Warum brauchen wir CO2-Rückholungen?

 

Seit Beginn der Industrialisierung hat sich der CO₂-Gehalt in der Atmosphäre von 280 ppm (parts per million) auf ca. 420 ppm erhöht.[1] Die Ursache dafür ist der menschliche Lebensstil, insbesondere die fossile Energiegewinnung. Die Folge: Ein verändertes Klima auf der Erde. Dieses zeigt sich zum einen durch steigende Durchschnittstemperaturen. Zum anderen aber auch durch stärkere Temperaturschwankungen und häufigere Extremwetterereignisse wie Stürme, Dürren, Hitze oder Starkregen. Für das Jahr 2020 wurde bereits eine Klimaerwärmung von 1,2°C festgestellt. Wenn wir weiter ungebremst CO₂ in die Luft blasen, ist bis 2100 mit einer Erderwärmung von rund 3,5 bis 5,7 Grad zu rechnen - mit drastischen Folgen für Mensch und Umwelt (Szenario „RCP8.5“ des Weltklimarates IPCC). [2] Um dies zu verhindern und den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, müssen wir den Gehalt an Treibhausgasen in der Atmosphäre strikt begrenzen und deutlich unter das heutige Niveau senken. Hierfür stehen grundsätzlich drei Säulen zur Verfügung, die wir in einer Einheit benötigen:

  1. Emissionsminderung durch Energieeinsparung und -suffizienz
  2. 100% Erneuerbare Energien für Strom, Wärme und Verkehr
  3. Aktiver CO₂-Entzug (Carbon Dioxide Removal)

Die erste und zweite Säule sind bereits lange Bestandteil der politischen und öffentlichen Diskussion. Die Umsetzung dieser beiden ersten Säulen ist weiterhin dringend und prioritär angesagt, wenn nun auch aus folgenden Gründen der aktive CO₂-Entzug hinzu kommt:

  • Es werden Restemissionen bleiben, selbst mit 100%      Erneuerbaren Energien und starker Emissionsminderung, z.B. im Sektor Landwirtschaft
  • In vielen Sektoren - insbesondere im Sektor Gebäude und Verkehr - verläuft die Dekarbonisierung schleppend. Nach heutigem Stand werden Klimaziele dort sehr wahrscheinlich verfehlt. Die dort verpassten Emissionsreduktionen müssen nachgeholt werden.
  • Nach dem jüngsten Bericht des IPCC aus diesem Sommer wird die 1,5-Grad-Grenze viel früher erreicht als zuvor angenommen - möglicherweise bereits 2030 oder kurz darauf. Um unkontrollierbare Kipp-Effekte im Klimasystem zu vermeiden, muss der CO₂-Gehalt in der Atmosphäre möglichst bald gesenkt werden.

 

Was bedeutet Klimaneutralität?

 

Es ist dem Erfolg der Klimaklagen zuzuschreiben, dass die Bundesregierung das deutsche Klimaschutzgesetz nachschärfen musste. Dieses Gesetz sieht vor, dass Deutschland im Jahr 2045 klimaneutral und nach 2050 treibhausgasnegativ sein muss [3]. (Anmerkung: Aus wissenschaflichen Gründen fordert der SFV Klimaneutralität bereits für das Jahr 2030. In diesem Text beziehen wir uns dennoch auf die regierungsseitig vorgegebenen Zahlen).

Dabei bedeutet Klimaneutralität das Erreichen eines Gleichgewichts zwischen den anthropogenen (menschengemachten) Emissionen und deren Entfernung aus der Atmosphäre. Nicht vermeidbare Restemissionen - die sogenannten Residualemissionen - z.B. aus der Landwirtschaft oder aus bestimmten Industrieprozessen - müssen also in mindestens ebenso großer Menge Treibhausgase der Atmosphäre wieder entnommen werden. Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat im Oktober 2021 ein Kurzgutachten “Aufbruch Klimaneutralität” [5] veröffentlicht, welches der neuen Bundesregierung als wissenschaftliches Fundament dienen soll. Hier ermittelt sie Residualemissionen in einer Höhe von jährlich 60 bis 70 Mt CO₂-Äquivalenten, die nach umfassender Dekarbonisierung übrig bleiben werden.

Darüber hinaus benötigen wir noch weitere Rückholungen in großem Maßstab, weil bereits der heutige CO₂-Gehalt in der Atmosphäre zu hoch für ein menschenverträgliches Klima ist.

Emissionsreduktionen allein sind nicht ausreichend, um Klimaneutralität zu erreichen. Wir brauchen zusätzlich aktiven CO2-Entzug.

Wie kann eine solche CO2-Rückholung aussehen?

 

Grundsätzlich kann CO₂-Rückholung entweder durch natürliche oder technische Prozesse erfolgen. Ozeane, Wälder, Böden oder Moore (u.a.) können große Mengen Kohlenstoff aus der Atmosphäre ziehen und speichern. Solange ihr Kohlenstoffspeicher wächst, gelten sie daher als natürliche Kohlenstoffsenken. Das Senken-Volumen einiger dieser natürlichen Kohlenstoffsenken kann und soll künftig gesteigert werden - zum Beispiel durch auf Klimaschutz ausgerichtetes Wald- und Bodenmanagement. Während Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Senken wichtig und nötig sind, werden die vorraussichtlichen Residualemissionen von 60-70 Mt nicht allein durch natürliche Senken ausgeglichen werden können.

Es bedarf daher zusätzlich sogenannter Negativ-Emissionstechnologien (NETs) um die Residualemissionen auszugleichen und perspektivisch die atmosphärische CO₂-Konzentration zu senken. Nach heutigem Sachstand gibt es sechs NETs um CO₂-Rückholung mit relevantem Potenzial und beherrschbarem ökologischen Risikoprofil zu betreiben. Dazu zählen:

  • Pflanzenkohle / PyCCS
  • Humusaufbau
  • (Wieder-) Aufforstung
  • beschleunigtes Verwittern von Gesteinen
  • DACCS, also die direkte Abscheidung und Speicherung von Luftkohlenstoff
  • BECCS, Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -Speicherung. [7]

 

Die Entnahme des CO₂ aus der Atmosphäre erfolgt hier teilweise auch über die Biomasse (Humusaufbau, Aufforstung, Pflanzenkohle, BECCS), über chemische Prozesse (Gesteinsverwitterung) oder chemisch/technisch, durch die direkte Abscheidungs des CO₂ von der Umgebungsluft (DACCS). Auf Seite 26f. in diesem Solarbrief haben wir alle Techniken in einer Übersicht dargestellt. Für alle NETs gilt: genauso wichtig wie die aktive CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre ist die sichere und dauerhafte Speicherung des Kohlenstoffs über einen möglichst langen Zeitraum.

Keine NET alleine kann das notwendige Volumen an CO₂-Rückholung bereitstellen. Vor dem Hintergrund der drängenden Klimakrise werden wir alle sechs NETs benötigen. Aktuell weisen die Technologien noch unterschiedliche Entwicklungsgrade auf, die vom Pilotprojekt bis zur marktreifen Technologie reichen. Davon lässt sich ableiten, dass sich auf der Zeitskala jeweils unterschiedliche NETs bevorzugt anbieten. Jetzt sofort umsetzen lassen sich drei Lösungen: Aufforstung/Wiederaufforstung, Pflanzenkohle/PyCCS und Humusaufbau  (Aufbau bodenorganischer Substanz). Sie ermöglichen kurzfristig ein relevantes Volumen, sind kosteneffizient und bringen neben dem Klimanutzen auch einen Zusatznutzen mit: Bei guter Umsetzungspraxis zeigen alle drei Lösungen überwiegend klar positive Auswirkungen auf die Ökosysteme. Alle sechs Negativ-Emissionstechnologien gilt es weiterzuentwickeln und geeignete Anwendungen zu finden.

 

Vermeidung von Emissionen ist unumgänglich. Rückholung braucht es zusätzlich.

 

Wir haben heute technologisch alle Lösungen in der Hand, um die Emissionen um 90 bis 95% zu reduzieren [8]. Die Emissionsreduktion allein ist jedoch nicht ausreichend, um Klimaneutralität zu erreichen. Wir brauchen zusätzlich einen aktiven CO₂-Entzug. Dabei ist das Erschließen der CO₂-Senken eine notwendige Ergänzung zum Erreichen der Klimaneutralität und kein Ersatz für die Vermeidung von Emissionen. Alle CO₂-Senken sind in ihrer Kapazität begrenzt - z.B. durch einen potenziell hohen Energieverbrauch, Verfügbarkeit von Biomasse/Landnutzungsrechten, potenzielle Umweltauswirkungen, mangelnde Permanenz der Speicher oder Vorhandensein von sicheren, geologischen Speichermöglichkeiten. Nur wenn wir so konsequent wie möglich Emissionen reduzieren, reicht das Potential der C-Senken aus, um Klimaneutralität zu erreichen. Dabei ist die Dekarbonisierung unserer Wirtschafts- und Lebensweise von höchster Priorität: Die Vermeidung von Emissionen, ein ambitionierter Ausbau von erneuerbaren Energien und die Umstellung auf direkte Stromnutzung in allen Bereichen (Strom, Wärme, Verkehr) sind alle gleichermaßen unverzichtbar. Weiter CO₂ in die Luft zu blasen - mit der Erklärung: „wir holen es ja wieder zurück“ gleicht einem Ablasshandel und führt dazu, dass wir das 1,5 Grad-Ziel verfehlen.

© ©EBI basierend auf Conte, P. (2021) Recent Developments in Understanding Biochar’s Physical-Chemistry

Abb 1: Entwicklung der CO2-Emissionen in einem 1,5°C kompatiblen Szenario. © Peters_Glen, Budget: IMAGE SSP2 RCP1.91


Die obige Abbildung zeigt den Weg zur Klimaneutralität auf. Dabei verdeutlicht sie nochmals folgende Punkte:

  • Schon heute ist Klimaneutralität nur noch mit CO₂-Rückholung möglich.
  • Je schneller wir die Emissionen senken, desto weniger sind wir von der CO₂-Rückholung abhängig.
  • Erst dann, wenn wir mehr Senken schaffen, als wir Emissionen verursachen, gelangen wir in den Bereich von “klimapositiv” und der globalen Abkühlung. Diesen Punkt erreichen wir voraussichtlich frühestens in 20 Jahren  (Abb. 1).

Solarbrief zum Schwerpunkt "CO2-Rückholung"

 

Die Solarbrief-Ausgabe 3/21 hat das Schwerpunkt-Thema "CO2-Rückholung". Darin stellen wir sechs Negativ-Emissionstechnologien und zwei dazugehörige Speicher in Kürze vor: Wir beschreiben die Funktionsweise, den Stand der Marktreife und zeigen Potenziale und Grenzen auf. Da die Pflanzenkohle/PyCCS vermutlich als erste NET bereit ist, einen wesentlichen, langfristigen Beitrag zu leisten, werden wir sie nochmals gesondert darstellen. Im Interview mit Hannes Jungiger-Gestrich besprechen wir das Thema Senkenökonomie und neu aufkommende Senkenzertifikate. Auch auf die natürlichen Senken gehen wir ein. Die Wiedervernässung von Mooren zeigt das höchste Minderungspotenzial pro Flächeneinheit auf. Daher legen wir den Fokus im Solarbrief auf die Moore. Und natürlich geben wir auch Einblick in die umfangreichen Diskussionprozess innerhalb der Redaktion zum Thema: Im Artikel „Es geht nicht um das Ob. Es geht um das Wie" haben wir uns der breiten Palette politischer Fragen gestellt.

Daneben stehen weitere Lösungsansätze wie Ocean fertilization, Artificial Upwelling oder Solar Radiation-Management. Sie weisen entweder zu wenig Potenzial oder ein problematisches ökologisches Risikoprofil auf. Hier geben wir ebenfalls einen kleinen Einblick und schauen uns das Thema Solar Radiation Management an. Mit dem Artikel “Eiszeit der Technokraten”  werfen wir einen Blick zurück: denn Ideen wie riesige kosmische Sonnenspiegel kommen immer wieder vor. Es lohnt durchaus, die Geschichte der Ideen zu kennen, um die aktuellen Vorschläge der Klimarettung durch Geoengineering - wie z.B. Solar Radiation Management - einordnen zu können.

Klingt das interessant?
Unsere Mitglieder und Solarbrief-Abonnent:innen erhalten ihren Solarbrief Mitte Dezember per Post. Möchten Sie ein kostenfreies Exemplar Probe lesen? Dann senden Sie uns einfach eine Mail an zentrale@sfv.de

Quellen

 

[1] https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/atmosphaerische-treibhausgas-konzentrationen#kohlendioxid
[2] https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/reklies-de-zukuenftige-klimaentwicklung-in-deutschland
[3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/faq-klimaschutz-1946898
[4] [5] Deutsche Energie-Agentur GmbH (Hrsg.) (dena, 2021). „dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“
[6] Kopernikus-Projekt Ariadne (2021): Ariadne-Report - Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 - Szenarien und Pfade im Modellvergleich. https://doi.org/10.48485/pik.2021.006
[7] https://www.ipcc.ch/sr15/chapter/glossary/
[8] http://www.biochar-industry.com/wp-content/uploads/2020/09/Whitepaper_Pflanzenkohle2020.pdf