Seit 1967 interessiere ich mich dafür, wie unsere Welt lebenswert gestaltet werden kann. Ich habe mich damals für ein Theologiestudium entschieden und seit 1974 als Pfarrer versucht, Menschen zu einer liebenswerten Weltgestaltung zu ermuntern.

1971 bin ich durch die Veröffentlichung der „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome mit der Tatsache konfrontiert worden, dass unsere Weltgestaltung auch mit Grenzen zurechtkommen muss. Unsere Erde hat sehr Vieles, was wir nutzen, nur begrenzt zur Verfügung. Das betrifft auch unsere Energieressourcen. So wurde es für mich eine spannende Frage, was unser Umgang mit Energie mit dem christlichen Glauben zu tun hat.

Christliche Ethik fußt auf der christlichen Bibel. Dort steht nichts ausdrücklich von Energie, wie wir es in der gegenwärtigen Diskussion gebrauchen. Also Fehlanzeige? Ja und nein.

Ja, weil unser Energiebegriff dort nicht vorkommt. Und wenn von Kraft, Gewalt und Dynamik (also Energie) die Rede ist, dann ist meist ein geistiger Vorgang gemeint, oder es ist von der Kraft Gottes die Rede.

Fehlanzeige? Nein, weil ja auch die Menschen im biblischen Zeitalter Energie gebraucht haben, woher auch immer sie kam. Aber: Sie kannten unser Energieproblem noch nicht. Es standen noch nicht die fossilen und atomaren Rohstoffe zur Verfügung.

Insofern kann man sagen, die Bibel sagt uns nichts zu unserem ethischen Energieproblem. Was also tun? Es dabei bewenden lassen? Einem Theologen gäbe das keine Ruhe. Will er doch seinen Lebensstil an der biblischen Botschaft ausrichten. Deshalb wähle ich folgende Vorgehensweise:

  1. Energieversorgung gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen.
  2. Die Grundbedürfnisse des Menschen spielen in den 10 Geboten eine Rolle.
  3. Jesus durchschaut, dass es mit den 10 Geboten allein nicht getan ist.
  4. Die Geschichte des Christentums hat Anteil an der heutigen Energiekrise aber auch an deren Überwindung.
  5. Überlegungen dazu, wie es weitergehen könnte.

1. Energie gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen

Ich zähle zu den Grundbedürfnissen ernähren, schlafen, wohnen, Sinnvolles tun, in Beziehungen leben, alle Sinne betätigen, Freiheit genießen, sich einsetzen für…. Unsere Erde hat alles, damit diese Grundbedürfnisse befriedigt werden können. Es ist nur nicht mehr alles gut verteilt. Und dazu gehört auch die Energie. Nehmen wir nur das Bedürfnis nach Essen und Trinken. Hier gibt es Überfluss, dort gibt es Hunger und Durst. Weil Menschen nicht an Energie herankommen oder weil sie ihnen entzogen wird, hungern und dürsten sie. Auch weil ihnen Bildung vorenthalten wird. An dieser Stelle will ich nicht verschweigen, dass auch Religion an diesem Zustand Schuld hat.

Wenn nun die Erde alles hat, damit wir unsere Bedürfnisse befriedigen können, warum klappt es dann nicht? Hier kommen schwierige Überlegungen ins Spiel. Wenn wir nach dem Warum fragen, kommen wir nicht weiter. Wir können nur feststellen, dass es sich so entwickelt hat. Mehr zu haben als der Nachbar, macht offenbar Menschen glücklicher als genauso viel oder gar weniger. Und das Mehr muss verteidigt werden und womöglich noch vermehrt. Ich habe auch mehr, wenn der andere weniger hat. Offenbar ist das in uns angelegt. Die Bibel hat dafür Geschichten (der so genannte Sündenfall, Brudermord Kains an Abel). Und es hat sich in der biblischen Überlieferung herauskristallisiert, dass man mit dem Warum und der Schuldfrage nicht weiter kommt. Es kommt ein Vorschlag von „außen“. Deshalb:

2. Die Grundbedürfnisse des Menschen spielen in den 10 Geboten eine Rolle

Der Vorschlag von „außen“ heißt: Gott gibt den Menschen die 10 großen Freiheiten, wie es der Theologe Ernst Lange formulierte. Und die heißen: Du wirst …. Sie kennen sie sicher. Ich darf Sie noch auf das zweite biblische Gebot aufmerksam machen. Und was haben die mit der Energie zu tun? Fangen wir hinten an. 

Du wirst nicht begehren. Den begehrlichen Blick auf das, womit mein Nachbar sich erfreut, brauche ich nicht. Ich kann mich daran freuen, was ich habe und bin und daran arbeiten. Du wirst keine fake News verbreiten. Mit dem, was wirklich Fakt ist, hast du längere Beine.

Zugegeben, diese Formulierungen sind für manche gewöhnungsbedürftig, aber schon seit 65 Jahren gängige Erkenntnis der theologischen Wissenschaften. Natürlich, Kindern muss man erst einmal Grenzen zeigen. Aber im Erwachsenenalter entscheidet man doch hoffentlich selbst, was einem selbst und den Nachbarn gut tut. Und da ist es hilfreich, wenn ich sagen kann: „Du wirst dir doch nicht mit dem Begehren immer Misserfolge einhandeln. Du wirst doch dein Leben nicht auf Lügen aufbauen.“

Auf die Energie bezogen, würde ich formulieren: Ihr alle braucht Energie zum Leben. Enthaltet sie euch nicht vor und nehmt sie euch nicht weg. Behandelt sie so, dass sie für alle reicht.

An dieser Stelle muss ich auf eine verhängnisvolle Entwicklung in der Geschichte des jüdisch-christlichen Glaubens aufmerksam machen. In den Schöpfungsgeschichten gibt es zwei Stränge, die den Auftrag des Menschen im Rahmen der Schöpfung beschreiben. Im ersten Kapitel der Bibel heißt er: „Macht euch die Erde untertan!“ und im zweiten Kapitel (das das ältere ist): „Er setzte den Menschen in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Unstreitig hat sich der erste jüngere Auftrag in der Geschichte durchgesetzt. Warum eigentlich nicht der ältere? Weil das Jüngere immer besser ist?

Auf diesem Hintergrund erscheint ein sorgsamer Umgang nicht nur mit den Menschen, sondern auch mit allen anderen Geschöpfen, den Tieren, den Pflanzen, der Erde, den Bodenschätzen geradezu selbstverständlich. Das ist letztlich auch die Zielrichtung der 10 Gebote.

3. Jesus durchschaut, dass es mit den 10 Geboten allein nicht getan ist

Ein aufmerksamer Predigthörer weiß nun, dass Jesus die Gebote scheinbar verschärft. „Ihr habt gehört, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen. Ihr habt gehört, du sollst deinen Bruder lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch, Liebt eure Feinde.“ Jesus will damit aber nicht sagen, ihr müsst noch viel mehr leisten, (wenn ihr Gott gefallen wollt), wenn euer Leben gelingen soll, wenn euer Zusammenleben funktionieren soll, wenn ihr wirklich etwas Gutes für die Welt erreichen wollt. Sondern er sagt: Kehrt um und vertraut meiner guten Nachricht. (Mein Joch ist sanft und) meine Last ist leicht. Liebt, und euch wird Vieles gelingen. Habt Vertrauen, so groß wie ein Senfkorn, und ihr werdet Berge versetzen.

Für mich heißt das: Uns wird nicht die schwere Last auferlegt, die Erde retten zu müssen. Aber unser Handeln, das zu Schädigungen unserer Lebensgrundlagen beiträgt, wird von Jesus hinterfragt. Und er durchschaut die Menschen bis ins Innerste, es gibt keine Ausflüchte. Aber nach all dem brauchen wir den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern können anfangen mit dem kleinen Senfkorn, das zum großen Baum wird.

An dieser Stelle müsste ich eigentlich ausführlicher von der Sünde und ihrer Vergebung reden. Ich weiß, das ist unpopulär. Aber ich bin kein Populist. Ich denke, diese ganze Problematik führt uns zu des Pudels Kern. Wie stehen wir denn zu all den schlimmen Dingen, die wir ja letztlich mittragen (durch Unwissenheit, durch unseren Lebensstandard, durch unsere Schwäche usw.)? Reden wir uns heraus? Vergleichen wir uns mit denen, die noch viel schlimmer sind? Wer kann denn für die Folgen des vergangenen Handelns aufkommen? Wieviel Schuld haben wir an all den Verzögerungen, die jetzt immer noch geschehen? Warum gehen nicht reihenweise Kirchgemeinden auf die Straße (auf dem Papier 46 Millionen)?

Ich denke, das ist alles nur auszuhalten und zu schaffen, wenn einer weiß, mit meinem Gott kann ich über Mauern springen. Was das heißen kann, kommt im letzten Punkt.

4. Die Geschichte des Christentums hat Anteil an der heutigen Energiekrise aber auch an deren Überwindung

Christliche Ethik ist ja nicht eine Lehre im luftleeren Raum, sondern von Anfang an Gestaltung dieser Erde. Ich habe schon auf die beiden Schöpfungsgeschichten hingewiesen. Das zieht sich auch in der christlichen Geschichte durch. Grob kann man dabei sagen: Das Erde-Untertan-Machen war immer ein Argument der Mächtigen und der Mehrheit. Das Bebauen und Bewahren war immer ein Argument der Schwachen und Minderheiten. Fast alle vorwärtsweisenden Entwicklungen in der Geschichte des Christentums gingen von unscheinbaren Gestalten aus, die die Botschaft Jesu in ihrer Zeit revolutionär verkündeten und lebten.

Hildegard von Bingen, 1098-1179, hatte genügend Selbstbewusstsein, ihren Wissensdrang zu stillen, ihr Wissen gegen Widerstände einzusetzen und auch aus Unvollkommenheiten zu lernen. Franz von Assisi (Bruder Franziskus), 1181-1226, sah Sonne, Mond, Tiere, Pflanzen und Gesteine an wie seine Geschwister. Er sah seinen Reichtum als Hindernis und die selbstgewählte Armut als Chance, das Leben auf der Erde freundlich zu machen. Martin Luther, 1483-1546, wagte es, sich gegen die Hauptautoritäten seiner Zeit zu stellen und sein Gewissen darüber zu stellen. Dass er dann die weltlichen Autoritäten gewähren ließ, ist ein zweites Kapitel, das sich aber sofort einstellt, wenn ich will, dass die neuen Erkenntnisse vorangetrieben werden. Die Frage ist, wieviel dann vom Ursprungsgedanken aufgegeben wird. All diese Menschen sind mit ihrem Gott über Mauern gesprungen.

5. Meine Schlussfolgerungen

Worin besteht das Problem? Unsere herkömmliche Energieerzeugung und unsere herkömmlichen Verbrauchsgewohnheiten kommen an ihre Grenzen. Die 6 Gründe gegen herkömmliche Energien. 

  1. Sie sind endlich. 
  2. Sie sind gesundheits- und umweltschädlich.
  3. Sie müssen mit viel Energie transportiert werden. 
  4. Sie machen uns abhängig von den Exportländern.
  5. Sie machen uns abhängig von Großkonzernen. 
  6. Und sie verändern das Klima auf der Erde.


Diese Dinge als Problem wahrzunehmen, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Und dann sind mein Interesse, mein Informationswillen und mein Durchhaltevermögen gefragt. Doch da meldet sich das andere Problem. Es ist dem Ersten gleich. All diese Gründe gegen herkömmliche Energien kann man leugnen. Beispiele dafür gibt es genug. Und jetzt muss sich bewähren, ob meine Erkenntnisse gegenüber den Leugnern standhalten. Jetzt darf ich die Auseinandersetzung nicht scheuen. Das ständige Gegenhalten-Müssen strengt an und macht müde. Jetzt kann ich nicht sagen: „Macht nur so weiter, ihr werdet schon sehen.“ Es geht ja auch mich an.
Auch das Verwirrspiel mit den Zahlen kann mich mürbe machen. Welche Interessen stecken hinter welchen Informationen? Und schließlich finde ich es doch seltsam, dass wir schon so viel wissen und immer noch nicht dementsprechend handeln. Liegt es vielleicht daran, dass wir die Folgen unseres Tuns und Lassens selbst nicht mehr erleben werden?
Vor diesen Fragen und Informationen darf ich nicht die Ohren verschließen. Auch hier ist wieder Durchhaltevermögen nötig.

Wenn ich nun weiß, dass unsere herkömmlichen Energien endlich, schädlich und zu teuer sind, dann ist mein Handeln gefragt. Ich sehe mich aufgefordert, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Es geht mit einer Energiepolitik, die das ermöglicht. Also unterstütze ich dieses Vorhaben.

Wenn ich nun weiß, dass Gott seine Sonne über Gute und Böse scheinen lässt und ihnen auch Regen zugedacht hat, dann ist mein Handeln gefragt. Ich sehe mich aufgefordert, die Abhängigkeiten von Zwischeninstanzen zwischen Sonne, Regen und mir abzubauen. Alle Vorhaben, die darauf abzielen, unterstütze ich.

Wenn ich nun weiß, dass höchstwahrscheinlich ein „weiter so!“ die Lebensgrundlagen vieler Menschen, Tiere und Pflanzen zerstört, dann ist mein Handeln gefragt. Ich sehe mich aufgefordert, den Klimawandel ernst zu nehmen und die Bemühungen, ihn zu stoppen, zu unterstützen.

Und wenn ich dann merke, ich bin mit all dem nicht allein, da gehen noch Viele mit, dann bleibt mir nur eins zu sagen: WAHNSINN. Ja, es gibt den ganz normalen Wahnsinn. Wir Ostdeutschen haben ihn schon einmal erlebt: Am 9. November 1989. Da hat ein lange aufgestautes Bedürfnis und ein Sich-ständig-Reiben an der Wirklichkeit etwas Unvorstellbares hervorgebracht: Ein starker Koloss ist in sich zusammengefallen.

Ja, ich weiß, auch neue Kolosse stehen wieder auf. Doch wir wissen, wenn sie sich dem Leben entgegenstellen, werden sie eher zusammenbrechen als wir es vermuten. Der Koloss der herkömmlichen Energieerzeugung wird zusammenbrechen. Setzen wir auf Sonne, Wind und Wasser. Unsere Erde hat genug davon.

Christian Fleischer

Autor:

Christian Fleischer

1948 in Reichenbach (Vogtland) geboren, Abitur mit Elektromontageschlosser, Theologiestudium in Leipzig und Berlin, 1976-88 Pfarrer in Penig (Sachsen), 1988-2003 in Rostock (Mecklenburg) und 2003-2011 in Pirna (Sachsen). Seit 2012 im Ruhestand in Bad Dürkheim (Rheinland-Pfalz). In dieser Zeit Mitglied der Prokon eG, des Runden Tisches Erneuerbare Energien (Köln) und des Klimabündnisses Dürkheim.