Schwindelerregende Temperaturrekorde im Wasser des Nordatlantiks kündigen derzeit die Extremwettersaison des Sommers 2023 an. In Kanada haben kaum noch löschbare Waldbrände in diesem Jahr bisher 59.000 km2 Wald zerstört (eine Fläche so groß wie Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zusammengenommen); 120.000 Menschen mussten aus den dortigen dünnbesiedelten Regionen bis zum 6. Juni evakuiert werden.

Zwei Beispiele von vielen. Die globale Klimakatastrophe hat offensichtlich ein neues Level erreicht. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 muss als gescheitert angesehen werden: Selbst eine um 1,5°C erhitzte Welt wird eine Welt der Katastrophen sein, und nicht einmal diese Grenze wird von irgendeiner Regierung der größeren Emittenten-Länder ernsthaft angestrebt. Unsere Bundesregierung will noch bis 2045 ein Vielfaches des vom IPCC errechneten Treibhausgas-”Budgets” ausstoßen. Selbst die vom SFV vertretene Forderung nach 100 % Erneuerbaren Energien bis 2030 wird immer unzureichender – und zugleich aufgrund politischer Untätigkeit zunehmend unerreichbar.

Wie reagiert die Bundesregierung auf diese Zuspitzung? Am 21. Juni 2023 hat das Kabinett ein „Klimaschutzpaket“ verabschiedet, das nun in die parlamentarische Abstimmung geht. Federführend ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Es handelt sich bei diesem Paket tatsächlich im Wesentlichen um eine Verschlechterung des bestehenden Klimaschutzgesetzes!

Die Ampel-Koalition hat von der schwarz-roten Vorgänger-Regierung ein “Klimaschutzgesetz” übernommen, das für Deutschland eine Klimaneutralität bis 2045 vorsah. Anders als seine Vorgänger, nahm Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dieses Ziel wenigstens ernst. Aber die Forderung der Grünen im Wahlkampf, bereits 2035 100% Erneuerbare Energien zu erreichen, wurde sang- und klanglos dem Burgfrieden mit SPD und FDP geopfert – der “Kardinalfehler” im Koalitionsvertrag, wie der Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV) seinerzeit urteilte. Angesichts des jetzigen “Klimaschutzpakets” stellt der SFV  fest, dass damit „dem Gedanken des Klimaschutzes ein weiterer schwerer Schlag versetzt“ wird. Denn mit den ressort-bezogenen Treibhausgas-Minderungszielen der Bundesregierung soll ein wichtiger Grundsatz des bestehenden Klimaschutzgesetzes auf dem Altar des Koalitionsfriedens geopfert werden.

Benennen wir es konkret: Es ist der aktuelle Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der fortgesetzt wissentlich gegen die im aktuellen Klimaschutzgesetz festgeschriebenen Reduktionsziele für sein Ministerium verstößt, weil er Kritik an seiner Verweigerungshaltung für „Klima-Blabla“ hält. Insbesondere verhindert er Tempolimits auf deutschen Straßen sowie ein planbares Ende für die Zulassung neuer Verbrennungsmotoren – zwei für den Klimaschutz fundamentale Maßnahmen. Im ARD-Morgenmagazin ummäntelte Wissing seine Untätigkeit mit einer zynischen Schuldabwälzung auf die Bevölkerung: “Es ist ja nicht die Politik, die mit vielen Autos durch die Gegend fährt”. Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bescheinigt dem Verkehrsminister, dass er gegen das Klimagesetz verstoße. Statt diesen Gesetzesbrecher nun zur Rechenschaft zu ziehen, beschließt die Bundesregierung, das Gesetz aufzuweichen.

Statt konkreten Reduktionszielen für die Ressorts soll nun nur noch eine gesamtpolitische Reduktionsvorgabe gelten. Robert Habeck spricht blumig von „Gesamtverantwortung“ der Regierung und behauptet: „Klimaschutz wird vorrausschauender [sic], flexibler und dadurch effizienter.“

Das ist genau die Art von Unaufrichtigkeit, die zur Erosion des Vertrauens in die demokratischen Parteien beiträgt. Denn von diesen drei Adjektiven stimmt nur das der Flexibilität. Und diese Flexibilität bedeutet, dass Ministerien wie das Wissing’sche keinerlei Anstrengungen mehr unternehmen müssen, wenn es in anderen Bereichen schneller als geplant geht. Wir kennen das von der liberalen ‚Wunderwaffe‘ des Emissions-Zertifikatehandels: Auf keinen Fall darf der festgelegte Emissions-Reduktionspfad überboten werden; jede zusätzliche Einsparung darf und muss an anderer Stelle durch erhöhten Ausstoß ausgeglichen werden.

Können wir uns das noch leisten? Die Bundesregierung will, dass Deutschland 2045 klimaneutral wird. Herr Habeck behauptet seit Amtsantritt, dass unser Land damit auf einem 1,5°-Pfad sei (also die Erderwärmung bei dieser Marke gestoppt werden könne). Keine einzige wissenschaftliche Studie (einschließlich der Berichte des Weltklimarates IPCC) stützt diese Annahme. Hierauf hat der SFV immer wieder hingewiesen. Möglicherweise wird die 1,5°-Marke bereits in diesem Jahr erstmals überschritten. Kanada und der Nordatlantik deuten an, was dies bedeutet. Wir müssen deshalb versuchen, das Ziel der Klimaneutralität viel früher zu erreichen. Durch den jetzt geplanten Rückschritt beim Klimaschutzgesetz wird jede Hoffnung darauf erstickt.

 

 

Titelbild: Präsentation des Koalitionsvertrags im Dezember 2021. CC-BY-SA 4.0 Sandro Halank.