Anne Bussman arbeitet als erste Ansprechpartnerin der SFV-Infostelle Ost-Münsterland nicht nur ehrenamtlich für den Solarenergie-Förderverein, sie ist auch überzeugte Aktivistin der Letzten Generation. Die Bewegung ist bekannt für ihre Aktionen Zivilen Ungehorsams: Demonstrationen, Blockaden von Straßen und Infrastrukturen und Sachbeschädigung gehören zum Repertoire. Aktuell laufen aufgrund der Aktionen deutschlandweit über 2500 Gerichtsprozesse gegen Menschen, die mit der Letzten Generation für mehr Klimaschutz kämpfen. So auch gegen Anne.

Liebe Anne, wie kam es zu deiner Verurteilung? Was hast du angestellt?

Ich habe mich zusammen mit der Letzten Generation (LG) bei Straßenblockaden auf die Straße gesetzt. Ich war immer im Bereich der Rettungsgasse, daher habe ich mich nie angeklebt. Das erste Mal war in Münster am 17.  April 2023, danach insgesamt sechs mal in Berlin, noch ein paar Mal in Münster und einmal in Lippstadt. Dann kamen irgendwann die Strafbefehle. Die ersten Bescheide für unsere Gruppe aus Münster kamen bereits im November. Während der Prozesse haben wir eine Mahnwache organisiert und schon im Vorfeld beschlossen, direkt nach dem Prozess erneut die Straße zu blockieren. Nach dem Motto: Wir müssen weiter protestieren, auch wenn ihr uns verurteilt. Und genauso haben wir das dann auch gemacht, auf der Straße direkt vor dem Gericht. Das war eine gute Aktion! 


Wie sind deine Prozesse abgelaufen? 

Den ersten Prozess hatte ich am 1. Dezember in Berlin. Dort steht man alleine vor Gericht. Im Januar dieses Jahres hatte ich ebenfalls einen, aber mit der gesamten Gruppe zusammen. Nur diejenigen, die unter 18 Jahre alt sind, haben Extra-Termine und genauso diejenigen, die besonders aktiv sind und daher intensiver juristisch verfolgt werden. Der Prozess in Berlin war nicht so schön, einfach weil man alleine vor Gericht steht und weil es so weit weg ist. Aber mein Anwalt, der von der Letzten Generation gestellt wurde, war super. Da ging es um eine Blockade im September beim Bundesinstitut für Risikobewertung – also eigentlich für das Thema ganz wesentlich.

Was ist bei den Prozessen herausgekommen?

Der Vorwurf gegen mich lautete immer Nötigung, weil ich quasi die Menschen in ihren Autos dazu genötigt habe, nicht weiterfahren zu können. In Berlin war mein Eindruck, dass das Urteil schon vorher feststand. 60 Tagessätze zu je 50 Euro, hat die Richterin entschieden. Auch die Berufungsverhandlung hat nichts geändert, obwohl ich in meiner Einlassung die Gründe für mein Handeln deutlich gemacht habe und mein Anwalt ein wirklich großartiges Plädoyer gehalten hat. Bei den Prozessen in Münster habe ich 15 Tagessätze a 30 Euro bekommen. Das dritte Verfahren in Münster wurde eingestellt nach Paragraph 154, das ist quasi ein Mengenrabatt, mehrere Tatbestände werden zusammen verhandelt. 

Abb 1 — Anne Bussman bei einer Straßen­blockade der Letzten Generation. Sie kämpft für 100% Erneuerbare Energien bis spätestens 2030 •

Hattest du den Eindruck, dass die Vorsitzenden Sympathien für den Klima­protest hegten, aber nach geltender Rechtslage urteilen mussten?

Das ist unterschiedlich! Hier in Münster hatten wir eine ganz verständnisvolle Richterin. Witzig war, dass wir eine junge Frau dabei hatten, deren Eltern abends auf einen 60sten Geburtstag eingeladen waren, bei dem auch die Richterin anwesend war. Da hat man sich wohl nochmal ausgetauscht. Generelles Interesse für Klimaschutz konnte ich aber nicht erkennen. Das sind in erster Linie doch Strafrichter, denen geht es ums Strafrecht. Das Klima interessiert die nicht. Komischerweise wurden die Bauern für ihre Proteste wohlwollender beurteilt. Ein Bauer wurde für eine sieben­stündige Blockade freigesprochen, und ich habe 45 Minuten blockiert – ohne Traktor – und kriege 60 Tagessätze. 

Warum hältst du die Aktionsformen der “Letzten Generation” für geeignet, um in der Klimapolitik voranzukommen?

Die Aktionen haben eins geschafft: Aufmerksamkeit erregen. Ich habe vorher wirklich alles versucht – Demonstrationen anmelden, Petitionen unterschreiben, Bildungs­veranstaltungen machen. Das habe ich auch in meiner Einlassung geschrieben. Aber es bringt nichts! Der Zivile Ungehorsam ist der Knackpunkt. So viel wurde durch den friedlichen, zivilen Widerstand erreicht! Ich empfehle hier das Buch von Lea Bonasera mit dem Titel “Die Zeit für Mut ist jetzt” (vgl. S.31). Und teilweise haben wir ja auch Erfolg! Nicht alle Aktionen kommen vor Gericht.

Und was sagst du zu den Vorwürfen, die Klebeblockaden würden die Klima­bewegung Sympathien kosten?

Ich glaube nicht. Ich persönlich bekomme eigentlich gar keine Anfeindungen, sondern eher Anerkennung aus meinem Bekanntenkreis. Mit manchen Personen kann ich allerdings auch nicht mehr so gut über das Thema reden. Mit meinen Nichten und Neffen zum Beispiel, die verstehen mich nicht. Sie meinen, es gäbe andere Möglichkeiten, und ich solle andere Sachen machen. Aber meistens hört das Gespräch schnell auf, weil meine Argumente natürlich implizieren, dass meine Nichten und Neffen eigentlich auch aktiv werden müssten. Aber mir tut es gut, mit der Letzten Generation zusammen zu sein! Eine Aktion zu machen, mit vielen, auch älteren Frauen unterwegs zu sein – Gleichgesinnte treffen, die einsehen: Wir müssen was tun! 

Abb 2 — Bei den Gerichtsprozessen der Letzten Generation organisieren Unterstützer:innen eine Mahnwache •

Abb 3 — Über 1200 friedliche Straßenblockaden wurden durch die Letzte Generation durchgeführt. In letzter Zeit kam es vemehrt zu gewaltvollen Übergriffen •

Die LG ist nun selbst vom Festkleben als Strategie abgekommen. Was hältst du von der neuen Strategie? 

Dass die Straßenblockaden aufhören, fand ich gut. Das Thema war einfach durch, und was auf den Straßen passierte, war nur noch brutal. Die mediale Aufmerksamkeit ist einfach notwendig, um das Thema zu transportieren. Am Ende kamen wir nur noch in die Presse, wenn es besonders brutal zuging. Heute morgen (24.Juli 2024) wurde der Flughafen in Köln/Bonn blockiert. Das kann ich nur befürworten.

Hat die große Anzahl an Gerichtsverfahren die Bewegung demotiviert?

Nein. Das empowert einfach zusätzlich. Ich finde auch gut, dass wir unser Gesicht zeigen und für das einstehen, was wir machen. Dadurch sprechen mich auch meine Nachbarn oder Nachbarinnen an und bieten mir sogar Unterstützung an. 

Der LG wurde ja auch die Gründung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Wie wurde damit intern umgegangen?

Da habe ich nicht so viel mitbekommen. Aber die Richterin in Münster hat extra nochmal betont, dass sie uns auf gar keinen Fall als kriminelle Vereinigung betrachtet. 
Das sind wir auch nicht. Das war ein Einschüchterungsversuch, sonst nichts.

Danke, Anne für das Gespräch, wir drücken dir für die Verhandlungen die Daumen!