Vorwort.

 

Der Dannenröder Wald, ein circa 250 Jahre alter Mischwald, liegt in Mittelhessen, etwa 20 km östlich von Marburg. Im Oktober 2019 wurde ein Teilstück des 1000 Hektar umfassenden Gebietes von Demonstrant:innen besetzt, aus Protest gegen den geplanten Bau der Autobahn A 49, die mitten durch den Dannenröder Wald, sowie den angrenzenden Maulbacher- und Herrenwald führen soll.

Das Autobahnprojekt A 49 wurde vor mehr als 45 Jahren beschlossen, aber nie fertiggestellt. Ein Teilstück im Norden bei Neuental wurde bereits 1994 realisiert, dann lag das Projekt für einige Jahre komplett still. Erst Anfang der 2000er wurde es wieder aufgegriffen und seit 2015 diverse Bauarbeiten für ein weiteres Teilstück am Autobahnende zwischen Neuental und Schwalmstadt fortgesetzt. Im Dezember 2018 beschloss die Landesregierung Hessens, CDU und Bündnis 90/Die Grünen, im Koalitionsvertrag den Bau der letzten Teilstücke der A49 zwischen Schwalmstadt und Homberg als öffentlich-private Partnerschaftsprojekte zu vollenden.

Obwohl die Autobahn durch ein europarechtlich geschütztes Flora - Fauna - Habitat und Trinkwasserschutzgebiet führen soll, wurden diverse Klagen von BUND und anderen Naturschutzverbänden abgelehnt. Nachdem auch Demos, Petitionen, Klagen oder Apelle an politische Entscheidungsträger:innen nicht fruchteten, begann im Herbst 2019 die Besetzung der betroffenen Waldgebiete. Erst im Dannenröder Wald, später auch im Maulbacher- und Herrenwald wurden Baumhäuser in die massiven Eichen, Buchen und Zypressen innerhalb der geplanten Schneise  errichtet. Innerhalb eines Jahres hat das Aktionsbündnis „Keine A 49“, bestehend aus unterschiedlichen Organisationen und Initiativen, nicht nur über 90 Baumhäuser, sondern einen breiten zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen den Bau der Autobahn aufgebaut.

Die Autobahngegner kritisieren, dass für die A 49 ein intaktes Ökosystem zerstört und über 80 Hektar des ältesten Mischwaldes in Hessen gerodet werden müssen. Einen Wald, der wichtige Arbeit für den Klimaschutz leistet, für motorisierten Individualverkehr abzuholzen, ist für viele in Zeiten, in der die ganze Welt über die Klimakrise redet, ein Eklat. Dazu läuft die Autobahn auch durch Teile des wichtigsten Trinkwasserschutzgebiets Mittelhessens und gefährdet damit die Wasserversorgung für bis zu 500.000 Menschen in der Region. Dass ausgerechnet eine grüne Landesregierung mit einem grünen Verkehrsminister das Projekt vollenden musste, sorgt für zusätzlichen Missmut und Frustration.

Am 8. Dezember 2020 wurde nach monatelangem Protest das letzte Baumhaus der Dannenröder Waldbesetzung geräumt und die dazugehörige 30m hohe Eiche gefällt. Die Schneise wurde, wenn auch mit einiger Zeit Verzögerung, vollständig gerodet. Wir haben uns ein paar Tage nach dem letzten Räumungstag mit 2 Aktivisten und einer Aktivistin aus der Bewegung unterhalten. Was bleibt nach 15 Monaten Waldbesetzung? Was hat sie motiviert, sich an dem Projekt „Keine A49“ zu beteiligen? Ist der Kampf gegen die Autobahn nun verloren?

Die Antworten auf unsere Fragen sind so unterschiedlich, wie die Menschen, die sich in der Protestbewegung beteiligt haben. Was sie vereint, ist die Frustration und das Unverständnis gegenüber der Politik, die nicht bereit war, die zunehmender Trockenheit und Klimawandel Ernst zu nehmen und sich von dem sogenannten „Planungsdinosaurier“ A 49 zu lösen um stattdessen eine Mobilitätswende einzuleiten.

Die Standpunkte, die in den Interviews vertreten werden, können an der ein oder anderen Stelle sehr hart oder extrem erscheinen. Wir müssen betonen, dass viele der Positionen nicht der Meinung des Vereins entsprechen. Dennoch haben wir uns entschlossen, die Interviews zu veröffentlichen – weil wir auf unterschiedliche Standpunkte, gute Debatten und letztlich das bessere Argument setzen wollen. Nehmen Sie sich die Zeit...!

Ernst

Ernst.

Ernst Hörmann ist 70 Jahre alt, hat 3 Kinder und 8 Enkel und kommt aus Freising. Wir befinden uns im Dannenröder Wald, zu der Zeit, als die Hauptschneise bereits geräumt und gerodet wurde.

Ernst, was genau machst du hier?

Ich kämpfe gegen das Zerstören unserer Lebensgrundlage, weil es das Schlimmste ist, was auf uns zu kommt. Aktuell bin ich auf der Suche nach Mitstreitern, denen ich mich anschließen kann, um unseren Kampf hier fortzusetzen und möglichst effektiv noch mehr Menschen zu gewinnen.

Was sagen deine Freunde und Familie zu deinem Engagement?

Grundsätzlich finden die alle gut, was ich mache. Wobei zwei meiner drei Kinder vielleicht auf eine FFF Demo gehen, aber mehr nicht. Ich glaube ich nicht, dass sie in sich gehen, sobald es etwas unangenehm wird. Aber eine Familie, die steht voll hinter mir. Die leben das auch.

Wie lange bist du schon im Dannenröder Wald?

Seit Montag bin ich wieder da, dann sind es insgesamt 38 Tage. Mit ein paar Unterbrechungen, weil ich einem Freund, einem Asylsuchenden, bei seiner Ausbildung helfe. Immer wenn er Berufsschule hat, fahre ich nach Hause, um ihn zu unterstützen. Meistens komme ich Sonntag zurück, damit ich noch in der Nacht in das Barrio, also das Baumhausdorf reinkomme, was als nächstes geräumt wird.

Was genau ist deine Aufgabe hier in der Besetzung?

Ich versuche die Räumung zu erschweren und meinen Mitmenschen zu zeigen, zu was wir bereit sind, um Empathie zu schöpfen und die Bewegung zu stärken. Ich finde wichtig, dass nicht nur junge Leute hier im Wald sind, die werden nämlich dann von Menschen meines Alters oft als Chaoten abgetan. Zum andere fühle ich mich sowieso verpflichtet und gewissengetrieben, dass ich alles tue, was ich machen kann. Seit ungefähr 4 Jahre bin ich auch im zivilen Ungehorsam.

Du hast dich hier im Wald öfter „räumen lassen“. Wie läuft so was ab?

Ich habe mich 4 Mal räumen lassen. Beim ersten Mal im Herrenwald habe ich es morgens nicht mehr auf irgendeine Struktur geschafft. Plötzlich war die Polizei da, also habe ich mich dann in eine Sitzblockade reinhockt und habe mich dort räumen lassen. Danach hatte ich im Herri Waldverbot, also bin ich in den Danni gegangen, ins Barrio „Drüben“. Da waren wirklich super Menschen, wie eigentlich immer hier, aber zu denen habe ich wirklich einen guten Bezug, auch weil ich längere Zeit dort war. Das zweite Mal wurde ich dann wieder im Herri geräumt, da bin sehr weit in eine Baumspitze geklettert. Die dritte Räumung war im Barrio Drüben. Da war ich dann auf einer sehr hohen Eiche und das letzte Mal war im Barrio Oben auf einer Traverse, also einem zwischen 2 Bäumen aufgespanntes Seil. Dann kommt die Polizei und holt dich wieder runter. Aber das dauert natürlich.

Wann kam bei dir der Entschluss zivilen Ungehorsam zu machen?

Bei der Ende Gelände Massenaktion in der Lausitz war ich noch mit der Greenpeace-Demo unterwegs. Aber nachdem sich bei unserer Regierung seitdem überhaupt nichts getan hat, habe ich mir gesagt: „das nächste Mal, wenn es in die Grube geht, bist du dabei!“ Was bei uns in der Politik passiert, ist einfach weit ungenügend. Das sind oft nur Lippenbekenntnisse, Greenwashing… Mülltrennen reicht halt nicht, sag ich immer.

Du warst damals auch im Hambacher Wald und hast dort die Waldbesetzung unterstützt?

Ja. Als der Tag X für den Hambi ausgerufen wurde, habe ich meinen Rucksack genommen, den ich schon lange gepackt hatte und bin hingefahren. Ich war mittags in Buir, aber es war wahnsinnig schwierig in den Wald zu kommen. Ich habe mich dann von einer Demo abgesetzt und bin doch noch unbehelligt in den Wald gekommen. Da bin ich dann ein bisschen rumgestiefelt bis ich die Kiki, wie ich hinterher erfahren habe, getroffen habe. Die hat mich dann zu einem Barrio geführt. Ich habe da ein Baumhaus, wie es früher war, was gewachsen ist, gesehen. Das war ein riesen Erlebnis. Und ich habe überall ganz liebe Menschen gefunden. Im aktivistischen Kreis, da ist diese Auswahl der Menschen, mit denen man einfach richtig gut Freund sein und kämpfen kann und viel Freude hat. 

Ende Gelände, dann Hambi, jetzt der der Danni. Was hat dich von der Energie- zur Verkehrswendethematik getrieben?

Ich bin vom Beruf Maschinenbauingenieur und habe mich sehr intensiv mit der ganzen Sachlage beschäftigt. Der Verkehr trägt in Deutschland circa 20 % der CO2-Last und da hat sich in der letzten Zeit am allerwenigsten getan. Die Verkehrswende, die wir unbedingt für Deutschland brauchen, ist mit die schwierigste Aufgabe, weil sehr viele Arbeitsplätze daran hängen und extrem viel Widerstand existiert. Sowohl von der Industrie, die ohne Ende Geld reinsteckt gegen uns zu kämpfen, als auch von den Menschen, die verunsichert sind und Angst haben, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren. Aber je später man anfängt, desto schwieriger wird es. Wenn wir nichts machen, wird der Zwang mit dem Desaster kommen. Und deswegen kämpfe ich hier. Gemessen zur Verkehrswende ist der Kohleausstieg meines Erachtens ein Klacks.

Mülltrennen reicht halt nicht, sag ich immer.

Ernst Hörmann

Wie sieht deine Vision einer Verkehrswende aus?

Wir müssen zu Postwachstum kommen. Wir können gar nicht so viel Energie produzieren, wie wir gerne hätten und müssen daher von dem Wachstum weg. Für den Verkehr heißt das auch, dass wir sesshafter werden müssen. Der Verkehr muss erst mal voll seine Kosten tragen. Alle Folgekosten, die der Verkehr generiert, müssen im Preis enthalten sein. Es darf keine Externalisierungen der Kosten geben, damit endlich der wahren Preis abgebildet wird.

Dann würde der motorisierte Individualverkehr sowieso zurückgehen, weil vieles sich dann nicht mehr rechnet, zum Beispiel die Arbeitsteilung. Dann karrt man eben nicht die Materialien fünf Mal um die Erde rum, wenn ich eine Hose kaufe, nur weil ein Material in einem Land günstiger ist und im anderen Land das andere. Wir müssen wieder zur Dezentralität der Produktion kommen, in kleineren Städten, in den Dörfern, damit der Pendelverkehr zurückgeht.

Dazu brauchen wir einen sehr gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr, der immer wesentlich kostengünstiger und im Nahbereich möglichst gratis sein müsste. Er müsste kostengünstiger und schneller sein, sodass der Vorteil der Individualität, die du mit dem Auto hast, mit einem hohem Preis und viel Zeit bezahlt werden muss. Weil gemeinschaftliches Fahren, wie auch gemeinschaftliches Wohnen, einfach viel weniger Energie kostet und wir es nur so überhaupt schaffen können.

Dienstag wurde der letzte Baum im Barrio Oben gefällt. Habt ihr den Kampf nun verloren?

Nein! Ich bin auch nicht schwerpunktmäßig wegen den Bäumen gekommen. Die Bäume sehe ich als riesiges Symbol, genau wie es im Hambi war. Der Wald ist ein Symbol, der viel bewegen kann. Dieses Symbol müssen wir auch hier aufrechterhalten.

Wenn wir zeigen, was wir alles opfern, können wir vermutlich mehr Menschen bewegen und die Gesellschaft mit einbinden. Dafür müssen sie aber emotional gepackt werden. Verstehen nützt nichts. Sie müssen es emotional begreifen und das ist eine ganz schwierige Sache. Die Wälder öffnen weitere Pfade in die Herzen der Menschen, um die zu gewinnen.

Also müssen für eine Transformation in Richtung einer sozialeren und ökologischeren Lebensführung die Leute emotional mehr ergriffen werden?

Ja, durch das Tal der Tränen müssen sie durch, für den Change-Prozess. Die müssen merken, was auf uns zukommt und damit sie das, was sie vielleicht liebgewonnen haben, fallen lassen und frohen Herzens einen neuen Weg ergreifen. Wir dürfen das nicht als Verzicht sehen, sondern als Befreiung zu einem Leben, dass Sinn gibt und letztlich mehr Glück spendet, als wenn nur das Materielle gegeben ist. Und da werden wir sicher auch Zwangsmittel brauchen, aber Zwangsmittel gegen alle Menschen wird schwer funktionieren.  Drum brauchen wir viele, die hier bereitwillig mitgehen und einsehen, dass es unsere einzige, letzte Chance ist.

Was ist denn mit den Menschen, die sich nicht zutrauen bei Temperaturen knapp über Null über Stunden im Wald oder Traversen zu verharren. Was empfiehlst du solchen Menschen? 

Das müssen sie auch nicht. Es muss nicht jeder zivilen Ungehorsam machen. Wenn alle Menschen anders denken, brauchen wir den zivilen Ungehorsam nicht. Wichtig ist, selbst zu versuchen anders zu leben und andere zu gewinnen, durch Diskussionen usw. Das ist das Entscheidende. Es nützt nichts, wenn alle das Leben einfach so weiterführen.

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Was hältst du von den Debatten um die Konsumkritik, wo auf individueller Ebene ganz viele Anpassungsmöglichkeiten im Bereich Nahrung, Lebensstil, Mobilität genannt werden, während in der Wirtschaft, Industrie und insbesondere Großkonzerne, weiterhin großen Schaden angerichtet wird.

Der individuelle Konsum reicht nicht, das ist ganz klar. Aber es ist auch notwendig. Ich will den Kampf nicht privatisieren, der muss auf die politischer Ebene getragen werden. Aber wenn die Politik merkt, dass die Menschen etwas anderes wollen, dann haben wir auch mehr Macht und dann wird sich auch mehr verändern.

Das Schlimme ist, dass wir in Deutschland mittlerweile dabei sind, den Rechtsstaat zu verlassen. Der Primat unserer Regierung ist nicht die Ethik, sondern es ist das Geld, die Wirtschaft und dem wird alles untergestellt. Würden wir aber nach unserem Grundgesetz leben, das eines der Besten der Welt ist, dann bräuchten wir heute keinen Protest. Im Grundgesetzt Artikel 2 Absatz 2 steht: Jeder hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Und dieser Grundsatz ist nicht offen für die politische Meinungsbildung und Mehrheitsentscheidungen, der ist unverrückbar, fix, unveränderlich. Damit hätten wir schon vor dem Pariser Klimaabkommen unsere Gesellschaft ganz anders aufstellen müssen. Wenn wir das jetzt nicht machen und unsere Regierungen absichtlich Paris brechen, muss ich einfach sagen: die Rechtsstaatlichkeit ist nicht mehr gegeben. Da nützt es auch nichts, wenn wir in vielen anderen Bereichen rechtsstaatlich sind, wenn wir dort, wo es am allerwichtigsten ist, nicht sind. Die Grundrechte sind ein K.O.-Punkt. Wenn ich einen KO-Punkt nicht einhalte ist alles umsonst. Dann ist die Rechtsstaatlichkeit in den vielen weniger wichtigen Dingen plötzlich vergebene Liebesmüh, wir brauchen ihn vor allen Dingen in den wichtigen Bereichen und das ist einfach Klima und Arten. Darum sage ich, wir haben eigentlich keinen Rechtstaat mehr.

Im Barrio „Oben“ hing ein Plakat, da stand drauf: „A49 oder 1,5°C, Welcher Vertrag ist wichtiger?“. Warum musste die Hessische Landesregierung und insbesondere die Grünen die Autobahn ausgerechnet jetzt fertig stellen?

Die Grüne Partei, die ich seit ihrem Bestehen, aber nun zum letzten Mal gewählt habe, hat sich in die anderen Parteien eingereiht. Sie lassen sich durch Lobby bedienen, wollen unbedingt mitregieren und das ist wichtiger, als am Thema zu sein. Sie wollen die 30 Prozent haben und die wird man schwer kriegen im Autoland Deutschland, wenn man gegen Autobahnen ist. Sicher, wenn sie die Mehrheit nicht kriegen, nützt es nichts. Aber es nützt auch keine grüne Partei, die nur marginal besser ist als die andere Parteien. Ein bisschen grüner sind die anderen Parteien auch geworden, aber das ist nicht ausreichend. Wenn wir nur ein bisschen machen, quasi als Ablasshandel und dort, wo es weh tut, nichts tun, haben wir nichts gewonnen.

Auf dem Bundesparteitag der Grünen wurde noch mal bestätigt, dass die Partei am 1,5-Grad-Ziel festhalten wollen. Viele sagen, dass die nächste Bundestagswahl darüber entscheiden wird, ob wir die Kurve in der Klimapolitik noch kriegen oder nicht. Wenn nicht die Grünen, wer macht es dann?

Ich hoffe immer noch darauf, dass plötzlich eine Dynamik aufkommt in der Bevölkerung. Wenn man nur daran denkt, wie schnell wir bei Corona die ganzen Menschen unserer Republik umgepolt hatten. Plötzlich ging alles. Warum sollte es bei einem Problem, was unendlich schlimmer ist nicht so sein. Wenn wir die Klimakrise nicht in Griff kriegen, geben wir unsere Zivilisation komplett auf und von den 10 Milliarden Menschen, die wir vielleicht irgendwann in der Spitze erreichen, kann nur noch ein Bruchteil überleben. Und das ist eine ganz andere Dimension.

Und der Wandel, auf den du hoffst, wird dann auch so stark sein, dass er die Wirtschaft durchdringt und da eine Transformation anstößt?

Das wird eingefordert werden müssen von den Menschen. Die Wirtschaft wird das kaum von sich aus machen. Aber es kann von den Menschen vieles eingefordert werden. Das ist die letzte Chance, die ich sehe. Und verloren haben wir erst, wenn wir wirklich verloren haben. Wenn die Tipping-Punkte da sind, haben wir verloren.

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Was hältst du in der ganzen Debatte um Klimawende denn vom grünen Wachstum?

Grünes Wachstum funktioniert nicht. Es ist ein Ressourcenproblem. Wir leben hier sehr privilegiert und wenn jeder Mensch in allen anderen Ländern die gleichen Möglichkeiten hätte und gleich viele Ressourcen verbrauchen, so viel hat die Erde ja gar nicht.

Wir sollten eingestehen, dass wir die Ressourcen verwenden, aber andere nicht. So ist es aktuell auch mit dem CO2: wir nehmen es den anderen weg und die anderen sollen weiterhin nichts verbrauchen. Wie sollen dann künftige Generationen leben, wenn wir alles verprassen und nicht weiterdenken? Wir sollen einfach mehr materiellen Wohlstand haben, der aber nicht mehr Glück bedeutet. Das ist unverantwortlich und darum ist auch ein e-Auto keine Lösung. Es mag eine Lösung sein, um von der Fläche bis zum nächsten Knotenpunkt zu kommen, wo man dann öffentlich weiterfährt.

In den Medien wurde oft kritisiert, dass sich die Aktivist*innen im Danni über eine demokratisch legitime und juristisch abgesicherte Entscheidung einfach hinwegsetzen würden. Was würdest du darauf antworten?

Die Gesetze, die hier gemacht wurden, sind unrecht. Bei den Rechten, die hier ausgesprochen wurden, ist unser Grundgesetz nicht berücksichtigt. Wir haben heute die Erkenntnis, dass wir unser wichtigstes Ziel, den Erhalt unserer Lebensgrundlage, nicht garantieren können. Da müssen wir alles ändern, was hier unter falschen Gesichtspunkten vielleicht damals entschieden worden ist. Es gibt kein Recht, etwas Falsches nur weiter zu machen, weil es vor 20 oder 5 Jahren beschlossen wurde. Die Rodung war grundgesetzwidrig. Eines meiner größten Vorbilder, Papst Franziskus, hat das mit seiner Enzyklika so glasklar gesagt. Leider steht er mit seiner Kirche ziemlich in der Minderheit und kann da nicht viel bewegen.

Was, wenn die Mehrheit trotz allem sich für die Autobahnen und motorisierten Individualverkehr ausspricht und die Klimabewegung dauerhaft in der Minderheit bleibt?

Es wird vielleicht Leute geben, die glauben, wir könnten mit unserem Geld die Festung Europa so festzurren, dass wir keinen reinlassen und wir weiterhin alles einkaufen und weiterleben können, auf Kosten der anderen. Viele haben gar nicht so tief nachgedacht, aber hegen diese Hoffnung so im Unterbewussten. Aber das wird nicht funktionieren. Wieso sollten uns andere Länder alles geben, wenn die Menschen ringsrum nicht mehr leben können, weil es in den Ländern vielleicht so heiß ist, dass es Todeszonen gibt, und man einfach die Körpertemperatur nicht auf 37°C halten kann. Die werden uns nicht weiterhin füttern. Dann wird auch bei uns die große Masse sehr leiden müssen, aber weit weniger schlimm, wie die in den armen Ländern, obwohl wir die Hauptschuldigen sind.

Irgendwann ist der Punkt da, wo wahrscheinlich auch die nächste Stufe, Sabotage, notwendig ist. Bevor wir untergehen, wäre ich auch bereit Mordinstrumente, und damit meine ich zum Beispiel unsere Autos, auszuschalten. Und ich glaube, mit meinem technischen und handwerklichen Wissen habe ich dazu sehr viele Möglichkeiten. Aber noch ist es nicht soweit, auch weil es kontraproduktiv ist. Ich hoffe immer noch auf die Dynamik, die die Gesellschaft mitreißt. Weltweit, wenn möglich. Aber bevor es dann endgültig zu spät ist, würde ich zu allem bereit sein. Aber natürlich keine Menschen töten oder verletzen, aber gegen Sachen.

Dabei wird aktuell jegliche Form von Gewalt innerhalb der Protestbewegung scharf in der Öffentlichkeit kritisiert. Der Protest soll friedlich bleiben.

Da bin ich auch dabei, einfach weil wir sonst viele Menschen nicht mitnehmen können. Im Augenblick lehne ich selbst verbale Gewalt gegen die Polizei ab, wenn wir was skandieren während einer Räumung. Da rufe ich nicht mit. Weil das nicht anschlussfähig und letztlich kontraproduktiv ist. Das tut vielleicht unserem Gemüt gut, wenn wir fladig über die Polizei reden, aber wir werden damit nichts erreichen. Aber auf dem Baumhaus, da müssen wir zusammenhalten. Da muss ich das schlucken, wenn andere dann doch vielleicht mal ein Beutel mit Kot runterschmeißen. Aber dann sage ich auch immer, dass ich nicht dahinterstehe und dass ich das für schlecht halte.

Manche Klimaforscher schlagen ja bereits Alarm und behaupten, dass einige der Kipppunkte bereits erreicht sind. Wann käme denn der Punkt, dass für dich ein Sabotageakt, der keine Menschen gefährdet, legitim und nicht kontraproduktiv wäre?

Man sagt, dass der Kipppunkt im westantarktischen Eisschild schon erreicht ist, weil dort auch das Wasser von unten reinfließt. Aber da reden wir von einem Prozess, der noch hunderte Jahre dauert und das ist für mich noch kein echter Kipppunkt, der das Ding unumkehrbar macht. Die echten unumkehrbaren Kippunkte sind erreicht, wenn wir das Methan im Boden nicht halten können und es so schnell geht, dass die Korrekturmaßnahmen der Menschen nicht mehr fruchten. Aber da würde ich mich sehr stark auf die Wissenschaft verlassen, da weiß der Rahmstorf sicher besser Bescheid. Wenn der sagt, jetzt sind wir soweit, dass wir wirklich am Scheideweg sind, dann wäre der Tag X quasi gegeben.

Planet B - Weg am Dannenröder Wald

Erneuerbare, Sektorenkopplung, Rohstoffgewinnung. Was ist deine Haltung zum Thema Energiewende?
Erneuerbare Ja, aber ohne die Biodiversität und Umwelt zu schaden. Damit werden wir ein Limit haben, welches natürlich viel weniger Ressourcen und Energieverbrauch erlaubt. Darum wird es nur über Postwachstum funktionieren. In allem was wir konsumieren, überall steckt CO2 drin und unser Energiehunger wird immer größer. Ob wir das Limit an der Stelle oder der Stelle setzen wird immer schmerzen und wir müssen und daransetzen, dass wir das, was wir produzieren auch nachhaltig produzieren können.

Meiner Meinung nach brauchen wir insbesondere viel mehr Windkraft, weil Solaranlagen gerade im Winter nur 1/6 von dem bringen, was sie im Sommer erzeugen, aber im Winter der Energiebedarf hoch ist. Darum brauchen wir unbedingt viel mehr Windkraft, damit wir zu der Zeit, wo wir am meisten Strom brauchen, auch Strom haben. Aber wir dürfen nur so viele Windräder aufbauen, dass es nicht zu einer Vernichtung der Arten kommt. Und wir brauchen auch Langzeitspeicher, da weiß ich im Augenblick nicht, was da kurzfristig umsetzbar ist.

Letztlich müssen wir aber unseren Lebensstil so ändern, damit wir mit dem, was geht, auch auskommen. Das ist die einzige Lösung. Die erste tragende Säule ist Postwachstum. Die zweite tragende Säule sind die Windkraftanlagen, als drittes Solar.

Wir müssen bedarfsorientiert produzieren und nicht über Werbung künstlich Wünsche schaffen, damit wir mehr produzieren können. Wir müssen uns freuen, wenn wir weniger produzieren, langfristiger, nachhaltiger. Da steckt wahnsinnig viel dran. Aber dass das einen Transformation ist, mit einer ganz anderen Qualität als Windräder zu akzeptieren das ist klar.

Was, wenn die Folgen des Klimawandels so spät in Europa und Deutschland ankommen, dass wir ihn erst bemerken, wenn es zu spät ist?

Es muss die Reichen treffen, damit sie merken, dass wir auf dem Weg an die Wand sind. Wenn die Fichtenwälder in Deutschland komplett verrecken, was ich wirklich hoffe, denn in Bayern bestehen 60 Prozent der Wälder aus Fichte, dann werden mehr Menschen begreifen. Dann müsste doch der Blödeste spannen, was wir verloren haben. Drum hoffe ich eigentlich, dass wir in Deutschland wieder so einen trockenen Sommer wie vor 3 Jahren kriegen, dann schaut die Wahl ganz anders aus, als wenn wir wieder einen für Normalverbraucher moderaten Sommer haben, wo die Normalmeinung ist, wir hätten genügend Regen gehabt.

 

Ernst Hörmann

 

 

 

Jannik.

 

Jannik hat die Waldbesetzung über ein Jahr begleitet. Kurz vor der Veröffentlichung des Interviews hat er uns gebeten, doch auf sein Portraitfoto zu verzichten und seinen Namen zu ändern. Zu groß ist die Sorge vor unangenehmen Konsequenzen, sein Gesicht in Zusammenhang mit diesem Interview veröffentlichen zu lassen. Jannik ist dementsprechend nicht sein wirklicher Name.

Jannik an der Schneise durch den Dannenröder Wald

Jannik, wie sieht der Alltag aus, wenn man ein Jahr in einer Waldbesetzung verbringt?

Das ist ganz unterschiedlich. Die äußeren Entwicklungen bestimmen teilweise was man macht. Es gibt Zeiten, wo es hauptsächlich darum geht Infrastruktur aufzubauen. Und dann gibt es irgendwann auch Zeiten, wo die Infrastruktur zerstört wird. Und dann ist die Frage wie man damit umgeht. Wie man sich dagegen wehrt oder wie man sich da gegenüber verhält. Am Anfang war die Aufgabe hier, diesen Wald zu besetzen und meine Hauptaufgabe lag in Bauarbeiten. Aber da wir hier keine absolute Arbeitsteilung haben, geht es auch um viele andere Sachen. Im Alltag zusammenleben, das heißt kochen, Feuerholz sammeln, spülen, logistische Aufgaben, Besprechungen und so weiter.

Lebst du schon länger so, in Wäldern, Besetzungen?

Ja, ich lebe schon länger in Wäldern.

Was hat dich dazu bewogen dich in solch Besetzungen einzubringen?

Da gibt es mehrere Ebenen. Es gibt konkrete kausale Ketten, wodurch man irgendwo hineinrutscht und sich an irgendwelchen Projekten beteiligt. Und es gibt tiefere Gründe, persönliche oder philosophische Entwicklungen.

Konkret hat es bei mir im Hambacher Wald angefangen, dass ich begonnen habe in Wäldern zu leben. Das hat sich so ergeben, dass ich irgendwann mal dort zu Besuch gewesen bin. Auf einer Fahrradreise habe ich eine Nacht dort verbracht und gesehen, was Menschen dort machen und es irgendwie schon interessant gefunden. Später habe ich mich dann dazu entschieden einem Aufruf der Besetzung zu folgen.

Aber vorher hatte ich bereits den Gedanken, dass man was machen muss. In mir war der Drang, den Entwicklungen unserer Zeit nicht passiv gegenüber zu bleiben. Und dann schaut man, was andere Menschen so machen. Die Hambacher Waldbesetzung habe ich als einen radikalen Umgang mit den Problemen unserer Zeit wahrgenommen. Das heißt, dass wenigstens versucht wird, sich die Wurzeln anzuschauen, woher unsere Probleme und Herausforderungen kommen. Und das hat natürlich zu tun mit Privateigentum, dem kapitalistischen Wachstumsimperativ, mit Kommodifizierung, Verdinglichung von Leben. Also die ganzen Grundsätzlichen Prinzipien, die unsere Gesellschaft prägen.

Das hatte ich rational schon viel länger auf dem Schirm, aber ich hatte bis dahin vielleicht keinen konkreten Umgang damit gefunden, wenigstens zu versuchen dagegen zu agieren. So bin ich in die Hambacher Waldbesetzung reingerutscht. Und so hat sich das dann weiterentwickelt, dass ich bestimmte praktische Fähigkeiten entwickelt und soziale Kontakte aufgebaut habe. Das hat unter anderem dazu geführt, dass ich mich an der Dannenröder Waldbesetzung beteiligt habe.

Dann geht es dir also gar nicht schwerpunktmäßig um eine Energiewende oder hier im Danni um die Verkehrswende?

Der Hambacher Wald hat mich angezogen, weil er mehrere Themen zusammengebracht hat. Zwei Gründe waren aber besonders wichtig. Einerseits der Wald an sich und andererseits, dass es dort um den größten Verursacher von Treibhausgasemissionen innerhalb von Europa geht. Also den intrinsischen Wert und dasjenige, gegen das er ersetzt werden sollte. Der Hambacher Wald ist auch sehr besonders. Es ist nicht einfach irgendein Waldstück, sondern ein sehr alter Wald mit einem ganz besonderen Ökosystem und alte Eichen. Es ist ein Reststück des Holozäns und jetzt geht es auch darum, das Holozän zu verabschieden.

Was genau meinst du damit?

Das Holozän ist das geologische Zeitalter, das sich seit den letzten Eiszeiten etabliert hat. Das Eis hat sich zurückgezogen in Richtung Norden und zu den Gletschern. Dann haben Pionierwälder, am Anfang hauptsächlich Birken, aber später auch Haselnuss und Kiefern, Ebereschen, Espen, usw. die offene Tundra langsam zu Lebensraum gemacht, gefolgt von den typischen dichten Europäischen Laubwäldern. Wie der Hambacher Eichen- und Hainbuchenwald. Wir leben jetzt in einem Zeitraum, wo diese geologische Ära plötzlich zu Ende kommt und dadurch eine qualitative Veränderung entsteht. Wo genau der Wendepunkt sowohl kausal als chronologisch zu situieren ist, ist immer noch eine wissenschaftliche Debatte.

Das was nun folgt, nennt man dann oft das Anthropozän, aber es gibt auch eine alternative Terminologie, nämlich Kapitalozän. Dies behauptet, dass es kein notwendigerweise aus der menschlichen Natur resultierender, geologisch-historischer Ablauf ist, dass der ökologische, biosphärische oder atmosphärische Zustand jetzt auf diese Art und Weise zu Ende kommt. Es geht vielmehr darum, dass eine bestimmte menschliche Ökologie – die kapitalistische gesellschaftliche Organisierung – dazu geführt hat, dass das Holozän, so wie es sich über etwa 12000 Jahre entwickelt hat, zu Ende kommen musste.

Selten sieht man diese Kontraste so klar wie beim Hambacher Wald. Auf der einen Seite der Aufmarsch des Kapitalozäns – das riesige Loch, die Maschinenwelt, das Nihilum, wo alles lebendige vernichtet wird. Andererseits direkt daneben die restliche alte Welt, die zerstört wird – die lebendige Welt, wo sich irgendein ökologisches Gleichgewicht etabliert hatte, worauf auch unsere Lebensgrundlagen basieren und was jetzt zu Grunde geht.

Mein Tatendrang dagegen zu agieren hat immer auch eine fatalistische Seite gehabt, und manchmal fast was poetisches, in Richtung Beerdigung, Totenritual, Abschied. Weil es natürlich klar ist, dass man mit ein paar Baumhäusern diese menschliche und geologische Geschichte nicht grundlegend ändern kann. Aber trotzdem versucht man mit seinem eigenen Dasein so zu leben, dass man auch etwas macht, in eine Richtung, die man für richtig hält.

Und dann kommt die Frage: was ist die notwendige, schicksalhafte Entwicklung des Menschen als Akteur in einer Tragödie, und inwieweit kann man als Individuum oder als Gruppe diese Entwicklung auch steuern? Solange man es nicht versucht, weiß man es nicht. Das kann man mit der wissenschaftlichen Nullhypothese vergleichen. Man geht davon aus, dass man es nicht ändern kann, das ist die Nullhypothese. Dann versuch man die Nullhypothese zu widerlegen. 

Hambacher Wald Tagebau

Welche Parallelen siehst du zwischen Hambacher und Dannenröder Wald?

Hier im Dannenröder Wald sind die Kontraste nicht so krass. Wir haben es hier nicht mit dem größten Loch Europas zu tun. Wir haben es nicht mit den größten Maschinen der Welt zu tun. Es fühlt sich alles ein bisschen moderater an. Man kann es auch besser nachvollziehen, dass innerhalb der existierenden Verkehrspolitik diese Autobahn, die noch fehlt im Verkehrsnetz, zu Ende gebaut werden soll. Aber die grundlegende Problematik ist immer noch die gleiche: es geht um die gesellschaftliche Priorität und es geht immer noch um den Leviathan, um die monströse Ökonomie, die versucht alles auf dieser Welt zu dominieren und zu reduzieren auf den Fetisch finanziellen Profits. Eine Ökonomie, die das Haus verbrennt, anstatt es aufrecht zu erhalten. Da sind die Energie- und Verkehrspolitik letztendlich nur Symptome einer tieferlegenden Krankheit.

Im Baumhausdorf „Oben“ gab es das Plakat „A49 oder 1,5° welcher Vertrag ist wichtiger“. Warum musste die Grüne Hessen diese Autobahn ausgerechnet jetzt bauen?

Die Grüne Partei versucht systemimmanent wirksam zu sein, indem sie probiert zu regieren. Das heißt, sie versucht das Spiel mitzuspielen, mit den Regeln, die es gibt. Ich bin kein Grünen-Politiker und kann deswegen natürlich nicht genau beantworten, warum sie machen, was sie machen. Aber wenn sie regieren wollen, damit sie angeblich diese Klimaziele noch erreichen oder welche ökologische Politik auch immer führen können, dann brauchen sie natürlich innerhalb der heutigen politischen Konstellation eine Koalition mit anderen mächtigen Parteien. In diesem Fall hier ist das die CDU – eine Partei, die natürlich verknüpft ist mit wirtschaftlichen Interessen.

Und der Pariser Klimavertrag ist dann zweitrangig?

Bezüglich der Klimaziele glaube ich ehrlich gesagt sowieso, dass das eigentlich alles Heuchelei ist. Ich glaube nicht, dass irgendeine bürgerliche Regierung von irgendeinem privilegierten industrialisierten Land, wirklich vorhat, die Klimaziele zu erreichen. Die Klimaziele werden so formuliert, weil es innerhalb der Bevölkerung, die inzwischen wissenschaftlich über den Klimawandel informiert ist, ein Bedürfnis und ein Anspruch der Politik gegenüber gibt, etwas daran zu ändern. So soll es nämlich funktionieren innerhalb einer demokratischen Gesellschaft, dass die Bevölkerung etwas von der Politik erwarten kann und dass die Politik es dann umsetzt. Ich glaube aber nicht, dass das Vorhaben wirklich da ist. Da wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, wird es nie Priorität sein. Priorität bleibt Kapitalakkumulation, und da gibt es natürlich einen Widerspruch. Auf Regierungsebene oder gesellschaftlich-elitärer Ebene, wo die Entscheidungen getroffen werden in unserer Gesellschaft, hat man schon längst akzeptiert, dass der Klimawandel da ist und sich weiter entwickeln wird. Priorität bleibt deshalb eine privilegierte Position zu erhalten, innerhalb einer polarisierten, auf Ausbeutung beruhenden, kompetitiven Weltordnung. Dazu gehört ein effizientes, kapitalistisches Wachstum, welches aber die ökologische Grenze mit Gewalt überschreitet.

Aber ist die Sorge vor dem Klimawandel nicht mittlerweile bei sehr vielen Menschen in der Bevölkerung angekommen, dass es Druck auf die Regierung ausübt?

Wenn sich in Deutschland Menschen Sorgen um den Klimawandel machen, dann ist das authentisch, aber die direkten, materiell spürbaren Konsequenzen bleiben bisher gering. Das heißt auch, dass Menschen noch sehr viel zu verlieren haben und eben noch nicht auf die Barrikaden gehen, gegen eine Regierung, die versagt. Das kann man auch hier im Dannenröder Wald feststellen: klar gibt es Widerstand aus radikalen Kreisen und Beteiligung von eher bürgerlich orientierten Perspektiven. Aber das bleibt absolut innerhalb kontrollierbarer Rahmen. Der Staat wird nicht zum Wackeln gebracht. Man kann hier auf Transparente schreiben „Danni überall, bringen wir den Staat zu Fall“ oder so, aber das stimmt natürlich nicht.

Die staatlichen Prioritäten sind weiterhin: Status Quo erhalten und die Bevölkerung verarschen und zufrieden halten. Dafür braucht man Heuchelei, man braucht leere Aussagen und eine Politik, die die eigene Bevölkerung wenigstens innerhalb des globalen Rahmens weiterhin privilegiert. Bisher ist das Bewusstsein für die ökologische Krise oder die Klimaangst nicht in der Lage gewesen, diese Politik ernsthaft ins Wanken zu bringen.

Es herrscht also für die Politik kein Konflikt zwischen dem Bau der Autobahn und der 1,5°C Ziele aus den Pariser Verträgen?

In Prinzip schon, natürlich. Aber vielleicht nicht, wenn man eigentlich schon in Kauf nimmt, dass die Ziele eh nicht erreicht werden. In anderen Regionen auf der Welt, bzw. auch in anderen Europäischen Ländern, scheint es ein stärkeres Bewusstsein dafür zu geben, dass es nicht unbedingt eine Kongruenz gibt, zwischen dem, was der Staat als Priorität definiert und dem, was für die Bevölkerung oder die Menschheit, für das Leben auf dieser Erde wichtig oder lebensnotwendig ist. Aber die Klimakrise wird dazu beitragen, dass die Enttäuschung wächst und die Menschen sich Fragen stellen werden. Es gibt die Pariser Klimaziele, aber warum werden die ständig ignoriert?

Man kann sagen, dass es dann vielleicht zu spät sein wird, sich erst dann darüber noch Gedanken zu machen. Es ist auch die Frage wie viele Menschen sich diese Gedanken machen und wie diese Gedanken dann materialisiert werden. Dass versuchen wir ja hier irgendwie zu machen: nicht nur diskursiv oder akademisch anzuklagen, sondern auch in die Praxis zu gehen. Aber da wir so wenige sind und so wenig Macht haben, können wir auch nur das bewegen, was wir bewegen können. Nicht so viel. Wir haben es nicht mal geschafft diese Rodung zu verhindern. 

Danni

Handeln die Politiker*innen deines Erachtens mutwillig oder steht sie auch unter einem gewissen Zugzwang?

Ich glaube, dass es beides gibt. Dass es eine bewusste demagogische Strategie gibt, aber auch strukturelle Determinanten, die dazu führen, dass zum Beispiel die Grünen entgegen ihrer eigenen, angeblichen Prinzipien handeln. Da gibt es eine absolute mutwillige Heuchelei, aber auch die Unmöglichkeit systemimmanent, also innerhalb ihrer Position, eine wahrhaftige ökologische Politik durchzuführen.

Die Ambivalenz zwischen diesen Positionen kommt zum Beispiel dadurch zum Ausdruck, dass Politiker und Politikerinnen sich als Befürworter von komplett widersprüchlichen Interessen darstellen Zum Beispiel Angela Merkel, die sich sowohl auf der Internationalen Automobil-Ausstellung feiern lassen oder der Lufthansa ein paar Milliarden Steuergelder schenken kann, und gleichzeitig die Fridays for Future lobt und behauptet den Klimaschutz in den Vordergrund zu stellen. Hier ist es klar, dass es in erster Linie darum geht, Kapitalinteressen zu schützen und gleichzeitig das Schiff sicher durch den von Klimaangst geprägten Wind zu manövrieren.

Der demagogische Aspekt der Grünen Partei ist natürlich, dass sie versuchen den schwarzen Peter zu verschieben und zu behaupten, sie können nichts dafür, obwohl sie sich hier direkt an dem Ökozid und Repression von Dissidenten beteiligen. Es ist Heuchelei, in dem sie ihre Handlungsfreiheit mutwillig negieren. Sie behaupten, dass sie, um überhaupt in Richtung Verkehrswende gehen zu können, Kompromisse mit anderen Parteien schließen müssen, zum Beispiel mit der CDU oder der herrschenden Verkehrs- und Wirtschaftspolitik.

Man kann natürlich nicht verneinen, dass die Grüne Partei eben nicht in einer Machtposition ist, um unilateral zu entscheiden, dass in Deutschland die ganze Verkehrs- und Klimapolitik geändert wird. Die Herangehensweise der Grünen Partei ist dann, alle notwendigen Kompromisse einzugehen, die für die Regierungsbeteiligung nötig sind, in der Hoffnung, dass sie aus dieser Position schon irgendwie diese Ziele entwickeln können. Eine pragmatisch-reformistische Methode, die natürlich nur scheitern oder höchstens winzige Teilerfolge haben kann.

Es gibt eine lange Geschichte von Grünen Parteien, die sich konsequent am Ökozid beteiligen, oder an der Kriminalisierung von Menschen, die sich auf eine radikalere Weise versuchen zu wehren, oder einzusetzen für Prinzipien, die im Grunde auch in ihrer eigenen Parteipolitik aufgenommen sind.

Aber die Frage ist dann natürlich, wie weit das mit den Kompromissen gehen soll und inwieweit man das eigentliche Ziel, wenn es das überhaupt noch gibt, innerhalb dieser Kompromisse absolut verliert. Die grünen Parteien müssen nicht koalieren. Man kann sich auch zufrieden geben mit Oppositionspolitik. Das ist eine Option, die die Grüne Partei immer gehabt hat und woraus man viel konsequenter agieren kann. Und dann muss man weniger Kompromisse schließen, da muss man seine Seele nicht dem Teufel verkaufen. Dann kann man aber keine Regierungsbeteiligung haben oder sich als eine regierungsfähige Partei darstellen, die die Ziele auch tatsächlich erreichen könnte, indem man ihr erlaubt zu regieren. Aber sich mit Opposition zufrieden geben wird man vielleicht nur machen, wenn man anerkennt, dass das System an sich so komplett verrottet ist, wie die Leichen, die es tagtäglich produziert.

Und agiert die Regierung wirklich entgegen der Interessen einer breiten Bevölkerungsschicht? Will die Mehrheit wirklich Klimaschutzmaßnahmen oder den Status Quo erhalten?

Was ich unterschreiben muss, ist, dass große Teile der Bevölkerung zu Dekadenz tendieren. Wenn sie die Wahl haben zwischen der Möglichkeit jetzt im Luxus leben und bald einen gesellschaftlichen Zusammenbruch zu erleben, wegen einer ökologischen Katastrophe oder alternativ wirklich anders zu leben und sich von Wohlstand und Luxus zu verabschieden, neigen sie dazu, sich für den dekadenten Weg zu entscheiden. Es gibt aber auch Menschen, die bereit sind Privilegien aufzugeben, oder die mit ihrem Gewissen nicht im reinen sind und andere Prioritäten stellen in ihrem Leben. Menschen, die trotz geringeren Luxus Lebensfreude finden können, die eine andere Vorstellung haben vom guten Leben und so weiter. Aber ganz Viele, so scheint es mir, wollen auch verarscht werden, wollen den demagogischen Märchen auch tatsächlich glauben und den Widerspruch zwischen dem Status Quo-Erhalt und wahrhaften Klimaschutz betreiben zu negieren. Greenwashing funktioniert nur, weil die konsumierende Bevölkerung den Wunsch nach Nachhaltigkeit hat und gleichzeitig bereit ist, sich verarschen zu lassen. Wir leben in einer Welt, wo größenwahnsinnige Imperialisten wie Elon Musk als Klimaheiland gefeiert werden. Was soll man noch dazu sagen?[1]

Siehst du eine Möglichkeit die Klimakrise innerhalb des jetzigen parteipolitischen Systems zu bewältigen?

Die Möglichkeit existiert, meiner Einschätzung nach, überhaupt nicht mehr. Nicht mehr innerhalb des bürgerlich-kapitalistischen Systems, und auch nicht darüber hinaus. Auch wenn wir, was eine absolut unmögliche Hypothese ist, unseren Lebensstil von heute auf morgen komplett ändern würden, wäre es zu spät die Klimakrise abzuwenden. Sie ist schon da, sie ist nur nicht gleichverteilt und wird nie gleichverteilt sein.

Die Frage ist dann eher, wie man mit dieser Tatsache umgeht, wie man unter klimakatastrophalen Bedingungen lebt, und die Schäden so gering wie möglich hält. Aber da stellt man fest, dass innerhalb des jetzigen Systems klimaschädliche Aktivitäten wie die massenhafte Braunkohleverbrennung, industrielle Landwirtschaft, Massentierhaltung, Luftverkehr, Autobahnbau, usw. nicht nur erlaubt, sondern aktiv gefördert werden - mit Milliardensubventionierungen.

Natürlich gäbe es innerhalb des jetzigen Systems theoretisch die Möglichkeit Steuern und Subventionierung anders zu verteilen, damit solche Aktivitäten eben nicht positiv, sondern negativ sanktioniert werden. So könnte eine dezentralisierte Energieversorgung, Permakultur, regenerative Landwirtschaft, nicht-motorisierte Mobilitätsmittel und Nulltarif für den öffentlichen Nahverkehr gefördert werden. Das wäre aber nicht zweckführend für die Interessen des Großkapitals, bzw. für diejenigen, die die Regierungen steuern und Medien kontrollieren. Und es könnte die internationale Konkurrenzfähigkeit ernsthaft schwächen.

Wie stehst du denn zur Idee von erneuerbaren Energien und einer Energiewende? Liegt hier nicht ein Potential auch innerhalb des Systems?

 Es gibt hier auf jeden Fall marktwirtschaftliche Chancen aus zwei Gründen: erstens wird es immer teurer werden fossile Brennstoffe zu finden oder zu extrahieren und zweitens gibt es innerhalb der Bevölkerung langsam eine Ablehnung fossiler Brennstoffe gegenüber. Das haben Investoren auch schon seit Jahrzehnten auf dem Schirm.

Aber die Möglichkeit, eine ökologische Desintegration abzuwenden indem man einfach weitermacht, wie wir jetzt wirtschaften, nur mit erneuerbarem Strom, statt fossiler Brennstoffe, das ist eine Täuschung. Hier gibt es ganz viel Vernebelung: wo kommt diese erneuerbare Energie her, wieso heißt es überhaupt „Erneuerbare“? Man sagt: „Wind wird es immer geben, Wind ist erneuerbar“ oder „Die Sonne ist da, sie wird weiterhin scheinen“. Das stimmt, aber das ist natürlich eine sehr oberflächliche Vision. Ich muss nicht erzählen, welche Rohstoffe man alles braucht für Solarzellen und Windräder, wie viele Jahre vorbei gehen müssen bevor die CO2-Inputs sich 'abbezahlt' haben, und wie kurz die Lebensdauer nur ist, usw. Das ist nicht nachhaltig, sondern vielleicht eine langsamere ökologische Desintegration.

Ich muss aber natürlich eingestehen, dass es auch sehr einfach ist, alles abzulehnen. Ich sehe nur nicht ein, dass das eine Lösung sein soll und dass man das nachhaltig nennen kann. Aber auch hier gibt es wieder die 2 Ebenen: es gibt eine absolut gesteuerte und bewusste Verarschung und es gibt auch einfach einen authentischen Versuch es wenigstens ein bisschen besser zu machen.

Das heißt also nicht, dass ich nicht nachvollziehen kann oder nicht unterstützen würde, dass man Wind- oder Solarkraft verwendet. Wir sind auch einfach nicht in der Lage von heute auf morgen ohne Strom zu leben, alle gemeinsam. Aber es ist problematisch, wenn man bewusst oder unbewusst schon wieder Menschen verarscht, in dem man das als Lösung darstellt. Es gibt keine Lösung innerhalb des Kapitalismus für die sich weiterentwickelnde ökologische Krise. Um eine weitere ökologische Desintegration abzuwenden müsste der Energiebedarf runter; dies lässt sich allerdings nicht vereinbaren mit einer produktivistischen, kapitalistischen Wirtschaftslogik. Forschungen, Modellen und Publikationen zu Wachstumsgrenzen sind inzwischen schon wenigstens ein halbes Jahrhundert alt; Energiekonsum und Treibhausgasausstoße sind kontinuierlich gestiegen. Es ist eine Illusion diese Probleme, die tief in der gesellschaftlichen Struktur verwurzelt sind, technologisch lösen zu können.

Und außerhalb des Kapitalismus, für einen System Change, reicht die Zeit nicht?

Das ist auch nicht schwarz oder weiß. Manchmal wird es so dargestellt, als würden wir es entweder schaffen oder wir sterben alle. Es schaffen werden wir nicht. Das heißt aber nicht, dass das menschliche Leben von heute auf morgen unmöglich wird. Aber was zu erwarten ist, sind natürlich ökologische Desaster. Das ist aber keine binäre Sache: entweder ist alles am Arsch oder wir retten die Welt, so ist es nicht. Es wird mehrere ökologische Katastrophen geben, die alle passieren innerhalb einer biosphärischen, atmosphärischen Veränderung, die manche Lebensformen erlauben wird und andere nicht. Und manche menschliche Gesellschaften erlauben wird und andere nicht. Vielleicht endet es auch in dem Ende der menschlichen Geschichte, das kann natürlich sein. Irgendwann muss es ja auch mal zum Ende kommen.
 

[1] “We will coup whoever we want! Deal with it.” https://www.bpb.de/internationales/weltweit/sicherheitspolitische-presseschau/195583/democracy-now

Danni_Schnee

Letzte Woche Donnerstag wurden die letzten Baumhäuser von der Hauptschneise gefällt. Ist der Kampf hier verloren?

Ich glaube, dass es hier mehrere Ziele gegeben hat und dass manche Ziele erreicht wurden und andere wiederum nicht. Ein Ziel im Vordergrund war natürlich zu vereiteln, dass die Bäume gefällt und die Autobahn gebaut wird. Und nun sind die Bäume gefällt, und die Autobahn wird sehr wahrscheinlich auch gebaut.

Andere Ziele sind gewesen ein Zeichen zu setzen. Das hat geklappt. Man kann dann darüber debattieren, ob das Zeichen stark genug war, ob es das richtige Zeichen war, ob es genug Menschen erreicht hat. Aber ein Zeichen grundsätzlich haben wir gesetzt. Und bezüglich der Grünen stellt sich die Frage, ob sie sich das nochmal erlauben werden, als Regierungspartei einen Autobahnbau zu unterstützen. Ich glaube schon, dass wir, indem wir hier dieses Theater provoziert haben, schon auch einen Einfluss gehabt haben auf die zukünftige Verkehrspolitik Deutschlands. Was wir auch erreicht haben, ist die ökologischen Themen nochmal in den Vordergrund zu stellen, sowohl der regierenden Politik gegenüber als auch der Bevölkerung, die sich entweder langsam ein bisschen radikalisieren wird… oder halt die Grüne Partei wählt.

Im Zuge der Räumung gab es in den Medien immer wieder den Vorwurf, dass sich die Aktivist*innen einfach über eine demokratisch legitimierte Entscheidung hinwegsetzen. Was würdest du antworten?

Ich finde den Vorwurf teilweise nachvollziehbar. Ich habe es auch als problematisch empfunden, dass wir, Menschen, die zum großen Teil nicht aus der Region kommen, uns hier irgendwie behauptet haben. Aber es gibt viele Ebenen hier: inwieweit ist es wirklich eine demokratische Entscheidung gewesen? Das hängt auch davon ab, wie man Demokratie definiert und inwiefern unsere Gesellschaft überhaupt demokratisch ist. Aber in diesem Fall muss man auch erkennen, dass ganz viele Wahlberechtigte für diese Autobahn sind und dann gibt es tatsächlich die Frage, inwieweit man sich als Minderheit dagegen behaupten kann. Nicht nur seine Meinung zu äußern, sondern aktiv dagegen zu agieren.

Die Antwort haben wir gegeben, indem wir es getan haben. Das kann man meiner Meinung nach legitimieren, indem man diese demokratische Entscheidung, und lass uns jetzt davon ausgehen, dass es eine demokratische Entscheidung ist, immer nur eine ganz kleine Menge Betroffener miteinschließt. Die übergroße Mehrheit der Betroffenen ist nicht an dieser Entscheidung beteiligt gewesen. Sei es Lebewesen hier im Wald, von Klimawandel betroffene Menschen weltweit, zukünftige menschliche Generationen, auch zukünftige deutsche Generationen. Und so betrachtet ist unserer Widerstand natürlich auch eine Stellungnahme. Das kann man nicht nur deutschland-intern betrachten, das muss man global betrachten, weil wir es hier mit einem globalen Konflikt zu tun haben. So betrachtet haben wir verweigert, die Seite von deutschen Wahlberechtigten zu wählen, solange es deren Entscheidung ist, das Leben hier auf dieser Welt für so Viele unmöglich zu machen.

In der Öffentlichkeit wurde zudem die Gewalttätigkeit auf Seiten der Aktivist*innen gegen Polizei oder Waldarbeiter scharf verurteilt. Der Protest soll friedlich bleiben. Was sagst du dazu?

Solche Aussagen sind keine Überraschung. Das ist eine komplett vorauszusehende, strategische Herangehensweise, weil diejenigen, die solche Botschaften verbreiten, wissen, dass die Bevölkerung sehr empfindlich dafür ist. Solche Aussagen haben zum Ziel den Widerstand oder den potenziellen Widerstand so schnell es geht und so gut wie möglich zu pazifizieren und zu spalten.

Warum?

Weil er dann viel leichter zu kontrollieren ist, und das möglichst präventiv. Teile und herrsche, der Erfolg dieses Diktums hat sich schon über Jahrtausende bewiesen. Wenn man dieses – schon wieder absolut heuchlerische – Gewalt-Tabu aufrechterhalten kann, ist das eine präventive Strategie um weitere, drastischere und schwerere Maßnahmen zu verhindern, die das gewalttätige Antlitz des Staates offensichtlich machen würden. Außerdem würde der Konflikt dann als Konflikt sichtbar sein, nicht bloß als Meinungsunterschied, bei dem man seine Meinung äußeren kann, um dann ignoriert zu werden. Ein solidarischer Widerstand kann eine reelle Bedrohung darstellen; ein gespaltener Widerstand verliert an Potenz.

DanniRaeumung

Es gibt innerhalb der Besetzung und Klimabewegung auch viele Menschen, die sich klar zur Gewalt bekennen. Wie reagierst du auf die Aufrufe, sich davon zu distanzieren?

Ich reagiere nicht direkt darauf. Ich befolge diese Aufrufe nicht und verweigere, mich ausdrücklich davon zu distanzieren. Und ich reagiere vielleicht indirekt auch so darauf, dass ich solche Aufrufe thematisiere und versuche zu schauen, was dahintersteckt: eine Vernebelung von Gewaltstrukturen.

Ein moralistischer Aufruf zu absoluter Gewaltlosigkeit von Menschen, die dem deutschen Staat Steuern bezahlen und bei Shell Oil tanken, kann ich leider nicht ernst nehmen. Das heißt wiederum nicht, dass ich diese Menschen verurteile – ich kann natürlich nachvollziehen, dass Menschen in dieser Gesellschaft Auto fahren und Steuern bezahlen. Es heißt aber schon, dass wir schon längst jenseits der Gewaltlosigkeit oder irgendeiner moralischen Erhabenheit sind, und das übrigens auch immer gewesen sind.

Solche Aufrufe basieren auf der hegemonische Gewaltdoktrin unserer Gesellschaft, die so tief internalisiert hat, dass es dieses Gewaltmonopol gibt und dass dieses Gewaltmonopol auch notwendig und gerechtfertigt ist. So wird bestimmte Gewalt nicht mal als Gewalt gesehen: solange die Gewalt unilateral bleibt und wehrlos hingenommen wird hat es anscheinend kein Gewalt gegeben. Es ist irgendwie auch ein rhetorisches Zauberwort, mit dem man sehr viel bewirken kann. Und ich denke, so sollten wir es auch behandeln. Wenn es aus herrschaftlicher Ecke verwendet wird, sollte eigentlich schon ein Alarm klingeln und man sollte immer hinterfragen, was versucht wird, mit Zauberwörtern wie ‚Gewalt‘, Terrorist‘ oder ‚Extremist‘, zu bewirken.

Wenn man es distanziert betrachtet, ist es erstaunlich, dass es überhaupt funktioniert zum Beispiel Sachbeschädigung als eine illegitime Aktionsform darzustellen, während hier unzählbare Lebewesen getötet werden und die Polizei beliebig prügelt. Dass man es tatsächlich mit diesen Aufrufen hinkriegt, ganz viele Menschen dazu zu bewegen sich explizit oder implizit von Sachbeschädigung zu distanzieren. Hier geht es um die Beschädigung von lebenslosen Gegenständen, die dazu da sind, Zerstörung hervorzubringen. Es ist kaum zu glauben, dass Menschen, die prinzipiell gegen diese Zerstörung sind, dann doch dazu neigen, diese Beschädigung von Sachen, die nur dazu da sind, die Zerstörung zu bewirken, zu verurteilen. Also das muss man erst mal hinkriegen.

Spannend ist auch, dass NGO-Mitglieder von ihrer NGO fordern, sich ausdrücklich von einer Bewegung zu distanzieren, in der Einige Sachbeschädigung oder andere direkte Aktionsform nutzen, mit denen die Mitglieder nicht einverstanden sind. Die drohen damit, nicht mehr zu spenden. Gleichzeitig können aber ganz viele gewaltlose Protestierende von Polizeigewalt betroffen sein. Und die Polizei wird natürlich von den gleichen Menschen bezahlt, durch Steuern. Aber wie viele Menschen gibt es, die damit drohen würden, die Steuergelder zurückzuziehen, wenn die Polizei weiterhin gewalttätig agiert? Es gibt natürlich auch repressive Gründe, warum man das nicht macht, aber es zeigt auch eine tief internalisierte Anerkennung des Gewaltmonopols und das ist natürlich auch bedeutungsvoll. Dass ein Olaf Scholz bei G20 in Hamburg behaupten kann, es habe keine Polizeigewalt gegeben – eine offensichtliche Lüge – und dass er dafür nicht negativ, sondern positiv sanktioniert wird, das zeigt eine tiefe und sehr gefährliche Haltung innerhalb der deutschen Bevölkerung. Wohin das führen kann, werden wir sehen, aber wir wissen auch, wohin das in der Vergangenheit geführt hat.

Glaubst du, dass mit Zunahme der Klimawandelfolgen auch die Akzeptanz für Sachbeschädigung seitens der Klimabewegung zunehmen wird?

Es gibt bereits Menschen, glaube ich, die obwohl sie tendenziell Respekt für die bürgerlich-rechtliche Ordnung haben, jetzt schon in bestimmten Fällen Sabotage auch erlauben würden. Aber es geht gegen die hegemonische Doktrin und die ist heutzutage sehr intakt. Vielleicht fangen Menschen an mit der Sabotagefrage und hinterfragen dann auch andere bürgerliche Dogmas und Fetischismen. Was dahinter steckt ist nämlich ein Fetischismus von lebenslosen Gegenständen, die innerhalb eines hierarchischen Wertesystems höher wertgeschätzt werden als Lebensgrundlagen und Lebewesen. Vielleicht wird man sich eines Tages darüber Gedanken machen, ob es wünschenswert ist als Gesellschaft biospherische Massenvernichtung zu belohnen und der Versuch das entgegenzuwirken zu kriminalisieren.

Was können wir denn dann überhaupt noch machen, wenn es eh so aussichtslos erscheint?

Wir sinken tiefer in mannigfaltigen Krisen und die Blinden folgen den Blinden. Vielleicht können wir in unsere Blindheit aufhören, den Blinden zu folgen und versuchen, zu sehen.

Und obwohl wir in Zeiten leben, in welcher das Leben, so wie wir es gekannt haben, unter schwerem Angriff ist, können wir immer noch versuchen Lebensweisen, die sowohl schöner, als auch gesunder und zukunftsfähiger sind, als die, zu denen wir erzogen wurden, leben zu lassen, statt sie zu unterwerfen.

Glaubst du, dass wenn mehr Leute hier gewesen wären und sich in Blockaden gesetzt hätten, sagen wir die 50-Fache Menge, hätte es einen Unterschied gemacht?

Ja. Ich weiß nicht, ob der Wald dann noch stehen würde, aber ich glaube schon. Und wenn es immer so wäre, würde man auch langfristig viel mehr Gegenmacht entwickeln können.

BarrioOben