, das nun wahrlich nur Metropolen miteinander verbinden kann, soll Chancen für den ländlichen Raum eröffnen? Das ist eine überraschende Einsicht, wie auch die bestehenden Entwürfe von Flugtaxis aus Reichweite-Gründen eher für verdichtete urbane Räume konzipiert wurden. Diese Verkehrspolitik entbehrt also auch rationaler „Scheuklappen“.

Fügen wir als letzten verkehrspolitischen Aspekt noch hinzu, dass die FDP eine Infrastrukturpolitik anstrebt, die u.a. auf „leistungsstarke Hafenanlagen, Flugplätze und Fernstraßen“ setzt; „Ziel ist die noch engere Verknüpfung europäischer Metropolen und Warenumschlagplätze“ (29). Hier findet der Liberalismus zu sich selbst: Mehr, mehr, mehr Handel. Mehr Verkehr. Wachstum um jeden Preis. Der Planet zeigt heute schon an allen Ecken und Enden, dass er seine Belastungsgrenzen erreicht hat; aber die Ideologie der entfesselten Märkte muss diese Einsicht ausblenden, weil sie keinen Plan B hat. Also: Augen zu und aufs Gaspedal getreten.
 

Emissionshandel: Ausdehnung eines schlechten Instruments
 

Aber: Die FDP hat ja, wie eingangs erwähnt, ein konzises Dekarbonisierungs-Konzept: die Verallgemeinerung des CO2-Zertifikate-Handels. Konsequent angewendet, könnte man so einen Ausstieg aus den fossilen Energien bewerkstelligen, insbesondere wenn – wie die FDP fordert – dieses Prinzip möglichst auf die ganze Welt ausgedehnt würde. Im Verkehrssektor würden dann die Preise für Benzin und Diesel rapide steigen. Ob auch dann ein FDP-Verkehrspolitiker wie Bernd Reuther riefe: „Das Ende der Fahnenstange ist erreicht“ (wie er es Anfang Juni, anlässlich der eher moderaten Spritpreis-Vorschläge der Grünen, in der BILD-Zeitung tat[6]), wäre spannend herauszufinden.

Ob aber bei einem globalen oder auch nur europäischen System die beteiligten Akteure sich auf den notwendigen ehrgeizigen Reduktionspfad einigen könnten, ist fraglich. Wir wissen ja seit Jahrzehnten, dass der Hinweis auf eine notwendige europäische Harmonisierung oft der Weg ist, im eigenen Land nichts tun zu müssen. Und gerade der FDP sollte man da nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte nicht allzuviel zutrauen.

Im Prinzip meint die FDP mit Emissionshandel das bestehende europäische ETS-System, das 2005 eingeführt wurde. Oft hört man FDP-Politiker*innen (und auch solche in anderen Parteien) argumentieren, wir hätten mit diesem Emissionshandel ja bereits ein erfolgreiches Klimaschutz-Instrument. Schauen wir es uns also etwas genauer an.

  1. Das System geht davon aus, dass es (jährlich abnehmende) „Verschmutzungsrechte“ gebe, mit denen man Handel treiben kann. Im politischen Diskurs wird so aus einem höchst problematischen Verhalten – der Befeuerung des Treibhauseffekts – ein „Recht“. Dies hat fatale Folgen für die öffentliche Wahrnehmung.
  2. Es ist betrugsanfällig. Digitale Diebstähle von Zertifikaten, sogenannte „Karussellgeschäfte“ und Manipulationen mit der Möglichkeit, sich Projekte im Ausland als Emissionsvermeidung im Inland anrechnen zu lassen, pflastern die Geschichte dieses Mechanismus.[7] Teilweise haben sie sogar zur Erhöhung von Treibhausgas-Emissionen geführt, weil in verschiedenen Projekten die Emission zunächst künstlich gesteigert wurde, um ihre anschließende Zurückführung auf das vorherige Niveau mit Zertifikaten vergüten zu lassen.[8] Die letztgenannte Möglichkeit steht auch ausdrücklich im jetzigen FDP-Programm: „Wir Freie Demokraten wollen die Möglichkeit nutzen, Projekte in anderen Staaten zu finanzieren und die entsprechenden Treibhausgasreduktionen auf die eigenen Ziele anzurechnen.“ (59)
  3. Das System war von Anfang an durchlöchert. Große Anteile der Verschmutzungszertifikate wurden nicht versteigert, sondern gerade den größten Verschmutzern geschenkt.
  4. Von Anfang an wurden mehr Emissionsrechte ausgegeben, als überhaupt CO2 emittiert wurde. Dies trug dazu bei, dass der Preis der Zertifikate lange vernachlässigbar gering war und das Instrument keine Wirkung entfalten konnte.
  5. Der Reduktionspfad, der in diesem System vorgesehen ist, kann auf keinen Fall überboten werden. Dies zeigte sich z.B. in der Wirtschaftskrise um das Jahr 2008, die weniger Treibhausgasausstoß bewirkte. Dadurch wurden viele Verschmutzungszertifikate nicht benötigt, was ihren Preis nicht nur im betreffenden Jahr weiter senkte. Die Zertifikate können nämlich auch ins Folgejahr übertragen werden, was dann zur Steigerung des Ausstoßes führt.
  6. Einen ähnlichen Effekt hat – und dies ist die eigentliche Katastrophe des Systems – der Erfolg anderer klimaschützender Maßnahmen. So führte auch der Erfolg des deutschen EEG mit einer deutlichen Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes im Energiesektor dazu, dass die eingesparten Zertifikate anderswo eingesetzt werden konnten und die Einsparung so wiederum zunichte gemacht wurde. Der Zynismus der Neoliberalen hat diesen Effekt frech umgedreht und behauptet, das EEG spare keine Tonne CO2 ein, weil es ja 'nun einmal' den Zertifikatehandel gebe. Mit den Worten des fundamentalistisch marktradikalen Professors Hans-Werner Sinn: "Jeder weitere Windflügel, der auf deutschen Auen errichtet wird, und jede neue Solaranlage, die auf den Häusern glitzert, kurbelt im gleichen Umfang, wie hier Strom erzeugt und die Emission von Treibhausgasen reduziert wird, die Produktion entsprechender Treibhausgase im Rest Europas an."[9]

Das ist also das Modell, welches die FDP auf alle Bereiche verallgemeinern will. Manche glauben, dass man dieses System reformieren könnte. Alle großen Parteien fordern dies; selbst die Linke schreibt in ihrem Wahlprogramm, sie unterstütze eine „Reform des EU-Emissionshandels“.[10] Wir sind da skeptisch. Zumindest müssten bei einer solchen Reform die oben genannten Punkte abgestellt werden (was ja beim Punkt 1. ganz unmöglich ist). Und es müsste eine ambitionierte Jahreszahl genannt werden, wann die Zahl der Zertifikate den Stand Null erreicht. Die FDP fordert keine Abschaffung der bestehenden Mängel. Im Zusammenhang mit der – lobenswerterweise erwähnten – CO2-Rückholung demonstriert sie vielmehr, dass sie noch weitere konterkarierende Mechanismen einzubauen gedenkt: „Für uns gilt: Wer künftig CO2 aus der Atmosphäre entfernt und bindet, muss dafür je Tonne gebundenes CO2 ein europäisches CO2-Zertifikat erhalten.“ (60) Wieder gilt für die FDP: Die rückgeholte Tonne CO2 muss auf jeden Fall an anderer Stelle wieder ausgestoßen werden. Wozu dann der gewaltige Energieaufwand der Rückholung? – Diese Partei kämpft wirklich um jede Tonne Treibhausgas, die noch ausgestoßen werden soll.

Und zur Zeitvorgabe für die Klimaneutralität steht im FDP-Wahlprogramm, direkt nach dem Bekenntnis zum 1,5°-Ziel: „Deutschland und Europa haben sich zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 verpflichtet. Dieses Ziel können wir durch ein striktes und jährlich sinkendes CO2-Limit in einem umfassenden Emissionshandelssystem zuverlässig erreichen.“ (58) Es wird auch von einer möglichen späteren „Anpassung des Senkungspfads“ gesprochen; aber wer heute noch die Jahreszahl 2050 in sein Programm schreibt, zeigt, dass ihm die Frage des Klimaschutzes noch nicht wirklich in Fleisch und Blut übergegangen ist. Man bedenke, dass der FDP-Parteitag diese Zahl Mitte Mai dieses Jahres – also zwei Wochen nach dem Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts – beschlossen hat.

Wenn man sieht, wie deckungsgleich die geschilderten Positionen der FDP und jene der neoliberalen Kampftruppe[11] INSM sind[12], dann weiß man auch endgültig, wem dieses Programm nützen soll. Es ist eine Bremse für den Klimaschutz, die den größten industriellen Verschmutzern (welche die INSM ja finanzieren) weitere Verschnaufpausen bescheren soll. Leider ist dieses Verschnaufen höchst klimarelevant. Man überlege sich also gründlich, ob man solchem „Freiheit“-Gesäusel (26, 28 und öfter) und „Markt“-Geklingel (58 und öfter) wirklich auf den Leim gehen möchte.


Nachweise
 

[1]             https://eike-klima-energie.eu/?s=FDP

[2]             https://www.vernunftkraft.de/?s=fdp

[3]             https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-06/FDP_Programm_Bundestagswahl2021_1.pdf  Alle Zitate aus dem Programm stammen aus dieser Quelle. Seitenzahlen werden im Text in Klammern nachgewiesen.

[4]             https://de.wikipedia.org/wiki/Eisenbahnunfall_von_Ladbroke_Grove

[5]            Bernhard Knieriem: Politiker im Gleis. In: der Freitag Nr. 26, 1.7.2021

[6]             https://www.bild.de/geld/wirtschaft/wirtschaft/kostet-benzin-bald-2-euro-pro-liter-spritpreis-schock-76595006.bild.html

[7]             https://de.wikipedia.org/wiki/EU-Emissionshandel

[8]            http://www.klimaretter.info/politik/hintergrund/19425-emissionshandel-betrug-auf-kosten-des-klimas 

[9]            Z.n. https://www.sfv.de/artikel/freiheit_der_maerkte_oder_zukunft_der_menschheit

[10]             https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/BTWP21_Entwurf_Vorsitzende.pdf

[11]             https://www.sfv.de/die-insm-laeuft-sich-warm-fuer-die-wahlbeeinflussung

[12]            https://www.insm.de/fileadmin/insm-dms/downloads/130919_Emissionshandel.pdf