Es geht nicht um das Ob. Es geht um das Wie.
Es geht nicht um das Ob. Es geht um das Wie.
Begriffspolitik zur „Klimaneutralität“ – Parteiprogramme zur CO₂-Rückholung – Anforderungen an nachhaltige Negativ-Emissions-Technologien … Der nachfolgende Text ist das Ergebnis eines sehr umfangreichen Diskussionsprozesses innerhalb unserer Redaktion über diese breite Palette politischer Fragestellungen. Nachfolgend lesen Sie das Ergebnis dieses wechselseitigen Lernprozesses.
Sinnvolle Rahmenbedingungen für die CO₂-Rückholung
Ob eine Technologie der Umwelt dient oder schadet, liegt zum einen an der Technik selbst und zum anderen an der Art ihrer Anwendung. Werden Wälder gerodet, um Solarkraftwerke zu bauen, dann ist dies eher schädlich. Gleiches gilt, wenn Mischwälder für schnellwachsende Bäume im Rahmen der CO₂-Rückholung abgeholzt werden.
Kürzlich hat Kathrin Hartmann in einem Zeitungsbeitrag [1] argumentiert, Negativ-Emissions-Techniken (NETs) könnten „den Verlust von Biodiversität beschleunigen“, wenn etwa Aufforstung in Gestalt von „Eukalyptus-Plantagen“ geschieht, welche die Böden austrocknen und so zusätzlich die Waldbrandgefahr steigern. Die Kritik, dass Eukalyptus-Plantagen der Biodiversität schaden, ist durchaus berechtigt und ernst zu nehmen. Doch spricht das wirklich grundsätzlich gegen Aufforstung? Oder ist die Ursache nicht eher in der Monokultur zu sehen, die bekanntermaßen die Artenvielfalt zerstört?
Eine Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) [2] ergab im September 2020, dass Mischwälder im Hinblick auf die verschiedenen Ökoleistungen insgesamt besser geeignet sind als monospezifische Bestände. Dabei sahen die Expert:innen insbesondere drei Vorteile:
- Mischwälder führen indirekt zu einer größeren Artenvielfalt,
- wegen ihres breiteren Nutzungsspektrums sind sie langfristig rentabler,
- sie zeichnen sie sich durch eine höhere Stabilität gegenüber Extremereignissen aus als monospezifische Kulturen.
Die Kritik Hartmanns kann also entkräftet werden. Dennoch wollen wir Argumente dieser Art zum Anlass nehmen, auf ökologisch sinnvolle Rahmenbedingungen für die CO₂-Rückholung aufmerksam zu machen. Dass wir NETs brauchen, ist wissenschaftlich gesichert. Es geht also nicht mehr um das “Ob”, sondern um das “Wie” einer Rückholung von Treibhausgasen. Der in diesem Zusammenhang auftauchende Begriff “Klimaneutralität” wird ebenfalls kontrovers diskutiert. Wir schließen ihn daher in die Diskussion der Rahmenbedingungen ein.
Kann Heizöl klimaneutral sein?
Rein sachlich gesehen, bedeutet Klimaneutralität das Erreichen eines Gleichgewichts zwischen den anthropogenen (menschengemachten) Emissionen und deren Entfernung aus der Atmosphäre. Vereinfacht gesagt: Jeder Tonne CO₂-Emission steht eine Tonne CO₂-Rückholung entgehen. Steigt man tiefer in das Thema der Rückholung ein, wird schnell klar: Der Umfang der Rückholmöglichkeiten ist begrenzt. Nur wenn wir radikal Emissionen reduzieren, können wir überhaupt Klimaneutralität erreichen.
Hinzu kommt, dass die Erdatmosphäre heute bereits deutlich zu viel CO₂ enthält und eine so verstandene „Klimaneutralität“ nicht mehr ausreicht. Wir stehen vielmehr vor der Aufgabe, langfristig deutlich mehr CO₂ aus der Atmosphäre zurückzuholen, als den unvermeidlichen Restemissionen entspricht.
Inzwischen ist das Wort „Klimaneutralität“ zu einem Schlagwort und Marketing-Instrument geworden. Der Erdöl-Konzern BP hat sogar „klimaneutrales Heizöl“ im Angebot. Mit preiswerten Kompensationsmethoden in „Entwicklungsländern“ erkauft man sich ein „Weiter so“ beim zerstörerischen Lebensstil. Es gilt also genau hinzuschauen:
- Was genau ist an einer Firma und an ihrer Produktpalette „klimaneutral“? Die Herstellung? Die Lieferketten? Das Marketing? Die Produktnutzung?
- Soweit die „Klimaneutralität“ durch Kompensationszahlungen erreicht wird: Wo finden die dadurch finanzierten Maßnahmen statt? Wie nachhaltig sind sie? Gibt es schädliche Nebenwirkungen? Sind die Maßnahmen womöglich ein Alibi, um im eigenen Hause Emissionseinsparungen zu vermeiden? Verhindern sie gerade die Dekarbonisierung der Volkswirtschaft, zu der eine Firma gehört?
Die Verwendung von Begriffen beeinflusst stets Handlungsmöglichkeiten. Der Begriff „Klimaneutralität“ kann in der Produktwerbung und im politischen Diskurs einerseits von den nötigen Änderungen ablenken. In diesem Sinne kritisiert unser Gast-Autor Hans-Josef Fell den Begriff hier.
Andererseits kann der Begriff "klimaneutral" als ein Ziel verstanden werden, das alle Emissionsminderungsmaßnahmen sogar überbietet. Klimaneutralität ist dann mehr als 100% Erneuerbare Energien, weil noch die Restemissionen kompensiert werden müssen: Methan und Lachgas in der Landwirtschaft, Kohlendioxid in der Zementverarbeitung oder der Stahlproduktion. Auch in diesen Sektoren kann vieles an Emissionen vermieden werden; doch es könnte ein Rest verbleiben, der „neutralisiert“ werden muss, weil die Atmosphäre keine weiteren Nettolasten dieser Gase mehr verkraftet. In diesem Sinne verwenden die Beiträge (S.36, S.42 oder S.46) in dieser Ausgabe den Begriff „Klimaneutralität“. Und vermutlich ist das auch der Grund, warum in verschiedenen Parteiprogrammen zur vergangenen Bundestagswahl der Zeitpunkt für das Erreichen von 100% Erneuerbaren Energien früher lag als der Zeitpunkt des Erreichens von Klimaneutralität.
Wo stehen unsere politischen Parteien im Hinblick auf CO₂-Rückholung?
Wenn wir uns diese Wahlprogramme noch einmal etwas genauer anschauen, fällt etwas Merkwürdiges auf: Das Thema der Negativ-Emissionen spielte eine umso größere Rolle, je mehr eine Partei (zu Recht) im Verdacht steht, es mit dem Ende der Positiv-Emissionen nicht so eilig zu haben. In den Programmen der SPD und der Grünen kam es überhaupt nicht vor. Die Linke forderte lediglich ein Verbot der unterirdischen „Verpressung von CO₂“ als CCS-Verfahren (Carbon Dioxide Capture and Storage); und erwähnte Terra Preta (eine dunkle, humus- und nährstoffreiche Erde, zu deren Bestandteilen auch Pflanzenkohle zählt) als klimaschonendes Element der Landwirtschaft. Die Union sprach sich in ihrem Programm allgemein für „Pilotprojekte“ im Bereich negativer Emissionen aus und erwähnte insbesondere CCS- und CCU-Prozeduren als unterstützenswert.
Am ausführlichsten äußerte sich die FDP: Unter dem Oberbegriff „Geo-Engineering“ forderte sie vor allem „das gezielte Nutzen von Biomasse zur Speicherung von CO₂“. Ferner nannte sie auch CCS- und CDR (Carbon Dioxide Removal) - Techniken als „große Chance für den Klimaschutz“. Aufforstungen und die Wiedervernässung von Mooren fanden sich ebenfalls nur im FDP-Programm. Hier tauchte auch eine Konzeption für Senkenzertifikate auf: „Wer künftig CO₂ aus der Atmosphäre entfernt und bindet, muss dafür je Tonne gebundenes CO₂ ein europäisches CO₂-Zertifikat erhalten. Das muss dann wie jedes andere Zertifikat frei am Markt handelbar sein, ohne dass sich die Gesamtmenge der jährlich ausgegebenen Zertifikate erhöht.“ Diese Vermengung von Emissions- und Rückholungs-Zertifikaten ist ein besonders toxischer Vorschlag.
Der parteipolitische Diskurs über Negativ-Emissionen ist demnach in den Händen derjenigen Parteien, die bekannt dafür sind, die Interessen der großen Treibhausgas-Emittenten zu schützen. Es ist ein wichtiges Ziel, diese Diskurs-Konstellation zu ändern und die Gewissheit ins politische System einzuspeisen: Wir brauchen eine radikale Dekarbonisierung der Wirtschaft und gleichzeitig den mutigen Einstieg in eine Senken-Ökonomie. Der vorliegende Solarbrief soll ein Beitrag zu diesem Ziel sein.
Kriterien für ein nachhaltiges CO₂-Rückholungs-Regime
Die Begriffe “CO₂-Rückholung” wie auch “Klimaneutralität” polarisieren, wie man sieht - je nach Bedeutung, die man ihnen zuordnet. Die Ausführung - also das “Wie” - der CO₂-Rückholung und der Klimaneutralität zu diskutieren, ist daher umso wichtiger. So möchten wir mit einem Aufschlag die kritische Debatte beginnen und im Folgenden erste Ansatzpunkte auflisten, die wir für erforderlich erachten:
Verhindern eines Ablasshandels
Das Potenzial von CO₂-Rückholung ist begrenzt und die Umsetzung kostspielig. Um Klimaneutralität zu erreichen, darf es ausschließlich für nicht-vermeidbare Restemissionen verwendet werden. Die CO₂-Rückholung stellt eine von drei Säulen dar. Wir brauchen zudem eine drastische Reduktion der Emissionen durch einen nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen, und die Umstellung auf 100% Erneuerbare Energien in allen Sektoren: Strom, Wärme und Verkehr. Bis zum Jahr 2030 können und müssen wir die Emissionen so weit senken, dass nur noch wirklich unvermeidbare Restemissionen (z.B. aus der Landwirtschaft) zurück bleiben. Hier gilt es sicherzustellen, dass Emissionen und Senken nicht beliebig miteinander verrechnet werden könne - zum Beispiel, wenn Kohlekraftwerke über CCS angeblich klimaneutral betrieben werden. Dazu braucht es eine genauere Definition der Residual-Emissionen.
Jetzt handeln
Schon heute ist die CO₂-Rückholung erforderlich, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Je länger wir warten, desto mehr CO₂ müssen wir später zurückholen. Jede heute verpasste Senkenleistung muss zu einem späteren Zeitpunkt aufgefangen werden und macht folglich einen größeren Ressourceneinsatz erforderlich. Hier ein vereinfachtes Beispiel: ein heute gepflanzter Wald kann in 10 Jahren X Tonnen CO₂ binden. Beginnt diese Aufforstung jedoch erst in 5 Jahren - so brauchen wir die doppelte Anzahl an Bäumen, um die Senkenleistung von X Tonnen CO₂ zu erreichen. Wir müssen also jetzt handeln: Emissionen senken und Rückholung erhöhen. Aufforstung/Wiederaufforstung, Pflanzenkohle/PyCCS und Aufbau bodenorganischer Substanz sind einsatzbereit, kosteneffizient, ermöglichen kurzfristig ein relevantes Volumen. Bei guter Umsetzungspraxis haben alle drei überwiegend klar positive Auswirkungen auf die Ökosysteme. Die gute Umsetzungspraxis macht den Zeitfaktor erneut deutlich: denn ökologisch wertvolle Mischwälder wachsen langsamer als Eukalyptus-Plantagen.
Nationale Verantwortung tragen
Im Herzstück des Pariser Klimaabkommens - den NDCs (Nationally Determined Contributions) - sind die nationalen Beiträge festgelegt. Jedes Land ist aufgefordert, seine Klimamaßnahmen für die Zeit nach 2020 zu skizzieren und zu kommunizieren. Dies gilt für Emissionsminderungsmaßnahmen wie auch für Rückhohlmaßnahmen. Damit gilt es zu vermeiden, dass z.B. im globalen Süden die Biomasse für die europäische Klimaneutralität angebaut wird. Gleichzeitig muss darüber auch sichergestellt werden, dass die Zurechenbarkeit von Maßnahmen transparent ist und politisch kontrolliert wird.
Verhindern von neokolonialer Übermächtigung
Über das Tragen nationaler Verantwortung muss zudem verhindert werden, dass der ökologische Schutz großer Land- und Meeresflächen auf Kosten der Rechte von Menschen im globalen Süden geschieht. Das auf UN-Ebene diskutierte und bisher von mehr als 70 Staaten unterstützte „30x30-Ziel“, nach dem 30% der Erdoberfläche bis 2030 einer wirtschaftlichen Nutzung entzogen werden sollen, würde dazu führen, dass „mindestens 300 Millionen Menschen im Namen des Naturschutzes ihre Heimat und ihre Lebensgrundlage verlieren könnten“, so Kathrin Hartmann [2]. Das ginge auf Kosten indigener Gesellschaften. Auch hier gilt es einen großen Fokus auf das “Wie” zu setzen. Beispiele, wie man den Schutz von Ökosystemen mit den Rechten der darin lebenden Gesellschaften in Einklang bringen kann und z.B. Kautschuk-Zapfer:innen zugleich Wächter:innen des Regenwalds bleiben lässt, gibt es zur Genüge. Die Abholzungsraten in indigenen Schutzgebieten von Brasilien, Bolivien und Kolumbien lagen beispielsweise 50% bis 75% geringer als in anderen Gebieten mit ähnlicher ökologischer Beschaffenheit.
Der Verein Survival kämpft dafür, dass keine Menschenrechtsverletzungen indigener Völker im Namen des Umwelt- und Klimaschutzes begangen werden. Gegen den 30x30 Plan haben sie eine Kampagne gestartet. © Kate Eshelby /Survival • www.survivalinternational.de/emails/biggreenlie
Nachhaltigkeit über Richtlinien sicherstellen
Negative Auswirkungen von Monokulturen haben wir bereits erwähnt. Um u.a. solche schädlichen NET-Umsetzungen zu verhindern, benötigt es Richtlinien, die eine ganzheitliche Nachhaltigkeit der NETs sicherstellen. Beispielhaft sei hier das EBC-Zertifikat der NET Pflanzenkohle/PyCCs zu nennen: es stellt u.a. sicher, dass die Gewinnung der Biomasse klimaneutral sein muss, Emissionen aus dem NET-Prozess in Abzug gebracht werden müssen und Emissionen aus dem Transport und gegebenenfalls aus der Weiterverarbeitung der Pflanzenkohle subtrahiert werden.
Importe/Exporte berücksichtigen
Selbst wenn es Deutschland gelänge, alle Emissionen auf Null zu senken, verbleiben die CO₂-Emissionen von Importen nach Deutschland. Um diese zu berücksichtigen benötigen wir ein Konzept, das die über den Konsum importieren Emissionen in den Blick nimmt. Damit dies gelingt, müssen die Lieferketten transparent sein und hinsichtlich der Treibhausgase bilanziert werden.
Risiken der NET-Maßnahmen reduzieren
Insbesondere die technischen Ansätze zur Rückholung von CO₂ werfen hinsichtlich der geologischen Speicherung noch Fragezeichen auf. Sie befinden sich noch im Pilotstatus und müssen vor ihrem Einsatz den Nachweis der Risikolosigkeit erbringen. Bei der Speichertechnologie CCS stellt sich zum Beispiel die Frage: Welches Restrisiko eines großskaligen Wiederaustritts von CO₂ wollen wir akzeptieren? Zudem brauchen wir ein zuverlässiges Monitoring und die Förderung der Forschung in Bezug auf Externalitäten (z.B. Umweltauswirkungen)
Konkurrenzsituationen zum besten ökologischen Nutzen managen
Aufforstung, Biomasseanbau und die Wiedervernässung von Mooren stehen in Bezug auf Landnutzungsrechte in Konkurrenz zueinander. Gemeinsam stehen sie in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Gleichzeitig konkurrieren BECCS und DACCS um geologische Speicher. BECCS, Pflanzenkohle, Humusaufbau und langlebige Produkte erfordern alle zusammen Biomasse. Ziemlich viel Konkurrenz, die es zu vereinen gilt. Dazu braucht es ein ökologisch sinnvolles Management, das Stoffströme und Landnutzung ganzheitlich betrachtet. Dazu gehören u.a. folgende Fragen: Wo entfaltet welche Ressource ihre beste Wirkung? Z.B. gehört nährstoffarme Biomasse zurück auf den Acker/in den Kompost. Nährstoffreiche, holzige Biomasse in die Pyrolyse. Wo müssen wir in Kaskaden denken? Z.B. Kohlenstoff beginnend mit der Aufforstung binden, dann über langlebige Produkte speichern und schließlich über Pyrolyse versenken. Wieviel Landnutzung für Nahrungsmittel ist sinnvoll? Z.B. sollten wir gewaltige Flächen für den Viehfutteranbau in Frage stellen.
Politische Rahmenbedingungen schaffen
Unsere Analyse der Partei-Programme zeigt, dass die NETs in keiner Partei verankert sind. Dies gilt es aufzulösen: um die dringend notwendige Forschung zu unterstützen und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Diese Rahmenbedingungen betreffen sowohl das “Wie” der Umsetzung als auch das Lösen von aktuell bestehenden Bremsen. So lässt z.B. die deutsche Düngemittelverordnung aktuell Pflanzenkohle nur aus Holz zu. Viel mehr Biomasse-Potenzial eröffnet sich der Pyrolyse jedoch, wenn weitere organische Reststoffe oder auch Klärschlamm bzw. Altholz zugelassen würden.
Quellen
[1] Kathrin Hartmann: Schöner aussterben mit nachhaltigem Palmöl. In: der Freitag Nr. 44, 4.11.2021, S.3.