Diskussion Blickwinkel: Gesetze brechen oder vor Gericht ziehen?
Vor Gericht ziehen oder Gesetze brechen?
Ende Gelände geht mit tausenden Menschen direkt an die Orte der Klimazerstörung. Hier blockieren wir z.B. die Kohle- oder Gasinfrastruktur mit unseren Körpern. Das ist ein Gesetzesbruch und den begehen wir absichtlich und bewusst. Denn allen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen, stellt sich früher oder später die Frage mit welcher Strategie und Taktiken die eigenen Ziele erreicht werden sollen. Vor Gericht zu ziehen oder Gesetze zu brechen, sind nur zwei von vielen Möglichkeiten. Ende Gelände hat sich für letztere entschieden.
Diese, durch uns angekündigte, rechtswidrige Form von Protest, nennt sich „Ziviler Ungehorsam“. Mit einer symbolischen, aber auch disruptiven Aktion machen wir auf größere Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft aufmerksam, üben Druck auf die Politik aus und stoßen im besten Falle einen Veränderungsprozess an. Die Aktionen sind „zivil“ also ausdrücklich gewaltfrei anderen Menschen gegenüber. Ziviler Ungehorsam für mehr Klimaschutz, dazu gehören die Schulstreiks von FFF genauso, wie Baumbesetzungen gegen Autobahnen oder sich die eigenen Händen an den Asphalt zu kleben. Die Taktik von Ende Gelände ist, diese Protestform massentauglich zu machen und direkt gegen fossile Infrastrukturen einzusetzen. We shut shit down – wenn auch nur für kurze Zeit.
Aber warum Gesetze brechen, wenn wir Klimagerechtigkeit auch legal vor Gericht erstreiten könnten? Der offizielle Rechtsweg hat einen Vorteil: bei Erfolg gibt es eine juristisch anerkannte und demokratisch legitimierte Entscheidung, die zumindest im Prinzip umgesetzt werden muss. Derzeit laufen weltweit etwa 500 klimabezogene Klagen; in der Vergangenheit hatten immerhin ein paar Erfolg. Ganz abgesehen davon, dass Klimaschutz vor Gericht einzuklagen viel zu lange dauert und für die meisten von uns nicht bezahlbar ist, hängt der Erfolg auch von kompetenten und motivierten Anwält:innen, wohlgesonnen Richter:innen und einer günstigen gesellschaftlichen Stimmung ab. Ohne den Druck von der Straße würden auch die erfolgreichen Gerichtsentscheidungen in Sachen Klima anders ausfallen.
Aber was sollen wir vor Gericht, wenn unsere Gesetze selbst verhindern, dass Klimaverbrechen verurteilt werden können? Klimazerstörung kann in unserem Land gesetzeskonform ausgeübt werden! Es lässt sich gerichtlich auch kein neues Wirtschaftssystem erstreiten, das die Klimakrise nicht weiter anheizt. Hier brauchen wir keine Rechtsprechung, sondern Gesetzesänderungen oder eben wie von uns so oft gefordert: einen Systemwandel.
Dazu liegt eine Ursache der Krisen von heute auch im repräsentative System, in dem andere für uns Probleme lösen sollen. Wenn wir mit unseren Aktionen Zivilen Ungehorsams das eklatante ethische Versagen unseres Staates, der Gesetze, und des klimazerstörenden Wirtschaftssystems anprangern, dann werden wir als Individuen hingegen selbst aktiv. Das heißt für die meisten: wir setzen uns mit dem Klimawandel intensiv auseinander, wir sind bereit, uns für Klimagerechtigkeit einzusetzen und auch die Konsequenzen zu tragen. Viele verändern auch ihren eigenen Lebensstil. Kurz: Wir nehmen die Sache in die Hand. Der zivile Ungehorsam ist dabei die etwas vehementere und weniger leicht zu ignorierende Klimademo und gleichzeitig ein gemeinwohlorientierter und verantwortungsvoller Akt.
Dass wir dabei Gesetze überschreiten, Polizeiketten durchfließen und hier und da eine Sachbeschädigung passiert, sollte angesichts der 3-5 Grad Erderwärmung, auf die wir gerade zusteuern – ohne Aussicht, dass Gesetze oder Staat uns bzw. die jetzt schon Betroffenen davor jemals schützen werden – gar nicht diskutiert werden müssen. Wenn die Lebensgrundlagen der gesamten Menschheit zerstört werden, wäre das sogar nach dem Grundgesetz Art. 20 (4) zu rechtfertigen. Er legitimiert "Widerstand", z.B. auch bewaffneten. Den zu wählen, ist aber aus moralischen und strategischen Gründen sehr fragwürdig. Fakt ist: Es ist an der Zeit, dass sich viel mehr Menschen gegen diese Entwicklungen auflehnen, auf die Straßen oder mit uns an die Orte der Klimazerstörung gehen. Für Klimagerechtigkeit, für People-over-Profit und einen Systemwandel!
Maria von Ende Gelände
ist seit 4 Jahren bei Ende Gelände. Auch dieses Jahr wird mit dabei sein, wenn Ende Gelaende gegen LNG Terminals und für den Erhalt von Lützerath ein physisches NEIN entgegensetzt. Ihre hier dargestellte Perspektive entspricht nicht der Haltung des gesamten Bündnisses.
Es wird viel gestritten über zivilen Ungehorsam durch Teile der Klimabewegung. Sich darüber groß aufzuregen, wirkt oft wie ein Ausweichmanöver, weil wir uns der eigentlichen Frage – radikaler Postfossilität und einer drastisch reduzierten Nutztierhaltung zugunsten des Klimas – dann oft doch nicht so gerne stellen möchten. Die Transformation zur Nachhaltigkeit ist für Menschen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ja wegen bestimmter nur allzu menschlicher Grundeigenschaften oft so schwierig. Dazu zählen neben Eigennutzenstreben auch emotionale Faktoren wie Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung und die Neigung zu Ausreden. Da kommt es vielen gerade recht, wenn man statt aktiven Klimahandelns im Persönlichen und in der Politik lieber eine schöne Feuilleton-Diskussion über die bösen Protestierenden eröffnen kann.
Die reale Bedeutung des Themas ziviler Klima-Ungehorsam ist eher geringer als gedacht. Erstens ist dessen faktische Wirkung unklar. Niemand kann genau sagen, inwieweit Extinction Rebellion und Die letzte Generation wirklich mehr Leute für den Klimaschutz erreichen oder ob sie eher bei der Mehrheit eine Trotzreaktion hervorrufen. Darüber kann man im Feuilleton streiten, doch empirisch belastbar weiß man es schlicht nicht.
Zweitens ist die Frage, ob man Gesetze brechen oder Gesetze durchsetzen soll, in gewisser Weise einfach schief. Ziviler Ungehorsam ist oft nämlich gar kein Rechtsbruch. Wer damit einen verfassungswidrigen Zustand wie beim Klimaschutz anprangern will, verhält sich gerade rechtskonform. Das war auch beim FFF-Schuleschwänzen schon so, wie ich vor drei Jahren in einem Rechtsgutachten für den SFV erläutert habe. Und selbst wer sagt, ziviler Ungehorsam fürs Klima sei ein moralischer Imperativ der liberal-demokratischen Verfassung, beruft sich letztlich auf den Gedanken, der solche Verfassungen gerade trägt – nämlich auf die Idee einer universalen Gerechtigkeit.
Für den Klimaschutz muss man Gesetze durchsetzen, vor allem aber neue Gesetze schaffen – auf den Wegen, die vorgesehen sind in der repräsentativ-gewaltenteiligen liberalen Demokratie in Deutschland und mehr noch in der EU – will man nicht durch rein nationales Handeln die Probleme bloß in andere Länder verlagern. Etwa mit einer radikalen Mengensteuerung runter auf null für die fossilen Brennstoffe auf EU-Ebene in wenigen Jahren und einem ebensolchen Ansatz für eine Reduktion der Nutztierhaltung um rund drei Viertel.
Mit der erfolgreichen Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht, die der SFV seit 2010 mit mir – basierend auf meinen wissenschaftlichen Arbeiten seit 2000 – vorbereitet hat, haben wir deutlich gemacht: Das alles steht nicht im Belieben der politischen Mehrheit. Mangelnder Klimaschutz kann vielmehr die physischen Grundlagen unser aller Freiheit untergraben. Und es kann unser aller Freiheit auch untergraben, wenn wir das Problem erst verschlafen und dann irgendwann von heute auf morgen extrem radikal handeln müssen.
Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt
Jurist, Philosoph und Soziologe und u.a. Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin. Als Rechtsanwalt hat er die Klimaklage des SFV vors Bundesverfassungsgericht gebracht und unterstützt den Verein mit juristischen Gutachten.