Eigentlich war die Entstehung unseres Nahwärmenetzes ganz einfach: Im Dorf gab es 3 landwirtschaftliche Betriebe mit Biogasanlagen. Diese Anlagen lieferten vor Jahren rund um die Uhr gleichmäßig Energie ins öffentliche Stromnetz. Die Abwärme der Kraft-Wärme-Kopplung wurde nur zu einem kleinen Teil zur Aufrechterhaltung der Biogasherstellung benötigt. Der Rest ging über Kühler ins Freie. Da war es nicht verwunderlich, dass einer der Biogas-Betreiber 2009 einen Versuchsballon steigen ließ und in einer Bürgerversammlung die Anfrage stellte, ob sich nicht jemand aus dem Dorf um die Nutzung der Abwärme als Gebäudeheizung kümmern will. Beispiele aus den Nachbardörfern mit kleineren Netzen gab es schon. Das Meinheimer Netz würde genauso, nur größer. Ich sah die Aufgabe einfach nur als nötig an, also habe ich mich gemeldet.


Gemeinsam mit ein paar anderen haben wir die ersten Eckpunkte in einem Arbeitskreis besprochen. Im Vorfeld wurden alle weiteren Energieerzeugungsarten recherchiert und kalkuliert, mit dem Ergebniss, dass es keine günstigere Alternative zur Abwärmenutzung der Biogasanlagen gab.


Der Weg zum Wärmenetz


In das neue Wärmenetz sollten alle drei Betriebe einspeisen können (am Ende waren es nur zwei Betriebe). Es sollten alle Gebäude erreicht werden können. Das Rohrleitungsnetz soll einen möglichst guten Wirkungsgrad erreichen, denn: ein hochwertiges Netz kostet nur einmal in der Anschaffung! Daher legten wir Wert auf gute Isolierungen, ein geregeltes Netz, sparsame Pumpen. Unser Ziel: Hydraulischer Heizungsabgleich aller Haushalte (die größte Herausforderung!) Große Spreizung zwischen Vorlauf und Rücklauf von 30° C, besser mehr. Netztemperatur Tmax = 65°C bis 75 °C, besser weniger.


Die Organisationsform unserer Wahl wurde die Genossenschaft. Die erste Info- Versammlung (von insgesamt sieben) wurde vorbereitet, und eine Datenerhebung wurde gestartet. Zur Finanzierung der ersten Planungsausgaben wurden 100 Euro von jedem Anschlusswilligen abverlangt. Bei Antragsrücknahme verblieb die Anzahlung bei der Genossenschaft. 

 

Welche Widerstände und Probleme gab es? 


Die meisten Probleme, die uns begegneten, waren nicht technischer, sondern menschlicher Natur. Zum einen war da der Egoismus der Anschlussnehmer:innen. Viele versuchten, für sich eine „Sonderlösung“ durchzusetzen, die vor allem einen persönlichen finanziellen Vorteil bringen sollte. Nach dem Motto: "… bau Du mal dein Netz, dann denk ich über den Anschluss nach …" wurde versucht, das Risiko auf die Organisatoren des Projekts abzuwälzen. Dazu kam der Neid; weil die Biogasbetriebe im Ort durch den Anschluss der Anwesen Geld verdienen und andere dafür zahlten. Für einige war das ein unüberwindbares Hindernis (Mein Scheich wohnt nebenan; ist wohl nicht gewollt). Auch die Vermieter:innen waren wenig motiviert, ihre Mietshäuser und -wohnungen anschließen zu lassen: Wozu investieren, wenn der Mieter die Ölrechnung zu zahlen hat … 


Ein weiteres Problem waren die Förderbedingungen der Zuschussprogramme: Es sollte ein Saisonspeicher mit realisiert werden, aber die Förderbank zählte die Be- und Entladeverluste des Speichers als Netzverluste. Da die Stromvergütung für die Energieerzeuger aber an den Wirkungsgrad des Netzes geknüpft war, wäre diese erheblich geringer ausgefallen. Somit musste der Speicherbau bis zum Förderzeitende warten und mit einem Pelletkessel überbrückt werden.


Nun, der Arbeitskreis fand immer eine Lösung, die Vorkalkulation wurde immer mehr durch exaktere Berechnungen ersetzt. Es konnte aber nicht verhindert werden, dass sich Anschlusswillige abmeldeten, um später dann doch wieder mitzuwirken, ihre Anschlusspunkte verschoben oder andere Anschlussleistung wollten. Die tabellarische Abarbeitung aller 105 Anschlussnehmer und die damit verbundenen zahlreichen zeichnerischen Planänderungen wurden von mir vorgenommen, es entstanden dadurch keine Planungskosten. Die Genossenschaft Nahwärme Meinheim hatte am Ende eine möglichst kurze Trassenführung mit PLUS- Isolierung, die fast allen Wünschen entsprach. Der Rohrleitungsbau hatte während der Bauzeit dennoch einige Problemecken übrig, die z.B. durch den Einsatz des Bohrspülverfahrens bewältigt wurden. Der Wärmeverlust des Netzes blieb unter 20 Prozent.

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Abb 1 — Die isolierten Leitungen der Nahwärme müssen sich durch viele bestehende Netze zwängen (Telefon, Strom, … )  •


Was uns geholfen hat


Ein externes Planungsbüro hat mit technischem Wissen viele Fragen beantwortet. Auch die Nähe zum Sitz des Biogasanlagen-Herstellers erwies sich als vorteilhaft. Hier erhielten wir so viel Input über Heizkreiswasseraufbereitung, ohne die ein langjähriger Betrieb des Netzes unmöglich ist. Auch in der Gestaltung der Wärmezentrale und der Trassenführung waren diese Informationen richtungsweisend. Auch der Blick ins Ausland war nützlich, denn dort war das Erstellen von Nahwärmenetzen fortschrittlicher als in Deutschland. In Österreich fanden wir eine übergeordnete Steuerung für ein dynamisches Netz. 
Das Einverständnis aller Anschlussnehmer:innen, die Nahwärmeleitungen als Dienstbarkeit ins Grundbuch einzutragen, war eine große Hilfe. So werden z.B. von meinem Grundstück aus drei weitere Anschlussnehmer angeschlossen - denn jeder nicht gebaute Trassenmeter erhöht den Wirkungsgrad. Darüber hinaus hatten wir Glück mit der geographischen Ebenheit. Da der Höhenunterschied im Ort nicht allzu groß war, konnte ein Leitungsnetz aus Kunstoffrohren verbaut  werden. Ohne die hohe Förderung hätte das Projekt vermutlich dennoch nicht geklappt.


Ein wichtiger Faktor war die Transparenz: Wir verlegten die Arbeitskreissitzungen ins Wirtshaus. Damit konnte jeder Bürger und jede Bürgerin an den Sitzungen teilnehmen. Zusätzlich gestaltete ich eine umfangreiche Homepage, die über alle Sitzungen berichtete und technische Details beschrieb. Nach der Gründungsversammlung der Genossenschaft wurde 2011 dann ein geschlossener Mitgliederbereich eingerichtet. 


Wie der Betrieb der Anlage der Zeit angepasst wurde


Zu Beginn der Wärmeverteilung 2013 lieferten die Biogasanlagen rund um die Uhr eine gleiche Wärmeleistung. Diese war aber eigentlich tagsüber zu viel, in den Spitzenlastzeiten (Morgens und Abends) hingegen vor allem im Winter zu wenig. Die Pelletanlage musste nachfahren. Dann kam die Flexibilisierung der Biogasbetriebe; ab dieser Umstellung mussten die Biogasanlagen nach den Tagesschwankungen im Stromnetz gefahren werden. Glücklicherweise ist nun deren Betrieb auch dem Lastverhalten der Nahwärme angeglichener, dadurch konnte das Nachfahren des Pelletkessels verringert werden und letztendlich ganz „eingestellt“ werden. Eine weitere Flexibilisierung hin zur saisonalen Leistungsänderung steht noch an.  

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Abb 2 — Der Antrieb der Nahwärme. Zwei Pumpen fördern bis zu 21 m³/h Heizwasser. Der Mischer sorgt für einen regelbaren Vorlauf.  •
 

Fazit


Mit 3,7 Cent/kWh ist die Wärme auch nach zehnjährigem Betrieb konkurrenzlos günstig. Das haben nun auch alle anderen Haushalte im Dorf verstanden, denn nach Ablauf der zehnjährigen Förderzeit 2023 darf das Netz nun geändert werden. Es haben nun fast alle noch möglichen Grundstücke eine Anschlussanfrage gestellt. Ein Neubaugebiet ist gleich inklusive Nahwärmeanschluss entstanden. Ein weiterer Vorteil: wenig Technikkosten im angeschlossenen Haushalt (kein Kaminkehrer, Ofenbauer, Heizungswartung …)
Mit dem Nahwärmenetz konnte auch ein neues Glasfasernetz verlegt werden. Günstige Energie und eine gute Anbindung an die Welt der Daten sind für den ländlichen Raum zwei starke Trümpfe. Das Nahwärmesystem hat eine gute Betriebssicherheit, auch Änderungen sind bedingt möglich. 


Die Entwicklung ist nicht stehengeblieben, inzwischen geht es weiter bis hin zu den „kalten“ Nahwärmenetzen - mit jedem Grad weniger wird der Wirkungsgrad von Wärmenetzen besser. Durch diese anpassbaren Netze werden auch Großwärmepumpen, Warmwasser-Solarfelder und weitere Erneuerbare Energiearten für die meisten Lebens- und Arbeitsräume sinnvoll erschlossen.
 

Keine 100 % ige Energiewende ohne Wärmewende!