Im nachfolgenden Interview haben wir Rechtsanwältin Dr. Christina Bönning-Huber zur Rechtslage bei negativen Strompreisen befragt und zur Diskussion gestellt, welche Einnahmerisiken für Betreiber:innen von Solaranlagen, insbesondere aber für Bürgerenergieanlagen bestehen.

Hintergrund

Negative Strompreise entstehen, wenn an der Leipziger Strombörse mehr Strom angeboten als nachgefragt wird. Als Hauptverursacher werden häufig Wind- und Solarenergieanlagen benannt, die an immer mehr Tagen im Jahr hohe Einspeisemengen erzielen. Aber auch die mangelnden Flexibilitäten von Fossil- und Atomkraftwerken sowie der unzureichende Ausbau von Speicherkapazitäten für Erneuerbare tragen zu negativen Strompreisen bei.

Laut dem Bundesverband Erneuerbare Energien wurden im Mai 2024 insgesamt 78 Stunden mit negativen Strompreisen festgestellt, deutlich mehr als im April mit 50 Stunden. Vergleicht man die Zahlen mit dem gesamten Jahr 2023 (mit insgesamt 301 Stunden), ist eine steigende Tendenz erkennbar.

Der Gesetzgeber sieht in § 51 EEG vor, dass der anzulegende Wert nach dem EEG Null beträgt, wenn für einen bestimmten Zeitraum von aufeinanderfolgenden Stunden der Spotmarktpreis negativ ist. 2023 musste für die Null-Zahlung vier aufeinanderfolgende Stunden lang der Spotmarktpreis negativ sein. 2024, 2025 reichen schon drei aufeinanderfolgende Stunden, 2026 schon zwei aufeinanderfolgende Stunden. Ab 2027 reicht eine einzige Stunde negativer Strompreis aus.

Dr. Christina Bönning-Huber

© Kanzlei Bönning | Dr. Christina Bönning-Huber berät und vertritt Mandanten im Bereich des Bau-, Energie-, Immobilien und Verwaltungsrechts. Sie ist bereits seit 25 Jahren Mitglied des SFV und unterstützt uns in Bezug auf Verbraucherschutz.

Frau Dr. Bönning-Huber, im EEG 2023 findet man eine gesetzliche Regelung zur Reduzierung der Vergütung für Solarstrom bei negativen Strompreisen. Wer ist betroffen?

Betroffen sind PV-Anlagen mit einer installierten Leistung von mehr als 400 kWp, wobei zur Bestimmung der Anlagengröße § 24 Abs.1 EEG anzuwenden ist. Es werden also Anlagenleistungen zusammengefasst, die innerhalb von 12 Kalendermonaten auf demselben Grundstück, demselben Gebäude, innerhalb desselben Betriebsgeländes oder sonst in unmittelbarer räumlicher Nähe in Betrieb gegangen sind.

Außerdem geht es um alle Anlagen, die seit dem 01.01.2023 in Betrieb genommen werden, sowie um Ausschreibungsanlagen, wenn der Zuschlag in einem Gebotstermin ab dem 01.01.2023 ermittelt wurde. Wichtig: Das Streichen der Vergütung schon bei einer Stunde negativem Strompreis ab 2027 wird auch für die Anlagen relevant, die 2023 in Betrieb genommen werden und jetzt unter die Regelung fallen.

 

Wie hoch schätzen Sie die Einnahmeverluste insgesamt ein? Haben Anlagenbetreiber:innen einen Anspruch auf vollständigen Ausgleich?

Nein, ein vollständiger Ausgleich erfolgt nicht. Bislang geht der Gesetzgeber in § 51 a EEG davon aus, dass es einen wirtschaftlichen Ausgleich erst einmal gar nicht gibt. Nur bei den Ausschreibungsanlagen wird der Förderzeitraum entsprechend verlängert. Allerdings kann das auch dazu führen, dass Sonnenstunden in Regenzeiten verlängert werden. Bsp.: In dem Jahr 2025 würde in den Zeiten von 11:00 Uhr bis 14:00 Uhr an 10 Tagen im März 3 Stunden am Stück der Preis negativ sein. Das sind dann in Summe 30 Stunden. Das sind 1 Tag (24 Stunden) und 6 Stunden. Nach § 51 a EEG bekomme ich dann den Förderzeitraum um 2 Tage verlängert. Wenn ich an sich eine Förderung z.B bis zum 30.11.2044 bekommen hätte, dann führt die Verlängerung dazu, dass die vermutlich sonnen- und ertragsreichen Stunden an 10 Tagen im März über die Mittagszeit meine Förderung am 01.12. und 02.12. verlängern. Vermutlich wird aber der Ertrag am 01.und 02.12. deutlich schlechter sein als an den 10 Tagen im März 2025 in der Zeit von 11:00 und 14:00 Uhr. Einige meiner Mandanten haben mal hochgerechnet und gehen aktuell von Verlusten aus, die die Rendite auffressen würden. Grundlage der Kalkulation waren die aktuellen Börsenpreise und die Auswirkungen bei bereits einer Stunde negativem Strompreis. Es wird also kaum ein Zubau erfolgen, wie wir ihn uns wünschen. Erst recht, wenn auch zu allen Zeiten – also ohne Zwischenspeicherung – eingespeist wird, so dass es immer wieder mittags zu einem Überangebot kommen wird.

 

Die Bedingungen zur Auszahlung von Vergütungen bei negativen Strompreisen sollen in den nächsten Jahren verschärft werden. In einem Strategiepapier für eine "Wachstumsinitiative" kündigt die Ampelregierung sogar an, sukzessive Anlagen ab 25 kW in die verpflichtende Direktvermarktung zu führen. Gibt es auch hier Konsequenzen, da diese Anlagen auch mit Einrichtungen zur Regelbarkeit ausgestattet sein müssen?

Nein, die verpflichtende Direktvermarktung hat bislang keinen unmittelbaren Einfluss auf dieses Thema. Denn der Gesetzgeber sieht auch heute bei Anlagen über 100 kW eine verpflichtende Direktvermarktung vor, aber keinen Auszahlungsverlust der Vergütung bei negativen Preisen. Da ist aktuell die Grenze bei 400 kW. Anlagen bis 400 kW erhalten also weiterhin den anzulegenden Wert, auch bei negativen Strompreisen.

 

Welche Auswirkungen kann die gesetzliche Regelung auf den Ausfall der Zahlung beim Anlagenbetreiber haben?

Aktuell ist die Regelung mit den Auswirkungen noch eher zurückhaltend. Denn drei Stunden negativer Preis schlagen nur bei den Anlagen zu, die seit dem 01.01.23 als Nicht-Ausschreibungsanlage in Betrieb gegangen sind. Aber die ersten Mandanten haben schon mitgeteilt, dass Banken sich aus diesem Bereich zurückziehen wollen, oder die Kreditvergabe nur bei deutlich höheren Eigenmitteln bzw. zusätzlicher Absicherung der Darlehen erfolgt. Einige Mandanten haben auch berichtet, dass Investoren sich getäuscht fühlen, weil ihnen diese Unsicherheit nicht bewusst war und viele Investoren der letzten Jahre aktuell nicht in PV investieren wollen.

 

Wieso kommt es dazu?

Es ist verständlich, dass die Zahlung einer Vergütung für Strom, der in dem Moment keinen Wert hat, problematisch ist. Allerdings waren die Erfolge des EEG auch darin begründet, dass der Investor Investitionssicherheit bekommen sollte. Die Bank gibt Kapital und der Investor investiert teils durch ein ihn belastendes Darlehen und teils durch das Aufbringen von Eigenmitteln, weil er davon ausgehen konnte, dass er mit recht hoher Wahrscheinlichkeit bei ordentlichem Material und korrekter Montage einen Betrag x bekommen wird. Es wurde in Anlagen investiert, weil es zwar durchaus ein paar Jahre dauert, bis mehr Einnahmen als Ausgaben eingegangen sind, aber eine realistische Chance besteht, dass dies passiert und ein Gewinn entstehen wird. Der Betrag x wurde ermittelt durch den anzulegenden Wert nach dem EEG und die zu erwartende Stromerzeugung in Durchschnittsjahren. Jetzt muss dieses Ergebnis mit einem erheblichen Faktor versehen werden, weil zwar die Anlage in einem Durchschnittsjahr z.B. 958 kWh/kWp erzeugen wird, aber möglicherweise eben diese 958 kWh nur zu 90 % vergütet werden. Die Unsicherheit belastet die Freigabe der Mittel durch die Banken, denn diese bekommen durch die Abtretung der Vergütungszahlungen eine schwächere Absicherung ihres Darlehens. Es ist nun schon mehrfach erfolgt, dass Banken nur dann einen Kredit gewähren, wenn der Eigenanteil deutlich erhöht wird, Immobilien als zusätzliche Sicherheit gegeben werden oder andere sichere Finanzierungsmöglichkeiten gegeben sind. n vielen Fällen ist der Bank nicht daran gelegen, dass der Kunde seinen Kredit nicht zurückzahlen kann. Banken verdienen Geld, indem sie Geld verleihen und dies dann auch wieder mit Zinsen zurückbekommen. Soweit also zu befürchten ist, dass der Investor den Kredit schlecht zurückzahlen kann, ist die Bank schon eher abgeneigt.

Es kommt also zu einer Verkleinerung des potentiellen Kreises der Investoren. Wer ausreichend Vermögen hat, kann die geforderte Sicherheit bieten bzw. braucht keinen Kredit. Gleichzeitig führt die unsichere Aussicht auf die Rendite zu weniger Interesse an einer Investition.

 

Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer? Mit welchen Einnahmeausfällen müssen Bürgerenergiegemeinschaften rechnen?

Gewinner dürfte es gar keine geben. Die Risiken sind für alle da, wobei die Zuschlagsanlagen wenigstens durch die Verlängerung des Förderzeitraums Vorteile haben. Bei einer Bürgerenergiegesellschaft bedeutet es aber nun, dass der Vorteil, mit einer Anlage mit bis 6 MW nicht in die Ausschreibung zu müssen, ein erhebliches Risiko birgt.

 

Welche gesetzlichen Regelungen sind Ihrer Meinung nach zwingend notwendig, um private Investor:innen und Bürgerenergieprojekte zu schützen?

Dem Gesetzgeber muss klar sein, dass er nicht bei Anlagen durch eine höhere Vergütung Anreize schaffen kann, wenn er gleichzeitig die Interessenten durch die Unsicherheit bei der Einnahmenhöhe und teurere Kredite wieder belastet. Das bringt dann nichts. Es sei denn, man möchte, dass im Wesentlichen nur noch Energieversorger und besonders vermögende Investoren investieren. Der EU-Gesetzgeber hat es offengelassen, wie dem Anlagenbetreiber die Verluste wieder zurückgegeben werden. Auf jeden Fall müssen Verlustzeiten durch andere Vorteile möglichst zeitnah ausgeglichen und eine verlässliche Größe geschaffen werden, mit der wieder auf der Habenseite gearbeitet werden kann.

 Wir danken Ihnen für dieses Interview.